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Der Österreicher Daniel Tschofenig springt vor dem Panorama des Vogtlands beim Weltcup in Klingenthal im Dezember 2023. Bildrechte: IMAGO/Eibner

Wissenschaft und WintersportDas passiert physikalisch beim Skispringen

27. Dezember 2023, 16:10 Uhr

Es gilt als eine der technisch komplexesten Sportarten überhaupt: das Skispringen. Doch was passiert dabei eigentlich physikalisch? Und hat der Wintersport auch langfristig eine Zukunft?

Vom 28. Dezember 2023 bis zum 6. Januar 2024 fliegen die besten Skispringer der Welt wieder um die Wette bei der 72. Vierschanzentournee. Die "Formel 1 des Winters", wie der Wettbewerb dank seiner Popularität auch genannt wird, führt die Athleten erneut zu den beiden deutschen Schanzen in Oberstdorf und Garmisch-Partenkirchen (mit dem legendären Neujahrsspringen am 1. Januar) und nach Österreich zu den Arenen in Innsbruck und Bischofshofen. Dabei kommen die Springer teilweise auf Weiten von über 140 Metern, beim Skifliegen liegt der Weltrekord sogar bei 253,5 Metern. Wie ist so etwas physikalisch überhaupt möglich?

Bruchteil einer Sekunde entscheidend

Zunächst ist dabei die Geschwindigkeit beim Absprung ein wichtiger Faktor. Beim Anlauf, bei dem die Springer, um den Luftwiderstand zu verringern, in die Hocke gehen, erreichen die besten von ihnen auf dem Schanzentisch ein Tempo von über 90 km/h. Dann kommt der Absprung, der technisch hochkomplex ist. "Den Übergang von 37 Grad Neigung auf elf Grad auf dem Tisch muss ich dabei standhalten und dann nach vorn wegspringen, wobei die ersten rund 80 Meter im Blindflug erfolgen", erklärte der frühere Vierschanzentournee-Gewinner Manfred Deckert in einer aktuellen Doku über die Vogtlandarena in Klingenthal. "Erst danach bin ich in der Lage zu realisieren: Ist der Absprung gelungen? Habe ich die nötige Höhe? Habe ich die Geschwindigkeit?" Letztlich sei der Bruchteil einer Sekunde beim Absprung entscheidend, so Deckert.

In der Luft versuchen die Sportler dann eine möglichst große Fläche zu bilden, um wie auf einem "Luftpolster" über die Schanze zu schweben. In den 1980er-Jahren setzte sich hier der sogenannte V-Stil durch, den der Schwede Jan Böklov entwickelt hatte. Wie der Name schon sagt, bilden die Skier ein V, nachdem die meisten Springer ihre Skier zuvor in der Luft parallel gehalten hatten. Anfangs gab es dafür noch starke Abzüge bei den Haltungsnoten (die Technik wird beim Skispringen ebenso wie die Weite bewertet), inzwischen ist der V-Stil aber der Standard. Seit einigen Jahren kommt zudem eine H-Stil genannte Technik immer mehr in Mode, bei der die Skier am hinteren Ende einen deutlich größeren Abstand als beim V-Stil haben.

Nach rund zwei bis drei Sekunden Flug steht schließlich die Landung. Mit einem Sturz kann hier auch der weiteste Sprung noch ein bitteres Ende finden, da er für eine passable Wertung gestanden werden muss. Dabei gibt es einen kritischen Punkt, hinter dem eine sichere Landung schwierig bis unmöglich wird. Bei der Landung dominiert der sogenannte "Telemark", der nach der norwegischen Region benannt ist, wo er entwickelt wurde und der besonders gut geeignet ist, um die hohe Geschwindigkeit aus dem Flug schnell abzubremsen. Hierzu wird der eine Skier etwas nach vorn und der andere etwas nach hinten geschoben, wobei auch hier die Haltung benotet wird.

Führende Forschung in Chemnitz und Leipzig

An den Bewegungsabläufen und dem Material wird ständig weitergeforscht – besonders in Mitteldeutschland. Führend ist das frühere Institut für Mechatronik (IfM) in Chemnitz, das mittlerweile mit dem Institut Chemnitzer Maschinen- und Anlagenbau (ICM) fusioniert hat. Dort wurde ein Programm namens "Alaska" entwickelt, um die Dynamik von Skisprüngen virtuell zu simulieren. Das Computermännchen "Jumpicus" springt dazu regelmäßig über einen kleinen Schanzentisch. "Einerseits muss sich der Sportler nach oben strecken, um mit hoher Geschwindigkeit vom Schanzentisch wegzukommen, andererseits muss er den Oberkörper nach vorn schieben, um einen hohen Drehimpuls zu erreichen", erläuterte die IfM-Mathematikerin Heike Hermsdorf gegenüber der "Süddeutschen Zeitung". Dabei gelte die Gleichung: Hohe Absprunggeschwindigkeit plus optimaler Drehimpuls gleich große Weite, so Hermsdorf.

Genutzt werden die Chemnitzer Daten dann unter anderem vom Institut für Angewandte Trainingswissenschaft (IAT) in Leipzig. "Grob gesagt ist es so, dass uns das IAT Windkanal-Daten liefert, auf deren Grundlage wir im Computer eine Simulation erstellen", sagte der Chemnitzer Ingenieur Thomas Härtel der "SZ". Das Institut in Leipzig werte die Daten dann aus und reiche sie an die Trainer weiter, wie den früheren Weltklasse-Kombinierer Eric Frenzel aus Annaberg-Buchholz, der inzwischen Teil des deutschen Trainerteams in der Nordischen Kombination ist.

Statt Winter- künftig Skisport

Neben der Physik beim Absprung ist in den vergangenen Jahren eine andere Physik immer wichtiger für das Skispringen und den restlichen Wintersport geworden: die der Schneeerzeugung und -erhaltung. Denn aktuellen Studien zufolge könnte das Skifahren infolge des Klimawandels in großen Teilen der Alpen ohne Klimaschutz langfristig unmöglich werden. Noch schwieriger ist die Situation in Mittelgebirgen wie dem Harz oder dem Erzgebirge. Dort dürfte schon in den kommenden Jahren der großflächige Einsatz von Kunstschnee unumgänglich werden, wobei hier aber wiederum teilweise Minustemperaturen zur Erzeugung benötigt werde. In Oberhof im Thüringer Wald wird dazu sogenanntes Snowfarming betrieben, bei dem Schnee am Ende eines Winters gesammelt und über den Sommer für die kommende Saison gelagert wird.

Auch bei dieser Art von Forschung ist Mitteldeutschland vorn dabei. So wird im Erzgebirge an Anlaufspuren für Skisprungschanzen gearbeitet, die auch auch bei Plusgraden funktionieren. Dazu besteht der Untergrund nicht mehr aus Schnee, sondern aus 7,5 cm dicken Eisspuren, die durch Kühlstränge permanent auf Optimaltemperatur gehalten werden. Die ehemaligen TU-Chemnitz-Forscher Jens Reindl und Felix Neubert haben zudem über ihre eigens gegründete Firma Mr. Snow spezielle Kunststoffmatten entwickelt, mit denen es möglich ist, ohne Schnee – also auch im Sommer – Wintersport zu betreiben. Auch in Klingenthal wird inzwischen auch im Sommer auf Matten gesprungen. Aus dem Wintersport wird so in Zukunft wohl der ganzjährige Skisport.

cdi

Dieses Thema im Programm:MDR FERNSEHEN | Der Osten - Entdecke wo du lebst | 26. September 2023 | 21:00 Uhr