Ein Mann trägt ein Kind auf den Schultern und schaut in die Kamera.
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MDR INVESTIGATIV - HINTER DER RECHERCHE (Folge 98) Neue Väter zwischen Wunsch und Wirklichkeit

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23. Februar 2024, 08:00 Uhr

Die Verantwortung im Haushalt und für die Kindererziehung ist noch immer oft ungleich verteilt. Meistens übernimmt die Mutter die Erziehung. Und das, obwohl sich das Rollenverständnis junger Männer zu ändern scheint. Warum ist diese Lücke noch immer so groß?

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Ein Mann trägt ein Kind auf den Schultern und schaut in die Kamera. 22 min
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Esther Stephan (ES): Es gibt diesen kurzen Comic der französischen Zeichnerin Emma. Und die Geschichte, die sie erzählt, die geht so: sie war bei einer Freundin eingeladen. Weil die Freundin noch in der Küche beschäftigt war, hat sich die Hauptfigur zusammen mit dem Vater des Hauses auf die Couch gesetzt und mit ihm gequatscht. Währenddessen kümmert sich die Freundin um das Kind und kocht noch schnell ein Abendessen fertig. Als der Topf überkocht, sagt ihr Mann: „Du hättest doch was sagen können, ich hätte doch geholfen!“ Ich habe durch diesen Comic das erste Mal so richtig verstanden, was Mental Load oder psychische Belastungen eigentlich bedeutet. Der Mann aus dem Comic hätte sich ja auch selbständig um das Kind kümmern können. Es ist ja auch seins. Für den Influencer Sebastian Tigges ist der Fall aber klar:

Zu sagen, man will mehr Vater sein und mehr Zeit mit den Kindern zu investieren und auch haben, dann muss man das halt auch machen. Und das bedeutet eben auch sehr viel Unannehmlichkeit. Also, es ist ja nicht nur Happy Place, und ich spiele zu Hause mit den Kindern, es ist megageil, sondern auch mehr Verantwortung, mehr gedankliche Arbeit, mental load, da überall Verantwortung zu übernehmen und nicht zu sagen: Ich helfe meiner Frau bei der Kindererziehung, und ich helfe meiner Frau im Haushalt und bla bla bla. Sondern: Ich erziehe die Kinder. Ich bin 50 Prozent.

Sebastian Tigges

ES: Das Rollenverständnis junger Männer hat sich in den letzten Jahren stark verändert. Das Elterngeld nutzt aber nicht einmal die Hälfte aller frischgebackenen Väter. 2020 haben rund 43 Prozent Elterngeld bezogen. Warum ist diese Lücke noch immer so groß? Darum geht es heute bei "MDR Investigativ - Hinter der Recherche". Hier sprechen wir mit Journalist*innen über ihre Recherchen, ihre Erlebnisse während der Dreharbeiten und ihre persönlichen Eindrücke. Ich bin Esther Stephan und ich freue mich, dass Sie zuhören. Und heute spreche ich mit Daniel Tautz, der sich für Exactly auf die Suche nach den neuen Vätern begeben hat. Hallo Daniel!

Daniel Tautz (DT): Hallo Esther!

ES: Bist du eigentlich selbst einer dieser neuen Väter?

DT: Die kurze Antwort wäre wahrscheinlich ja. Also zumindest weil ich selbst seit knapp zwei Jahren ein Kind habe und mich dementsprechend im dem Kosmos bewege, mir diese Fragen stelle und auch von ich sage mal der Haltung her als neuer Vater zu bezeichnen wäre. Je länger ich aber irgendwie da in der Recherche war und an dem Film gearbeitet habe, umso kritischer sehe ich auch den Begriff neue Väter. Zum einen, weil er irgendwie ein bisschen falsche Erwartung schürt. Nach dem Motto: neue Väter, jetzt ist alles neu, jetzt ist alles schick und alles anders und vielleicht auch unsere Generation so ein bisschen hochjazzt.

Und vielmehr glaube ich auch, dass eigentlich, die Väter immer die neuen Väter waren. Also wenn du mal schaust, dass ich ein ganz anderer Vater bin und auch sein kann als mein Vater wiederum. Und auch mein Vater und dessen Generation war ja schon ganz anders als die von meinem Großvater, wo es für die Männer ja teilweise fast verpönt war, den Kinderwagen zu schieben. Also von daher gab's irgendwie schon immer die neuen Väter. Und wir sind, glaube ich, noch nicht, die Spitze des Eisbergs.

ES: Aber lass uns nochmal auf die jetzige Generation der Väter schauen: Woran erkenn ich die eigentlich? Was machen die anders, als ihre Eltern?

DT: Na, ich glaube, also wenn du dieses Klischeebild, dass - ich meine, man hört es ja oft in den Medien oder im Internet, die "neuen Väter"- und dann sieht man irgendwie einen Vater vor sich mit Tragetuch am Spielplatz und so. Wenn wir mal versuchen, das Klischee so ein bisschen zu durchsteigen und ein bisschen uns das genauer anzugucken, geht es glaub ich viel mehr darum, dass die Väter von heute durchaus mehr Nähe zu den Kindern haben oder haben wollen. Und dass es auf jeden Fall gebräuchlicher ist, über Gefühle zu reden. So war auch mein Eindruck und auch beim Film, alle Väter, mit denen ich geredet habe, da spielte das schon eine größere Rolle, als wiederum bei deren Vätern. Und ich glaube, da ist so ein bisschen dieses Bild vom starken Papa so ein bisschen ins Bröckeln gekommen. Und ich glaube, es gibt heute auch mehr Väter, die generell diese Vaterrolle überhaupt hinterfragen oder sich generell damit beschäftigen, was das ist. Allerdings wird das auch immer noch, glaube ich, oft durch die Frauen angeregt, schon daher so eine Mission an die neuen neuen Väter wäre, da vielleicht auch ein bisschen mehr Eigeninitiative. Aber wie viele das sind ist natürlich auch schwer zu sagen. Also die Zahlen gehen natürlich hoch, du hast es ja gerade erwähnt, 43 Prozent nehmen jetzt  Elterngeld, das ist doppelt so viel wie vor zehn, zwölf, 13, 14 Jahren noch. Aber es ist halt immer noch nicht mal die Hälfte. Und ich glaube, das macht ziemlich deutlich, dass da noch ganz viel Luft nach oben ist, bei den neuen Vätern von heute.

ES: Wir hatten da im Vorgespräch so ein bisschen Verständigungsschwierigkeiten. Weil ich nämlich keine Kinder habe. Kannst du nochmal erklären: Elternzeit, Elterngeld: Was ist das eigentlich?

DT: Also generell möchte dir der Staat mit Elterngeld und Elternzeit ermöglichen, dass du dich um dein Kind kümmern kannst. Und dir damit sozusagen auch eine Zeit ermöglichst, in der du halt nicht arbeiten musst. Es gibt aber noch mal den Unterschied zwischen Elternzeit und Elterngeld. Also Elternzeit heißt einfach, das kannst du auch nehmen, wenn ein Kind noch vier, fünf Jahre alt ist. Das heißt einfach, dass dein Arbeitgeber dich für diese Zeit freistellen muss und du sozusagen die Zeit mit deinem Kind verbringen kannst. Heißt aber nicht, dass du da Geld bekommst. Das gibt's nur beim Elterngeld. Und das Elterngeld, zumindest das Basiselterngeld, darauf hast du nur Anspruch in den ersten 14 Monaten nach Geburt des Kindes. Also wenn das Kind so gut eins geworden ist. Und das Elterngeld kannst du dir mit deiner Partnerin oder mit deinem Partner frei einteilen. Das heißt, du kannst sagen, wir machen halb-halb. Oder du kannst auch sagen, wie es tatsächlich die meisten machen, die Elterngeld nehmen: Der Mann nimmt die klassischen zwei Monate, die gibt es nämlich als Bonus, wenn beide was nehmen, und die Frauen nimmt dann häufig die zwölf. So ist tatsächlich würde ich sagen leider noch der Regelfall. Und während dieser Elterngeldzeit bekommst du dann ungefähr zwei Drittel seines Nettoeinkommens weiterbezahlt.

ES: Diese zwei Monate: Weißt du, warum das immer noch so wenig Väter sich diese Zeit nehmen?

DT: Du meinst, warum sie nur zwei Monate nehmen?

ES: Genau ja.

DT: Genau, also zwei Monate musst du nehmen, damit du sozusagen diese Bonusmonate kriegst, diese ominösen zwei Partner-Bonusmonate.

ES: Aber sie könnten ja auch mehr nehmen, oder?

DT:  Sie könnten auch mehr nehmen. Und das ist, glaube ich, das ist der spannende Punkt ich habe mir auch viele Umfragen, Studien dazu angeguckt. Und wenn du mal schaust, warum sich Väter gegen Elternzeit oder gegen mehr Elternzeit entscheiden, dann sagt eigentlich mehr als die Hälfte, 53 Prozent sind das: ja wegen des geringeren Einkommens. Dann 38 Prozent, also ein bisschen mehr als jeder dritte sagt: weil ich berufliche Nachteile fürchte. Weil ich vielleicht Schiss davor habe, meinen Posten zu verlieren oder auf Arbeit hinterherzuhinken. Und jeder dritte gibt an, dass sich vor allem die Mutter um das Kind kümmern wollte. Also dass die Mama proaktiv gesagt hat: Nö, ich will mit dem Kind zuhause bleiben und für den Vater quasi gar nicht mehr Elternzeit da war, als vielleicht die zwei Monate. Oder tatsächlich gar keine Elternzeit übrig war. Das sind so die, ich sage mal die reinen Zahlen. Aber da muss man natürlich auch noch mal genauer hinterfragen: kann man sich es wirklich nicht leisten? Oder will man sich es vielleicht auch nicht leisten, das überhaupt in Frage zu stellen, ob man auch mal ein paar Monate mit ein bisschen weniger Geld auskommt?

ES: Du hast ja selber auch nochmal eine Umfrage gemacht. Was ist da denn rausgekommen?

DT: Genau, das ist megaspannend gewesen. Also die Erwartungshaltung war natürlich: klar, so schön, wie es auf dem Papier klingt und man ist rechtlich mit dem Elterngeld wunderbar abgesichert, weil es sollen keine beruflichen Nachteile entstehen. Und man hat einen relativ hohen Kündigungsschutz und so. Und bei den meisten großen Betrieben ist es tatsächlich auch nicht so das große Problem. Die kriegen dann auch so eine Elternzeit gut weggepuffert. Aber tatsächlich, es gibt so viele Schlupflöcher und auch viele Geschichten, die ich gehört habe, wo das durch Hintertüren oder über Umwege irgendwie ausgehebelt wird. Gerade bei kleinen Betrieben. Lass es einen kleinen Handwerksbetrieb sein, wo es eben krass ist, wenn von drei Leuten nur noch zwei da sind. Und das Problem dann auch sozusagen bei den anderen hängenbleibt. Da erleben auch die Väter teilweise richtig blöde Sachen. Und wir haben über MDR fragt zum Beispiel so ein Aufruf gemacht, und wir haben auch auf Insta, auf Facebook gefragt, dass sich Väter melden können und melden sollen, wenn sie so etwas erlebt haben. Da war wirklich alles dabei. Also von Leuten, die zu Unrecht als Teamleiter herabgestuft wurden, bis hin zu Leuten, die gekündigt wurden. Das waren schon ganz schön krasse Geschichten. Und das setzt natürlich auch keine weiteren Anreize, sich als Vater der aktiv einzubringen.

ES: Wir haben jetzt schon so ein bisschen drüber gesprochen, was so die Werte dieser neuen Väter sind. Also, die verstehen sich vielleicht auch irgendwo als Feministen, die wollen Anteil an der Familie haben. Die wollen natürlich auch einen Anteil daran haben zu sehen, wie das Kind aufwächst. Aber gab es auch Väter, die dir vielleicht zurückgemeldet haben, dass sie so dieses neue Rollenverständnis überhaupt nicht nachvollziehen können?

DT: Ich muss sagen, bei den Dreharbeiten zum Film selbst weniger. Obwohl da auch eine relativ, ich sage mal große Spanne an Vätern dabei war. Aber ich war sehr überrascht, wie viele Kommentare dann gerade nach der YouTube-Veröffentlichungen, da kann man es ja wunderbar mit sehen, in welche Richtung so die Diskussionen gehen. Da war ich schon überrascht, wie viele das noch so sehen und wie viele auch ganz klar sagen: Bei uns ist die Frau für die Kids verantwortlich. Das hat die Natur so vorgesehen. Und das war auch so ein Punkt, wo ich es auch interessant finde, weil die Bindungsforschung eigentlich was ganz anderes sagt. Und alle aktuellen Studien zum Thema zeigen auf, dass bis auf das Stillen der Mann, der Vater auch alles leisten kann und dass es im Gegenzug sogar megawichtig ist. Also auch vor allem für die Vater-Kind-Bindung, gerade in den ersten Jahren. Wenn du dich da aktiv einbringst und wenn du eben da bist für das Kind. Also zum einen dafür, das ist, glaube ich, auf der einen Seite, der Hintergrund, warum das so wichtig ist. Es ist aber glaube ich auch wichtig, um einfach um Verständnis zu haben, was die Partnerin in dem Falle auch einfach liefert und leistet. Wenn du das nie gemacht hast, dann hast du da ja auch kein Einblick rein, was da alles dranhängt an so einem Alltag mit Kind zuhause. Und da war ich schon überrascht, wie viele schon noch so klassische alte Rollenbilder haben und die auch zurecht zu sehen.

ES: Du hast unter anderem in einer Kurklinik gedreht, in der Vater-Kind-Kuren angeboten werden. Das habe ich noch nie gehört, das ist ein ziemlich seltenes Angebot, oder?

DT: Ja, also ehrlich gesagt, der Begriff, den hatte ich auch nur ein, zwei Mal vorher auftauchen hören. Dabei gibt es eigentlich schon eine ganze Weile. Und mittlerweile auch gar nicht mehr so selten. Aber es ist in der Öffentlichkeit irgendwie noch nicht so krass angekommen, so das Vater-Kind-Kuren einfach ein Ding sind, das auch Väter machen können und machen sollten. Man hat noch so diesen Begriff Mutter-Kind-Kuren im Kopf. Genau, in der Klinik, wo ich war, da macht das jetzt ungefähr ein Drittel aus. Also ein Drittel der Leute, die hingehen, sind Väter. Und Zweidrittel Mütter. Das heißt, er hat sich das Verhältnis schon halbwegs angenähert. Aber es ist schon noch auf jeden Fall eine seltenere Geschichte.

ES: Und wie war das da? Was hast du da so erlebt?

DT:  Ich bin angereist, ohne zu wissen, wen ich da treffe. Weil natürlich die Väter sind nur drei Wochen auf so einer Kur. Und deswegen war das so eine kleine Blackbox. Und ich war dann selbst überrascht, wie viele sich dann mir doch geöffnet haben, so spontan, wenn da mal eben die Kamera kommt. Weil die Väter kommen natürlich auch mit Struggles dahin. Die kommen, weil sie vielleicht überlastet sind mit der Doppelbelastung Job, Kind. Weil sie eine Trennung hinter sich haben. Oder, was ich auch überraschend fand, da waren viele Väter, die trauernde Väter waren. Das heißt, die ihre Frau verloren hatten. Und es war am Anfang natürlich auch so eine gewisse Skepsis noch da, oder eine Hemmschwelle, auch mit mir zu reden. Aber über den Tag, ich habe da quasi so einen Kurtag mitgemacht. Wir haben so eine Achtsamkeitsübungen im Wald zusammen gemacht, und da hat sich so ein bisschen Vertrauen aufgebaut. Und gerade zwei dieser trauernden Väter, die jetzt eben von der geteilten Partnerschafft und Elternschaft jetzt auf einmal alleinerziehend waren, haben Sie sich dann auch geöffnet. Und das war ein sehr bewegendes Gespräch, muss ich sagen, weil man auch selbst als Vater, dann sofort zu sich die Brücke schlägt und denkt: krass, wenn das bei uns so wäre. Und da hatte ich großen Respekt, auch dass sie sich so geöffnet haben und mir einen kleinen Einblick in diese doch echt krasse Lebenssituation gegeben haben.

ES:  Das ging mir beim Zuschauern auch so. Ich fand es wirklich sehr beeindruckend und berührend auch. Und ich habe aber auch so diesen Gedanken gehabt, dass gerade Matthias und Martins – das sind diese beiden trauernden Väter, die man im Film sieht - dass die ja sozusagen neue Väter wider Willen geworden sind.

Matthias: Man versucht einfach nur alles fürs Kind dann irgendwie gerecht zu machen. Und selber hat man eigentlich keine Zeit mehr, um das für sich überhaupt auch mal aufzuarbeiten, was passiert ist und was man erlebt hat.
DT: Und was hat das mit eurer Vaterrolle gemacht? Von einer geteilten Elternschaft und auf einmal alleine zu sein?
Martin: Ich glaube, eine Mutter ist nicht zu ersetzen in dem Sinne, weil die einfach für Kinder anders da ist wie ein Vater. Warum jetzt genau, weiß ich nicht, kann ich nicht erklären.

ES: Meinst du, das macht einen Unterschied, ob man sich diese, ja auch aktivere Rolle als Vater auch aussucht?

DT: Ja also ich glaube, wenn du jetzt Bodo und auch Matthias oder Martin fragen würdest, ob sie sich als neue Väter bezeichnen würden, die würden dir wahrscheinlich gar nicht Ja sagen, weil sie nicht zu diesem ich sag mal Klischeebild in der Öffentlichkeit entsprechend. Aber ich glaube den großen Unterschied macht es nicht, weil schlussendlich sind sie jetzt einen Punkt, wo sie sich mit ihrer Vaterrolle auseinandersetzen und auseinandersetzen müssen. Und das am Ende glaube ich, dem Kind und dem Wohle des Kindes immer nur zugute kommen kann, wenn man sich damit beschäftigt. Also mal ganz abgesehen davon ist ihre Situation natürlich mega hart und tough für das Kind ist und die ganze Familienlager.

ES: Eine ganz andere, sehr spannende Situation fand ich, war mit dem Influencer Sebastian Tigges, mit dem hast du gesprochen. Und Sebastian arbeitet ja online viel zu Rollenbildern. Und hat in diesem Zuge einen Podcast mit seinem Vater zusammen aufgenommen, in dem es auch darum gehen sollte, dass sein Vater ihm noch nie gesagt hat, dass er ihn liebt. Lass uns da nochmal eben kurz reinhören.

Sebastian: Du bist quasi die einzige Person auf der Welt, die ich liebe, der ich das aber nicht sage. Warum nicht?
Sebastians Vater: Also natürlich liebe ich dich. Also ich glaube, wenn ich dir das so sagen würde, dann käme ich mir immer noch ein bisschen komisch vor. Weil ich kann’s nicht anders erklären, also dieser Satz gehört halt in eine Liebesbeziehung von Partner zu Partnerin

ES: Als du das mitbekommen hast, dass Sebastian das noch nie von seinem Vater gehört hat, wie war das für dich?

DT: Also ich fand es natürlich krass, wie intim und wie persönlich dieses Gespräch war. Und ich stand ja quasi daneben. Und wie man da so reingeworfen wird in so ein Gespräch, das ja so tief ist, wie ich das mit meinem Vater, glaube ich auch noch nie geführt habe. Und also das fand ich im ersten Moment auf jeden Fall erstmal beeindruckend. Im Nachhinein und im Feedback zum Film habe ich auch oft gehört - also das ist glaube ich auch einfach eine Person, die die Reibung erzeugt, der Sebastian Tigges - wo auch viele gesagt haben: ja, was tritt er das alles in der Öffentlichkeit so breit? Und was geht denn das die Leute an? Aber ehrlich gesagt finde ich es sehr respektabel, vor allem, wenn man so ein bisschen seine Motivation dahinter versteht und sich anschaut. Weil er letztendlich dazu animieren will: Ey Leute, ey Väter, ey Männer redet über eure Gefühle, redet auch mit euren Vätern, redet über eure Rolle, hinterfragt die. Weil das einmal gut ist für eure eigene mentale Gesundheit und aber auch eurer Vaterrolle nur guttun kann. Und wenn man das im Kopf hat, finde ich es wirklich auch mutig, sich in die Öffentlichkeit mit so persönlichen Themen zu begeben. Und auch weil es zeigt, das war für den Film ja auch interessant, der ja sonst vor allem auf die ersten Jahre schaut, weil es zeigt, dass die Vaterrolle halt niemals endet. Sondern auch, wenn das Kind zehn oder 20 oder 30 oder 40 ist, dann entwickelt sich die Vaterrolle immer noch und es ist immer noch ein stetiger Prozess.

ES: Aber meinst du, es gehört dazu, ein neuer Vater zu sein, sich auch mit dem eigenen Vater und dessen Rollenverständnis auseinanderzusetzen?

DT: Ich glaube, da führt kein Weg dran vorbei. Also ich glaube generell bei allem, was man - ich merke, das selber so bei mir im Alltag. Wenn man auf einmal, sobald man selbst ein Kind hat, fängt man an, Dinge zu sagen, wo man seinen eigenen Vater total aus sich rausreden hört. Also sei es irgendeine Formulierung, das finde ich schon spannend. Und dann merkt man natürlich, wir sind ja total geprägt davon, wie unsere Eltern uns erzogen haben oder wie unsere Eltern mit uns umgegangen sind. Und das heißt ja nicht, dass das alles schlecht war. Aber trotzdem muss man das immer reflektieren und gucken, was ich vielleicht auch anders machen. Wo will ich ein bisschen ein anderer Vater sein, als es mein Papa bei mir war. Und ich glaube, von daher geht es gar nicht ohne den Blick zurück.

ES: Du konntest auch bei Gina, Steve und dem kleinen Luca wirklich richtig nah dabei sein. Einmal hast du sie kurz vor der Geburt besucht, und danach nochmal nach drei Monaten. Wie war das so? Wie hast du diese Familie erlebt?

DT: Also es hat mich auf jeden Fall total in den Moment zurückgeholt, wie es bei uns selbst vor der Geburt war. Weil du vergisst das irgendwie. Also wenn das Kind dann einmal da ist, kann man irgendwie sich nicht mehr so groß daran erinnern, wie war das noch mal kurz vor der Geburt? Und andererseits und das fand ich total krass, ahnst du vor der Geburt überhaupt nicht, wie es ist, wenn das Kind dann da ist und so einen Moment kommt einfach nie wieder, wo so ein Riesenumbruch bevorsteht und man so planlos und ahnungslos ist. Und das noch mal so nah, bei Steve und Gina mit beobachten zu können, so ganz kurz, ich war ja zwei Wochen vor der Geburt bei denen, das hat total viele dieser aufregenden Ungewissheitsgefühle wieder hochgeholt. Und dann war ich ja drei Monate nach der Geburt da. Und habe ,das kann ich schon mal spoilern, einen auf jeden Fall ja eher schwierigen Moment miterlebt. Wo ich dann auch gemerkt habe, ich als Reporter bin hier gerade irgendwie unangenehm und ein bisschen im Wege. Die hatten beide eine kurze Nacht. Es war es schwierig mit dem Schlaf, die waren übermüdet, Steve war wieder arbeiten und hatte ganz schön Stress auch auf Arbeit. Und am Ende haben wir den Dreh dann auch abgebrochen, weil das irgendwie…  Es hat gezeigt, wie nah die Realität, also auch so harte, anstrengende Momente, aber auch schöne Momente irgendwie zusammenliegen. Und das war schlussendlich auf jeden Fall ein sehr realistisches Bild, das wir der zeigen konnten. Auch es natürlich …du stehst dann da mit dem Kamerateam in der Wohnung, und merkst, es ist gerade alles zu viel: Das Kind trinkt nicht richtig und so, da bin ich den beiden auch noch mal sehr, sehr, sehr dankbar, dass wir dabei sein durften, das zeigen durften und uns dann auch zurückgezogen haben. Aber so ist es halt. Und das kennt, glaube ich jeder, der selbst ein Kind hat, weiß, wie nah das zusammenlegt und wie tough die Zeiten dann noch sein können.

ES: Mir ist noch aufgefallen, dass die einzige Mutter, mit der du sprichst, eigentlich Gina ist. War das eine bewusste Entscheidung?

DT: Also es war schon der Plan, die Väter bewusst in den Fokus zu nehmen. Also auch mit der Innensicht: Wie blicken Väter auf sich selbst und vor allem auch unterschiedliche Väter mit unterschiedlichen Ansichten zum Thema Elternschaft. Ich war dann aber auch sehr dankbar für Ginas stichelnde Art. Also sie hat dann ja durchaus auch kritische Punkte aufgebracht. Ich hatte tatsächlich noch mehr Frauen auch angefragt. Zum Beispiel auch die Frau von Sebastian Tigges hätte ich gern dabei gehabt. Auch, weil weil sie ja auch selbst viel offen über ihre Partnerschaft reden, weil die Vaterrolle kannst du natürlich nicht sehen, ohne die Mutterrolle. Andererseits ist dann so eine halbe Stunde auch relativ schnell voll. Und ich glaube, die Luft nach oben und die Kritik, die man einfach an den Vätern von heute üben kann und üben muss, ist auch transportiert worden durch die verschiedenen Zahlen, Statistiken, Studien, die dann ja einfach zeigen, dass der große Teil eben immer noch bei den Müttern liegt. Und genau deswegen fand ich es dann okay, dass einfach die Väter selbst das erzählt haben und das Ganze eingeordnet wurde, zum Beispiel durch Gina oder zum Beispiel durch die Zahlen und Studien und Statistiken, die es gibt.

ES: Was wären denn da so Ansätze, wenn es eben diese Luft nach oben noch gibt, um Elternschaft gleichberechtigter zu gestalten in Zukunft?

DT: Also ich würde mal sagen das konkreteste und das am einfachsten zu steuernde ist das Elterngeld, würde ich sagen. Wenn du dir mal anschaust, das ist vor gut 15 Jahren eingeführt worden und seitdem aber nicht erhöht worden ist. Also der Prozentsatz richtet sich nach dem aktuellen Einkommen. Aber der Mindest- und Höchstbetrag wurde zum Beispiel nicht erhöht. Also wenn du mal schaust, das Mindeste sind 300 Euro, wovon du dir quasi keinen Alltag so richtig ermöglichen kannst. Das höchste sind 1800, wo auch wiederum viele sagen: Wenn du einen Kredit abzubezahlen hast oder irgendwie deine laufenden Kosten hast, dann kannst du dich nicht viel rausnehmen. Und ich glaube, das ist, was ganz konkret ist, wo man sagen kann: Viele sagen eben wegen des Geldes mache ich das nicht oder mache ich wenig, ist das ein konkreter Punkt, wo man sagen könnte: da kann man ran. Und da kann man mehr ermöglichen. Das Ding ist aber auch, und ich glaube, das ist der zweite Punkt ist, dass man Väter auch dazu bringen muss, mal alleine zuhause zu sein. Also die Elternzeit nicht nur zusammen irgendwie schön im Urlaub zu verbringen, sondern, dass man auch mal den Stress und Struggle mit dem Kind allein zu Hause hat. Um auch einfach zu checken, was da alles dranhängt für, in dem Falle häufig die Frau. Also wenn du dich nie darum gekümmert hast, Klamotten auf Kleinanzeigen zu kaufen oder irgendwie wieder zu verkaufen. Wenn du dich mit dem Thema Kinderernährung, welche Nährstoffe braucht man ein Kind und so, wenn du dich da nicht mit beschäftigt hast, dann sagt es irgendwie leicht: ja mal eben was zu Essen kochen, mal eben Klamotten kaufen. Aber ich glaube, ein wichtiger Appell wäre, dass Väter das eben auch mal allein durchmachen sollten. Zumindest um das Verständnis zu haben, was an so manchmal scheinbar kleinen Alltagsaufgaben dranhängt. Genau und eine Möglichkeit könnte eben das Elterngeld sein.

ES: Sind diese letzteren Punkte, die man ja durchaus auch selbst in der Hand hat, sind das so Punkte, die du auch mitnimmst aus der Recherche für auch deine eigene Vaterschaft?

DT: Ja, auf jeden Fall!. Also ich glaube man darf sich da auch nicht ausruhen. Und manchmal verfällt man so kurz in diesen Modus und muss sich dann auch wieder raus rütteln aus dem. Ne, auch bei uns ist es natürlich noch nicht alles fifty-fifty und fair. Und natürlich wird es nie alles fifty-fifty sein, weil das geht halt nicht. Es schleichen sich immer so Routinen ein. Und der eine übernimmt mehr Verantwortung dafür und der andere mehr Verantwortung dafür. Aber ich glaube, diese Automatismen dann auch immer mal wieder aufzubrechen und sich eigeninitiativ auch immer wieder zu sagen: hey, ich kümmere mich eben sonst vielleicht nicht so viel um das Klamotten-Thema. Dann mache ich das jetzt bewusst mal und fordere das auch ein bisschen ein, das ist glaube ich ein wichtiger Schritt, den ich auch für mich so mitnehmen werde. Und das andere ist, glaube ich, dass die Vaterschaft, wie gesagt, immer so ein immer wieder immer weiter sich verändernder Prozess ist. Und ich hoffe, dass mein Kind dann wiederum noch mal ein ganz anderer Vater wird, als ich das heute bin. Und das ist auch gut so.

ES: Daniel Tautz, danke dir für deine Zeit und auch für deine Ehrlichkeit!

DT: Ja, danke liebe Esther!

ES: Das war der Podcast "MDR Investigativ – Hinter der Recherche". Den Film über die neuen Väter, den finden Sie unter anderem in der ARD Mediathek in der Sendung Exactly.
In zwei Wochen hören Sie dann an dieser Stelle wieder meine Kollegin Secilia Kloppmann.
Und am Ende dieser Folge habe ich noch einen Podcast-Tipp!

Jede Familie hat Geheimnisse. Manchmal sind es nur kleine Verschwiegenheiten, manchmal aber auch große Lebenslügen. Im neuen Podcast "Familiengeheimnisse – Sag mir, wer ich bin" werden die ganz großen Geschichten erzählt – von Menschen, die über Jahre gelogen haben oder belogen wurden. Es geht um geheime Parallelleben, das Verschweigen von Herkunft und Identität, um verschollene Väter und nicht selten auch um Gewaltverbrechen. "Familiengeheimnisse – Sag mir, wer ich bin" erscheint mit zwei Folgen am 27. Februar, die anderen acht Folgen kommen dann im Wochentakt exklusiv in die ARD Audiothek.

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MDR INVESTIGATIV - Hinter der Recherche

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