Zur Geschichte des Dresdner Kreuzchores: Knabenchor

04. Oktober 2023, 14:09 Uhr

Der Dresdner Kreuzchor ist einer der ältesten Knabenchöre der Welt. Auch nach 800 Jahren besteht seine wichtigste Aufgabe darin, die Vespern und Gottesdienste in der Kreuzkirche am Dresdner Altmarkt musikalisch zu gestalten. Nicht nur an hohen kirchlichen Feiertagen, sondern über das gesamte Kirchenjahr hinweg bestreiten die Kruzianer die Hälfte aller liturgischen Dienste in dem Gotteshaus am Altmarkt, das seinen Namen einer Reliquie verdankt ...

Der Überlieferung nach schenkte Markgraf Heinrich der Erlauchte der ältesten Kirche der Stadt - als St. Nikolai 1215 ersterwähnt - "ein merklich schön Partikel vom Heiligen Kreuz". Die Reliquie zog fortan Scharen von Wallfahrern an. Eigens zur Aufbewahrung wurde um 1319 im südlichen Teil von St. Nikolai die Kreuzkapelle gebaut und das Gotteshaus 1388 als Kreuzkirche neu geweiht.

Die Anfänge von Kreuzschule und Kreuzchor

Für die Gottesdienste in Kirche und Kapelle brauchte man Ministranten und Chorknaben, die in Latein - der damaligen Kirchen- und Gelehrtensprache - und Gesang unterwiesen werden mussten. Diesem Zwecke diente die Kreuzschule, die am 6. April 1300 erstmals urkundlich erwähnt wurde. Die Chorknaben waren viel beschäftigt - nicht nur in den Messen, Vespern und Hochämtern der Zeit oder wenn sie den Priester begleiteten, der Kranken das Abendmahl brachte. Sie waren auch Schreiber und Boten, läuteten die Glocken und kehrten die Kirchen, waren Ausrufer und sogar Steuereintreiber an der Seite der Stadtknechte, um Geld für Schule und Unterkunft zu verdienen. Bei der berühmten Dresdner Kirchweih am Johannistag - dem Hauptablasstag der Kreuzkirche - wiederum wirken sie nicht nur als Sänger mit, sondern stellten in der Festprozession die Szene rund um die "Anbetung des Goldene Kalbes" dar: Einem größeren Schüler wurde dazu ein Fell mit Kalbskopf übergezogen, darin war zum Dank ein Fässchen Bier versteckt.

Zeit der Glaubenskämpfe: Der Beginn des evangelischen Kreuzkantorats

Im 15. Jahrhundert wurde die Schülerherberge "Zum Heiligen Kreuze" zur Zuflucht für freiheitlich gesonnene Geister, insbesondere für die Anhänger des böhmischen Reformators Jan Hus (1370-1415), der sich gegen den Ablass wandte und auf dem Scheiterhaufen endete. Den Boden für die neue Lehre bereitete Martin Luther, als er 1516 anlässlich einer Visitation bei den Augustinern in Altendresden mahnte, "nicht an Artistoteles, Thomas und anderen Scholasticis zu hangen, sondern Gottes Wort fleißig zu lesen." Zwei Jahre später predigte er in der Schlosskapelle, Herzog Georg reagierte äußerst ablehnend und ließ Anhänger der neuen Lehre verfolgen. Doch mit dem Amtsantritt seines Bruders Heinrich brach sich die Reformation 1539 auch in Sachsen Bahn. Fortan waren Ablasshandel, Fronleichnamsprozessionen, katholische Messen verboten. Klöster und Stifte waren in Auflösung. Nach Luther brauchte es kein Studium, also auch keine Schule mehr, das Wort Gottes zu verstehen. All das führte dazu, dass Kreuzschule und Kreuzchor die Einnahmen wegbrachen. Bis Luther selbst ein Sendschreiben "An die Ratsherren aller Städte deutschen Landes" verfasste, christliche Schulen zu halten, was eine Besserung und eine neue Schulordnung brachte.

So wurde die Schule "Zum Heiligen Kreuze" allgemeinbildende Lateinschule und städtische Hauptkantorei, die allein drei Mal in der Woche Singeumgänge zu leisten hatten: "Jetzt zogen die Choristen im weiten, schwarzen Umhang nach 'spanischer' Mode mit steifer, weißer Halskrause und hohem dunklen Hut durch die Dresdner Straßen" und führten unter Leitung ihres Kantors Sebaldus Baumann, der ein Melanchthon-Schüler war "in der Kreuzkirche deutsche Motetten oder kunstvolle lateinische Figuralmusiken auf". (Erna Hedwig Hofmann) Unterstützt wurden sie von den Instrumentalisten der Hofkapelle. In den Akten ist erstmals 1540 von einem "cantor" die Rede.

Ein bisschen Barock

Vom Glanz der höfischen Aufführungen blieben die Kruzianer nicht unbeeinflusst. Ein Kantor wie Samuel Rühling (1612-1615) trat an als kompositorische Neuerer (Motette "Machet die Tore weit"), beeinflusst von der italienischen Oper und der venezianischen Mehrchörigkeit. ( in getrennter Aufstellung) Rühling war zudem eng befreundet mit Heinrich Schütz, der nach 1615 ein Vierteljahrhundert lang Hofkapellmeister in Dresden war. Auf Christoph Neander (1615-1625) folgte Michael Lohr (1625-1654). Den einstigen Kreuzschüler wollte Heinrich Schütz wegen seiner "anmutigen und starken Stimme" für die Dresdner Hofkapelle gewinnen. Doch er wurde Kantor, ließ sich bei seinen Kompositionen von Schütz inspirieren und setzte so Instrumente auch in der vokalen Kirchenmusik ein. Dafür wurden Kleinorgeln, Zinken oder silberne Flöten angeschafft. Lohr ist der erste, von dem man weiß, dass er vor dem Dresdner Rat eine Probe ablegen musste. Er galt später als großer Erzieher und sicherte den Fortbestand des Chores durch die Zeit des Dreißigjährigen Krieg (1618-48). Lohrs Nachfolger, Jakob, Beutel erreichte, dass der Rat der Stadt Stipendien für Sopranistenstellen auslobte, und so das Chorgefüge wieder festigte.

Um die 300 Schüler waren um 1570 bereits Kruzianer in einer Stadt, deren Einwohnerzahl sich von ca. 6.500 im Jahr 1546 auf ca. 11.500 Einwohner im Jahr 1588 verdoppelt hatte. Entsprechend viel war für die Kruzianer zu tun, traten sie doch auch bei Kindstaufen, Trauungen oder Beerdigungen auf und "bespielten" neben der Kreuz- auch die Frauen- und die Sophienkirche. Die Schulordnung regelte übrigens, dass arme Dresdner Bürgerkinder, insbesondere Waisen vor fremden Knaben bevorzugt ins Alumnat aufgenommen werden sollten. Dort gab es damals wohl nur 17 Doppelbetten für die Alumnen, während die Kurrendaner in der Stadt wohnten.

Die Kruzianer als Lateinschüler, Kirchensänger und Opernchoristen

Dresden blieb als Stadt unversehrt vom Krieg. In der Zeit Augusts des Starken wurde sie zur Residenz, in der Kultur und Kunst der absolutistischen Repräsentation dienten. Die Oper rückte ins Zentrum. Da das der Hofkapelle angeschlossene Sängerknabeninstitut den Dreißigjährigen Krieg nicht überlebt hatte, holte Hofkapellmeister Antonio Lotti fortan die Kruzianer auf die Theaterbühne. Die Lateinschüler und Kirchensänger waren ein ganzes Jahrhundetr hindurch auch Opernchoristen unter namhaften Hofkapellmeistern wie Lotti, Johann Adolph Hasse, E.T.A. Hoffmann und Carl Maria von Weber, der allerdings 1817 einen berufsmäßigen Opernchor mit Erwachsenen gründete, so dass die Kruzianer nicht mehr verpflichtet wurden.

Wie eng Oper, Hofkapelle und Kreuzchor im 18. Jahrhundert verbunden waren, zeigt auch, dass mit Johann Zacharias Grundig, zunächst Solosänger bei der Hofkapelle, 1713 Kreuzkantor wurde, der den italienisch orientierten Gesangstil der Kruzianer prägte. Zu seinen bekanntesten Schülern im Kreuzchor zählten Karl Heinrich Graun, der spätere Gründer und Leiter der Berliner Oper, oder Johann Adam Hiller, der erste Dirigent der Gewandhauskonzerte und Thomaskantor in Leipzig. Glanzvoll waren die Aufführungen bei Hofe, aber auch die Festkantaten, Echomusiken oder Passionskonzerte unter Kantor Theodor Christlieb Reinhold. Als die Silbermannorgel in der Frauenkirche 1736 eingeweiht wurde, beeindruckte er mit einer dreichörigen Musik und einem "wohlcomponirten Echo aus der obersten Kuppel der Kirchen". Eine dreitägige Illumination der Stadt nahm er zum Anlass, vom Kreuturm herab die mit Trompeten und Pauken besetzte Kantate "Gaude, Dresda" erklingen zu lassen. Reinholds Nachfolger war der Bachschüler Gottfried August Homilius, der als Komponist, Dirigent und Orgelvirtuose in seiner Zeit berühmt war. Er gilt als klanglicher Vollender der Sangeskunst der Kruzianer.

Der Siebenjährige Krieg, in dem die prachtvolle Barockstadt 1760 von preußischen Truppen bombardiert wurde, setzte dieser Ära ein Ende, die reich ausgestattete spätgotische Kreuzkirche samt ihrer Noten- und Instrumentenschätze stürzte brennend in sich zusammen. Bis 1792 wurde sie wieder erbaut.

Ein anderes Zeitalter

Mehrmals im Jahr begibt sich der Dresdner Kreuzchor auf nationale und internationale Konzerttourneen über deutsche und europäische Grenzen hinaus bis nach Israel, Kanada, Japan, Südamerika und in die USA. Dazu kommen Auftritte bei internationalen Musikfestivals ebenso wie ungezählte Rundfunk- und Fernsehaufnahmen. Da der Chor über ein äußerst breit gefächertes Repertoire verfügt, das vom Frühbarock bis zu Uraufführungen der zeitgenössischen Moderne reicht, hat er seit mehr als 80 Jahren über 800 Tonaufnahmen für so angesehene Plattenfirmen wie Deutsche Grammophon, Teldec, Capriccio und Berlin Classics eingesungen.

Eine stete Zusammenarbeit wird mit berühmten Orchestern wie der Dresdner Philharmonie und der Sächsischen Staatskapelle Dresden gepflegt. Renommierte Opernhäuser verpflichten Chorsolisten regelmäßig für Solopartien wie die drei Knaben in der „Zauberflöte“.

Ihr Abitur erlangen die Kruzianer bis heute in der Kreuzschule; etwa die Hälfte von ihnen wohnt im benachbarten Alumnat, dem Internat des Chores. Neben dem normalen Schulalltag erhalten die etwa 130 Sänger im Alter zwischen neun und achtzehn Jahren wöchentlich Gesangs- und Instrumentalunterricht. Ihre tägliche Probenarbeit und der spezifische Chorklang bilden die Grundlage für den Erfolg und die Berühmtheit des Dresdner Kreuzchores.

Stichwort Der Dresdner Kreuzchor gehört zu den berühmtesten und traditionsreichsten Knabenchören der Welt. In seinen Reihen sangen die späteren Stars Theo Adam und Peter Schreier, in seiner Schule lernten einst Theodor Körner und Richard Wagner. Berühmte Namen des europäischen Musiklebens finden sich unter den Kreuzkantoren, wie Johann Zacharias Grundig, der Bach-Schüler Gottfried August Homilius, Julius Otto, Rudolf Mauersberger und Martin Flämig. Der namhafte Dresdner Hofkapellmeister Heinrich Schütz stand in engem Kontakt sowohl mit den Kreuzkantoren als auch mit den Kreuzorganisten seiner Zeit. Hieraus ergab sich folgerichtig die intensive Schützpflege des Kreuzchores bis zum heutigen Tage. Seit fast einem Jahrzehnt wirkt Roderich Kreile erfolgreich als Kreuzkantor.

In der fast 700-jährigen Tradition gab es auch Tiefpunkte: Zwei Diktaturen gefährdeten im 20. Jahrhunderts die kirchliche Existenz des Chores. Im Februar 1945 wurden die Kreuzkirche, die Kreuzschule und die Notenbibliothek zerstört; elf Kruzianer überlebten die Bombennacht nicht.

Neben der wechselvollen Geschichte des Chores geht es des weiteren um den heutigen Alltag der 9–19-jährigen Kruzianer, der sich zwischen Alumnat, Schule, Proben und Konzerten, weltweiten Tourneen und CD-Aufnahmen abspielt.

Kreuzchorvespern Die jährlich über 20 Kreuzchorvespern am Sonnabend um 17 Uhr verstehen sich als musikalische Andachten und werden regelmäßig von über eintausend Zuhörern besucht. Die aus dem Altarraum erklingende Chormusik wird durch Orgelspiel, das Wort zum Sonntag, Gemeindechoral sowie Gebet und Segen ergänzt.

Gottesdienste Bis zu 35 Mal im Jahr singen die Kruzianer im Gottesdienst am Sonntagmorgen die Motetten von der Chorempore und stimmen die Wechselgesänge mit einer kleinen Chorgruppe in liturgischer Kurrendetracht im Altarraum an. Als Besonderheit gilt ebenso das Psalmodieren der Epistel und des Evangeliums durch einen Kruzianer.

Christvesper Die Christvesper der Kruzianer (RMWV 7) ist ein abendfüllendes geistliches Chorwerk des Dresdner Kreuzkantors Rudolf Mauersberger. Sie entstanden nach Texten der Bibel und des Gesangbuches. Die Christvesper ist für Knabensolostimmen, Tenorsolo und verschiedene Chöre sowie für große und kleine Flöte, Oboe 1-3, Klarinette 1/2, Fagott, Trompete 1-4, Posaune 1-3, Tuba, Pauken, Glockenspiel, Triangel sowie Violoncelli, Kontrabässe, Laute, Celesta und Orgel komponiert. Folgende Chöre kommen zum Einsatz: ein vier- bis achtstimmiger gemischter Chor als Hauptchor, ein zweistimmiger Knabenchor als Altarchor und ein zweistimmiger Männerchor als Fernchor sowie vier getrennt aufgestellte dreistimmige Quempas-Knabenchöre. Aufgeführt wird das Werk alljährlich Heiligabend in der Dresdner Kreuzkirche.

Ostermette Die traditionelle Ostermette des Dresdner Kreuzchores findet seit mehr als sechzig Jahren am Morgen des Ostersonntages statt. Hierin werden nach der Tradition mittelalterlicher Mysterienspiele die biblischen Geschehnisse szenisch dargestellt, begleitet von Musik des früheren Kreuzkantors Rudolf Mauersberger.

Reformation und erster evangelischer Gottesdienst Der alte Stadtpfarrer der Kreuzkirche, Peter Eissenberg, wurde entlassen. Auf Empfehlung von Luther und Melanchthon wurde Johannes Cellarius als erster evangelischer Pfarrer der Kreuzkirche eingeführt. Am 6. Juni 1539 wurde der erste evangelische Gottesdienst in der Kreuzkirche gehalten, auf deutsch und mit dem Sakrament in beiderlei Gestalt. Daran nahm auch Kurfürst Johann Friedrich von Sachsen-Wittenberg mit seinem Gefolge teil. Die Sängerknaben der Kreuzschule gestalteten den Gottesdienst. 1540 empfahl Melanchthon Magister Nicolaus Caesius für das Rektorat der Kreuzschule, Sebaldus Baumann wurde Kreuzkantor.

Parallel wurde in Dresden die evangelische Schloss- und Hofkantorei eingerichtet, die ebenfalls mit einer Art Internat verbunden war. Die Instrumentalisten unterstützten auch den Kreuzchor, sie waren der Kern der späteren Staatskapelle.

Kreuzschule Die Dresdner Kreuzschule, heute Evangelisches Kreuzgymnasium, ist die älteste Schule der Elbestadt. Ihre Wurzeln liegen in der Unterrichtung der Knaben für den liturgischen Gesang für die Kreuzkirche.

Kreuzkirche Die Kirche am Altmarkt geht auf die 1215 erwähnte Nikolaikirche zurück. 1388 wurde sie als Kreuzkirche neu geweiht. Hintergrund war die aufblühende Kreuzesverehrung im 13. Jahrhundert. Nach der Überlieferung gab eine Reliquie mit einem Splitter des Kreuzes von Jesus der Kirche den Namen. Die Kreuzkirche wurde im Laufe der Jahrhunderte mehrfach zerstört und jeweils dem Zeitgeschmack entsprechend neu gestaltet. 1491 vernichtete ein großer Stadtbrand Kirche und Schule.