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Im Rahmen der Dresdner Musikfestspiele findet ein einzigartiges Projekt statt, mit dem Ziel den "Ring des Nibelungen" in historischer Aufführungspraxis aufzuführen. Den Auftakt bildete die Premiere des "Rheingold" am 14. Juni 2023. Bildrechte: Oliver Killig

Dresdner MusikfestspieleEine Chance auf Veränderung: "Rheingold" historisch-informiert

15. Juni 2023, 16:59 Uhr

Dieses Projekt könne – auch mit Blick auf die Wagner-Stadt Dresden – eine Veränderung bewirken, meint Musikfestspiel-Intendant Jan Vogler während der Pressekonferenz. Die wurde eigens für den Auftakt des RING-Projektes aus "historisch-informierter Sicht" am Vorabend der "Rheingold"-Aufführung, des RING-Auftaktes also bei den Dresdner Musikfestspielen, einberufen.

von Bettina Volksdorf, MDR KLASSIK

Nun ist aber die Idee, auch Wagners-Musik einer an der historischen Aufführungspraxis geschulten Runderneuerung zu unterziehen nicht neu: Schon 2005 machte sich Bruno Weil mit der Cappella Coloniensis an die Urfassung des Fliegenden Holländers, 2013 liess Thomas Hengelbrock mit den Balthasar-Neumann-Ensembles einen eher weich-getönten Parsifal vom Stapel, auch Sir Simon Rattle und Marc Minkowski bürsteten Wagner schon aufführungspraktisch gegen den Strich.

Dieses RING-Projekt wurde 2017 mit gehörigem medialen Trommelwirbel von Concerto Köln und dessen Ehrendirigent Kent Nagano angekündigt, kam aber über einige Rheingold-Aufführungen nicht hinaus. Damals ging es auch noch darum, die historische Inszenierungs-Praxis beleuchten zu wollen: Ein Aspekt, der aktuell wortreich begraben wurde. Schade eigentlich bei einem so eminent szenisch-denkenden Komponisten wie Richard Wagner.

Vom Rhein an die Elbe

Während zu Beginn unter anderen das Land Nordrhein-Westfalen und die Kunststiftung NRW finanziell unterstützten, gibt es aktuell zwei Millionen Euro Fördergeld von der Bundesbeauftragten für Kultur und Medien sowie zwei künstlerische Leiter: Kent Nagano und Jan Vogler.

Kent Nagano bei der RHEINGOLD-Premiere am 14. Juni 2023 im Dresdner Kulturpalast. Bildrechte: Oliver Killig

Waren Wagners RING-Schwergewichte für das auf die Musik des 17. und 18. Jahrhunderts spezialisierte Concerto Köln, das gerade erst einen fulminanten Auftritt bei den Händel-Festspielen Halle hinlegte, dann doch eine Nummer zu groß?! Die Gemengelage sei komplex gewesen, ist zu hören und als es 2021 aus unterschiedlichen Gründen nicht mehr weiterging, machte man sich am Rhein auf Partnersuche.

Nun kennen und schätzen Kent Nagano und Jan Vogler sich seit langem, so dass der RING vom Rhein an die Elbe kam, sich dort bis 2026 – dann begeht die Musikwelt das 150-jährige Jubiläum der Bayreuther RING-Uraufführung – Jahr für Jahr runden wird.

Wissenschaftliche Erkenntnisse ad hoc in die Praxis umgesetzt

Es macht Sinn, bei einem auf mehrere Jahre angelegten Forschungsprojekt Theorie und Praxis zu vereinen: Das Dresdner Festspielorchester und Concerto Köln sowie eine handverlesene Sänger-Riege arbeiten also gemeinsam auf der Grundlage neuster wissenschaftlicher Erkenntnisse, die die Hochschule für Musik und Tanz Köln, die Martin-Luther-Universität Halle, auch das Forschungsinstitut für Musiktheater der Uni Bayreuth mit Sitz in Thurnau bislang vorgelegt haben.

Unter der Gesamtleitung von Kent Nagano und Jan Vogler wurde die Oper für eine konzertante Aufführung auf Basis neuester Erkenntnisse neu erarbeitet.  Bildrechte: Oliver Killig

Das betrifft die Verwendung historischer Instrumente oder Instrumenten-Nachbauten wie z. B. die Wagner-Tuben, mit denen Wagner eine Lücke zwischen Posaune und Horn schließen wollte, die Darm-besaiteten Streicher, Fagotte mit sogenannten A-Stürzen, auch die Frage wann und wo man sinnvoll ein Portamento einsetzt (gemeint ist die Bindung, auch das leichte Verschleifen von Tönen) sowie des Singens und der Textbehandlung.

Sprachgesang lautet das Zauberwort, denn der Dichter-Komponist Richard Wagner wollte verstanden werden und das ist gerade bei einem fett-besetzten Wagner-Orchester im allgemeinen ein Problem. Insofern waren das mit historischen Instrumenten bestückte Orchester sowie der auf 435 Hertz nach unten geschraubte Stimmton eigentlich ein Segen für die Sänger.

Wissenschaftlich evaluiert + historisch informiert = packender Wagner?

Hätte dieses Orchester in einem Graben gesessen, so hätte die Balance zwischen Sängern und Musikern vermutlich perfekt gestimmt. So aber sollte nach-justiert werden. Dies zumal im Dresdner Kulturpalast eine jüngere Generation von Wagner-Interpreten zu erleben waren, wie z.B. Mauro Peter, der seinen Loge (vom Lied kommend) eher lyrisch anlegte oder Daniel Schmutzhard, der seinen Alberich ebenso klug, wie überzeugend disponierte, Tilman Rönnebeck mit glasklarer Diktion als Fafner, die stimmlich-wandelbaren Rheintöchter, die verletzliche Freia von Nadja Mchantaf, die Erda von Gerhild Romberg, der durchgehend stimmgewaltige Derek Welton als Wotan usw.

Lyrisch: Mauro Peter als Loge (li), verletzlich: Nadja Mchantaf als Freia (re), Bildrechte: Dresdner Musikfestspiele/Oliver Killig

Sie alle machten ihre Sache gut! Am Ende aber bleibt auch hier die hier Erkenntnis, dass trotz intensivster Arbeit an der sprachlichen Gestaltung (das sei bezahlte Weiterbildung, meinte einer der Beteiligten) manche Sänger zu verstehen waren, andere nur bedingt. Leider funktionierten für mich auch nur ein einziges Mal die melodramatisch gesprochenen oder gerufenen Passagen: Als Fricka ihrem Ehemann Wotan männliche Gier nach Macht vorwarf! Darüberhinaus mutete das Unterfangen eher anachronistisch an.

Stimmgewaltig: Derek Welton als Wotan Bildrechte: Dresdner Musikfestspiele/Oliver Killig

Wie gut, dass Nagano und Vogler dieses Projekt nicht als Kritik an Bestehendem, sondern als ein Angebot im 21.Jahrhundert verstanden wissen wollen. Wie wunderbar, dass verschiedene Forschungseinrichtungen zusammenarbeiten und Theorie sofort in die Praxis umgesetzt werden kann.

Die Frage aber, was sich über diesen historischen Rückgriff substantiell Neues über das Werk oder die Figuren erschlossen hat, diese Frage steht im Raum – angesichts einer RHEINGOLD Aufführung, bei der viel leidenschaftliches Engagement und künstlerische Expertise, jedoch nur wenig an klanglicher Finesse und theatral-grundierten Doppelbödigkeiten zu erleben war.

Wagners komplexes motivisches Gespinst noch feiner im Sinne szenischer Vorgänge auszuleuchten, bleibt kommenden Aufführungen vorbehalten. Dieses RING-Doppel-Orchester wird sich unter der Leitung von Kent Nagano noch besser finden müssen. Zum Beispiel bei der im August geplanten Rheingold-Tournee z.B. mit Konzerten in Köln, Luzern und Ravello. Wert ist es das alle mal!

Nähere Informationen zur VeranstaltungZyklus "Der Ring des Nibelungen" I

Richard Wagner "Das Rheingold".
Vorabend des Bühnenfestspiels "Der Ring des Nibelungen" (konzertante Aufführung)

Premiere am 14. Juni 2023 im Kulturpalast Dresden

Besetzung

Dresdner Festspielorchester
Concerto Köln
Dirigent Kent Nagano

Derek Welton – Wotan
Dominik Köninger – Donner
Mauro Peter – Loge
Tansel Akzeybek – Froh
Katrin Wundsam – Fricka
Nadja Mchantaf – Freia
Gerhild Romberger – Erda
Daniel Schmutzhard – Alberich
Thomas Ebenstein – Mime
Tijl Faveyts – Fasolt
Tilmann Rönnebeck – Fafner
Ania Vegry – Woglinde
Ida Aldrian –Wellgunde
Eva Vogel – Floßhilde

Dresdner Festspielorchester
Concerto Köln
Kent Nagano – Dirigent

Mehr zu den Dresdner Musikfestspielen

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