MDR INVESTIGATIV - HINTER DER RECHERCHE (Folge 83) Zwangsarbeit für den Westen - ehemalige politische DDR-Häftlinge kämpfen noch immer um Anerkennung

Audiotranskription

28. Juli 2023, 10:58 Uhr

Wer in der DDR als Regimegegner galt oder einen Fluchtversuch unternahm, kam nicht selten ins Gefängnis. Im Zuchthaus Cottbus mussten politisch Inhaftierte Zwangsarbeit leisten. Produkte, die sie unter schwersten Bedingungen herstellten, wurden auch im Westen vertrieben. z.B. waren Fotoapparate der Firma Pentacon beliebt. Die Häftlinge von damals warten bis heute auf eine Anerkennung ihres Leids.
Was wussten westdeutsche Konzerne von der Zwangsarbeit, und wie gehen sie heute mit dem Thema um?

Die Kamera ist deshalb so billig, weil sie von politischen Häftlingen in der DDR in Cottbus hergestellt wird.

Klaus Schreiner, ehemaliger polit. DDR-Häftling ZDF | 1979 und FAKT im Ersten, 4.7.2023

Das ist Klaus Schreiner in einem ZDF-Bericht von 1979. Er saß, bevor er freigekauft wurde, im Zuchthaus Cottbus und musste Zwangsarbeit leisten.

Bei der Firma Otto haben wir eine sehr gute Aktenlage. Das kommt halt dadurch, weil mich frühzeitig, seit ich ins Amt gekommen bin ,ehemalige Häftlinge daraufhin angesprochen haben, die im Gefängnis in Cottbus Kameras nicht gefertigt haben, aber wichtige Teile, nämlich Gehäuse, gestanzt und gefeilt haben für die Firma Pentacon, die Praktika-Kameras und die Aktenlage belegt ganz deutlich, dass diese diese Apparate, diese Produkte, diese auch von der Firma Otto vertrieben wurden.

Evelyn Zupke, Bundesbeauftragte für die SED-Opfer FAKT im Ersten, 4.7.2023

Evelyn Zupke ist Bundesbeauftragte für SED-Opfer. Sie beschäftigt sich schon lange mit dem Fall, um den es in dieser Podcast-Folge gehen soll und damit herzlich willkommen zu einer neuen Folge von „MDR INVESTIGATIV - Hinter der Recherche“. In diesem Podcast sprechen wir mit Kolleginnen und Kollegen über ihre Recherchen und Hintergründe bei der Arbeit. Ich bin, Secilia Kloppmann und arbeite für die politischen Magazine des Mitteldeutschen Rundfunks.

Secilia Kloppmann (SK)

Fotoapparate "made in GDR" vom Volkseigenen Betrieb Pentacon in Dresden wurden in den 1970er-Jahren im Otto-Katalog angeboten. Dass Produkte in der DDR hergestellt und dann für Devisen im Westen verkauft wurden, ist bekannt und war es auch damals schon. Aber es gibt den Verdacht, das Teile für Kameras von Pentacon auch von politisch Inhaftierten hergestellt wurden. Bei mir ist für diese Folge von MDR Investigativ Tom Fugmann, der sich schon lange mit Themen wie DDR-Unrecht beschäftigt.

Hallo Tom. Schön, dass du mal wieder zu Gast bis in unserem Podcast.

Hallo Secilia, ich freue mich auch

SK

Tom Fugmann (TF)

In dem Beitrag geht es darum, dass in der DDR, im Zuchthaus Cottbus, Häftlinge - vor allem politische Häftlinge – Kameragehäuse produziert haben, mit Hilfe von Stanzen und primitiven Werkzeugen. Die sind dann verbaut worden in Kameras des volkseigenen Betriebes Pentacon. Das waren ziemlich hochwertige Kameras, Praktica-Kameras, die dann in hoher Stückzahl auch in der Bundesrepublik verkauft worden sind. Das heißt, fast jede dieser Kameras, die dann in der Bundesrepublik verkauft wurde, unter anderem eben vom Versandhaus Otto, die enthielt diese Häftlings-Zwangsarbeit. Die unter üblen Bedingungen statt fand. Und das ist quasi die Geschichte des Stücks.

SK

Als ich den Beitrag gesehen habe, habe ich gedacht: Es ist jetzt 34 Jahre her, dass die Mauer gefallen ist. Warum, erfahre ich, höre ich jetzt erst jetzt von diesem Unrecht?

TF

Das hat zum einen damit zu tun, dass generell Themen, die die DDR betreffen, immer weniger eine Rolle spielen - sowohl in der Berichterstattung als auch im öffentlichen Bewusstsein. Und dass die Menschen, um die es hier geht, das sind ja ehemalige Zwangsarbeiter oder generell auch Opfer des DDR-Unrechts, das sind natürlich alles Menschen, die in der heutigen Medienlandschaft sich nicht so affin präsentieren können wie andere Gruppen, die auf Unrecht aufmerksam machen. Also ich glaube schon, dass es in einer Gesellschaft ein gewisses Unrechtsbewusstsein gibt für Ungerechtigkeiten, für Benachteiligung, Rassismus und so weiter. Aber das sind natürlich Menschen, die da betroffen sind, die in einem viel stärkeren Maße auf die Ungerechtigkeiten aufmerksam machen können, die ihnen widerfahren. Und die Gesellschaft reagiert darauf ganz anders als bei den Leuten, um die es hier geht. Das sind oft alte Menschen, ältere Menschen. Du hast gesagt, die DDR gehört inzwischen über 30 Jahre lang der Vergangenheit an. Und die Betroffenen, um die es geht, sind eben einfach nicht so geübt darin, in der heutigen Medienlandschaft ihre Anliegen zu formulieren.

SK

Du bist vor Ort gewesen in dem ehemaligen Zuchthaus in Cottbus. Das ist heute eine Gedenkstätte und Du bist dort gewesen, mit einem ehemaligen Gefangenen mit Dieter Dombrowski.

Wenn ich hier bin, denke ich eigentlich immer eher an Haftkameraden, die es schwerer getroffen hat. Damals waren wir alle jung, 24, 25 Jahre. Wenn in der Zelle, oben in der 28-Mann-Zelle einer ein Mitgefangener, der in eine Selbstschussanlage geraten war und völlig entstellt war, ein Glas zerkleinerte, um es auf der Toilette runterzuschlucken, die Scherben, um innerlich zu verbluten. Oder in der anderen, der kleineren Zelle, wie jemand verstorben ist, weil ihm nicht geholfen wurde. Das geht mir durch den Kopf.Wir haben das hier natürlich ertragen müssen, hatte keine Möglichkeit, uns zu beschweren. Es gab viele Verletzungen mit diesen scharfen Geräten, die wir hatten, die waren ja primitiv hergestellt, aber sehr scharf. Haben viele sich verletzt. Ich auch. Habe mir eine Fleischwunde zugezogen.

Dieter Dombrowski, ehemalige polit. Häftling in der DDR FAKT im Ersten, 4.7.2023

SK

Das klingt erschütternd, was Dieter Dombrowski dir da erzählt.  Von wann bis wann hat der in Cottbus eingesessen? Und warum?

TF

Dieter Dombrowski musste als politischer Häftling in der DDR Zwangsabeit leisten. Die Produkte wurden im Westen verkauft.
Dieter Dombrowski musste als politischer Häftling in der DDR Zwangsabeit leisten. Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

Also er war 1974 im Gefängnis in Cottbus. Er wurde verurteilt zu vier Jahren Freiheitsentzug, weil er ein Fluchtversuch gemacht hatte. Seine Mutter lebte in West-Berlin, die hatte einen Herzinfarkt. Er wollte da hin - aus verständlichen Gründen - wurde geschnappt, und wurde eingesperrt. Versuchte Republikflucht und staatsfeindliche Verbindungsaufnahme nannte sich das. Die Haft war unter üblen Bedingungen. Da waren 28 Leute in der Zelle. Er hat miterlebt, wie ein Häftling, dem nicht geholfen wurde, dort gestorben ist. Und diese versuchte Selbsttötung, haben wir eben gehört, unter welchen Umständen das stattfand. Es ging ziemlich übel zu, und er musste eben auch harte Zwangsarbeit leisten.

SK

Das Zuchthaus in Cottbus, das war die Haftanstalt des Ministeriums des Innern der DDR. Du hast schon erzählt, warum Dieter Dombrowski einsaß. Was waren da noch so für typische Haftgründe?

TF

Ich glaube, viele Leute, die einen Fluchtversuch unternommen haben, waren dort eingesperrt. Auch Menschen, die sich gegen die DDR gewandt haben. Regimegegner, Oppositionelle. Aber eben auch  - das war eben dieser Mensch, der dort zu Tode kam, weil ihm nicht geholfen wurde. Das war ein Unternehmer aus Plauen, der dort eine Firma hatte, die die Plauener Spitze hergestellt hat. Der wurde in den 70er-Jahren enteignet, war damit nicht einverstanden, wurde eingesperrt, ein schon älterer Mann, und der ist eben dort gestorben. Es gab sozusagen eine breite Spannbreite von Leuten, die dort inhaftiert waren.

SK

Dass heißt, die dort Inhaftierten waren ausschließlich politisch Gefangene?

TF

Hauptsächlich, nicht ausschließlich! Es gab dort auch Kriminelle. Aber der hauptsächliche Bestandteil, ich weiß es jetzt nicht genau, ob 70 oder 80 Prozent war aus politischen Gründen inhaftiert.

SK

Und es herrschten da fürchterliche Bedingungen bei Unterbringung und Arbeit. Da liegen Dir ja auch entsprechende Dokumente vor...

TF

Männer arbeiten an Maschinen
Zwangsarbeit in einem DDR-Gefängnis Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

Ja, also besonders die Arbeit war natürlich hart, also die Unterbringung natürlich auch. Da waren überbelegte Zellen, also es gab 28 Mann-Zellen, und ein Klosett für die Leute ... Hygiene, alles mangelhaft. Essen nicht gut. Und die Leute haben im Drei-Schicht-System Zwangsarbeit leisten müssen, mit extrem hohen Norm- Vorgaben. Wer die nicht geschafft hat, wurde bestraft mit Essensentzug oder Einzelarrest. Es gab unter anderem auch Nachtschichten. Die Leute mussten nachts arbeiten, eigentlich dann am Tag schlafen. Aber natürlich kann man im Gefängnis nicht schlafen. Also das war eine üble Sache, die viele Leute auch körperlich und psychisch beschädigt hat.

SK

Und was konkret haben die da jetzt hergestellt, dort?

TF

Die haben Kameragehäuse hergestellt. Das war in den 70er /80er-Jahren, da gab es ja noch keine Digitalkameras. Die Gehäuse wurden dort hergestellt, vor allen Dingen in Cottbus. Der Großteil der Stanzmaschinen stand in Cottbus. Also wurde der Großteil der Kamera-Gehäuse für die Praktica-Kameras auch in Cottbus hergestellt. Ja, und dann mussten die natürlich auch entgradet werden, mit Feilen und primitiven Arbeitsgeräten. Auch die Stanzen, also der Arbeitsschutz, war schlecht. Es gab dann auch Arbeitsunfälle, also auch Dieter Dombrowski hat uns erzählt, er hat sich eine Fleischwunde zugezogen, wobei das noch eine harmlosere Verletzung war. Es gab Leute, die sich an den Stanzmaschinen Finger abgetrennt haben. Einem Häftling musste auch die Hand amputiert werden. Also es war natürlich eine relativ harte Arbeit,

SK

Und sie hatten -  so hat es Dieter Dombrowski in dem Film auch gezeigt - keine guten Werkzeuge dafür.

TF

Ja, das war ein einfache  primitive Feilen. Es war ja generell so, dass in diesen Haftanstalten der DDR vor allen Dingen auf eine Effektivität geachtet wurde und es nicht darum ging, dass die Menschen, die dort gearbeitet haben, besonders gute Bedingungen hatten, um ihre Arbeit verrichten zu können. Darum hat sich niemand gekümmert.

SK

Es geht ja darum, in der Geschichte dass die Firma Pentacon, für Fotoapparate der Praktica-Reihe, in Cottbus Gehäuse herstellen ließ, das ist gesichert. Und was ihr gefunden habt, Dieter Dombrowski hat das auch zu dem Termin mitgebracht, einen ganzen Stapel Otto-Kataloge. Und da kann man auch diese Kameras sehen. In welchem Zeitraum ist das gewesen?

TF

Auf jeden Fall in den 70er und 80er-Jahren, also bis zum Ende der DDR. Also ich weiß nicht genau, ab wann Otto angefangen hat, diese Kameras in der Bundesrepublikrepublik zu verkaufen. Aber Dieter Dombrowski hatte drei Kataloge mit, von ich glaube den 70er Jahren, nach 1976, und da waren die Kameras abgebildet.

SK

Und wenn man da jetzt durchblättert und sieht auch vergleichbare Modelle, die  nicht in der DDR hergestellt worden sind. Waren die wesentlich billiger? Waren das Kameras, die man auch in der DDR kaufen konnte?

TF

Eine Frau schaut durch den Sucher einer Praktica BX20 S Spiegelreflexkamera.
Praktica-Kameras wurden auch im Westen verkauft Bildrechte: picture-alliance/ ZB | Matthias Hiekel

Naja, die waren schon relativ hochwertig. Du hast es schon gesagt, es waren Spiegelreflexkameras. Die waren zur damaligen Zeit schon sozusagen modern und hochwertig und hatten eine gute Qualität und wurden in der Bundesrepublik auch gut verkauft. Also ein Mitarbeiter des Kundendienstes, ein ehemaliger Mitarbeiter von Pentacon, hat uns erzählt, das 100.000 Stück jährlich für die Bundesrepublik produziert worden sind. Interessant sind die Preise: Also ich hatte mal nachgeguckt in diesem Otto-Katalog, da haben 2 abgebildete Kameras 299 DM gekostet. In der DDR kosteten die einfachen Kameramodelle ungefähr 600 bis 700 Mark der DDR und die hochwertigeren Kameras, das ging dann hoch bis 2000 bis 3000 Mark der DDR. Da muss man wissen, das war das zwei-bis dreifache eines Monatslohns in der DDR. Während natürlich der Preis in der Bundesrepublik, das war lediglich ein Bruchteil eines Monatslohns ist, heißt im Westen waren die Kameras preiswerter. Aber man verkaufte das trotzdem, obwohl sich eventuell gar nicht gerechnet hat, weil die DDR unbedingt Devisen brauchte.

SK

Dass die DDR aus Devisengründen Produkte in die BRD verkaufte, das ist nicht neu. Ich selbst habe mal recherchiert, auch Bauarbeiter wurden zur Devisen Zwecken in den Westen geschickt. Es ist bekannt, dass die gesamte Hotelwäsche von West-Berliner Hotels im Osten gewaschen worden ist. Was macht jetzt diese Geschichte, diesen Falle so brisant?

TF

Das Besondere daran ist natürlich, dass irgendwann ja klar war, dass die Produkte, die in DDR-Gefängnissen gefertigt worden sind, Strumpfhosen, Schuhe, Kameras, dass die eben in die Bundesrepublik ging. Und das Häftlinge, die ab den 70er Jahren in den Westen kamen, durch Freikauf, die haben die Produkte, die sie im DDR-Gefängnis hergestellt haben, auf einmal dort im Schaufenster gesehen. Und  das wurde ab den 1970er-Jahren öffentlich, und im Fall der Kameras gab es 1976, eine Veröffentlichung eines Branchenblattes, die darauf hingewiesen haben, dass die in der Bundesrepublik verkauften Praktica-Kameras quasi mit dem Blutzoll der DDR-Häftlinge hergestellt worden sind. Und es gab im Westen ein Unternehmen, das hieß Berofelx. Die haben quasi fast alle Kameras aus der DDR, die gesamte Fototechnik, in der Bundesrepublik vertrieben. Die sind angeschrieben worden und wurden darauf hingewiesen, dass eben diese Praktica-Kameras in DDR-Gefängnis hergestellt worden sind, teilweise, die Kameragehäuse. Und diese Firma Beroflex hat nicht etwa empört reagiert oder gesagt, nein, das kann man doch gar nicht machen, das wäre ja unmoralisch. Sondern es gab dann ein Treffen vom einem der Chefs von Beroflex mit Leuten aus der DDR-Fotoindustrie, dem Außenhandelsbetrieb, wo dann überlegt wurde, welche Maßnahmen können wir treffen, damit unser Handeln nicht weiter gefährdet wird? Das heißt, es ging vor allen Dingen darum, weiter diese Produkte verkaufen zu können. Und was auch klar ist, die DDR hat ja immer mitbekommen, dass es in der Bundesrepublik verstärkt Veröffentlichungen gab über die Häftlingsarbeit, was dann dazu führte, dass man sich intern überlegt hat, also auch unter Einbeziehung der Staatssicherheit, wie kann man verschleiern dass die Produkte, die in den Westen verkauft werden, quasi dass daran Häftlinge beteiligt sind. Also mit anderen Worten, man wusste es irgendwann in der Bundesrepublik, es war offenbar, es gab Medienberichte. Wir haben auch gefunden, das Schreiben eines Fotohändlers, der an Beroflex geschrieben hat, dass er diese Produkte nicht mehr guten Gewissens verkaufen kann und den Verkauf von Praktica-Kameras einstellt, weil die unter diesen Bedingungen produziert worden sind. Aber im Großen und Ganzen lief das Geschäft weiter, und auch Otto hat es weiter betrieben. Das zeigen ja eben die Abbildungen in den Katalogen, die Dieter Dombrowski mitgebracht hatte, aus den Jahren 1977/ 78/ 79. Da waren diese Praktica-Kameras abgebildet,

SK

Bevor ich dich noch mal fragen möchte, was denn alles so getan worden ist zur Verschleierung, würde ich gerne noch mal Klaus Schreiner zu Wort kommen lassen. Den hatten wir eingangs schon mal gehört. Der ist ein vom Westen freigekaufter ehemaliger politischer Häftling. Der saß auch im Zuchthaus in Cottbus, genauso wie Dieter Dombrowski. Und auch er hat an diesen Kameragehäusen gearbeitet. Und der hat, so ist die Geschichte im ZDF 1979, in einem Schaufenster in Ravensburg diese Praktica-Kameras aus der DDR entdeckt?

Die Kamera ist deshalb so billig, weil sie von politischen Häftlingen in der DDR in Cottbus hergestellt wird. Die Häftlinge bekommen für diese Arbeit 60 – 80 Mark pro Monat und müssen nach einem Akkordsystem, also einem Produktionssystem westlicher Art, was ja in der DDR verteufelt wird, arbeiten und bei einer Verpflegung, die nicht vorn und nicht hinten reicht.

Klaus Schreiner, ehemaliger polit. DDR_Häftling ZDF | 1979 und FAKT im Ersten, 4.7.2023

SK:

Zwangsarbeit von politischen Häftlinge. Wir hatten übrigens auch mal einen Podcast, da ging es um das ehemalige Frauengefängnis in Hoheneck, wo auch sehr viele Frauen aus politischen Gründen inhaftiert waren und auch die so, wie du es auch beschrieben hast, mussten Bettwäsche nähen und Strümpfe herstellen. Das heißt, das sind politische Häftlinge, das ist DDR-Unrecht, das muss man ganz klar sagen. Die mussten unter fürchterlichen Bedingungen, unter Gefährdung ihrer Gesundheit, Zwang und Drohungen, Produkte oder Teile für Produkte herstellen. Du hast es gerade gesagt in dem Falle von Pentacon gab es da  einen kleinen medialen Aufschrei, und es gab auch so wie du es beschrieben hast Zusammenkünfte, wo man überlegt hatte, was machen wir jetzt damit? Was ist denn dabei rausgekommen? Also was waren denn die Maßnahmen, die die ergriffen haben, um das zu verschleiern?

TF

Man hat sozusagen sich überlegt, und dann gesagt, dass muss man sozusagen  natürlich zurückweisen...

SK

...du hast sehr viele Unterlagen mit gebracht ..

TF

Genau, das ist natürlich alles von der Stasi dokumentiert. Also auch zum Beispiel dieser Bericht im ZDF, in dem Klaus Schreiner sich äußert und den Ton, die wieder eben gehört haben. Da gibt es in den Stasi-Unterlagen eine Abschrift davon. Dass heißt, die Staatssicherheit war natürlich in alles eingeweiht, hat das alles dokumentiert, und hat sich auch überlegt ,wie können wir verhindern, dass unser Geschäft mit der Häftlingsarbeit, in den Westen, dass das gestört wird.  Und es gab dann ein Treffen von der DDR-Firma "Kamerafilm Export Import". Deren Generaldirektor hat sich dann mit dem Chef von Beroflex getroffen, um zu besprechen, wie man damit umgeht und dass man sozusagen, "markt intern" (dort gab es eine Veröffentlichung, Anm. d. Red.)  mit juristischen Schritten droht. Und es wird hier festgehalten, dass man die Werbung für die Praktica-Kameras verbessern wird und dass man ansonsten versuchen will, auf Journalisten einzuwirken, die darüber berichten. So war sozusagen der Mechanismus. Und es gab dann einen späteren weiteren Fall. Da hat auch ein ehemaliger politischer Häftling an eine Foto-Firma in Augsburg geschrieben, sich über die Praktica-Kameras geäußert und den Blutzoll. Das ist dann auch der Stasi zur Kenntnis gelangt. Die haben dann einfach einen Maßnahmeplan gegen diesen ehemaligen politischen Häftlingen in die Wege geleitet. Also mit anderen Worten, man hat immer versucht, das zu verschleiern, damit es kein großes Thema ist, im Westen. Aber ich habe nichts gefunden, dass Firmen aus dem Westen damals in irgendeiner Weise … wenige einzelne haben, dann gesagt okay, dann müssen wir da erst mal davon absehen diese Produkte zu verkaufen. Also es gibt Schreiben von einzelnen Fotohändlern. Und wenn ich richtig informiert bin, hat auch Kaufhof nach dieser Veröffentlichung von "markt intern" davon abgesehen, diese Praktica-Kameras erst mal weiterzuverkaufen. Aber das sind alles Ausnahmefälle. Die meisten Unternehmen in der Bundesrepublik haben weiter damit gehandelt mit diesen Produkten.

SK

Lass uns mal zur Rolle von Otto kommen. Otto ist ein großer Versandhandel. Vor vielen Jahren gab es den berühmten Otto-Katalog. Was gesichert ist, weil das kann man ja sehen in diesen Katalogen, ganz deutlich abgebildet, sind diese Praktica-Kameras. Jetzt hast du bestimmt auch bei Otto nachgefragt. Was haben die gesagt?

TF

Also Otto bestreitet, mit der Zwangsarbeit in der DDR in Verbindung gestanden zu haben. Also ich habe angefragt, und generell hat Otto darauf verwiesen, dass man in nur einem sehr geringen Umfang waren, aus der DDR vertrieben hat. Und man habe sozusagen mit der Häftlingsarbeit, die mit den Praktica-Kameras im Zusammenhang stehen, nichts zu tun. Also mit anderen Worten: Man hat das von sich gewiesen.

SK

Jetzt Könnte man ja sagen konnten die überhaupt wissen, unter welchen Bedingungen die von ihnen gekauft, Produkte hergestellt worden sind?

TF

Ja, da verweist auch Otto darauf. Das "markt intern" war angeblich nur ein kleines Branchenblatt, und die hätte damals niemand zur Kenntnis genommen - oder kaum jemand. Also, das wäre dann so kleinteilig gewesen, damit hatte man nichts zu tun. Ich rufe mal kurz noch mal die Antwort auf, die da gegeben wurde, um das auch korrekt zitieren zu können.

"Die angesprochene `markt intern` Veröffentlichung ist jedenfalls nur im Fotohandel verbreitet worden. Daher ist sie wahrscheinlich bei uns gar nicht wahrgenommen worden.“

Otto Group Schreiben an Tom Fugmann

So argumentiert Otto heute. Tatsache aber ist, dass es eben nicht nur diese "markt intern"-Veröffentlichung gab, die ja immerhin so große Wellen geschlagen hat, dass es sogar Maßnahmenpläne seitens der Staatssicherheit dafür gab. Aber auch eben das ZDF hat darüber berichtet. Es gab im Bundestag Abgeordnete, die darauf verwiesen haben. Es gab, auch das ist mir bekannt, Anfragen zum Beispiel von der Internationalen Gesellschaft für Menschenrechte an Unternehmen, die Produkte aus DDR-Häftlingsarbeit vertrieben haben in der Bundesrepublik. Mit anderen Worten, es gab Presseberichte, es gab schon Medienöffentlichkeit in der Bundesrepublik damals, in der das thematisiert wurde. Und das Otto davon überhaupt nichts zur Kenntnis genommen haben sollte, ist eigentlich schwer vorstellbar. Generell ist ja dieses Thema vor zwei Jahren quasi nochmal auf die Tagesordnung gekommen, weil die UOKG, die Union der Opferverbände kommunistischer Gewaltherrschaft, as ist sozusagen eine Interessensvertretung ehemaliger Häftlinge, die hatten vor zwei Jahren die Idee, ob man denn nicht die Unternehmen, weil sie die Produkte in der Bundesrepublik verkauft haben, ob man die nicht anschreiben könnte und die darum bitten könnte, auf freiwilliger Basis in einen Fonds einzuzahlen, der dann wiederum den Leuten zugute kommt, die heute noch körperliche und psychische Schäden haben. Infolge dieser Zwangsarbeit, wurden im Prinzip von den Leuten von der UKG alle möglichen Unternehmen angeschrieben: Ikea, die Deutsche Bahn, Woolworth, Aldi, Neckermann und eben auch Otto. Es gab da unterschiedliche Reaktionen. Ikea und die Deutsche Bahn haben gesagt, ja, wir könnten uns das vorstellen. Wir wollen aber nicht allein in diesen Fonds einzahlen. Andere wiederum haben sich so ein bisschen wolkig rausgeredet. Otto hat sich damals schon sehr massiv dagegen gewehrt, in einen solchen Zusammenhang gebracht zu werden. Und dann haben die Leute von der UOKG nicht lockergelassen und haben sich überlegt, wie können wir den Zusammenhang doch herstellen? Sie haben zum einen im Stasi-Unterlagen-Archiv geforscht und haben sehr alte Otto-Kataloge aufgetrieben.

SK:

Und in diesen Katalogen sind die Kameras abgebildet – ganz eindeutig. Von OTTO heißt es aber auch ganz klar. Ich zitiere:

Bei den vom damaligen Otto-Versand vertriebenen Praktica-Modellen besteht [...] eine hinreichend große Wahrscheinlichkeit, dass diese gar keine Teile aus Häftlingsarbeit enthielten. Hieran hat sich bis zum heutigen Tage nichts geändert, jede anders lautende Behauptung ist falsch.

Otto Group Schreiben an FAKT (MDR)

Die Möglichkeit, dass die Gehäuse ausschließlich im Stammwerk in Dresden also nicht von Gefängnisinsassen gefertigt wurden besteht durchaus. Allerdings muss man auch sagen. In drsden im Stammwerk gab es 10 solcher Stanzmaschinen – im Zuchthaus in Cottbus 40. Und Evelyn Zupke, die wir ja schon zu Beginn des Podcasts gehört haben, hat Dir im Interview gesagt:

 

Bei der Firma Otto haben wir eine sehr gute Aktenlage. Das kommt halt dadurch, weil mich frühzeitig, seit ich ins Amt gekommen bin ,ehemalige Häftlinge daraufhin angesprochen haben, die im Gefängnis in Cottbus Kameras nicht gefertigt haben, aber wichtige Teile, nämlich Gehäuse, gestanzt und gefeilt haben für die Firma Pentacon, die Praktika-Kameras und die Aktenlage belegt ganz deutlich, dass diese diese Apparate, diese Produkte, diese auch von der Firma Otto vertrieben wurden.

Evelyn Zupke, Bundesbeauftragte für die SED-Opfer FAKT im Ersten, 4.7.2023

SK

Und in dem Gespräch hat Evelyn Zupke, ja auch noch einmal ganz deutlich gemacht, was das für ehemalige Häftlinge wie zum Beispiel Dieter Dombrowski bedeutet, wenn dieses Unrecht nicht anerkannt wird.

Für die Firma Otto mag es nur eine Fußnote in ihrer Firmengeschichte sein. Für die ehemaligen politischen Häftlinge, die dort gearbeitet haben und die einen Aufenthalt im Gefängnis hatten, ist es natürlich eine Weichenstellung gewesen für das gesamte Leben und die gesundheitlichen Schäden, die körperlichen, psychischen Schäden. Damit haben die Menschen bis heute zu kämpfen.

Evelyn Zupke, Bundesbeauftragte für die SED-Opfer FAKT im Ersten, 4.7.2023

SK

Du hattest es gesagt, di UOKG hatte verschiedene Firmen angeschrieben. Was wollen die eigentlich?

TF

Ja, die wollen eben, das es eine Art Fondslösung gibt. Sozusagen ähnlich analog wie für die Zwangsarbeiter im Dritten Reich. Also das Unternehmen die damals davon profitiert haben, haben dann irgendwann, ich glaube, es war in den 90er-Jahren, also auch sehr spät, einen solchen Fonds geschaffen, in den sie eingezahlt haben und der dann den ehemaligen Zwangsarbeitern zugute kommt. Und so ein ähnliches Modell schwebte den Leuten von der UOKG auch vor: Weil viele ehemalige politische Häftlinge, die Zwangsarbeit leisten mussten, zum Beispiel im Chemiedreieck in Bitterfeld, die damals mit Quecksilber hantieren mussten, auch mit wenig Arbeitsschutz. Viele dieser Menschen haben heute körperliche Beschwerden ganz schlimmer Art, die auf die damalige Zeit zurückzuführen ist. Und der Gedanke war eben, mit einem solchen Fonds könnten die vielleicht medizinische Behandlungen in Anspruch nehmen. Kuren oder ähnliches, das war der Gedanke. Deswegen wurden Unternehmen diese Unternehmen angeschrieben.

SK

Wenn man jetzt zum Beispiel Dieter Dombrowski sieht, in deinem Beitrag, der vertritt erstens die Opfer, der ist übergesiedelt in den Westen, der hat sich da ganz offensichtlich ein neues Leben aufgebaut. Der wurde 1994 rehabilitiert, ist CDU-Mitglied, war sogar Landrat, hat 20 Jahre im Landtag als Landtagsabgeordneter in Brandenburg... Aber das ist ja nicht allen damaligen Häftlingen gelungen. Viele haben bleibende Schäden durch diese Haftzeit erlitten. Das muss man einfach noch mal deutlich so sagen, oder?

TF

Dieter Dombrowski ist schon ein Ausnahmefall, der ist eben 1975 freigekauft worden. Hat im Westen nochmal eine Ausbildung gemacht, als Zahntechniker war dann relativ schnell auch in der Politik aktiv. In der CDU hat er sich engagiert, war Landtagsabgeordneter, das heißt, er hat quasi etwas geschafft, was viele oder man kann wirklich sagen, die große Mehrzahl der ehemaligen politischen Häftlinge nicht geschafft haben. Er hat sich wieder eine Existenz aufgebaut. Er ist wieder auf die Beine gekommen. Viele dieser Menschen haben es nicht geschafft, haben psychische Probleme bis heute infolge der krassen Haftzeit, der Zwangsarbeit, haben körperliche Probleme, leiden bis heute unter Retraumatisierungen, und denen sollte eigentlich geholfen werden.

SK

Und wir müssten ja auch noch einmal konstatieren: Wir befinden uns im Jahr 2023, die Mauer ist 1989 gefallen da. Da spielt ja auch so ein bisschen Zeit eine Rolle, dass diese Menschen vielleicht doch mal auf Gerechtigkeit warten. Oder?

TF

Ja, genau. Die warten auf Gerechtigkeit. Und der Punkt ist auch, viele dieser Menschen, die meisten, sind politisch rehabilitiert, wie auch Dieter Dombrowski. Das heißt, Gerichte haben anerkannt, dass sie zu Unrecht eingesperrt waren, dass sie ihre Zeit im Gefängnis, im Jugendwerkhof, zu Unrecht erfolgt ist. Was aber nicht passiert ist, das zum Beispiel Gesundheitsämter anerkennen, dass ihre körperlichen Beschwerden auf die Zeit im Gefängnis oder im Fall der Zwangsarbeit da sind. Das heißt sozusagen, sie haben Probleme, diese ihre körperlichen Beschwerden entsprechend behandeln zu lassen. Viele leiden auch unter psychischen Probleme. Das heißt, da gibt es eine große Zahl von Menschen unter uns, ehemalige politische Häftlinge, denen eben nicht geholfen wurde und auch nicht geholfen wird. Und diese Menschen sind zusehends auch verbittert, und ich glaube, auch für unsere Demokratie ist es nicht gut, diesen Zustand so zu belassen, sondern das wäre eigentlich gut, wenn man sich um diese Menschen, die ja auch ihr Leben oft dafür eingesetzt haben, dass wir heute sozusagen ... dass es die DDR nicht mehr gibt, wenn man diesen Menschen endlich helfen könnte.

SK

Und man kann an dieser Stelle auch wirklich noch einmal an die Unternehmen appellieren, die damals ja, man muss es ja sagen, profitiert haben von den Zuständen in der DDR, und damit auch Geld verdient haben.

TF

Ja, sie haben auf jeden Fall Geld verdient mit diesen Produkten. Es wäre natürlich wirklich gut, wenn es eine gewisse Entschädigungsleistung geben könnte in Form eines Fonds. Zumal viele dieser Unternehmen  Unternehmen sind, die heute florieren.

SK

Tom Fugmann vielen Dank für dieses Gespräch

TF

Bitte sehr

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