MDR INVESTIGATIV - HINTER DER RECHERCHE (FOLGE 91) Neue Erkenntnisse: Beate Zschäpe, der NSU und die ermordete Polizistin Michèle Kiesewetter

Audiotranskription

17. November 2023, 14:58 Uhr

Aussagen von Beate Zschäpe vor dem Bayerischen NSU-Untersuchungsausschuss weisen darauf hin, dass im Fall des Mordes an der Polizistin Michèle Kiesewetter noch längst nicht alles aufgedeckt sein könnte.

Ich bin vollumfänglich mitschuldig daran - und wann ich jetzt im Grundes was erfahren habe - - ich habe das nicht mitgetragen. Ich habe das nicht gemocht. Ich habe nichts mit ausspioniert. Ich bin aber trotzdem mit daran schuld, und da macht es für mich jetzt auch keinen Sinn, sage ich mal jetzt, da drüber zu reden. Ich bin schuldig.

Beate Zschäpe Wortprotokoll Aussage vor Bayer. NSU-Untersuchungsausschuss, Mai 2023

Moderation

Das sind die Worte von Beate Zschäpe. Im Film "Cold Case NSU“ werden mündliche Aussagen von Deutschlands bekanntester Rechtsterroristin, von der Profisprecherin Beatrix Hermens gesprochen. Zschäpe gehört zum NSU-Terrortrio und ist die einzige Überlebende. Seit rund zwölf Jahren sitzt sie in Haft. Wegen zehnfachen Mordes verurteilt zu lebenslänglich mit besonderer Schwere der Schuld. Seit ihrer Festnahme kurz nach der Selbstenttarnung des NSU im November 2011 schweigt Beate Zschäpe. Fragen beantwortete sie - auch im Prozess - nur schriftlich. Doch im Mai 2023 dann eine Sensation: Zschäpe stellt sich den Fragen des NSU-Untersuchungsausschusses des Bayerischen Landtags. Die Tonaufnahmen der siebeneinhalb Stunden sind nicht freigegeben, aber wortgetreue Mitschriften mit allen Versprechern und Pausen.

Beate Zschäpe, nachgesprochenes Wortprotokoll

Das war wie ein beidseitiges — Ich habe die Scheuklappen vorgemacht und sie haben mich nicht eingebunden. Das war eine Sache, wie das so funktioniert hat.

Beate Zschäpe Wortprotokoll Aussage vor Bayer. NSU-Untersuchungsausschuss, Mai 2023

Moderation

Und damit herzlich willkommen zu einer neuen Folge von "MDR INVESTIGATIV - Hinter der Recherche“. Mein Name ist Secilia Kloppmann.

"Cold Case NSU - Neue Erkenntnisse zum Polizistenmord in Heilbronn" heißt der Film von Inga Klees und Markus Weller - Hallo, ihr beiden..

Hallo, guten Tag.

Moderation Secilia Kloppmann (SK)

Am 22. Mai hat Beate Zschäpe zum allerersten Mal im wahrsten Sinne des Wortes den Mund aufgemacht und gesprochen, hat sich geäußert über sich, über den NSU. Laut Protokoll sieben ein halb Stunden. Wie kam es überhaupt dazu? Marcus

Marcus Weller (MW)

Das hat uns selber überrascht. Du hast es eben schon gesagt, im Prozess hat sie nur schriftlich Fragen beantwortet und auch da nur Fragen des Gerichts. Also Nebenkläger oder auch Opfer oder Hinterbliebene, konnten keine Fragen an sie stellen, beziehungsweise sie wurden nicht beantwortet. Und deswegen war es für uns wirklich erstaunlich zu hören, dass der bayerische Untersuchungsausschuss es überhaupt versucht hat, Beate Zschäpe zu laden und sie zu einer Aussage zu bewegen. Die Idee war, so haben die das selber gesagt, sie haben zahlreiche Fragen. Sie beschäftigen sich ja mit den Morden in Bayern - immerhin fünf Morde haben in Bayern stattgefunden. Und da sind zahlreiche Fragen offen geblieben. Und die Idee des Untersuchungsausschusses war, am Ende der Zeit des Untersuchungsausschusses noch einmal mit der Hauptangeklagten im Prozess zu sprechen, in der Hoffnung, dass sie Wissen preis gibt, dass sie vorher nicht erklärt hat.

SK

Frage: Haben das andere Untersuchungsausschüsse nicht versucht? Haben die sie nicht angefragt?

MW

Die haben sich dagegen entschieden. Die haben gesagt, wir haben fünf Jahre lang den Prozess gesehen. Wir haben gesehen, wie sie sich verhält. Wir haben vor allem gesehen, wie sie sich auch den Opfern und Hinterbliebenen gegenüber verhalten hat. Es gibt eine ganz spannende Szene, als sich der Vater von Halit Yozgat, das ist ein junger Mann gewesen, der in Kassel ermordet worden ist, direkt im Prozess an Frau Zschäpe gewandt hat und sie auf Knien angefleht hat, doch bitte zu erklären, warum ihr Sohn und wie es zu dieser Tat kam. Und sie hat sich weggeduckt, sie hat nichts gesagt. Sie hat sich nicht erweichen lassen. Und aus dieser Erkenntnis heraus, dass Frau Zschäpe ihrem Schweigegebot sozusagen treu geblieben ist, auch über so lange Jahre, hat man aus den Untersuchungsausschüssen heraus gesagt, das probieren wir gar nicht erst. Zumal man ja gar nicht weiß, ob das, was sie sagt, stimmt. Und ob man ihr nicht eine Bühne damit gibt, die man ja eigentlich nicht geben will.

NSU 10 min
Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

SK

Jetzt bist du ja dabei gewesen, als die in Chemnitz im Gefängnis gewesen sind. Du bist mitgefahren im Bus, mit den Mitgliedern des NSU-Untersuchungsausschusses, hast auch mit denen gesprochen, davor und danach. Was haben die dir erzählt, als sie rausgekommen sind? Also was hatten die für einen Eindruck von der Person Beate Zschäpe?

MW

Beginn eines Prozesstags beim NSU-Prozess
Beate Zschäpe im Gerichtssaal Bildrechte: IMAGO / Eibner

Ich mache es mal andersrum. Die Erwartung, als sie gekommen sind... das hatte ein bisschen was von der Klassenfahrt. Also die haben sich entschlossen, Beate Zschäpe nicht vorzuführen und in München im Untersuchungsausschuss zu befragen. Das hat was mit Aufwand zu tun und mit Sicherheitsvorkehrungen und ähnlichem. Und deswegen hat sich der gesamte Ausschuss quasi auf "Klassenfahrt" nach Chemnitz begeben. Und dann sind die dahingefahren und waren auch schon am Abend vorher da. Und ich war auch schon da und habe mit Teilen der Ausschussmitglieder gesprochen. Und die waren, sagen wir mal, frohgemut. Die waren sich ziemlich sicher, dass Frau Zschäpe sprechen wird. Die haben zwar immer noch gesagt na ja, kann sein, dass sie nichts sagt. Aber eigentlich sind wir hier, weil sie redet. Ich tippe mal, das hat was mit einem Signal des Anwalts im Vorfeld zu tun gehabt, dass sie das ja schon angedeutet hat. Sie wird sich wahrscheinlich äußern. Und dann, als sie rauskamen - die meisten waren euphorisch. Also die haben das als Erfolg verbucht. Die haben gesagt, die Hauptangeklagte im NSU-Prozess hat bei uns gesprochen. Das erste Mal, so hat es auch der Ausschussvorsitzende gleich in seiner Pressekonferenz gesagt. Jetzt hat sie gesprochen. Wir haben Erkenntnisse gewonnen, auch wenn wir nicht genau wissen, ob das alles ist, was sie gesagt hat. Und dann muss man wissen, Untersuchungsausschüsse bestehen aus Parteimitgliedern und aus Fraktionen, und jede Fraktion hat so seine eigene Sicht auf die Dinge. Wir haben gesprochen mit Mitgliedern der SPD-Fraktion, die waren eher zurückhaltend, was den Inhalt und den Aussagegehalt von Frau Zschäpe anging. Insgesamt aber war die Stimmung positiv. Die haben sich gefreut, dass sie geredet hat. Und die haben das als - ich will es nicht despektierlich sagen- aber als recht positives Event wahrgenommen.

SK

Ihr beide habt euch quasi von Anfang an mit dem Auffliegen des NSU auch mit dieser Thematik beschäftigt. Bevor wir jetzt ins Detail gehen, u.a. auch an das Protokoll der Befragung - für all diejenigen, die jetzt NSU Trio und so weiter nicht mehr so ganz genau auf dem Schirm haben, bist du bitte so gut, Inga und erzählst noch mal ganz kurz, was eigentlich da passierte.

Inga Klees (IK)

Genau. Das war im Prinzip in der Nachkriegsgeschichte, ich glaube, die größte rechtsterroristische Anschlagserie, die wir hatten. Haupttäter waren Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt, Beate Zschäpe - deswegen NSU-Trio. Und auf ihr Konto gehen letztlich zehn Morde insgesamt. Neun an Migranten türkischer und griechischer Herkunft und eine deutsche Polizistin sowie ein schwerverletzter Polizist. Dazu hatten wir 15 Banküberfälle. Sie haben sich über Banküberfälle finanziert und drei Bombenanschläge. Dazu kam, dass Beate Zschäpe dann auch die Wohnung in der (Zwickauer) Frühlingsstraße in die Luft gejagt hat. Also da kommt dann auch noch Brandstiftung dazu.

Exakt - die Story: Der NSU und seine Helfer (Trailer)
Die Opfer des NSU Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

SK

Jetzt geht es ja an eurem Film vor allen Dingen, um den Fall Michèle Kiesewetter. Nochmal zur Erinnerung: Im April 2007 schossen in Heilbronn zwei Täter gleichzeitig auf die Polizistin Michéle Kieeswetter und ihren Kollegen. Martin A. überlebte schwer verletzt – die damals 22-jährige Michèle Kieswetter starb an dem Kopfschuß. Erst als man nach der Selbstenttarnung des NSU, mehr als 4 Jahre später, die Waffen der Polizisten bei den Terroristen fand, wurde klar: die Spur führt zum NSU. Und doch: dieser Fall bleibt ein Rätsel, denn er fällt vollständig aus der Rolle – die Opfer waren eben keine wehrlosen Migranten, sondern deutsche Polizisten. … aus den Aussagen von Beate Zschäpe zu Mord in Heilbronn vor NSU-U-Ausschuss haben sich ja für euch neue Ansatzpunkte für Recherchen ergeben … als die NSU-Untersuchungsausschuss Mitglieder der rausgekommen sind. Haben die das so gesehen wie ihr? Haben die das begriffen, dass man da noch mal genau bei diesem Fall genauer hingucken muss?

MW

Der Polizistenmord in Heilbronn war Thema. Sie ist danach gefragt worden. Sie hat auch darauf geantwortet. Aber zu dem Zeitpunkt, also direkt nach der Vernehmung, waren ihnen nicht klar, dass da was drinstecken könnte, was so eine Art "Game Changer" ist. Das war uns übrigens auch nicht klar. Wir haben sehr lange gebraucht, dieses Protokoll durchzuarbeiten. Und wir haben es auch nicht alleine getan, sondern wir haben das mit Hilfe von zwei Experten gemacht, die sich das sehr genau angeschaut haben. Und erst quasi in der Konferenz mit diesen Experten sind wir auf ein, zwei, drei Punkte aufmerksam geworden, wo uns dann klar wurde: ups, das ist wirklich anders. Und da lohnt es sich noch mal nachzuschauen.

SK

Bevor wir genau darüber sprechen, hören wir auch noch mal rein in dieses Protokoll.

Ich meine, für mich ist. Ich meine für mich ist es ja schon offensichtlich, dass es auf Grund der Herkunft gewesen ist. Das ist ja unabstreitbar. Das zeigt ja alles was es … Einfach Rassenhass. So würde ich das nennen. Ich war an keinem Tatort. Das wurde höchstrichterlich auch festgestellt, dass ich an keiner Mordtat beteiligt gewesen bin. Aber ich sage es ja selber, dass ich voll mitschuldig bin, weil ich hätte es einfach schlichtweg. Ich habe das Leben der beiden in dem Augenblick über das Leben anderer Menschen gestellt. Es war mir wichtiger, dass die zwei sich nicht umbringen.

Beate Zschäpe Wortprotokoll Aussage vor Bayer. NSU-Untersuchungsausschuss, Mai 2023

SK

Sie stoppt. Sie spricht die Sätze nicht zu Ende. Das ist doch sicher schwer zu lesen?

IK

War es nicht. Also, man liest es also irgendwie. Man liest sich dann doch sehr kontinuierlich durch, und das war natürlich total interessant, mal zu hören, was sagt diese Frau über das hinaus, was ihre Gerichtsaussagen waren. Ich habe, glaube ich, zwei Tage gebraucht, um es einmal zu lesen. Dann habe ich es durchgearbeitet, noch mal. Das hat dann noch ein bisschen länger als zwei Tage gedauert, so dass man sich eben halt thematische Schwerpunkte rausgesucht hat. Und Fazit vom Ganzen ist letztlich: So sehr viel Neues ist nicht herausgekommen. Eins ist sicherlich neu, dass sie gesagt hat, sie kann weitere Morde nicht ausschließen. Also es kann sein, dass Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt weitere Morde begangen haben. Es ist nach allem, was wir wissen, also auch nach allen Ermittlungen, sowohl durch das Bundeskriminalamt, die Landeskriminalämter und so weiter eigentlich ausgeschlossen. Also wir wissen, wir haben keinerlei Anhaltspunkte, dass es mehr Morde gegeben haben soll, die auf deren Konto gehen. Das kann also auch wirklich einfach eine Nebelkerze gewesen sein.

MW

Ich würde noch einen Ton sagen wollen. Also erstmal ist es etwas ganz anderes, so ein Protokoll zu lesen, als die Personen tatsächlich zu hören. Das ist auch der Grund, warum wir für den Film eine Profisprecherin haben sprechen lassen. Um nicht den Eindruck zu erwecken, da spricht Frau Zschäpe. Das sollte einigermaßen neutral klingen und eigentlich so, wie wir das Protokoll gelesen haben. Frau Zschäpe spricht ja auch mit Dialekt. Und sie spricht in einem eigenen Duktus, und den wollten wir gar nicht erst versuchen nachzuahmen, weil das ja auch falsche Assoziationen wecken kann. Beim Lesen ist uns auch aufgefallen, sie geht ganz dezidiert auf die Idee ein, dass sie nicht ausschließen kann, dass es weitere Morde gibt. Beim Lesen ist mir aufgefallen das ist schadlos. Sie hätte das eigentlich gar nicht machen müssen. Ich habe mich dann gefragt warum, warum sagt sie das? Was kann das für einen Grund haben? Und je länger wir uns mit dem Protokoll beschäftigt haben, desto klarer als geworden. In ihrer Verteidigungsstrategie, die Sie auch in diesem Protokoll durchhält, sagt sie ja, ich habe von nichts gewusst. Ich habe immer erst im Nachhinein davon erfahren. Die sind nach Hause gekommen, die haben was erzählt. Ich war sauer. Dann musste ich Sekt trinken, und dann war es wieder vorbei. Und ihre eigene Schuld sieht sie nur darin, dass sie die Gruppe nicht verlassen hat. Wenn man in dieser Logik bleibt, dann kann sie natürlich nicht ausschließen, dass es noch weitere Morde gibt. Weil es könnte ja sein, dass Mundlos und Böhnhardt ihr keine weiteren Morde erzählt haben. Der Psychologe sagt völliger Humbug. In so einer eng gefassten Gruppe, die solche Taten miteinander teilen, ist es ganz unmöglich, weitere Morde für sich zu behalten. Das würde gruppendynamisch nicht funktionieren und hätte dann schon zu einem großen Problem innerhalb dieser Terrorzelle geführt.Es ist nach allem, was wir wissen, also auch nach allen Ermittlungen, sowohl durch das Bundeskriminalamt, die Landeskriminalämter und so weiter eigentlich ausgeschlossen. Also wir wissen, wir haben keinerlei Anhaltspunkte, dass es mehr Morde gegeben haben soll, die auf deren Konto gehen. Das kann also auch wirklich einfach eine Nebelkerze gewesen sein.

SK

Ihr habt euch auch Experten gesucht, um aus diesem Protokoll was Sinnvolles zu erkennen. Was waren das für Experten? Und wofür genau habt ihr die gebraucht?

IK

Also der eine Experte ist Professor Dietmar Heubrock. Der ist Kriminalpsychologe. Und er ist darüber hinaus auch ausgebildet, Zeugenaussagen .. Täteraussagen... linguistisch zu beurteilen und dazu muss man extrem geschult sein. Ist er auch. Über mehrere Jahre hatte das immer wieder gemacht, dass er eben halt versucht hat, ich sage jetzt mal so ganz banal, den Wahrheitsgehalt von Zeugenaussagen zu beurteilen. Und das hat er in diesem Fall für uns gemacht. Der andere Experte ist Professor Andreas Zick von der Uni Bielefeld. Und da ging es aber eigentlich eher um Aussteigerprogramme. Also was brauchst du für Voraussetzungen, wenn du tatsächlich aussteigen willst, was Frau Zschäpe ja vor hat. Sie möchte ja sehr gerne aussteigen und in so ein Programm reinkommen. Was ihr aus Sachsen versagt worden ist. Die haben gesagt, wir möchten das lieber nicht. Und da geht es eben halt darum einzuschätzen, ab wann ist es glaubwürdig, dass Terroristen - Rechtsterroristen oder auch Linksterroristen - tatsächlich bereit sind, auszusteigen? Und welche Voraussetzungen braucht man eigentlich dazu?

SK

Und Professor Heubrock ist ja auch derjenige, der dann genau diese Aussage von Beate Zschäpe identifiziert hat, der ihr dann ja auch nachgegangen seit als Verdacht. Da hören wir jetzt auch gleich noch mal rein, nämlich zum einen in das, was Beate Zschäpe zu dem Mord an Michéle Kiesewetter gesagt hat

Ich finde es Wahnsinn, wie das abgegangen ist, dass an so einem Platz, wenn ich doch gesehen habe, wie die Bilder an diesem Platz waren, zu machen. Ich kann es Ihnen nicht, nicht, nicht, Ich sehe es genau so, aber es hat ja nun mal so stattgefunden. Es waren ja auch die Zwei. Es steht ja nicht zur Debatte, ob ich jetzt — ob die beiden das waren oder nicht. Ich finde, das ist ja so eine feststehende Sache.

Beate Zschäpe Wortprotokoll Aussage vor Bayer. NSU-Untersuchungsausschuss, Mai 2023

Und Dietmar Heubrock, der sagt dazu Folgendes

Es steht ja nicht zur Debatte, ob ich jetzt, Unterbrechung, ob die beiden das waren oder nicht. Da bringt sie sich ja, ne Personalpronomen, erste Person, Ich, da bringt sie sich ja selber mit da rein. Es steht ja nicht zur Debatte, ob ich … und das unterbricht sie, warum? Sie hätte den Satz auch so vollziehen können. Es steht ja nicht zur Debatte, ob ich in Heilbronn dabei war. Aber sie muss sich korrigieren. Und kommt dann auf, ob die beiden das waren oder nicht. Damit hat sie sich selber mit der Tat in Heilbronn bereits in Verbindung gebracht. Und im Kontext dann eben, dass sie dezidiert ablehnt, überhaupt in Heilbronn gewesen zu sein, kann man dann als Hypothese so weit gehen, ob sie nicht tatsächlich auch vor Ort gewesen ist.

Prof. Dietmar Heubrock "Cold Case NSU - Neue Erkenntnisse zum Polizistenmord in Heilbronn“

SK

Das ist ja die Geschichte, der Ihr nachgeht, in dem Film "Cold Case NSU" - zu sehen in der ARD Mediathek. Als ich das das erste Mal gesehen habe, habe ich so gedacht hm, sie hätte ja auch noch irgendetwas anderes sagen können. Zum Beispiel ".. ob ich das jetzt weiß ...". Aber Herr Heubrock ist ja der Experte. War das denn für Euch auch sofort schlüssig, diese Argumentation von Dietmar Heubrock? Oder war das überraschend?

MW

Polizei am Tatort in Heilbronn
Der Tatort in Heilbronn 2007 Bildrechte: Mitteldeutscher Rundfunk

Es war für uns auch überraschend. Weil, erst mal, wir haben es überlesen, wir waren an dem Punkt gar nicht ins Stocken geraten. Aber Dietmar Heubrock hat diesen Satz vollendet, und zwar im Sinne von Frau Zschäpe. Sie hat ja geantwortet. Also man konnte ja hören, was sie sagt. Und der Trick war, dass er erkannt hat, warum sie sich korrigiert hat. Also er sagt auch in seinem O-Ton, sie hätte ja auch ganz normal weiter reden können. Aber sie muss sich korrigieren, und das ist ein Affekt, den man nur hat, wenn man dazu andere Erkenntnisse hat. Und das war für mich schlüssig. Und er hat uns das ziemlich genau erklärt. Der Punkt ist wohl, dass sie sich müht, kein Wissen preiszugeben. Das ist der Punkt, um den es eigentlich geht. Wir sagen ja auch nicht, sie war dabei. Wir sagen auch nicht, sie hat geschossen. Das sagen wir alles gar nicht. Und Herr Heubrock auch nicht. Aber es geht im Grunde darum, ob sie an diesem speziellen Punkt Wissen hat, das darüber hinaus geht über das, was sie preisgibt. Und da verstolpert sie sich. Und weil sie sich verstolpert, ist das ein Grund gewesen, uns das genauer anzuschauen.

SK

Und Inga, als Du das gelesen hast, ist dir dieser Satz, diese Textstelle sofort aufgefallen? Und hat der eigentlich alles gelesen, der Prof. Heubrock?

IK

Also die Stelle ist mir nicht aufgefallen. Ich habe es genauso überlesen. Und ja, Prof Heubrock hat die 207 Seiten komplett durchgelesen und dafür hat er auch ganz schön gebraucht. Ich glaube zehn Tage lang, der macht ja auch noch etwas anderes. Er hat sich sehr lange damit beschäftigt. Und ist also wirklich alle Aussagen mit uns auch durchgegangen und diesen Punkt mit Heilbronn, den haben wir wirklich sehr, sehr lange besprochen. Ob er, so weit gehen kann, wie er geht, ja, und es hat der bestätigt.

MW

Es gibt tatsächlich noch eine zweite Aussage, auf die Herr Heubrock abhebt, und da geht es darum, dass sie sagt, dass sie nach dem Mord in Heilbronn davon erfahren hat. Die Jungs haben ihr erzielt, so wie sie es ja immer gemacht haben, dass sie da was getan haben. Und sie sagt dann, naja, das hätte schon was verändert. Mundlos hätte sich anders verhalten, danach, das hätte was mit ihm gemacht.

Ich weiß auch, dass es mit dem Mundlos mehr gemacht hatte als bei anderen Morden. Also das kann ich Ihnen auch ganz klar sagen, weil ich sie natürlich auch danach erlebt habe.

Beate Zschäpe Wortprotokoll Aussage vor Bayer. NSU-Untersuchungsausschuss, Mai 2023

Heubrock

Das hat etwas ausgelöst, da sind wir eigentlich auf dieser emotionalen Ebene, ne, sie spricht ja was emotionales an. Das beschreibt sie Jan dann nicht, es wurde mitgeteilt und man hat da drüber diskutiert, sondern da werden jetzt emotional kontierte Wörter auch verwendet. Das hat bei denen was ausgelost. Ausgelöst. Das ist ja auch ein Prozeß. Nicht der ist zusammengebrochen, sonder es hat was ausgelöst. Ja was denn? Da kommt doch, da ist ein Prozeß, da ist mehr passiert, auslösen, eine Kaskade, ein Vorgang, eine Kettenreaktion wird ausgelöst. Also da war richtig Halligalli in der Bude. Und das betrifft sie auch.

Prof. Dietmar Heubrock "Cold Case NSU - Neue Erkenntnisse zum Polizistenmord in Heilbronn“

SK

Ihr habt ja genau diese Aussagen, die wir gerade gehört haben von Beate Zschäpe, zum Anlass genommen, den Fall Michèle Kiesewetter noch mal genauer unter die Lupe zu nehmen. Denn Michèle Kiesewetter und auch ihr Kollege, der dabei schwer verletzt worden ist bei dem Anschlag, galten oder gelten eigentlich bis heute als Zufallsopfer. Nach eurem Film, muss man sagen, kann das nicht mehr so stehen bleiben. Zum einen geht es da um ein Gutachten zu einem Beweismittel... richtig Marcus?

MW

Eigentlich ist es ein Anschlag auf zwei Polizeibeamte in Heilbronn gewesen, die in ihrem Streifenwagen auf der dortigen Theresienwiese Pause gemacht haben. Dieser Anschlag ist auf der einen Seite deswegen bemerkenswert, weil das erste Mal eben keine Migranten ermordet worden sind, sondern Polizeibeamte angegriffen wurden, die sich wehren können, die bewaffnet sind, die im Zweifelsfall zurückschießen können. Also sowohl das Opferspektrum hat sich geändert, als auch die Tatbegehung, als auch die Opfer selber, also die eben wesentlich wehrhafter waren als arglose Zugewanderte, die in ihren Ladenlokalen sitzen und nichts erwarten müssen.

IK

Und es waren andere Tatwaffen. Die Migranten sind mit dieser Cheska mit Schalldämpfer ermordet worden. Und im Falle jetzt das Polizistenmordes, waren andere Waffen im Spiel.

Thüringen

Das NSU Trio udn ein Bild von Michéle Kiesewetter 50 min
Podcast MDR INVESTIGATIV - Hinter der Recherche, NSU, beate Zschäpe und Michèle Kiesewetter Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

MW

Genau, und das macht es besonders. Also dieser Mord und Mordversuch ist komplett aus dem Raster gefallen. Um diese Tat haben sich ganz viele verschiedene Problemlagen ergeben. Also zum einen wusste man nicht genau, warum hat es Polizisten getroffen? Als die Tat 2007 begangen wurde, waren sich die ermittelnden Beamten sicher, dass es irgendwas mit Schaustellern zu tun haben muss, die auf dieser Theresienwiese gerade ihre Buden aufgebaut haben, mit im Zweifelsfall organisierter Kriminalität oder mit Drogenhandel oder ein Racheakt von irgendwem. Und die haben wild in alle Richtungen, nur nicht in Richtung Rechtsterrorismus ermittelt. Und dann ist, was passiert, was aam bei solchen Ermittlungen fatales. Sie haben nämlich eine verschmutzte Spurenlage gehabt. Dass ist berühmte Wattestäbchen Problem gewesen.

SK

Und wie haben die das rausbekommen? Also was war der Grund, warum wusste man, dass es der NSU war?

MW

Feuerwehrleute und Polizisten stehen am 04.11.2011 in Eisenach vor einem qualmenden Wohnmobil
Das Wohnmobil, in dem die Leichen von Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt gefunden wurden. Bildrechte: picture alliance / dpa | Carolin Lemuth

Man hat die Waffen gefunden. Im Wohnmobil war die Waffe von Martin A. gefunden worden, das ist der schwer verletzte Polizist. Und man konnte anhand der Stanzmarke relativ schnell herausfinden, dass es sich um dessen Dienstwaffe handelt. Und ein paar Tage später, nachdem man die explodierte Wohnung in der Frühlingsstraße geräumt hatte und da den Schutt durchsucht hat, fand man dort die Waffe von Michéle Kiesewetter und da war also relativ schnell klar, anscheinend geht auf das Konto dieser Terroristen auch der Mordanschlag auf die beiden Polizisten.

SK

Durchsuchen … gefunden … gutes Stichwort. Man hat noch etwas gefunden, was aber bei den Ermittlungen dann offenbar keine weitere Rolle gespielt hat...

MW

Bei den Ermittlungen schon. Beate Zschäpe hat noch am Tag, als Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt im Wohnmobil (in Eisenach Anm.) sich selbst entleibt haben, ihre Wohnung angezündet in der (Zwickauer) Frühlingsstraße. Die brannte dann nahezu vollständig aus und wurde auch mit einem Bagger beräumt. Und dann war ein riesiger Schutthaufen vor dem Haus, und er wurde über Monate lang auseinandergenommen, um alles zu sichern, was da in dieser Wohnung drin gewesen war. Und man hat neben zahlreichen Waffen und anderen Dingen eben auch eine Jogginghose gefunden. Und diese Jogginghose hatte kleine Blutspritzer drauf. Das konnte man anscheinend sehen, sodass man dieses Aservat zur Kriminaltechnik gegeben hat. Und man hat versucht herauszufinden, was ist das für Blut? Und tatsächlich gab es einen Treffer, nämlich das von Michéle Kiesewetter. Also ein weiteres Indiz dafür, dass die Täter Mundlos, Böhnhardt, Zschäpe waren und mit dem Mord in Heilbronn in Verbindung standen.

SK

Aber hätten die Jogginghose Mundlos oder Böhnhardt getragen haben können?

MW

Eine Hose als Beweisstück
Die Jogginghose Bildrechte: MDR Investigativ

Alle hätten sie getragen haben können. Das ist der Witz. Es ist sozusagen eine unisex Hose. Da passen auch alle rein. In der Hose selber fand man in einer Tasche ein Taschentuch, auf dem DNA von Uwe Mundlos gefunden worden ist, und man hat den Rest der Hose auch auf DNA untersucht, aber nichts gefunden. Also, man hatte diese Blutspritzer, und man hat das Taschentuch mit der DNA von Mundlos.Und dann hat man sich gefragt, okay, wir wissen, wie die Tat begangen worden ist: Also zwei Männer nähern sich auf beiden Seiten dem Polizeiwagen von hinten und schießen von hinten gleichzeitig auf die beiden Polizisten. Also muss es zwei Täter gegeben haben, die gleichzeitig geschossen haben. Jetzt hat man diese Jogginghose genommen und hat sich gefragt, welcher von den beiden Tätern hatte die denn an? Und dann kam bei der Begutachtung was völlig anderes raus. Die Experten vom Bundeskriminalamt haben ein sogenanntes Spritz-Gutachten gemacht. Also da guckt man, wie die Blutspritzer angeschleudert worden sind, ob die quasi frei drauf geflogen worden sind und ob das zu der Position passt, in der man die Täter vermutet hat. Und das Ergebnis ist nö, passt nicht. Keiner der beiden Täter, wenn die denn so standen, wie man es annimmt, kann diese Hose getragen haben, weil diese Blutspritzer nicht dazu passen. Die Blutspritzer passen aber zu jemandem, der die Jogginghose getragen hat und im Zweifelsfall hinter einem der Täter gestanden hat. Also eine dritte Person am Ort. Und das stellt die Ermittler vor heftige Probleme, weil sie nicht wissen, wer diese dritte Person sein könnte. Also das Gutachten hat gesagt, es könnte einen dritten Täter gegeben haben, das deckt sich tatsächlich auch mit anderen Zeugenaussagen, die direkt nach dem Mord erhoben worden sind. Und da wurden mehrfach mehrere Leute gesehen, die vom Tatort geflohen sind, mal waren es zwei, mal waren es drei, mal war es eine Gruppe, mal ist ein blutverschmierter Mensch in ein Auto gesprungen und so weiter ... wie das so ist bei Zeugenaussagen. Man weiß es nicht genau. Man braucht objektive Tatbelege, und dazu gehört eben diese Jogginghose. Und das Gutachten sagt, es ist sehr wahrscheinlich - zu hundert Prozent kann man es nie sagen - es ist sehr wahrscheinlich, das eine dritte Person, diese Jogginghose, getragen haben muss.

SK

Und hat denn diese Geschichte mit der Jogginghose bei der Befragung des NSU-Untersuchungsausschusses des Bayerischen Landtags auch eine Rolle gespielt? Gab es da eine Aussage von Beate Zschäpe?

MW

Nein, gar nicht. Also sie ist gar nicht danach gefragt worden. Das liegt auch daran, dass dieses Gutachten im Prozess, der danach ja über fünf Jahre in München stattgefunden hat, keine Rolle gespielt hat. Das hat damit zu tun, dass die Anklage in München sich auf eben genau drei Täter bezogen hat. Es gibt Unterstützer, die mit auf der Anklagebank saßen, aber die Zwickauer Terrorzelle, so, wie man es dann genannt hat, der NSU, bestand laut Bundesanwaltschaft aus genau drei Tätern. Hätte man jetzt in Heilbronn einen dritten Täter gehabt, dann wäre es im Zweifelsfall ein Vierter gewesen. Das ist ein bisschen verwirrend, weil man immer davon ausgegangen ist, dass Frau Zschäpe nichts gemacht hat. Also könnte es ein Vierter gewesen sein. Insgesamt hat man sich darauf verständigt, das Taschentuch in der Jogginghose als objektives Beweismittel zu werten und zu sagen, diese Hose hat Uwe Mundlos getragen. Experten haben uns gesagt, das ist Quatsch, weil so ein Taschentuch kann er ja auch später reingesteckt haben. Und solange man keine DNA direkt an der Hose findet, kann man auch nicht wissen, wer die angehabt hat. Im Prozess hat dieses Schleuder-Gutachten und die Hose keine Rolle mehr gespielt, und man hat das quasi subsumiert unter den anderen Taten. Das Gerichts ist davon ausgegangen, auch im Urteil, de Täter waren Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos und sonst keiner

IK

Auch, um das eben halt revisionsfest zu haben. Also es ging eben halt auch darum zu sagen, wir haben jetzt hier eine These, die ziehen wir durch, damit das Gerichtsurteil auch revisionssicher ist.

MW

Genau. Das war das, was sie beweisen konnten. Und sie hatten keinen anderen Täter. Also ist es da erst mal unter den Tisch gefallen.

SK

Inga, gibt's denn überhaupt Informationen darüber, wo Beate Zschäpe gewesen ist, als Michele Kiesewetter ermordet worden ist?

IK

Also an dem Tattag, ist eben halt nicht wirklich bekannt, wo sich Beate Zschäpe aufgehalten hat. Vor Gericht ist man davon ausgegangen, dass es so gewesen ist, wie eigentlich bei den anderen Morden bestätigt. Nämlich, dass sie zu Hause gewesen ist und auf die Rückkehr von Mundlos und Böhnhardt gewartet hat. Aber es ist letztlich nicht bewiesen, das ist einfach eine Hypothese, die aufgestellt wurde und der man gefolgt ist. Aber wir wissen wirklich nicht, wo sie an diesem Tag tatsächlich war. Also kann sein, dass sie in Heilbronn war, muss nicht sein, das wissen wir alles nicht.

MW

… die Lücke ist schon signifikant, weil bei den anderen Morden konnte man es tatsächlich belegen, wo sie war so. Man konnte anhand von Einkaufsbelegen, anhand von Telefonaten, anhand von Zeugenaussagen klarmachen, dass sie an den bestimmten Tagen zu den anderen Morden zuhause war. Das ist auch ein wichtiger Punkt, weil die Bundesanwaltschaft sehr angeklagt hat, sie hätte das Trio oder die Mordtaten dadurch gedeckt, dass sie eben zuhause war und dafür gesorgt hat, dass sie nicht auffliegen und im Zweifelsfall eben auch, wenn was schiefgeht, dann die Wohnungen in die Luft zu jagen und die DVDs zu verschicken.

SK

Eine Frage, die ich mir gestellt habe. Und ich weiß nicht, ob ihr euch die auch gestellt habt: 2007 ist Michèe Kiesewetter erschossen worden. 2011 ist das Haus in die Luft geflogen. Der NSU hat sich selbst enttarnt. Warum, zum Teufel hebt man so eine Jogginghose auf?

MW

Na, sie haben alles aufbewahrt. Wenn man guckt, was in diesem Brandschutt der Frühlingsstraße alles gefunden wurde. Es sind Tausende und Abertausende Belege, die den Zusammenhang mit den Morden dezidiert nachweisen lassen. Also es gibt Ausspäh-Unterlagen, es gibt fast alle Waffen, die sie hatten. Es gibt verschiedenste Hinweise und Belege dafür, dass die sich genau ausgedacht haben, wen sie wann wo umbringen. Und sie haben das alles aufgehoben. Irgendwann hat Dietmar Heubrock auch mal gesagt, das machen Serientäter so. Die brauchen so eine Art Trophäensammlung für sich, damit sie sich auch daran erinnern können. Und, und dass ist eigentlich das Wichtigste, sie haben diese Waffen fotografiert und in dem Bekennervideo also in dieser DVD, die danach..

SK

… die berühmte Paulchen-Panther DVD ...

MW

… richtig. Ein wirklich fürchterliches Machwerk, in der sie ihre eigenen Taten dargestellt haben. Wohl auch, um in der Szene zu wirken und Nachahmer zu generieren. Da haben sie diese Waffe fotografiert und gezeigt. Also sie wollten sie zeigen, und dafür mussten sie sie mitnehmen. Und die Jogginghose war wohl mit dabei. Also wahrscheinlich hatte sie schon einer an, der mit da war. Das hat ja auch das Schleuder-Gutachten gezeigt. Und dann haben die die einfach abgelegt. Warum die das nicht verbrannt haben, weiß kein Mensch. Die haben ja auch, als sie dann 2011 zum letzten Banküberfall losgefahren sind, in dieses Wohnmobil alles reingestopft, was ihre Täterschaft belegt. Es war völlig absurd, was man in diesem Wohnmobil alles gefunden hat, eben auch die Waffe von Martin A. Also die hatten es mit den Dingen, die sie ihren Opfern abgenommen haben.

SK

Das eine ist ja das Spritz-Gutachten zur Jogginghose. Das andere ist, dass es ja offenbar doch Zusammenhänge geben könnte, zwischen dem NSU und der 2007 in Heilbronn erschossenen Polizistin Michèle Kiesewetter. Denn Michèle Kiesewetter stammt aus Thüringen, aus einem kleinen Ort namens Oberweißbach. Es ist zwar damals geprüft worden, nachdem man wusste, der Mord geht auf den NSU zurück, ob es persönliche Verbindung gab, das wurde dann aber beiseite gelegt. Nun zeigen eure Recherchen, es könnte doch Anhaltspunkte geben, nämlich dass es vielleicht sogar eine Racheaktion gewesen sein könnte. Inga

IK

Ein Familenfoto
Ralf Wohlleben mit Familie. Bildrechte: MDR Investigativ

Ja, wenn man sich das eben ganz genau anguckt ..in diesem Umfeld geht es um einen Gasthof, der heißt zur Bergbahn. Der wiederum ist gepachtet worden, Anfang 2006 von einem Mann, den Beate Zschäpe sehr gut kennt namens David F. David F. war wiederum 1997 ein Verhältnis von Beate Zschäpe. Also die kannten sich, das war nicht besonders lang. David F. war damals Lastwagenfahrer. Die sind zusammen durch Deutschland gefahren und in der Befragung sagt sie auch, dass sie zusammen wohl mal in Nürnberg gewesen sind. Nürnberg ist einer der Tatorte, wo es mehrere (NSU-)Morde gegeben hat. Und sie kann sich eben halt auch - ganz anders als bei anderen Aussagen - sehr dezidiert daran erinnern, dass die Wohnung sehr klein gewesen ist und sie sagt ja, es könne sehr gut sein, dass sie da auch übernachtet hatten. Ansonsten versucht sie ja eigentlich immer, so ein bisschen sehr im Wagen zu bleiben, nicht allzu viel preis zugeben und eigentlich immer erst auf Nachfrage, wenn man ihr etwas beweisen kann, dann eben halt auch dezidiert, sagt ach ja, so könnte es auch gewesen sein. Und jetzt zurück zu David F. Er hat also diese Gaststätte zur Bergbahn. Und wenn man dann jetzt einmal ein kleines Stück weiter guckt, dann stellt man fest, David F. hat eine Schwester, und diese Schwester Jacqueline ist verheiratet mit Ralf Wohlleben. Ralf Wohlleben ist wiederum einer der Hauptangeklagten im Prozess gewesen. Er ist der Waffenlieferant gewesen, also der Ceska, der Mordwaffe. Und in dieser Gaststätte zur Bergbahn, die er zeitweise eben auch mit seiner Schwester zusammen betrieben hat, gab es am 18. März 2006 eine Veranstaltung. Das war eine Veranstaltung der NPD. Es war ein groß angelegtes Schulungstreffen, wo ungefähr 100 Leute zusammengekommen sind, Rechtsradikale, bundesweit. Und dieses Schulungstreffen ist dann mehr oder minder vereitelt worden. Oder es hat auf jeden Fall früher aufgehört. Und dann sind wir eben halt auf einen ganz speziellen Vermerk gestoßen, vom Bundeskriminalamt, wo es eine Zeugenaussage gibt, wo eben halt dezidiert drin steht, dass Michèle Kiesewetter diese Veranstaltung vereitelt haben soll. Und das war natürlich für uns Anlass, da noch mal ganz genau hinzugucken, wer ist denn dieser David F.? Wie sind die Verbindungen zu Ralf Wohlleben? Wer ist da in diesem Umfeld noch so rumgesprungen? Welche Bedeutung hatte eigentlich dieses Schulungstreffen?

SK

Und wie hat sie das vereitelt? Also wie kann das sein? War sie da zu Hause? Wodurch ist das vereitelt worden? Wer hat die Veranstaltung beendet?

IK

Also die Veranstaltung ist beendet worden, letztlich durch Polizei und Ordnungskräfte, aber sehr viel früher als geplant. Und das Problem ist eben daran, dass wir überhaupt nicht wissen, wo Michèle Kiesewetter zu dem Zeitpunkt war. Das BKA hat dann noch einmal also genau ermittelt und versucht rauszubekommen. Wo ist sie denn gewesen? Das konnte man nicht rausfinden. Also das ist so, dass sie zu dem Tag theoretisch hätte in Oberweißbach sein können. Und Oberweißbach ist wiederum von der Bergbahn - die ist in Lichtenhain - also knapp einen Kilometer Luftlinie entfernt. Also es ist wirklich ganz, ganz nah. Also theoretisch hätte es sein können, dass sie von dieser Veranstaltung erfahren hat und dass sie einen Hinweis an wen auch immer gegeben hat. Und dann kommt eben halt ein Trugschluss. Das kannst du jetzt mal erklären....

MW

Es ist kompliziert, es ist total kompliziert. Also, dass es die Bergbahn gab, diese Gaststätte, und das es David F. gibt und dass er der Schwager von Wohlleben ist - das wusste man. Das ist alles nichts, was wir nicht schon vorher gekannt hätten. Und diese Verbindungen hat man gesehen. Man wusste auch, dass David F. ein früheres Verhältnis von Beate Zschäpe war. Man hat aber nie über die ganzen Jahre auch quer über unsere Recherchen oder die aller Kollegen oder auch die des BKA und der Landeskriminalämter eine direkte Verbindung gefunden. Man konnte nicht sagen, die kannten sich. Auch wenn es naheliegend gewesen wäre, weil das wirklich ein kleines Kaff ist und die Bergbahn gerade mal ein Kilometer weit weg, da ist sonst gar nichts. Da kennt man sich, wenn man einigermaßen im gleichen Alter ist. Aber das konnte man eben nicht belegen. Also es gab nie, und davon geht auch die Bundesanwaltschaft aus. Und so steht es auch im Urteil geschrieben, dass es keine Verbindungen zwischen dem NSU der rechtsextremen Szene in Oberweißbach und Michèle Kiesewetter gegeben hat. Punkt. Das war Stand bis vor wenigen Wochen. Bis wir - hätten wir uns die Akten nicht noch mal angesehen, was wir freiwillig nicht getan hätten, wäre Herr Heubrock nicht so dezidiert auf diesen Punkt eingegangen, haben wir eben diesen Vermerk gefunden, und der Vermerk ist in den Akten. Anlass dieses Vermerkes ist die Zeugenaussage eines Zeugen, der sagt, die Veranstaltung in der Bergbahn wäre durch Michèle Kiesewetter verhindert worden. Als ich den gesehen habe, das erste Mal dachte ich mir ups, hab ich den früher überlesen? Was ist da? Was soll das eigentlich? Und dann bin ich in der Akte weiter gegangen und habe gesehen Aha, die sind dieser Frage tatsächlich nachgegangen. Hat also Michéle Kiesewetter diese Veranstaltung verhindert und schreiben dann einen Vermerk. Nein, man habe herausgefunden, ein Landtagsabgeordneter der Linken habe damals die Polizei gerufen, und dadurch wäre dann die Polizei gekommen mit dem Ordnungsamt und habe diese Veranstaltung abgebrochen und damit verhindert, letztlich, dass die ordentlich durchgeführt werden kann. Das BKA ist damit zufrieden gewesen. Die haben gesagt okay, wenn wir jetzt wissen, wer die Polizei gerufen hat, dann wissen wir auch, wer die Veranstaltung verhindert hat. Das hat aber eigentlich gar nichts mit Michéle Kiesewetter zu tun. Es ist durchaus möglich und ist nicht weiter recherchiert, nicht ermittelt worden, ob es noch weitere Hinweise gab, ob Frau Kiesewetter vielleicht vor Ort war, ob sie im Zweifelsfall auch nur als Verhinderin angenommen worden ist von denjenigen, die diese Veranstaltung gemacht haben. Das Problem liegt immer an dem objektiven Beweismittel, und wir wissen nicht, und auch das BKA weiß nicht, wer dieser Zeuge ist. Dieser Frage ist nicht mehr nachgegangen worden, und darin liegt auch die Krux. Keiner sagt, dass David F. oder Wohlleben dafür gesorgt haben, dass Michéle Kiesewetter durch den NSU umgebracht wird. Aber die Frage, was es mit diesem Hinweis mit dieser Zeugenaussage auf sich hat, sie habe diese Veranstaltung verhindert und damit einen direkten Bezug zum NSU hergestellt hat, dieser Nachfrage ist nicht nachgegangen worden, weil man sich eben zufrieden gegeben hat, indem man den Anrufer kennt, der die Polizei gerufen hat.

SK

Für die Familie von Michèle Kiesewetter bringen ja solche Recherchen sicherlich auch noch mal sehr viel Unruhe, vielleicht auch noch mal neues Leid. Haben die sich irgendwie geäußert. Konntet ihr mit denen sprechen? Haben die sich vielleicht nach dem Film bei Euch gemeldet?

IK

Der Sarg der am vergangenen Mittwoch erschossenen Polizistin, Michelle Kiesewetter, liegt am Montag, 30. April 2007 aufgebahrt in der St. Dionysius Kirche in Boeblingen.
Trauerfeier für Michéle Kiesewetter Bildrechte: picture alliance / ASSOCIATED PRESS | MYRIAM VOGEL

Als wir in Oberweißbach waren, haben wir versucht, mit Leuten zu reden, um das Umfeld nochmal ein bisschen abzuklären, noch mal zu gucken, ob irgend jemand mit uns spricht. Wir sind da auf eine Mauer des Schweigens gestoßen. Unter der Hand hat man uns dann ein paar Sachen, gesagt, so in etwa, ja, da gab es Fragen. Aber Nein, eigentlich ist alles ausermittelt. Wir wollen mit dieser Geschichte eigentlich nichts mehr zu tun haben. Also wir sind da nicht weitergekommen, haben dann aber eben halt auch gehört, dass es der Mutter immer noch psychisch extrem schlecht geht. Wir waren eigentlich am überlegen, ob wir versuchen, zumindest mit dem Stiefvater von Michéle Kiesewetter zu reden. Aber dann hatten wir irgendwie das Gefühl, dass es nicht gerechtfertigt ist. Die Familie jetzt also wirklich noch mal... das holt ja emotional wahnsinnig viel hoch, und dass es für unsere Recherche auch nicht zwingend notwendig ist, das nochmal zu tun. Also, das war für uns so, dass wir gesagt haben, das lassen wir. Wir haben uns gesagt, das ist menschlich einfach nicht schön, bei einer Familie wirklich noch mal alles wieder aufzureißen. Und wenn sie es gesehen haben und wenn sie Hinweise haben... Oder wir würden uns auch freuen, wenn irgendjemand das jetzt hört, und wenn irgendjemand weiß, wer dieser Hinweisgeber ist. Das würde uns und sicherlich das BKA weiter bringen. Also das wäre toll, wenn sich irgendjemand melden würde, der das weiß oder der Hinweisgeber selber. Bislang haben wir da noch nichts gehört. Wir haben leider keine Rückmeldung bekommen. Vielleicht kommt es ja noch

SK

Vor Ort auf dieser Veranstaltung in der Bergbahn im März 2006 waren auch David F., der damals ja die Gaststätte gepachtet hatte und wohl auch Ralf Wohlleben, damals stellvertretender NPD-Vorsitzender in Thüringen. Es waren unter anderem MDR-Kollegen damals vor Ort. Es gibt also mehrere Aussagen, die das bezeugen. Ihr habt ja sicher David F. und Ralf Wohlleben angefragt zu dieser Veranstaltung und zu den Vorgängen. Was haben die denn dazu gesagt? Inga

IK

Also ich hab ganz kurz mit David F. telefoniert, und er hat mir gegenüber am Telefon gesagt, wird sich dazu nicht äußern. Er will sich überhaupt nicht mehr zu diesem ganzen Komplex Beate Zschäpe in irgendeiner Form öffentlich äußern. Daraufhin haben wir dann seine Adresse ermittelt und haben ihm per Einschreiben unsere Fragen gestellt. Das Gleiche haben wir mit Ralf Wohlleben auch gemacht. Wir haben dem die gleichen Fragen gestellt, ob er also irgendwie irgendeinen Zusammenhang sehen würde, ob er dagewesen ist. Das er da gewesen ist, das ist belegt. Genauso wie im Fall von David F. Wir haben keine Antworten bekommen. Also wir haben aber dezidiert an beide Fragen gestellt, und sie haben uns nicht geantwortet. Und sie hatten wirklich Zeit zu antworten. Das war jetzt nicht von heute auf morgen.

SK

Es geht ja vor allen Dingen darum, inwieweit kann man Beate Zschäpe trauen bei diesen Aussagen? Was weiß sie? Was weiß sie wirklich nicht? Was sagt sie? Es ist es vertrauenswürdig, was sie sagt? Was verschweigt sie? Und es ist Euch gelungen, mit dem Anwalt von Beate Zschäpe zu sprechen. Matthias Grasel hält der salopp gesagt denn von seiner Mandantin?

IK

Eine Frau und ein Mann sitzen in einem Raum. Im Hintergrund Personen in Uniform.
Beate Zschäpe und Anwalt Grasel im gerichtssaal Bildrechte: picture alliance/dpa | Peter Kneffel

Also Matthias Grasel ... vielleicht andersrum: Also es war ja klar, dass Beate Zschäpe ins Aussteigerprogramm möchte, das ist in der Presse ganz kurz aufgetaucht. Und eigentlich wollten wir mit ihm ganz kurz nur darüber sprechen. Und wir hatten offiziell um ein Interview gebeten, haben also auch lange Fragen gestellt. Und diese Fragen hat er auch an Beate Zschäpe ins Gefängnis weitergereicht. Und die beiden haben beschlossen, Frau Zschäpe würde nicht antworten wollen. Er sagte, weil sie den Presserummel nicht mag. Aber er könne bestimmte Fragen beantworten. Und wir haben gedacht, wir sind da nach einer Viertelstunde wieder draußen. Daraus wurden aber anderthalb Stunden. Und Herr Grasel hatte sich mit Frau Zschäpe vorher - so ist zumindest unser Eindruck gewesen - sehr dezidiert abgesprochen, was dann die Botschaft nach außen sein soll. Und die Botschaft nach außen soll sein, dass Frau Zschäpe geläutert ist, sie sei nicht mehr rechtsextrem. Der Anwalt hat uns gegenüber gesagt, sie wäre sogar schockiert, wie stark die AfD geworden ist. AfD oder so etwas wählen, käme für sie nicht in Frage. Also eine geläuterte Rechtsextremistin. Sie hätte alles gesagt, was sie weiß, und es gäbe eigentlich auch überhaupt keinen Grund mehr Wissen zurückzuhalten. Damit hat er gar nicht so unrecht, weil sie kann für das, was sie getan hat, nicht stärker bestraft werden. Also wenn sie jetzt wirklich alles auf den Tisch packen würde, was sie wirklich weiß, daraus würde ihr kein weiterer Schaden erwachsen. Was die Glaubwürdigkeit anbetrifft: Er glaubt ihr. Er ist der Meinung, sie hat ja alle Fragen des Ausschusses beantwortet. Und er glaubt nicht, dass es also quasi on top noch größeres Wissen gibt. Vor allen Dingen, und das ist eben ganz wichtig auch für die Opfer. Er sagt, er kann sich sehr gut vorstellen, dass sie immer wieder fragen, warum mein Vater, warum mein Bruder? Aber das würde sie gar nicht beantworten können, weil sie über dieses Wissen nicht verfügen würde-

SK

Er glaubt ihr, aber er sagt auch etwas sehr bemerkenswertes.

Man muss, als Strafverteidiger nicht alles wissen, weil manchmal ist zu viel Wissen auch hinderlich. Ähm, um das mal allgemein zu sagen als Strafverteidiger Unabhängig von vom Fall von Zschäpe. Ich als Anwalt darf nicht lügen. Mein Mandant als Beschuldigte, als Angeklagter darf das sehr wohl. Wenn ich also positiv weiß, etwas war, so und so. Ich weiß, das Auto war grün, dann darf ich nicht sagen, es war rot. Wenn ich nicht weiß, welche Farbe das Auto hatte, kann ich mir streng genommen eine Farbe ausdenken. Dementsprechend ist es manchmal in meinem Job sinnvoll und hilfreich, nicht alles zu wissen und deshalb auch nicht alles zu hinterfragen.

Matthias Grasel, Anwalt von Beate Zschäpe "Cold Case NSU - Neue Erkenntnisse zum Polizistenmord in Heilbronn“

SK

Das ist ja sicher aus seiner Sicht als Rechtsanwalt nachvollziehbar. Aber ich finde, das klingt auch befremdlich. Oder?

IK

Wir waren erstaunt in dem Moment, um es so zu sagen. Wir waren wirklich erstaunt. Wir sind auch aus diesem Interview hinterher rausgegangen und haben uns erst einmal ein bisschen geschüttelt und darüber nachgedacht und auch wirklich gebraucht, bis wir das alles einordnen konnten. Was da eigentlich so passiert ist. Also rauszukriegen, aha, da ist eine Botschaft. Und dann ist da ein Anwalt, der anscheinend gar nicht alles wissen will.

MW

Und das ist deswegen komisch, weil der Prozess gegen Frau Zschäpe ja längst abgeschlossen ist. Also in dem Verfahren kann man dem Argument vielleicht sogar noch etwas abgewinnen, danach aber nicht mehr. Grundsätzlich geht es ja darum, dass Herr Grasel die Interessen von Frau Zschäpe auch jetzt nach dem Verfahren als verurteilte Straftäterin vertritt. Und er jetzt ja auch sieht, es gibt immer noch Fragen, die offen sind. Und eigentlich könnte er auf die Idee kommen, alles wissen zu wollen, ja auch, um sie im Zweifelsfall vor falschen Anwürfen zu schützen. Aber er sagt genau das Gegenteil. Er sagt, ich darf nicht lügen. Klammer auf, was eigentlich nur in einem Verfahren so wäre Klammer zu.

Dann will er es gar nicht wissen. Und vielleicht will er es an bestimmten Punkten deswegen nicht wissen, weil er dann selber was sagen müsste oder weil er sein Verhältnis zu Beate Zschäpe neu justieren müsste. Also wir hatten schon den Eindruck der mag sie. Er hat auch in einem anderen Podcast mal gesagt, dass er, wenn sie rauskommt, auch mal mit ihrem Bier trinken gehen würde. Also der mag seine Mandantin, und ich glaube, er will ihr nicht schaden. Und das scheint der Weg zu sein, ihr nicht zu schaden. Je weniger ich weiß, desto weniger kann ich preisgeben.

IK

Vielleicht sollte man noch mal insgesamt kurz zusammenfassend sagen, was die Experten, also sowohl Andreas Zick als auch Professor Heubrock gesagt haben über ihre Glaubwürdigkeit: Andreas Zick ist der Meinung, sie gibt nicht alles preis, was sie weiß, sie hat mehr Wissen. Und Professor Heubrock sagt, sie versucht im Prinzip, ihre Rolle zu reduzieren, da drauf zu sagen ich bin eigentlich Mitläuferin gewesen. Ich war gar nicht ideologisch so gefestigt. Und die Jungs haben mir immer alles erst im Nachhinein erzählt, wenn es schon zu spät war. Aber und jetzt kommen wir auf einen anderen Punkt, aber ich bin genauso schuldig, als wenn ich selbst abgedrückt hätte. Und das ist etwas Neues, das auch neu in der Strategie. Da hat einen Strategiewechsel stattgefunden. Im Prozess war das eben halt noch nicht, sodass sie ihre eigene Schuld anerkannt hat. Aber dieses Schuldeingeständnis wird jetzt also für ihre, ich sage jetzt mal Zukunft, für ihr Leben danach, extrem wichtig. Weil das geht darum, was passiert nach 15 Jahren. Beate Zschäpe ist ja zu lebenslanger Haft verurteilt worden. Das heißt, sie muss mindestens 15 Jahre absetzen. Davon hat sie jetzt schon zwölf im Gefängnis verbracht, und es steht in den kommenden Jahren an, quasi zu schauen, wie lange ist ihre Restschuld. Muss sie noch ein Jahr im Gefängnis bleiben, zwei, drei oder vielleicht auch zehn Jahre? Das ist eine Entscheidung des Gerichtes des Oberlandesgerichtes in München. Und da ist eben halt das Wichtige, dass jemand dann geläutert ist, dass er abgeschworen hat, seiner Ideologie, dass er die eigene Schuld anerkennt. Darum geht es. Und genau das ist die Strategie, die sie aus unserer Sicht momentan verfolgt, zu sagen, ich möchte so wenig Haftzeit noch im Gefängnis verbringen wie möglich. Das ist menschlich natürlich völlig verständlich, aber es gibt eben halt auch die Frage, wie geläutert ist sie wirklich?

SK

Sie will ja auch ins Aussteigerprogramm. Ich habe gelesen, sie kann sich vorstellen, als Streetworkerin zu arbeiten. Kann denn jemand wie Beate Zschäpe, die verurteilt worden ist, wegen rassistischen Morden, kann die überhaupt eine Funktion als Streetworkerin ausführen?

IK

Ich muss ehrlich sagen ich, ich habe den ersten Teil des Interviews geführt. Und als dieses Wort Streetworkerin kam, da bin ich fast vom Stuhl gefallen und dachte, was das denn jetzt? Aber es ist tatsächlich die Vorstellung, zu sagen okay, sie möchte der Gesellschaft etwas wiedergeben. Also sie weiß, wie schuldig sie ist. Aber sie möchte das gerne tun. Und Herr Grasel sagt, sie könne sich eben halt vorstellen, wie so eine Art Streetworkerin zu arbeiten und Jugendliche, die in den Rechtsextremismus abgleiten, davor zu bewahren, indem sie quasi ihre eigene Geschichte erzählt und sagt, wie man da so abrutschen kann und wo das enden kann. Und da ist sie sicherlich ein sehr gutes Beispiel. Aber die Frage ist eben halt, wie realistisch ist das? Ich halte das für sehr unrealistisch. Also, das glaube ich, weiß sie auch.

MW

Und zum Wort Streetworker muss man auch sagen, das sind Sozialpsychologen, die mit delinquenten Jugendlichen umgehen. Da braucht man ein gewisses Handwerkszeug. Und da kann man nicht einfach nur Zeitzeugin sein und als verurteilte Terroristen, die auf Jugendliche loszulassen, da würde ich jetzt mal ein dickes Fragezeichen hinter machen. Das sächsische Aussteigerprogramm, an das sie sich gewandt hat, hat sie abgelehnt. Der offizielle Grund dafür ist, dass eben nicht klar ist, wie lange sie noch im Gefängnis verbringen muss und man eine entsprechende Perspektive braucht. Also man muss schon eine Art Haftentlassungszeitpunkt kennen, um überhaupt da sinnvoll daraufhin arbeiten zu können. Das ist der offizielle Grund. Inoffiziell will man sie auch nicht haben, weil sie so eine prominente Top-Terroristin ist und mit der ganz schwer zu arbeiten ist. Sie gibt uns ja nichts preis. Sie sagt ja nichts zum Innenleben dieser Gruppe. Das hat auch Andreas Zick in unserem Interview noch einmal gesagt.

Sie sagt sie will der Gesellschaft etwas zurückgeben, aber sie gibt es noch nicht zurück. Sie tut es einfach nicht, denn sie lässt uns nicht verstehen, wie Terror-Alltag ist. Sie lässt uns nicht verstehen, was die Ideologie war. Sie sagt uns nicht, welche Kontakte, wir wissen überhaupt nicht, ob es irgendwelche Besprechung in einem banalen Alltag dreier Personen gab über diese Frage dieser Morde. Was wir brauchen, ist eine sehr systematische Einschätzung des Risikos von Frau Zschäpe. Denn es geht nicht so sehr darum, Frau Zschäpe jetzt möglichst viel zu helfen, sondern das Risiko für die Gesellschaft zu vermeiden.

Prof. Andreas Zick "Cold Case NSU - Neue Erkenntnisse zum Polizistenmord in Heilbronn“

MW

Das Oberlandesgericht in München wird sich in ein, zwei Jahren mit der Frage beschäftigen, wie hoch die Reststrafe sein wird. Und dazu gibt es rechtlich gesehen mehrere Punkte, die ganz wichtig sind, um da eine entsprechende Beurteilung hinzukriegen. Die heißt nämlich, ist sie, und das hat Inga gerade gut gesagt, ist sie geläutert? Hat sie Einsicht in ihre Tat und ist sie gesprächsbereit. Und das, was wir hier vor uns haben, nämlich die Aussage vor dem Bayerischen Untersuchungsausschuss ist ein Baustein. Nämlich, sie spricht. Ob sie wirklich was gesagt hat, das sei mal dahingestellt.

SK

Eigentlich müsste es ja nochmal neue Ermittlungen geben, mit dem, was ihr da in dem Film rausgefunden habt und zeigt?

IK

Naja also, wir haben natürlich das Bundeskriminalamt angefragt. Die haben dann auf den Generalbundesanwalt verwiesen, und der Generalbundesanwalt hat uns geantwortet. Und der Generalbundesanwalt lässt mitteilen, man sei dem Hinweis seinerzeit nachgegangen. Es hätten sich daraus aber keine tatrelevanten Ermittlungsansätze ergeben. Also wenn ich das richtig interpretiere, wird da nicht viel passieren.

MW

… dabei ist der Trugschluss ja eindeutig. Also ich denke, wir konnten das ganz gut aufzeigen, dass eben nur weil man den Anrufer kennt, der dazu geführt hat, dass diese Veranstaltung der NPD in der Bergbahn aufgelöst worden ist, man noch immer nicht weiß, wer denn eigentlich der Zeuge ist. Und der Zeuge hat ganz dezidiert Michéle Kiesewetter mit dieser Veranstaltung und damit auch mit Wohlleben und David F. in Verbindung gebracht und hätte damit ein mögliches Motiv nahe gelegt. Und das dem nicht nachgegangen wird, im Moment zumindest, wundert mich schon. Also ich glaube, die haben da keine Lust drauf.

SK

Würde das für Beate Zschäpe was ändern?

MW

Nein, überhaupt nicht. Also Beate Zschäpe ist verurteilt. Die sitzt im Knast. Die versucht rauszukommen, kann man verstehen. Das würde was mit den Angehörigen und Hinterbliebenen machen. Warum wurde auf Michèle Kiesewetter und Martin A. geschossen? Und wer war alles dabei? Das sind Fragen, die relevant sind und die auch immer noch nicht zur Zufriedenheit der Hinterbliebenen aufgeklärt sind.

SK

Ich danke euch beiden für die Zeit. Inga Klees und Marcus Weller.

Abmoderation:

Und auch allen, die zugehört haben ein herzliches Dankeschön. Das war MDR INVESTIGATIV - Hinter der Recherche. Jeden zweiten Freitag gibt es werbefrei in der ARD-Audiothek und da, wo sie uns gerade hören, eine neue Folge. Den Film von Inga Klees und Marcus Weller, "Cold Case NSU - Neue Erkenntnisse zum Polizistenmord in Heilbronn“ finden Sie in der ARD Mediathek. Informationen und Hintergründe sowie Kontaktmöglichkeiten haben wir in unseren Shownotes zusammengestellt und auch in unseren Transkript unter www.mdr.de/investigativ-podcast sind sie zu finden. In zwei Wochen hören Sie hier wieder meine Kollegin Esther Stephan. Ich bin dann in vier Wochen wieder dran. Bis dahin machen Sie's gut.

MDR INVESTIGATIV - Hinter der Recherche

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