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Teilnehmer einer Demonstration gegen die Energiepolitik der Bundesregierung und gegen Coronamaߟnahmen laufen am Abend durch die Innenstadt von Gera. Bildrechte: picture alliance/dpa | Bodo Schackow

Brandanschläge auf GeflüchtetenunterkünfteInflation und Energiekrise als neuer Nährboden für Rechtsextremismus

07. November 2022, 10:22 Uhr

Ukrainerinnen und Ukrainer flüchten vor dem russischen Angriffskrieg. Zahlreiche Erstaufnahmeeinrichtungen wollen ihnen hierzulande Schutz und Sicherheit bieten. So auch das ehemalige Hotel in Groß Strömkendorf bei Wismar in Mecklenburg-Vorpommern. Doch dazu kommt es nicht, denn 30 Jahre nach Rostock-Lichtenhagen und Hoyerswerda brennt es wieder in Ostdeutschland.

Das einstige Hotel bei Wismar ist am 19. Oktober niedergebrannt worden, zu dem Zeitpunkt befanden sich 14 ukrainische Geflüchtete in der Unterkunft. Verletzt wurde laut Polizei niemand. Recht schnell ging man von einem politischen Hintergrund aus, der Staatsschutz übernahm die Ermittlungen. Bereits eine Woche zuvor hatte die Polizei die Unterkunft wegen einer Hakenkreuz-Schmiererei auf dem Eingangsschild aufgesucht.

Doch der Brand im mecklenburg-vorpommerischen Strömkendorf ist nicht der erste Anschlag dieser Tage – und auch nicht der letzte. Bereits im August, in der Gedenkwoche für Rostock-Lichtenhagen, hatten Unbekannte im Leipziger Stadtteil Lausen-Grünau versucht, eine Gemeinschaftsunterkunft anzuzünden.

"Anschläge keine Alarmzeichen mehr"

Der Leipziger Grünen-Stadtrat Jürgen Kasek spricht von rechtsextremem Terror und Kontinuität. Solche Geschehnisse seien schon lange kein "Alarmzeichen" mehr. Es habe bereits mehr als genug Warnungen gegeben, die überhört worden seien, schreibt Kasek bei Twitter.

Dem schließt sich auch der Flüchtlingsrat Sachsen-Anhalt an. "Rechter Terror hat eine ungebrochene Kontinuität in diesem Land", schreibt Sprecher Robert Fietzke auf Anfrage von MDR AKTUELL. Er hält den aktuellen Asyldiskurs in Deutschland für sehr problematisch: "Die gewohnten Betroffenheitsrituale der politischen Verantwortungsträger nützen nichts, wenn sie nicht endlich mit konkreten Taten und Veränderungen einhergehen."

In Bautzen gab es nur eine Woche nach Leipzig-Lausen einen Brandanschlag auf das Spreehotel, welches als Asylunterkunft umfunktioniert werden sollte. In das leerstehende Hotelgebäude am Bautzner Stausee sollten zunächst 30 Geflüchtete ziehen.

Bereits 2016 hatten drei Männer einen Anschlag mit Molotowcocktails auf das Gelände verübt – zum damaligen Zeitpunkt wurde es ebenfalls als Geflüchtetenunterkunft genutzt.

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Nur drei Tage später verzeichnet Sachsen am 31. Oktober den nächsten Angriff auf eine Gemeinschaftsunterkunft. Südlich von Leipzig wurde in Neukieritzsch eine ehemalige Berufsschule, in der 80 Geflüchtete untergebracht waren, mutmaßlich mit Pyrotechnik angegriffen. Verletzt wurde laut Polizei niemand.

Mehr Unterstützung vom Bund

Während zu all den vermeintlichen Anschlägen Ermittlungen laufen, kommen neue Geflüchtete in Deutschland an, die hier Schutz suchen, so auch in der Erstaufnahmeeinrichtung (EAE) in Suhl. Doch man gerät an die Kapazitätsgrenzen. Bis Ende des Jahres sollen deshalb mehr Geflüchtete in den Kommunen verteilt werden. Nach den jüngsten Ereignissen stellt sich dabei die Frage, ob der Schutz dieser Menschen weiter sichergestellt werden kann.

Thüringens Innenminister, Georg Maier (SPD), sagte im ZDF-"Morgenmagazin", dass für einen besseren Schutz der Unterkünfte mehr Unterstützung vom Bund kommen müsse.

Die Grünen-Fraktionsvorsitzende und migrationspolitische Sprecherin im Thüringer Landtag, Astrid Rothe-Beinlich, hofft auf stärkere Sensibilität und Zusammenarbeit zwischen den ostdeutschen Bundesländern. Man arbeite im Parlament bereits intensiv zusammen aufgrund der ähnlichen Problemstellungen, sagte sie MDR AKTUELL. Die Schutzkonzepte der Unterkünfte könnten nun angepasst werden, das bestätigte der sächsische Innenminister, Armin Schuster (CDU), im Anschluss der Zusammenkunft mit seinen ostdeutschen Ministerkollegen zumindest für die Geflüchtetenherbergen seines Freistaats.

Neue Welle von Rechtsextremismus?

Von einer neuen Welle des Rechtsextremismus geht Rothe-Beinlich nicht aus, sondern sieht das Problem als allgegenwärtig. Gefährlich sind der Grünen-Politikerin zufolge jedoch die "Montagsdemonstrationen", bei denen häufig Rechte mitlaufen und die wirtschaftlichen Ängste der Bürgerinnen und Bürger für ihre Zwecke instrumentalisieren würden.

"Gerade extrem rechte Parteien, wie die Freien Thüringer oder die Freien Sachsen, aber auch und gerade die AfD unterwandern und nutzen diese 'Spaziergänge' ganz bewusst", sagt die Landtagsabgeordnete.

Energiekrise und Inflation schaffen Spaltung

Thüringens Innenminister Maier sieht darin ebenfalls eine Gefahr der Radikalisierung. Dass die Demonstrationen vor allem in ostdeutschen Bundesländern starken Zulauf haben, hat seiner Ansicht nach auch soziale Gründe. In Ostdeutschland seien die Löhne geringer, es gebe deutlich weniger Vermögen. "Eine Krise auszuhalten ist halt einfacher, wenn man Reserven hat, wenn man da auf etwas zurückgreifen kann", sagt der SPD-Politiker.

Auch der Flüchtlingsrat Sachsen-Anhalt macht sich große Sorgen, dass Energiekrise und Inflation die sozialen Verteilungskämpfe anheizen werden. "Wir befürchten, dass im Zuge dieser Entwicklung nicht nur die konkrete Gewalt gegen geflüchtete Menschen bis hin zur Gefahr von rechten Terroranschlägen zunimmt, sondern auch die Solidaritätswelle mit den geflüchteten Menschen aus der Ukraine in ihr Gegenteil kippt", erklärt Sprecher Robert Fietzke.

Lösungsansatz dezentralisierte Unterbringung

Dass die Solidaritätswelle kippt, konnte in den letzten Wochen mehr als einmal beobachtet werden. Der Flüchtlingsrat Sachsen-Anhalt fordert mehr präventive Arbeit, um dem Rechtsextremismus Einhalt zu gebieten. Dazu gehöre auch, örtlich isolierte Massenunterkünfte aufzulösen, da sie ein leichtes Ziel für Gewaltanschläge darstellten, erklärte Fietzke. Rothe-Beinlich bestätigte das: "Weil solche Unterbringungen besonders gefährdet sind, werben wir dafür, Geflüchtete möglichst dezentral unterzubringen."

Während die EAE Suhl mit der Überbelegung kämpft, wurde im Eichsfeldkreis ein Mietvertrag für eine Flüchtlingsunterkunft zurückgezogen. Der Landkreis wollte in Leinefelde eine beheizbare Halle für Geflüchtete anmieten. In sozialen Netzwerken kursierten schnell nach Bekanntwerden des Vorhabens Drohungen gegen namentlich genannte Mitarbeitende des Landkreises sowie den Vermieter der Halle. Es konnte deshalb nicht ausgeschlossen werden, dass die Flüchtlinge dort angefeindet oder sogar angegriffen würden, erklärte Landrat Werner Henning MDR THÜRINGEN.

Zahlen des Bundesinnenministeriums stützen diese Befürchtungen: Pro Tag werden statistisch gesehen zwei Asylbewerber Opfer von Angriffen. Das geht aus einer Antwort des Bundesinnenministeriums auf eine Anfrage der Linksfraktion hervor. Die zumeist rechtsextremen Täter setzen dazu immer mehr Gewalt ein.

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Dieses Thema im Programm:MDR AKTUELL | Das Nachrichtenradio | 01. November 2022 | 12:46 Uhr