MDR INVESTIGATIV - HINTER DER RECHERCHE Muslimischer Antisemitismus: woher kommt der Judenhass?

Audiotranskription

08. März 2024, 09:01 Uhr

Wenn sie da mehrere Muslime haben, die dann T'schuldigung Scheißjude sagen und ein Muslim das nicht sagt, dann hat er ein Problem.

Omar MDR exakt, 6.3.2024

Wenn Sie nach Jordanien gehen und sagen, Sie sind Deutscher, dann werden, wie wahrscheinlich angesprochen auf Hitler und wie toll der Mann war.

Ahmad Mansour MDR exakt, 6.3.2024

Hat sich Ihr Blick auf Israel noch einmal gewandelt? Hier in Deutschland? Nein.

Reporter im Gespräch MDR exakt, 6.3.2024

Antisemitismus hat viele Formen: Antisemitismus von links, Judenhass von rechts, bürgerliche antisemitische Ressentiments, Israelhass unter Kulturschaffenden und muslimischen Antisemitismus. Um diesen soll es in dieser Podcast-Folge gehen. Eine Studie aus dem Jahr 2020 zeigt: In Deutschland teilen 40,5 Prozent aller Muslime israelbezogene antisemitische Einstellungen. Dass es im Ernstfall nicht bei Worten bleibt, zeigt unter anderem das Beispiel des Berliner Studenten Lahav Shapira. Shapira ist Jude und hat sich pro-Israel positioniert. Er ist gezielt verfolgt und schwerst zusammengeschlagen worden - von einem pro-palästinensischen arabischstämmigen deutschen Mitstudenten.

Sie hören "MDR INVESTIGATIV - Hinter der Recherche". Jeden zweiten Freitag mit einer neuen Folge in der ARD Audiothek und da, wo sie uns gerade hören. Hier sprechen wir mit Journalistinnen und Journalisten über ihre Recherchen und darüber, welche persönlichen Eindrücke sie dabei gesammelt haben. Und was passierte, als die Kamera aus war. Ich bin Secilia Kloppmann und zu Gast sind diesmal Albrecht Radon und Ben Arnold

SK (Secilia Kloppmann)

Bevor wir anfangen. Ich würde eigentlich ganz gern noch einmal klarstellen. Es soll in diesem Podcast nicht explizit um den Nahost-Konflikt gehen ...

AR (Albrecht Radon)

.. den man aber nicht ganz ausblenden kann bei dem Thema...

SK

.. aber ihr ward vor allen Dingen hier unterwegs. Ihr seid für eure Reportage, für das MDR Nachrichtenmagazin Exakt - die kann man sehen, in der ARD Mediathek - vor der Moschee in Halle gewesen.

AR

Genau

Antisemitismus unter Muslimen - meiner Meinung nach und auch nach Meinung mehrerer Experten - hat man da in Deutschland nicht so gerne drüber gesprochen. Bei entsprechender Kritik kam da auch schnell der Vorwurf der Hetze gegen Migranten, Rassismus. Es gibt allerdings zunehmend in den letzten Jahren auch Diskussionen, inwieweit Antisemitismus unter Muslimen beziehungsweise Menschen aus der arabischen Welt stärker verbreitet ist als im Durchschnitt der Bevölkerung. Solche Diskussionen flammen meistens dann auf wenn es Vorfälle gab, tätliche Angriffe, wie zum Beispiel den eingangs erwähnten Überfall auf Lahav Shapira. Dann fällt mir noch ein, 2022 ist der Brandenburger Landesrabbiner in Berlin angegriffen worden, weil er als Jude zu erkennen war. Im Sommer ein 19-jähriger Israeli in Berlin-Kreuzberg, weil er eine Kippa trug. Der ist zusammengeschlagen worden von drei arabischen Männern. Dann kam der siebente Oktober, der Überfall der Hamas auf Israel, und in Neukölln gab es für mich verstörende Bilder von Freudenfeiern und seit dem darauffolgenden Krieg in Gaza haben offenbar antisemitische Parolen eben auch - nicht nur – muss man sagen, in der arabischen Community Hochkonjunktur. Ihr habt einen eine Reportage gemacht für MDR investigativ zu diesem Thema. Seit wann ist denn Euch persönlich klar geworden, man muss über dieses Thema sprechen?

BA (Ben Arnold)

Arabische Demonstranten fordern Freiheit für Palästina
Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

Also ich würde gerne noch einmal auf ein paar Dinge eingehen, die du gerade gesagt hast. Wir schauen ja immer auch sehr tagesaktuell, was passiert gerade? Was ist gerade los? Welche Konflikte sind gerade virulent in der Gesellschaft? Und mit dem 7. Oktober hat man natürlich gesehen, das antiisraelische und eben auch antisemitische Statements von Teilen einer muslimisch geprägten Bevölkerungsgruppe zunehmend ausgesprochen wurden. Und da das eben in diesem Kontext 7. Oktober geschehen ist, kann man natürlich das auch nicht ganz loslösen von dem Nahost-Konflikt. Allerdings wird es ja nur ausgesprochen oder geht sogar in Taten über, weil diese Einstellungen vorhanden sind. Und das Problem an den Medien ist ja eigentlich, dass sie immer nur hinschauen, wenn es irgendwo brennt. Sonst interessieren sie sich eigentlich nicht dafür so. Das Feuer muss groß sein. Dann rennen alle hin und schauen alle drauf und ziehen dann am nächsten Tag auch gleich weiter. Deswegen war eigentlich unsere Intention, mit diesem Beitrag auch ja erst mal einen Gang zurückzuschalten, nicht auf diesen tagesaktuellen Zug aufzuspringen, sondern wirklich tiefer zu schauen. Was ist denn da dran? Wie verbreitet ist denn das? Wie können wir über muslimischen Antisemitismus sprechen? Sprechen über den muslimischen Antisemitismus ist aus verschiedenen Gründen gar nicht so leicht, weil zum Beispiel diese Kategorie überhaupt nicht stimmt. Also wir können ja nicht sagen, "die Muslime“. Ist das jemand, der vielleicht in Syrien aufgewachsen ist, vor zwei Jahren hierher gekommen ist und seine gesamte Prägung hier auch erst einmal mitbringt? Oder jemand, der Muslim ist, aber in der zweiten Generation in Deutschland lebt, hier gut integriert ist und die Werte auch respektiert. Deswegen ist so eine Kategorisierung auch erstmal schwierig. Und ich glaube aus genau diesem Grund kommt dann auch so schnell vielleicht einen Vorwurf. Nur wenn jemand ungenau kategorisiert, ungenau sprachlich auch bezeichnet, weil man schon eine gewisse Sensibilität braucht, klarzumachen, über was man jetzt eigentlich redet.

AR

Es ist genauso, wie Ben das gesagt hat. Also unser Ansatz war gewesen, nicht oberflächlich auf dieses Thema zu schauen, tagesaktuell draufzuschauen, sondern mit den Leuten ins Gespräch zu kommen. Und ich glaube, was man auch nicht ganz verschweigen darf, ist, dass unser syrischer Kollege, der heute leider nicht mit dabei sein kann, auch einen entscheidenden Anteil daran hat, dass wir überhaupt mit den Leuten erst mal ins Gespräch gekommen sind, weil es extrem schwierig war, die Leute vor die Kamera zu bekommen oder die Leute davon zu überzeugen, mit uns zu reden. Das ist das eine. Das ist also auch ihm sehr schwer gefallen. Und das andere ist seine persönliche Geschichte, die wir gehört haben. Und da muss ich auch ganz ehrlich sagen, haben wir beide extrem geschluckt. Als er uns erzählt hat, wie er in Syrien aufgewachsen ist, mit welchem Israel-Bild er dort aufgewachsen ist, dass er sozusagen schon in der Schule mit diesem Israel-Bild konfrontiert wurde. Also Israel ist der Feind Nummer eins, und das fanden wir halt sehr bewegend. Und da war uns eigentlich klar gewesen, dass wir mit den Leuten wirklich ins Gespräch kommen wollen und müssen. Und unser Ziel war auch gewesen, genau mit solchen Protagonisten. Also Leute, die mit so einem Israel-Bild aufgewachsen sind, dass wir versuchen, mit diesen Leuten ins Gespräch zu kommen.

SK

Ich finde, das ist ja auch eine große Stärke eures Beitrags, dass Ihr das geschafft habt mit Leuten ins Gespräch zu kommen. Ihr ward unter anderem in Halle bei der Moschee. Wir hören auch gleich noch mal rein, in einige von den Statements. Aber zuerst einmal die Frage: Wie war denn da die Situation vor Ort? Als Ihr da mit der Kamera da gewesen seid und gesagt habt, lasst uns doch mal über Antisemitismus sprechen?

AR

Ich hatte anfangs schon gesagt, das war extrem schwierig, mit den Leuten ins Gespräch zu kommen. Und letzten Endes war dann nur einer bereit gewesen, den wir dort vor die Kamera bekommen haben, dass wir uns dann auch näher mit ihm unterhalten konnten, der uns eingeladen hat nach Halle.

BA

Wir sind zum zum Freitagsgebet. Zu zweit mit dem syrischen Kollegen zusammen und ich habe habe gedreht. Der syrische Kollege hat die Menschen dort angesprochen. Es war schweinekalt, und es hat geschneit und gewindet ohne Ende und war furchtbar ungemütlich draußen und schwierig mit den mit den Menschen ins Gespräch zu kommen. Ich persönlich war erst einmal auch sehr überrascht, wie viele Leute dort dorthin gekommen sind. Also zu Hunderten kamen die Menschen aus allen Seitenstraßen, und wir sind dann als erstes natürlich auch mit dem Imam ins Gespräch gegangen, haben ihn gefragt wie ist das? Können wir vielleicht auch ein paar Bilder machen und so weiter und sofort. Und es wurde aber sehr schnell klar, eigentlich gegenüber Medien wäre auch eine Offenheit da, aber nicht zu diesem Thema. Einfach weil sie ganz genau wissen, wie schmal der Grad für sie selber ist. Wie schnell es eben geht, das eine Kritik an Israel als Antisemitismus aufgefasst wird. Einerseits, aber andererseits eben tatsächlich auch Fakt ist, dass viele der Menschen dort eben es eben nicht einfach nur bei der Kritik an Israel belassen, sondern ganz klar antisemitische Vorurteile mit sich tragen.

SK

Bevor wir da jetzt noch weiter sprechen, hören wir doch jetzt erst mal rein in eure kleine Umfrage

Ihr sprecht immer von den Meinungsfreiheit Demokratie. Aber du kannst nicht deine Meinung äußern. Wenn du das äußert, dann hast du vielleicht in Zukunft ein Problem. +++ Totale Zerstörung wird angerichtet. Sie zerstören ein Volk. Dies ist nicht erlaubt und nicht akzeptabel. +++ Israel ist ein Besatzungsstaat. Das kann man nicht schön reden. Er wirkt nach außen hin demokratisch, ist aber in Wirklichkeit ein aggressiver Staat.

Umfrage vor der Moschee in Halle/ Saale MDR exakt, 6.3.2024

SK

Für mich klingt das schon so, als würden die sich zum Teil auch ungerecht behandelt fühlen..?

BA

Muslimische Gläubige beten in einem Park in Madrid, um das Opferfest Eid al-Adha zu feiern.
Bildrechte: picture alliance/dpa/EUROPA PRESS | Carlos Luján

Naja, ich glaube, vielen ist zumindest klar, dass sie selber eine Einstellung haben, die sie hier nicht öffentlich sagen können. Die sie auch zu Recht nicht sagen können, weil es eben eine Einstellung ist, in der Israel ganz klar in der Täterrolle vorkommt. Wo man eben diesen Konflikt, zurückdenkt bis zu seinem Beginn und die Menschen dort einfach nur sehen, also nicht nur Gaza, sondern an sich Palästina, Israel eingeschlossen, ist eigentlich arabisches Land. So, und Israel hat dort nichts zu suchen, das sei nicht gerechtfertigt. Und diese Einstellung teilen viele. Warum, das schauen wir uns sicherlich in diesem Gespräch auch noch genauer an. Aber sie verstehen eben auch, wenn wir das hier sagen, dann haben wir wirklich ein Problem. Und das ist das Spannende dabei. Man spricht die Leute an und merkt, eigentlich wollen sie darüber reden, weil sie das wirklich ganz schockierend finden, was da gerade passiert. Sie wissen aber, wenn sie das so sagen, dann können sie hier in Deutschland auf einer Art und Weise ein Problem bekommen. Weil für uns, also in Deutschland, ist es einfach Staatsraison, das Israel das Existenzrecht hat, und da gibt es überhaupt nichts dran zu rütteln. Und in diesen Konflikt stößt man dann natürlich immer wieder rein. Und da muss man dann irgendwie einen Weg finden, dass man eben trotz dieses Konflikts noch miteinander reden kann. Das war so ein bisschen die Kunst in dem Interview, unser journalistisches Handwerk, also auch den Menschen, das Gefühl zu geben, so ihr könnt jetzt mit uns sprechen und einfach erst einmal zuzuhören. Was sagen sie denn? Um ein Problem angehen zu können, muss man es ja erst mal verstehen. Dafür muss man auch die Menschen verstehen und ihnen zuhören. Und das war das, was wir versuchen.

SK

Dass Menschen entsetzt sind angesichts dieser Bilder, die aus Gaza kommen, das kann man ja auch verstehen, dass es da eine Empathie gibt ...

BA

Ja natürlich. Auch wenn Menschen Familie in der Region haben. Aber andererseits, das muss man auch ganz klar sehen, niemand hat auch nur auf irgendeine Art und Weise sich von diesem bestialischen Angriff der Hamas distanziert, nicht von Vergewaltigungen, nicht von Entführungen, nicht von Morden an der Zivilbevölkerung. Wenn das alles als eine Art Befreiungskampf gelesen wird, dann ist das natürlich problematisch.

SK:

Zum Zeitpunkt unserer Aufnahme, es ist der 1. März, sind immer noch über einhundert unschuldige Menschen in der Gewalt der Hamas. Wenn man liest, was mit den Zivilisten am 7. Oktober passiert ist, mit den rund 1.300 Menschen, das ist einfach grausamst. Man könnte sich ja eigentlich als gläubiger Muslim, zum Beispiel von Vergewaltigungen und Verstümmelungen distanzieren. Aber wenn ich das richtig verstanden habe, das ist so nicht passiert...?

AR

Naja, also. Wir haben einen Mann vor der Moschee getroffen, einen Syrer. Der hat schon klar gesagt, dass er natürlich bedauert, das auf beiden Seiten Menschen sterben. Das hat er immer wieder so kund getan, hat aber das, was da am 7. Oktober passiert ist, als eine Art Reaktion auf Israels Politik verstanden. Das war, so glaube ich, der Grundtenor bei dem, was wir da gehört haben.

BA

Der Punkt, den ich da wirklich spannend fand war, dass er einerseits gesagt hat wir müssen alle Religionen respektieren, auch die jüdische Religion. Niemand darf zu Unrecht angegriffen werden. Aber wenn jemand angegriffen würde, dann müsste er sich eben auch verteidigen. Und der Angreifer ist eben durchweg Israel. Deswegen sei es auch das Recht der Muslime, sich gegen diesen Angriff zu wehren. Also er hat einen Bogen geschlossen. Vom Respekt der Menschen untereinander zu: Israel ist der Täter. Bis hin zu: Wir müssen uns aber gegen Israel wehren. Und das geht halt durchweg durch seine Argumentation durch und geht dann ja noch viel weiter in krude Verschwörungstheorien hinein.

SK

Da hören wir auch gleich noch mal rein. Albrecht, du hast ihn getroffen. Abdullah Qabbani heißt der Mann. Ich fand, der wirkte erstmal eigentlich ganz sympathisch, ein freundlicher Mann. Der hat ein Süßigkeiten-Geschäft für Baklava, stammt aus Syrien, kam vor sieben Jahren als Flüchtling. Ist ein gläubiger Muslim. Man sieht ihn auch mit dem Gebetsteppich in seinem Laden. Und der sagt aber auch über Juden

Das sind Menschen, die die Welt kontrollieren und es liegt in ihrem Interesse, dass die Kriege weitergehen, weil das ihre finanziellen und autoritären Interessen gewährleistet und sie so die Kontrolle über die Menschen behalten. Ich glaube, alle Kriege, die es auf der ganzen Welt gibt, sind das Produkt des internationalen Zionismus.

Abdullah Qabbani MDR exakt, 6.3.2024

SK

Das ist ja ein ganz klassisches Antisemitisches Stereotyp: Die Juden beherrschen die Welt, Finanzjudentum, die Juden als Kriegstreiber …

AR

Zwei Männer und eine Frau sitzen auf einem Sofa
Albrecht Radon im Gespräch mit Familie Qabbani Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

Genau, wobei man dazu sagen muss, also ich spreche kein Arabisch. Deswegen hatten wir einen syrischen Kollegen mit dabei. Der hat übersetzt. Was ich vor Ort verstanden habe und dann auch im Schnitt, was er dann auf Deutsch übersetzt hat: Es ist eine ziemliche wilde These, die er hat und aufstellt. Das ist erst mal so eine klassische Verschwörungserzählung, die Mächtigen im Hintergrund, die das Geld haben, die die Macht haben, die den, wie er sagt, den Krieg am Laufen halten wollen, um daraus Vorteile zu ziehen. Er hat gesagt wenn ich das richtig in Erinnerung habe, das betrifft wohl nicht nur Juden. Juden sind da, wohl auch mit drunter. Aber es betrifft auch mehrere Leute in arabischen Ländern - die sogenannten Zionisten. Also so ganz genau verstanden, habe ich es nicht. Aber das war sowieso sehr sehr, wild teilweise, was er dort für Thesen erzählt hat. Er hat auch unter anderem gesagt, er hätte in den israelischen Zeitungen gelesen, dass das israelische Militär selber am 7. Oktober die Leute bombardiert hätte. Das heißt, das israelische Militär hätte Bomben auf die Leute geworfen, die dort bei dieser Feier waren, die getanzt haben bei dem Festival. Es war eine krude Mischung. Aber er war sehr, sehr nett. Wir haben ihn auch zeigen dürfen bei seinem Gebet und in seinem Laden. Und er meinte halt, ja eher als gläubiger Moslem und der Koran gebe das ja vor, dass man alle Religionen respektieren müsste. Auch die jüdische Religion würde er natürlich respektieren, ohne Frage. Aber man hätte eben auch das Recht, sich zu verteidigen gegen einen Aggressor. Und da sind wir halt wieder genau bei dieser angeblichen Täterrolle von Israel. Er hat Israel als Täterstaat gekennzeichnet und man da also das Recht auch hätte, sich zu wehren.

SK

Es gibt eine eine ziemlich spannende Szene in dem Beitrag, mit diesem Handyvideo, was Du Dir zusammen angeschaut hast mit Abdullah Qabbani und seiner Frau, die wir übrigens eingangs gehört haben. Das warst nämlich du. Du hattest gefragt, ob sich ihre Einstellung jetzt geändert hat. Und sie sagt Nein. Dieses Video ist schon ziemlich speziell oder verstörend...

AR

Absolut verstörend. Ja. Also unser syrischer Kollege hatte mir das im Vorfeld gezeigt, meinte hier schau mal. Bei YouTube ist das Video zu sehen. Die Szene muss man beschreiben, zeigt einen Schulappell in Syrien. Ich glaube das Video ist drei Jahre alt. Die Schulkinder, die dort zu sehen sind, schwören einen Eid auf ihr Land, und am Ende sieht man dann, wie die Kinder eine Geste zeigen, die an den Hitlergruß erinnert. Es ist wirklich verstörend. Als ich das gesehen habe, konnte ich es erst nicht glauben. Aber der syrische Kollege meinte, genauso wäre er aufgewachsen, und er war sich sehr sicher, dass damit auch ganz bewusst der Hitlergruß gemeint ist. Das es genau das zeigen soll. Ich habe das auch Abdullah Qabbani gezeigt und hat dann auch sofort reagiert, hat dann auch auf Deutsch geantwortet und meinte ja, das ist genau das, was er auch erlebt hat. Das kenne er von der Grundschule. Genau das mussten sie auch machen oder haben das gemacht. Er hat das wohl damals nicht mit dem Hitlergruß in Verbindung gebracht. Also er hat das damals überhaupt nicht mit dem Hitlergruß in Verbindung gebracht. Ich glaube, das hat auch der syrische Kollege gesagt. Er wusste das damals auch nicht. Er schämt sich jetzt extrem dafür, dass er das damals sozusagen auch mitgemacht hat, den Hitlergruß. Was das bedeutet, das hätten die beiden - Abdullah Qabbani und seine Frau - hier in Deutschland erfahren. Die hatten einen Film gesehen und haben dann von dem Hitlergruß irgendwie mitbekommen, und auch vom Thema Holocaust hätten sie erst in Deutschland erfahren beim Integrationskurs. Aber er hat bestätigt ja, das haben wir damals auch in der Schule gemacht. Und unser Experte Ahmad Mansour hat auch gesagt, dass er ganz fest davon ausgeht, er ist davon überzeugt, dass diese Geste als Hitlergruß auch verstanden werden soll.

SK

Du hast gerade gesagt, Ahmad Mansour .... interessante Figur, der ist Psychologe, Extremismus-Experte, Palästinenser lebt in Deutschland. Und was er sagt, zu Hitler und den Nahen Osten, das spielen wir jetzt gleich noch mal ein.

Wenn sie nach Jordanien gehen und sagen, Sie sind Deutsche, dann werden sie wahrscheinlich angesprochen auf Hitler und wie toll der Mann war. Das ist ein ganz anderer Zugang aufgrund dieses Hasses auf Juden. Dass heißt diese Reflexion, die die Deutschen mitgemacht haben und auch die Distanzierung von dieser Nazi-Ideologie, dassist in der arabischen Welt kaum vorhanden.

Ahmad Mansour MDR exakt, 6.3.2024

BA

Also mir ist das übrigens mal genauso passiert auf einer Reise durch Jordanien, dass mir jemand auf die Schulter klopfte und meinte, Hitler – guter Mann. Ja, das kann man sich vielleicht gar nicht so vorstellen...

SK

Ja, ich kenne das auch aus der arabischen Welt. Dass es zumindest verwundert, wenn klar ist, dass es Sympathien für Israel gibt. Also das eine Deutsche Sympathie für Israel hat. Das sorgte schon auch manchmal für Verwunderung.

AR

Also ich habe das jetzt bei Reisen so in dieser Form noch nicht festgestellt. Aber ich war jetzt auch noch nicht so viel in arabischen Ländern unterwegs und muss tatsächlich auch sagen, dass das, was wir da recherchiert haben.. das für mich der größte Erkenntnisgewinn - im negativen Sinn - war, die Ausmaße, die diese NS-Ideologie, welche Rolle die durchaus in den arabischen oder muslimisch geprägten Ländern spielt. Das war mir in dieser Form und in diesem Ausmaß neu gewesen. Das muss ich ganz klar sagen. Dazu gehört das Video, der Hitlergruß, den wir, über denen wir gesprochen haben, der zu sehen ist. Mir war auch neu gewesen, dass Hitlers "Mein Kampf" dort wohl sehr verbreitet sein soll. Auch in Gaza hat zumindest Ahmad Mansour erzählt, holt man wohl immer wieder aus Kinderzimmern dieses Buch in arabischer Sprache, also in arabischer Übersetzung, immer wieder raus und dass Hitler wohl dort, in Jordanien zum Beispiel, eine wohl sehr angesehene Persönlichkeit ist

SK:

Es gibt historische Verbindungen, die reichen bis in die Nazizeit. Dazu gehört zum Beispiel der Großmufti von Jerusalem. Ein bekannter Judenhasser. Der kollaborierte damals mit den Nazis. Al-Husseini, hieß der Mann. Der war auch eng mit Himmler. Es gibt ein Foto, was ihn mit Hitler zeigt. Interessant vielleicht auch, es gab damals einen von den Nazis aus Deutschland aus betriebenen arabischsprachigen Radiosender, der antisemitische Hetze verbreitet hat und Historiker sagen, das und auch das Agieren und der Einfluss des Muftis von Jerusalem haben schon damals zu einem sprunghaften Anstieg antisemitischer Einstellungen unter Muslimen im Nahen Osten geführt.

BA

Es gibt einige Studien zum Thema Antisemitismus in der Migrationsgesellschaft. Antisemitismus in verschiedenen Religionen, Antisemitismus differenziert nach Herkunft.. Und was immer wieder festgestellt wird, das eigentlich das Herkunftsland, die Herkunftsregion also die Frage mit was für einem Israel-Bild wachsen die Menschen au, wie sind sie geprägt - so wie wir das hier gerade auch an diesem Beispiel Schule mit diesem Video gesehen haben - dass eben das Thema Herkunftsregion wesentlich Ausschlag gebender ist, als die Religion. Also ein Christ, der in Syrien aufgewachsen ist, wird wahrscheinlich eher zu Antisemitismus neigen als ein Muslim, der in der zweiten Generation in Deutschland lebt.

SK

Da wir aber über eine migrantische Gesellschaft sprechen, die ja doch auch - sicherlich auch aufgrund von Diskriminierungserfahrungen der Mehrheitsgesellschaft - dann auch eine enge Gemeinschaft bildet. Gibt es da ja dann schon auch so was, dass man quasi auch alles mitmachen muss, dass man also nicht unbedingt widersprechen kann, auch bei Antisemitismen nicht. Das hat euch ja zum Beispiel der Protagonist Omar erzählt. Vielleicht spielen wir erst noch mal den Ton. Hatte ich ja am Anfang schon mal eingespielt, jetzt in ganzer Länge. Und dann könnt ihr noch ein bisschen erzählen, was das eigentlich für einen Typ ist ...

wenn sie da mehrere Muslime haben, die dann Entschuldigung, Scheißjude sagen und ein Muslim das nicht sagt. Dann hat er ein Problem. Auch im Gefängnis. Und da wird man sich nicht trauen zu sagen, Nein, ich sage das nicht, oder ich bin ein Judenfreund. Also ich kenne keinen Mitgefangenen, der sich das getraut hätte zu sagen, ich bin Judenfreund.

Omar MDR exakt, 6.3.2024

BA

Der Omar ist eigentlich ein superinteressanter Fall, weil da exemplarisch ganz viel deutlich wird. Dessen Eltern sind aus der Türkei geflohen, da war er noch ein Kleinkind. Ich glaube so um die drei Jahre alt. Und die Eltern haben aber in Deutschland den Herkunftsnachweis verweigert, um nicht abgeschoben werden zu können. Das bedeutete für die Familie, die lebten jahrelang mit super eingeschränkten Rechten. Die wollten nicht zurück und haben dann versucht, hier irgendwie klarzukommen. Die durften nicht arbeiten, die hatten keine Bewegungsfreiheit. Der durfte später als junger Mann nicht nicht mal den Führerschein machen, weil einfach seine Identität nicht geklärt war und und und ... in diesem Setting plus so eine Art autoritäres Elternhaus, in diesem Setting ist er völlig auf die schiefe Bahn gekommen. Hat irgendwie in den Deutschen die Schuldigen gesehen, hat angefangen, sich zu prügeln, und das endete fast in einer Situation mit einem versuchten Totschlag. Und dafür ist er in den Knast gekommen, und im Knast hat er sich richtig radikalisiert. Also, da ging das Ganze einen Schritt weiter. Er hat im Knast zu einem radikalen Islam gefunden. Die Knasterfahrung war für ihn so, dass er sagte, wenn ich den Islam habe, dann halte ich das hier drin aus. Der Islam sagt mir eh, ich soll nicht trinken, unehelicher Sex ist tabu. Und diese ganzen Normen, die er in der Religion gefunden hat, haben ihn das sozusagen erleichtert, diesen Freiheitsentzug. Und wenn man die Geschichte weiterspinnt, dann war diese Radikalisierung der Punkt, wo dann erst einmal Leute anfingen, sich wirklich um ihn zu kümmern, sich zu fragen was ist da los? Er hat dann Kontakt bekommen zu einem Gewaltpräventionsprogramm „Violence Prevention Network“ heißt das, und die haben ihn tatsächlich da raus gezogen. Heute arbeitet er selber als Sozialarbeiter, auch mit Inhaftierten, mit inhaftierten Muslimen, und hat dadurch einen sehr klaren Einblick. Auch auf Themen, die ja in dieser dieser Lebenswelt, in diesem Milieu, einfach diskutiert werden, die da virulent sind.

SK

Er ist ja in Deutschland aufgewachsen, er hat hier die Schule besucht, und trotzdem wird es ja offenbar in der migrantischen Gesellschaft auch noch einmal sehr speziell diskutiert, das Thema Israel und Holocaust

Ja, in der Geschichte hat man das an der Schule mit dem Zweiten Weltkrieg. Und dann gab es dann immer Familien, die gesagt haben, ja, das ist so eine Bestätigung, dass die Juden halt die schlechteren Menschen sind. Reporter: Das heißt sie haben die Geschichte des Zweiten Weltkrieges, den Holocaust als Bestätigung dafür gesehen, dass die Juden schlecht sind? Omar: Teilweise ja. Teilweise ja. Ich weiß, dass man in der Sprache bei uns, wenn man jemanden stark beleidigen will, den als Jude bezeichnet.

Szene MDR exakt, 6.3.2024

BA

Also was bei Omar ganz gut deutlich wird, ist halt zum einen, dass er Antisemitismus eigentlich ein Stück weit benutzt hat als Merkmal der eigenen Identität. Also er hat sich hier nicht zuhause gefühlt in der deutschen Gesellschaft, also hat er sich seiner arabischstämmigen Lebenswelt zugewandt. Und dort gehörte Antisemitismus einfach erstmal dazu. Und durch diesen Ausschluss, den er aus der der Gesellschaft hier erfahren hat, hat eben auch so eine so eine Hinwendung stattgefunden zu eben diesen Bildern, die er dort mitbekommen hat.

AR

Ben, hast Du Dich mit dem Omar unterhalten, wie sein Blick jetzt auf Israel ist? Also es ist ja, wie gesagt, ein schmaler Grat zwischen Antisemitismus und Israelkritik. Und du hast herausgearbeitet, dass er sich vom Antisemitismus und den Denkmustern losgesagt hat. Aber wie sieht es eigentlich mit seinem Blick auf Israel aus? Hat er sich gewandelt, speziell auch bezogen auf den 7. Oktober?

BA

Ich glaube, aus heutiger Sicht tut ihm das schon ein Stück weit leid, dass er so so lange 20 Jahre seines Lebens antisemitisch gedacht hat. Wenn wir auf das heute schauen, dann hab ich das so empfunden, dass er eine klar humanistische Perspektive hat und sich auch von den Verbrechen der Hamas ganz klar distanziert. Auf der anderen Seite ist es natürlich so, dass dieser Konflikt ja auch betroffen macht, auch auch ihn betroffen macht. Und ja, er dann natürlich auch das Leid der Palästinenser sieht aber eben in auf auch einer ausgewogenen Ebene, die sozusagen wirklich den Krieg an sich diskutiert, ohne jetzt, Israel als Täter abzustempeln.

AR

Ich habe das deshalb auch gefragt, weil ja der Abdullah Qabbani und seine Frau immer noch dasselbe Israel-Bild haben, mit dem sie aufgewachsen sind in Syrien. Da hat sich also in den letzten sieben Jahren, nachdem sie in Deutschland gekommen sind, da hat sich quasi gar nichts getan.

SK

Aber die bewegen sich natürlich wahrscheinlich nur innerhalb ihrer Blase

AR

Ja. Wobei sie natürlich auch Integrationskurse in Deutschland absolviert haben. Und trotz dieser Integrationskurse, wo sie etwas über den Holocaust das erste Mal gehört haben, auch das einordnen können, dass das wohl eine schlimme Sache gewesen sein soll, wie sie sagen. Aber ihr Israel-Bild, ihr kritischer Blick auf Israel, Israel als Täterstaat, davon weichen sie überhaupt nicht ab. Aber du hast schon gesagt, die Leben halt in ihrer Blase. Und wenn die sich informieren, wenn die Nachrichten schauen, schauen Sie Al Dschasira, die schauen nicht Tagesschau oder ZDF heute ..

SK

Ich würde gerne mit Euch über das Thema „Bestätigung von außen“ sprechen. Denn es gibt ja unzählige Beispiele, wo Israels Politik - auch schon weit vor dem aktuellen Krieg - wo es immer wieder Holocaust-Vergleiche gab, also der türkische Präsident Erdogan hat Benjamin Netanjahu mit Hitler verglichen...

Südafrikas Anklage bei der UN wegen Genozid. Wir haben - Thema Kulturbetrieb -, diesen Skandal bei der Berlinale, wo Israel auf der Bühne Genozid vorgeworfen wurde und keiner der Anwesenden im Saal, von Kulturstaatsministerin Roth bis hin zu den Regierenden der Stadt Berlin aufgestanden ist und widersprochen hat. Habt ihr bei den Recherchen und bei den Gesprächen mit den Leuten rausfinden können, ob das eine Rolle spielt? Also wenn Staatsmänner sich so äußern, wenn auch Deutsche im Kulturbetrieb sich so äußern? Also gibt es da so eine Bestätigung?

BA

Ja, klar. Also gerade wenn man die türkische Community sieht. Hier in Deutschland also die Türkisch-Deutsche Community, kann man sagen, ist von den Daten, die erfasst wurden, die Nationalität, wo am ehesten antisemitische Einstellungen angetroffen werden. Und das geht sicherlich auch zusammen mit der Deutlichkeit, wie Erdogan sich zu diesem Thema positioniert. Erdogan hat einfach auch Einfluss hier in der türkisch-deutschen Community. Natürlich nehmen die Leute das wahr. Und natürlich reproduzieren die das auch. Das ist gar keine Frage, der Bezug zu Heimatregion bleibt ja erhalten. Also da sind wir wieder bei dem Thema. Nicht welche Religion habe ich, sondern wo komme ich eigentlich her? Und dieser Einfluss ist gegeben. Auf jeden Fall.

AR

Das hat ja auch Abdullah Cabbani gesagt. Es gibt in Syrien eine Partei, das ist die Baath-Partei. Und die bringt dich halt schon als Kind auf Kurs. Also, du kriegst dort gelernt, als Schulkind in der Grundschule, Israel ist Staatsfeind Nummer eins. Das hat was mit den Golanhöhen zu tun...

SK

Golanhöhen, muss man vielleicht noch mal sagen, gehören eigentlich zu Syrien, sind aber seit vielen Jahren von Israel besetzt....

AR

Ja. Und da gibt es auch überhaupt keinen dran rütteln also, wenn du dort widerspricht. Das hat auch unser syrischer Kollege gesagt, droht dir theoretisch die Todesstrafe,

SK :

Ich würde ganz gerne normal an Eure Umfrage zu Beginn erinnern. Die Befragten dort haben schon den Eindruck vermittelt, dass sie sich zu Unrecht für ihre Meinung kritisiert fühlen. Meine Beobachtung ist allerdings, dass es völlig ungefährlich ist, mit einem Palästinensertuch durch die Stadt zu laufen. Währenddessen ist immer wieder Berichte gibt, dass Juden mittlerweile ihr Jüdischsein verstecken. Dass Männer, die Kipa nicht mehr tragen, diese traditionelle Kopfbedeckung. Und man muss auch noch mal daran erinnern, es sind nicht die Moscheen, die seit Jahren von der Polizei bewacht werden müssen, sondern es sind Synagogen und jüdische Einrichtungen. Ihr seid gewesen für die Reportage in Halle. Die dortige Jüdische Gemeinde ist am 9. Oktober 2019 Ziel eines Anschlags geworden. Bei dem hätten über 60 Juden sterben können. Es gab am Ende zwei tragsiche nichtjüdische Zufallsopfer. Der Täter war kein Muslim. Es war ein Deutscher, getrieben von rechtsradikalen Verschwörungstheorien. Ben, du bist noch mal gewesen in Halle, hast dich mit jemandem getroffen, von der Jüdischen Gemeinde. Jetzt im Zuge dieser ganzen Demonstrationen und so weiter. Wie blickt man da drauf? Haben die nochmal ein anderes Sicherheitsgefühl, was sowieso schon wahrscheinlich schwierig ist seit dem 9. Oktober 2019?

BA

Also, der Igor Matvijets den ich getroffen habe in Halle würde dir wahrscheinlich entgegnen, dass ja antimuslimische und antisemitische Einstellung teilweise sehr nah beieinander liegen können. Gerade Halle zeigt das ja auch als Beispiel. Der Täter ist dann in den Döner-Laden reingegangen und hat da um sich geschossen. Also er hat die Juden nicht bekommen, und sein nächstes Feindbild waren die Muslime. Also, das passt ja in dieses rechtsextremistische Muster. Und was dem Igor Matviyets, aber wichtig war zu betonen, dass das eben einfach auch zu leicht ist, mit dem Finger auf andere zu zeigen. Also gerade wir als Deutsche sozusagen. Diesen Antisemitismus ein Stück weit auszulagern und dabei den Blick auf den eigenen Antisemitismus zu verlieren werden. Er sagt eigentlich ist doch der Antisemitismus und Deutschland die Konstante. Und auf die Frage hin, die du, die du ja eben beantwortet haben wolltest, wie er sich da fühlt.. Man muss sicherlich erst einmal sagen, er lebt eben nicht in Berlin. Er lebt in Halle, das ist schon ein anderes Milieu. Aber für ihn ist halt ganz relevant, das er immer davon ausgegangen ist, Israel ist das Land, der Staat, der ihm immer eine Sicherheit verspricht, der immer sagt, wenn in Deutschland die Nazis zurückkommen oder sonst irgendetwas passiert, Du kannst nach Israel kommen, du bist hier sicher. Und diese Sicherheit, das ist die Sicherheit, die er seit dem 7. Oktober für sich nicht mehr verspürt, so dass er sich fragt, auch wenn hier jetzt die Rechten an die Macht kommen, wo soll ich denn hin? Das ist jetzt ein anderer, ein anderer Bogen. Aber tatsächlich ist das das, was er mir erzählt. Er ist einerseits Jude. Er hat auch Familie im Norden von Israel. Er ist aber geboren in der Ukraine. Sein anderer Teil der Familie lebt nahe Odessa. Mit den News, mit denen er sich auseinandersetzen muss, das ist schon ganz schön hart. Aber er ist auch Migrationsgesellschaft. Er ist auch als Kind zwar, aber quasi erste Generation Einwanderer, und er arbeitet auch in einem Migrantennetzwerk. Er hat auch ganz viel mit Muslimen zu tun, und was er sagt, ist einfach, man muss jedem die Chance geben, die erlernten antisemitischen Muster zu reflektieren und abzulegen. Und das funktioniert durch Austausch. Das funktioniert durch Bildungsangebote. Da muss einfach was passieren und das ist sein Lebensweg. Er setzt sich damit auch auseinander. Und er sagt eben auch, wenn er in eine Schulklasse geht und dort spricht in seiner Position als Jude, dann hört er eben von den deutschen Schülern dieses "Jude ist ein Schimpfwort" das hört er dann genauso oft.

SK

Das eine sind antisemitische Einstellungen, das andere sind tatsächliche Gewalttaten. Thema Statistik. Laut Bundesinnenministerium gab es 2023 88 antisemitische Gewalttaten, das ist wohl mit Abstand die höchste Fallzahl seit 20 Jahre. Es steht aber auch in der Pressemitteilung des Ministeriums, 84 Prozent der antisemitischen Taten sind der politisch rechts motivierten Kriminalität zuzuordnen und aus dem Bereichen ausländische beziehungsweise religiöse Ideologien kommt nur etwa ein Anteil von vier Prozent. Reden wir jetzt eigentlich über was, was gar kein großes Problem ist?

BA

Also die Frage haben wir uns auch gestellt, und wir können das in dem Sinne auch nicht nicht wirklich beantworten. Was aber tatsächlich ganz spannend ist oder was mich noch mal ein Stück weit umgetrieben hat in der Recherche ist, dass wir eine Studie gefunden haben der Europäischen Kommission beziehungsweise der European Union Agency vor fundamental rights, die hat in verschiedenen europäischen Ländern Daten erhoben, auch unter anderem zu der Frage: Was waren denn die schwerwiegendsten antisemitischen Vorfälle, die sie in den letzten fünf Jahren erlebt haben? Da wurde auch für Deutschland festgestellt, dass es tatsächlich mehr Vorfälle mit einem muslimischen Hintergrund gab, als Vorfälle mit einem rechtspolitisch oder rechtsextremistischen Hintergrund. Bei Muslimen steht 41 Prozent und bei „right political view“, also vielleicht noch ein bisschen weiter gefasst als extremistisch, sondern überhaupt rechte politische Einstellung steht 20 Prozent. Dass heißt, doppelt so viele Vorkommnisse mit einem muslimischen Hintergrund wie Vorkommnisse.

SK

Welche Studien oder welche Ergebnisse habt Ihr denn eigentlich herangezogen, was zum Beispiel Religiosität oder Nicht-Religiosität betrifft bezüglich einer antisemitischen Einstellungen?

AR

Wir haben uns im Rahmen der Recherche auch mit Dr. Sina Arnold getroffen. die forscht am Zentrum für Antisemitismusforschung der TU Berlin zu dem Thema. Und die wertet dort verschiedene Studien aus. Unter anderem eine Studie fanden wir ganz interessant aus dem Jahr 2020. Die besagt nämlich das über 40 Prozent aller in Deutschland lebenden Muslime israelbezogene antisemitische Einstellung teilen. Im Vergleich dazu: bei evangelischen Christen sind es 5,2 Prozent und bei Menschen ohne Religionszugehörigkeit sind es 9,4 Prozent. Das waren Zahlen, die mich dann doch überrascht haben in der Deutlichkeit,

SK

Was ich ja interessant fand, die von dir erwähnte Sina Arnold von der Technischen Universität Berlin hat im Interview auch noch gesagt, es ist nicht unbedingt eine Frage der Religion, sondern eben auch eine Frage, welche Vorstellungen von Demokratie oder auch Autoritarismus Menschen haben.

O-TOn Sina Arnold

Ein Einflussfaktor, den manche Studien herausarbeiten, ist auch eine generelle autoritäre Einstellung. Dass heißt, diejenigen Muslime, die antisemitischen Einstellungen zustimmen, stimmen auch anderen Formen von Autoritarismus zu. Eine Studie, der Berlin-Monitor, erwähnt beispielsweise dass das quasi dem Weltbild von AfD-Wählern gar nicht so unähnlichist. Dass heißt, es geht weniger um das muslimisch sein, sondern es geht um die autoritäre Charakterstruktur, die dort ein Einflussfaktor ist eben auch für antisemitische Haltung.

BA

Dieses autoritäre Verständnis, das begünstigt tatsächlich die Abwertung des anderen. Das erleben wir in Deutschland, wenn wir auf die AfD schauen beispielsweise. Das kann man relativ flexibel drauflegen auf die Dinge. Aber das passiert eben auch mit so einem autoritär verstandenen Islam das, dass dieses Autoritätsverständnis die Abwertung des anderen günstig

SK

Ich würde gerne mit euch noch einmal auf unsere Gesellschaft gucken, auf die Mehrheitsgesellschaft in die Menschen einwandern. Ich weiß nicht, wie es bei euch ist. Also ich kenne das aus meinem Umfeld schon. Dieses ist eher bürgerlich-liberal künstlerisch. Das gab es auch schon vor dem 7. Oktober Stimmen, die gesagt haben na ja, was die Israelis mit den Palästinensern machen, das sei ja auch nichts anderes als Hitler damals mit den Juden. Und und die müssten es doch wohl wissen. Ich habe auch noch mal ein paar Zahlen rausgesucht, den Sachsen-Monitor - nicht wegen der Sachsen - sondern weil der aktuel ist. Der ist von Januar 2024. Und würde das gern noch mal zur Diskussion stellen. 26 Prozent haben der Aussage zugestimmt, „Juden versuchen Vorteile daraus zu ziehen, dass sie während der NS-Zeit Opfer von Verfolgung waren“. Zehn Prozent haben zugestimmt bei der Aussage „Juden haben zu viel Macht in der Welt“, 16 Prozent haben zugestimmt, bei „Juden sind irgendwie besonders und passen nicht zu uns“. Verlangen wir da jetzt von einer migrantischen Einwanderungsgesellschaft was, was wir selbst eigentlich auch bloß nicht leisten?

AB

Also ich glaube, ich habe dir das schon versucht, ein Stück weit zu vermitteln, was ich dazu denke. Ich glaube, wir sollten aufhören, so zu differenzieren und zu sagen, das ist die Migrationsgesellschaft. Und das ist hier die deutsche Gesellschaft. Also wir sind inzwischen die Migrationsgesellschaft. 25 Prozent aller Menschen in Deutschland haben Migrationshintergrund. Natürlich muss man im Detail genauer hinschauen und fragen.Jemand, der in Deutschland aufgewachsen ist, da ist es wahrscheinlicher, dass der sagen wird, ach, das mit dem Holocaust, ob das alles so war... als jemand, der zugewandert ist , und der erst einmal damit gar keinen Kontakt hatte. Der vielleicht Antisemitismus denkt aus der Frage heraus, ist das vielleicht ein Palästina? Und Israel gehört da gar nicht hin ..

AR

… oder der den Holocaust als Begründung nimmt, warum der Jude in seinem Weltbild sozusagen der Böse ist. Als Bestätigung: seht mal her, was damals passiert ist, ist ja eine Bestätigung dafür.

BA

Wenn du fragst Vorbildfunktion, Ja oder Nein. Ja, wer ist hier wem Vorbild? Also? Nein, natürlich nicht. Natürlich sind wir in dem Sinne als Gesellschaft nicht das Vorbild. Natürlich gibt es genauso die Kinder, die in der Schule sind, und die sind hier aufgewachsen und haben deutsche Eltern und so weiter und so fort. Und die sind genauso antisemitisch unterwegs in ihrem in ihrem jugendlichen Witzeln, wie jemand, der vielleicht aus einer Zuwanderungsfamilie kommt. Aber erwarten müssen wir das doch von allen. Also das ist doch der Punkt.

SK

Aber trotzdem – Albrecht, ich frag mal dich - gibt es ja politische Bestrebungen, Vorstöße, zum Beispiel Sachsen-Anhalt hat schon im November als erstes Bundesland eingeführt, das Einwanderer bei der Einbürgerung ein Bekenntnis zum Existenzrecht Israels ablegen. Das ist ja jetzt die Frage: Bekämpft, das das Problem?

AR

Schwer zu sagen... Ich meine, wenn das eine Bedingung ist, da ein Häkchen drunter zu setzen und zuzustimmen, ist das das eine. Dann von einem Weltbild loszulassen ist natürlich auch nochmal was anderes. Aber Ahmad Mansour sagt es ja auch relativ deutlich. Er sagt nicht, dass die Integration beispielsweise gescheitert wäre. Er sagt, die Integration hat eigentlich noch gar nicht stattgefunden. Das heißt, die Politik ist da einfach gefordert. Es müssen jetzt wirklich Dinge passieren. Er hat gesagt, jetzt entscheidet sich, ob wir hier in zehn Jahren noch jüdisches Leben in Deutschland haben. Er sagt, wir müssen reingehen in die Schulen, wir müssen Bildungsangebote fördern. Mit Integrationskursen ist es letzten Endes nicht getan. Jüdische Veranstaltungen in Schulen stattfinden lassen, Fahrten zu Holocaust-Gedenkstätten stattfinden lassen, das vorbereiten, das nachbereiten - diese Themen also. Da gibt es in seinen Augen noch ganz viele Handlungsbedarf. Das betrifft aber nicht nur die Zuwanderer, die zu uns nach Deutschland kommen, sondern das betrifft auch die hier in bei uns also die, die die Biodeutschen sozusagen …

BA

Es gibt ja immer diesen Peak, wie jetzt der 7. Oktober oder auch das Attentat in Halle. Es passiert irgendetwas. Alle reden drüber, alle schreien, wir brauchen, wir brauchen, wir brauchen. Und danach legen sich alle gefühlt wieder hin. Wir brauchen eine kontinuierliche Auseinandersetzung mit diesem Thema, weil Antisemitismus gibt es bei bei allen Akteuren in der Gesellschaft. Und das ist ein Thema, mit dem wir umgehen müssen.

SK

Es gab ja auch immer wieder Gewalttaten, um beim Thema zu bleiben, von arabischen Menschen, Muslimen, hier gegenüber gegenüber Juden. Und Mahner muss man schon sagen wie Ahmad Mansour sind dafür sehr kritisiert worden, wenn sie darauf hingewiesen haben, dass es eben auch diese Strömung des muslimischen Antisemitismus gibt. Man sah Antisemitismus lange eher als „Nazi-Problem“. Dass es den ihn auch von der linken Seite in nicht geringem Maße gab, da hat man auch nicht so gerne drüber gesprochen. Worauf ich hinauswill. Ahmad Mansour ich habe einen Zeitungsinterview mit ihm gelesen, und der hat da gesagt seit dem 7. Oktober bekomme ich viele Anrufe von Kritikern, die sich auf einmal entschuldigen und sagen, Herr Mansour, Sie hatten recht. Wir waren zu naiv. Zum Schluss die Frage an Euch: Waren wir zu naiv? Haben wir ihn unterschätzt, den muslimischen Antisemitismus?

AR

Wir als Gesellschaft?

SK

Ja .. wir als Medien.. ?

AR

Ich denke, wir als Medien eigentlich nicht. Wir schauen da schon immer auch wieder hin. Und ja, vielleicht ist es auch so, dass wir nach dem 7. Oktober, da gab es den Peak auch da wieder genauer hingeschaut haben. Aber ich glaube wir als Gesellschaft...

BA

Da steckt ja auch so ein Stück weit, die Frage drin, berichten wir nicht kritisch genug über Migrationskritische Themen. Ich persönlich empfinde das eigentlich nicht so. Es gibt ein breites Spektrum an medialen Angeboten. Manche sind weiter links, manche sind weiter rechts. Jeder kann da irgendwie auch sich das rauspicken, wo er sich am ehesten wiederfindet. Was ich aber sehe und auch als deutliches Problem empfinde, ist sozusagen diese Polarisierung im Diskurs, die in den letzten Jahren sehr zugenommen hat. Meiner Meinung nach, dass man so das Gefühl hat, zwischen dieser linken Bubble und der rechten Bubble. Wenn man in die sozialen Medien guckt, da wird die Mitte eigentlich immer dünner. Und da sehe ich das schon so, dass die linke Bubble sich wirklich schwer tut, über Antisemitismus oder Frauenfeindlichkeit, Homophobie, autoritäres Denken also, diese Themen auch ganz klar kritisch zu benennen. Während halt die rechte Bubble die Zugewanderten immer gleich verantwortlich macht für alles das, was in der Gesellschaft schlecht läuft und es als Lösung ansieht, wenn die hier alle weg sind. Also das sind irgendwie diese Extreme und der Diskurs dazwischen ist natürlich irgendwie schwierig und aufgeladen.

AR

Das is natürlich schwierig, weil wir natürlich Medienschaffende sind, einen anderen Blick da vielleicht auch noch mal drauf haben. Wir schauen seit vielen Jahren hin, jetzt sicherlich verstärkt nach dem 7., Oktober. Aber ob die Gesellschaft so naiv gewesen ist bei dem Thema muslimischer Antisemitismus? Hast Du da ein nklares Nild vor Augen, Ben?

BA

Nein, ich will das auch rückblickend nicht ..da fehlt mir der gesamte Überblick, um eine fundierte Meinung zu haben. Also das ist ja eine komplexe Frage, was ich aber tatsächlich denke - und das ist mir auch in der Auseinandersetzung mit diesem Thema noch mal ein Stück klarer geworden, weil wir uns ja auch gefragt haben wie reden wir darüber und so weiter und sofort - dass wir als Journalisten auf ja so eine gewisse Angst haben, dass wir Themen der rechten Blase dienen oder dann von denen auch instrumentalisiert werden können. Und ich denke aber, das ist eine falsch verstandene Angst. In dem Sinne, wir müssen auf diese Themen gucken, und wir müssen da sachlich draufgucken. Und wir müssen differenziert draufgucken, auch um den Rechten nicht diese Themen einfach so komplett zu überlassen.

SK

Und ich finde, das ist euch gut gelungen, eurer Reportage, die ich an dieser Stelle nochmal sehr empfehlen möchte zu sehen in der ARD-Mediathek. Ich danke euch beiden, danke Ben Arnold und Albrecht Radon

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