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Wissen & EntdeckenMuseum in Cranzahl: Wo die "Qualmgusch" und andere Räucherfiguren zu Hause sind

13. August 2022, 18:00 Uhr

Oben im Gebirge kann die Sommerhitze ja nicht ganz so schlimm sein. Also auf nach Cranzahl, wo das erste Räuchermännchenmuseum ganzjährig geöffnet hat. MDR SACHSEN-Autor Lars Müller - geboren am Rande des Erzgebirges und mit althergebrachten Weihnachtstraditionen der Region aufgewachsen - hat ausprobiert, ob Räuchermännchen auch im Sommer gehen. Und allen besorgten Feministen und Feministinnen sei gleich an dieser Stelle gesagt, entspannt bleiben: Natürlich stehen auch Räucherweibchen im Museum.

Anmerkung der Redaktion: Diese Reportage ist ursprünglich im Rahmen unserer Ausflugstipps für die Sommerferien in Sachsen entstanden. Das Museum in Cranzahl ist aber auch im Winter einen Ausflug wert.

Schon die weiten Ausblicke bei der Anreise hinauf zu den Bergen des Erzgebirgskamms sind beeindruckend und die eine oder andere Pause wert. Glück auf im Erzgebirge! Aber heute ist nicht der Weg mein Ziel, sondern das erste "Raachermannl"-Museum in Cranzahl in der Gemeinde Sehmatal.

Noch einmal von der Dorfstraße abbiegen, einparken, Sitzgurt auf, Sonnenblende hoch klappen und ich stehe etwas ratlos vor dem großen Räuchermann am Eingang zum Museum. Es ist August. Wo soll jetzt die passende Stimmung für weihnachtliche Holzkunst herkommen?

Claudio Lenk begrüßt mich. Er ist gelernter Möbeltischler, seit 1998 Männelmacher und seit 2012 Chef des Räuchermannmuseums, dem - soweit bekannt - einzigen seiner Art. Er kennt sich also mit weihnachtlichem Ambiente zwölf Monate im Jahr aus.

Räucherfiguren über Räucherfiguren

Durch das Museum wabert ein ganz dezenter Duft nach Räucherkerzchen, keinesfalls aufdringlich. Die schiere Menge der Räuchermännchen allerdings nimmt einem fast die Luft. Rund 3.500 Expemplare sind in der aktuellen Ausstellung zu sehen, viele staubgeschützt in Vitrinen. Dicht an dicht stehen die Figuren. Wer glaubt, jedes Räuchermännchen schon einmal gesehen zu haben, wird hier schnell eines Besseren belehrt. Klassiker sind natürlich der Nachtwächter, der Jäger oder auch Weihnachts- oder Schneemänner. Traditionell ist die Türkenfigur verbreitet, die meist in buntem Gewand dargestellt wird.

Wie die Türkenfigur vermutlich in die erzgebirgische Volkskunst fandÜber die Herkunft der Figur des Türken in der erzgebirgischen Volkskunst wird schon lange spekuliert. Denkbar ist, dass sie zur Zeit der Türkenmode als höfisches Element in den Formenschatz der Volkskunst übernommen wurde. Möglich in diesem Zusammenhang auch, dass 'der Türke' im Nachhall der Fürstenhochzeit von 1719 (August der III. heiratete die Kaisertochter aus Wien) in das Repertoire der erzgebirgischen Figuren aufgenommen wurde.

Das wäre durchaus plausibel, denn der Festplatz im Plauenschen Grund wurde 1719 während des festlichen Umzugs von Hunderten "Türken" bewacht, auch wenn die lediglich entsprechend gekleidete sächsische Soldaten waren. Die etwa 1.400 erzgebirgischen Bergmänner, die eigens zur Hochzeit vor die Tore der Stadt Dresden beordert worden waren, präsentierten der adeligen Festgesellschaft an diesem Abend während des Umzuges schließlich unter anderem wertvollste Objekte aus den Kurfürstlichen Schatzkammern – und die mussten bewacht werden.

Als Exot par exellence ist der Räuchertürke fester Bestandteil des erzgebirgischen "Figuren-Personals". Die Buntheit der Gewänder lehnte sich vermutlich an zeitgenössische oder historische Darstellungen von Bewohnern des Osmanischen Reiches an. Es gibt rund um den Räuchertürken viele mehr oder weniger glaubhaft klingende Legenden und bislang nur wenig Überprüfbares.Karsten Jahnke, Staatliche Kunstsammlungen Dresden

Von der Kloßfrau bis zum Gärtner

Eigentlich gebe es von fast jedem Beruf inzwischen Räucherfiguren, sagt Claudio Lenk. Tatsächlich bietet ein Unternehmen aus dem nahen Vogtland gedrechselte Winzer, Imker, Bauern, Schmiede oder Gärtner an. Was auffällt: Männer dominieren eindeutig das Sortiment wohl aller Räucherfigurenhersteller. Aber es gibt natürlich aus das Räucherweib.

Besonders bekannt ist das Motiv der Kloßfrau, die zumeist eine große Schüssel dampfender, wohl zwischen Frühstück und Gänsebraten zubereiteter Kartoffelklöße trägt. Auch Krankenschwestern gibt es, wo der Rauch aus einer Teetasse aufsteigt. Die Seiffener Drechslergenossenschaft listet mehr als 50 Figuren auf, wenn man in deren Shop nach "Räucherfrau" sucht. Und keine Sorge, es sind nicht nur Köchinnen und Pflegekräfte berücksichtigt.

Sammlung wächst nach und nach

Die meisten Räucherfiguren im Museum sind Schenkungen oder Leihgaben oder stammen von Kunsthandwerker-Kollegen. Claudio Lenk geht nicht auf Einkaufstour, um jede Neuheit oder besonders alte Exemplare zu ergattern. Sein Museum soll nach und nach wachsen. In dem Gebäude einer ehemaligen Färberei ist noch genügend Platz. Stolz ist der Männelmacher auf Musterfiguren, die beispielsweise in der DDR in Dresden oder Seiffen entwickelt wurden und für den Westmarkt bestimmt waren. Etliche davon gingen nie in Serie, weil deren Herstellung zu aufwendig gewesen wäre. Die ältesten Exemplare im Museum haben knapp 100 Jahre auf ihrem hölzernen Buckel.

Hobbyhandwerker versuchen sich an Räucherfiguren

Räucherfiguren waren in der DDR meist Bückware und fast schon eine eigene Währung. So ist es nicht verwunderlich, dass sich viele Hobbyhandwerker in der heimischen Werkstatt an der Drechselbank versucht hatten. Zwar liegt die Schönheit immer im Auge des Betrachters. Dennoch darf festgestellt werden, nicht jeder Handwerker ist auch mit künstlerischem Geschick gesegnet. Drechsler und Holzspielzeugmacher sind nicht umsonst Ausbildungsberufe.

Im Museum sind einige Exemplar zu bewundern, die - na ja -zum Schmunzeln anregen und statt in der festlichen Weihnachtsstube auch auf dem "Ebrbudn" (also dem Oberboden, wie der Erzgebirger zum Dachboden sagt) ganz gut aufgehoben sind, wie ich finde. Und der Fachmann Claudio Lenk sieht das ähnlich und lässt einige im Depot stehen.

Hunderte Eisenbahner-Motive ergänzen Sammlung

Eine Spezies unter den Räuchermännern - ja wirklich dieses Mal den Räuchermännern - scheint sich einer besonderen Beliebtheit bei Sammlern zu erfreuen: die Eisenbahner. Es gibt Schaffner, Lokführer und Bahnhofsvorsteher in meist blauen Uniformen und mit markanter Mütze. Im Räuchermannmuseum in Cranzahl wird die Ausstellung in diesen Wochen um die Sammlung eines echten Eisenbahners aus Niedersachsen erweitert, der rund 700 Eisenbahner-Räuchermännchen dem erzgebirgischen Museum überlässt.

Bei dieser Gelegenheit zeigt mir Claudio Lenk auch das nicht öffentliche Depot des privaten Museums, in dem noch hunderte Räucherfiguren schlummern.

Dritte Generation an der Drechselbank

In Cranzahl beginnt bekanntlich die Strecke der Fichtelbergbahn, die noch täglich mit Dampfloks nach Oberwiesenthal befahren wird. Eine solche Dampflok gibt es als Räucherlok auch von Lenk & Sohn - eben jener Firma, die Claudio Lenk gemeinsam mit seinem Vater Bernd gegründet hat und noch immer betreibt. Beide erlauben mir einen Blick in die Produktion. Dort ist gerade Toni Lenk an der Drechselbank mit der Herstellung von Lokkesseln aus gut getrocknetem Buchenholz beschäftigt.

Der 18-Jährige lernt gerade den Beruf des Holzspielzeugmachers im Rahmen der Verbundausbildung in Seiffen und lässt sich gerne über die Schulter schauen. Er verkörpert die dritte Generation in dem Familienbetrieb und hat noch drei jüngere Geschwister. Schon von Kindesbeinen an hat er seinem Vater und Großvater in der Werkstatt geholfen.

In den "Qualmguschen" hängt der Räucherkerzchen kopfüber

Zum Sortiment gehören neben der Räucherlok noch Leuchterbögen, Schwibbögen, Pyramiden und Schichtenbäume, die filigran das Geäst von Laub- und Nadelbäumen nachahmen und sich von traditionellen erzgebirgischen Spanbäumen durch Detailtreue unterscheiden.

Genau die Vielfalt mache den Reiz der Arbeit aus, sagt Toni Lenk. "Es ist zwar immer Holz, aber jedes Holzstück ist anders und jede Figur braucht eine andere Handwerkstechnik." Der Junior kann sich vorstellen, die Räuchermann-Serie im Familienbetrieb - kein Wunder mit dem angeschlossenen Rachermannlmuseum - zu erweitern. Die Räuchermännchen von Lenk werden als "Qualmguschen" vermarktet. Etwas sperrig übersetzt würde das in etwa "Räuchermund" bedeuten. Aber manch einen erzgebirgische Mundartbegriff sollte man einfach übernehmen und nicht übersetzen.

Die Figuren gibt es übrigens als Bergmann, Jäger, Weihnachtsmann, Kunstgewerbehändler mit Bauchladen, Computerfreak und Schornsteinfeger. Im Innern unterscheiden sich die Cranzahler "Qualmguschen" von den meisten anderen bekannten Räuchermännchen, denn das Räucherkerzchen wird bei ihnen kopfüber eingehängt und verglimmt von der Spitze zur Basis unten nach oben.

Vieles aus der Geschichte der Räuchermännchen unbekanntVieles zur Geschichte der Räuchermännchens aus dem Erzgebirge ist noch unklar. Derzeit nimmt man an, dass Ferdinand Frohs und dessen Neffe Gotthelf Friedrich Haustein den ersten Räuchermann 1856 oder 1857 herstellten - und in Heidelberg bei Seiffen. Eine andere, allerdings unbelegte These zum Ursprung verortet den ersten Räuchermann in Neundorf bei Ehrenfriedersdorf vor 1850. Ein Exemplar eines Räuchertürken ist im Museum für Sächsische Volkskunst in der Dauerausstellung zu sehen. Sie stammt aus der Mitte des 19. Jahrhunderts. Als geografische Herkunft dieses Räuchertürken gilt bislang der Raum Annaberg-Buchholz Weitere alte Figuren befinden sich in diversen Privatsammlungen und in Museen der Region. Welche von denen die älteste ist, vermag niemand zu sagen.

Figuren, die räucherten, gab es allerdings schon Ende des 18. Jahrhunderts. Belegt sind entsprechend Berichte von Räucherfiguren älteren Datums aus Holz oder Papiermaché, die allerdings kaum als direkte Vorfahren des klassischen erzgebirgischen Räuchermanns gelten können.Karsten Jahnke, Staatliche Kunstsammlungen Dresden

Fazit

Ein Ausflug ins Räuchermannmuseum gibt einen Einblick in die schier unendliche Vielfalt erzgebirgischer Räucherfiguren. Es wird keinesfalls Anspruch auf Vollständigkeit erhoben. Wer eine kulturistorische Einordnung sucht, wird nicht fündig. Das ist aber auch nicht Ziel des Museums. Es lädt vielmehr zum Entdecken und Erkunden ein. Tipp: Sich Zeit nehmen und zwei Runden durch die Ausstellung drehen. Denn beim ersten Mal ist wegen der Menge der Exponate gar nicht alles zu entdecken. Fast alle Räuchermännchen sind original aus dem Erzgebirge - manche von gänzlich unbekannten Hobbymännelmachern gefertigt, viele aber auch aus bekannten Werkstätten der Region. Ein ganz kleines Regal zeigt Plagiate aus Fernost und den Qualitätsunterschied zu regionaler Handwerkskunst.

Adresse und Anreise

  • Adresse: Räuchermannmuseum, Dorfstraße 44, 09465 Sehmatal-Cranzahl
  • Anreise mit der Bahn: nach Cranzahl mit der DB-Tochter Erzgebirgsbahn ab Flöha (Anschluss aus Richtung Ostsachsen/Dresden) beziehungsweise Chemnitz (Anschluss aus Leipzig, Zwickau, Vogtland).
  • Anreise mit dem Pkw/Motorrad: über die A72 (Stollberg-West) und dann über Zwönitz - Scheibenberg - B101 oder aus Richtung Chemnitz über die B95 und Annaberg-Buchholz
  • kostenlose Parkmöglichkeiten direkt am Museum
  • Cranzahl ist auch per Fahrrad sowie auf Wandertouren erreichbar, wobei allerdings zu bewältigende Höhenunterschiede im Gebirge berücksichtigt werden sollten.

Öffnungszeiten

  • Montag bis Sonnabend von 10 bis 16 Uhr
  • Feiertage unter der Woche von 13:30 bis 16 Uhr
  • Geschlossen an allen Sonntagen, Buß- und Bettag, 24. bis 26. Dezember und 31. Dezember sowie 1. Januar

Kosten

  • Erwachsener: 3 Euro
  • Kinder von sechs bis 16 Jahre: 1 EUR
  • Ermäßigt: 2 Euro mit Schwerbeschädigten-Ausweis
  • Rabatte für Familien und Gruppen sowie auf regionale Gästekarten

Geeignet für

  • Familien mit nicht zu kleinen Kindern (kein Spielzeugmuseum!)
  • Gruppen
  • Liebhaber und Sammler erzgebirgischer Volkskunst

Barrierefreiheit

  • Das Museum befindet sich im ersten Geschoss, das nur über Treppen zu erreichen ist.

Verpflegung

  • In Cranzahl, Annaberg-Buchholz oder Oberwiesenthal gibt es ausreichend Gaststätten

Daran sollte man denken

  • Im oberen Erzgebirge ist das Klima rauer als im Flachland. Jacke mitnehmen, schadet nicht.
  • Die Straßen im Erzgebirge sind zwar gut ausgebaut, allerdings erlaubt teilweise kurvige und bergige Streckenführung meist geringere Geschwindigkeiten.
  • Wenn der Milchlaster oder ein Mähdrescher unterwegs sind, kann es länger dauern.
  • Die Region eignet sich für einen Kurzurlaub oder einen Wochenendtripp, was Stress bei der An- und Abreise erspart.

Wenn man schon mal da ist ...

  • ... lohnt sich ein Besuch der Städte Annaberg-Buchholz und Oberwiesenthal.
  • ... sollte man sich eine Ausfahrt mit Fichtelbergbahn gönnen.

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