Dorothea Kramß
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Fragen an die Expertin "Sex verbindet Seelen"

09. Oktober 2014, 17:23 Uhr

Paare sehnen sich nach einer glücklichen Zweisamkeit. Im Wirrwarr des Alltags kommt die Liebe oft auf Abwege. Fiese Streitereien und flaue Liebesnächte müssen aber nicht von Dauer sein: Die Ehe- und Sexualberaterin Dorothea Kramß kennt ein Werkzeug, mit dem Paare ihre Leichtigkeit zurückgewinnen.

Dorothea Kramß ist Ehe-, Familien und Sexualberaterin aus Eisenberg in Thüringen. Die 58-Jährige berät Paare und Einzelpersonen in Gera und Leipzig. Die Thüringerin ist seit 34 Jahren verheiratet und Mutter von zwei erwachsenen Söhnen.

Frau Kramß, wie stellt sich das Glück in der Liebe dauerhaft ein?

Ich glaube, die meisten Menschen wissen, was eine glückliche Beziehung ausmacht: Achtsamkeit, Ehrlichkeit und Verständnis füreinander, um nur mal ein paar grundlegende Merkmale zu nennen. Im Kopf ist das den meisten klar, doch bis zur Gefühlsebene dringt die Erkenntnis oft nicht durch. Das hat damit zu tun, dass viele Menschen sich selbst und ihre Werte nicht kennen. Was man nicht weiß, kann man auch nicht kommunizieren. Viele kommen dadurch in Situationen, die sie eigentlich nicht wollen. Statt Glück und Liebe herrschen Frust und Unglücklichsein. Um eine erfüllte Partnerschaft zu führen, muss das Kopfwissen ins Herz rutschen. 

In welchen Situationen befinden sich Paare, die etwa in Gera und Leipzig Beratungen aufsuchen?

Viele, die zu uns kommen, sind grundsätzlich an einer persönlichen und partnerschaftlichen Weiterentwicklung interessiert. Erfreulicherweise kommen sehr viele junge Paare zwischen 18 und 35 Jahren zu uns. Die Paare haben Alltagsprobleme. Zunächst war die Verliebtheit, alles war schön, alles hat gepasst. Dann folgt der tägliche Trott und die Paare stellen fest, dass sie sehr unterschiedlich sind und es auch sexuell oft nicht mehr läuft. Viele junge Paare gehen an dieser Stelle auseinander. Wenn sie eine Beratung in Anspruch nehmen, können wir oft helfen.

Zunehmend gibt es Paare ab 60 bis Mitte 70, die sich beraten lassen. In diesen Fällen sind die Themen ganz andere. Oft treten Konflikte hervor, wenn etwa die Rente beginnt. Alte Wunden, die durch Verpflichtungen und Aktivitäten verdeckt waren, kommen plötzlich wieder zum Vorschein. Bei Paaren, die älter als 70 sind, ist es manchmal sehr schmerzhaft, wenn der Mann oder die Frau krank ist und der gesunde Partner sich nach sexueller Nähe sehnt.

Wie können Paare diese Krisen überwinden?

In unseren Beratungen geben wir den Paaren ein Werkzeug in Form eines Modells in die Hand: (Dorothea Kramß packt aus ihrer Tasche drei Bausteine und zwei Spielfiguren und stellt sie auf den Tisch.)

Zwei Spielfiguren
Manchmal kommt man spielerisch auf den richtigen Weg... Bildrechte: MDR/Rouven Zietz

Es gibt eine Frau, es gibt einen Mann und als dritte Instanz die Beziehung, die jeder zu 50 Prozent ausfüllt. Das Paar lebt in einem Haus. Das Erdgeschoss ist die Werte-Ebene, das Wohngeschoss die Emotionale-Ebene und das Dachgeschoss ist die Sexualität. Auf der unteren Ebene muss der einzelne für sich klären, welche Werte für ihn wichtig sind und wo seine Grenzen verlaufen. An dieser Stelle sollten Paare viel reden und lernen, ihre Bedürfnisse klar zu kommunizieren und zum Beispiel auch Verhaltensregeln bei Streitigkeiten festlegen. Im Wohngeschoss geht es darum, die Beziehung durch schöne gemeinsame Erlebnisse zu stärken. Ist das Fundament und die Wohnebene in einem guten Zustand, erleben die Paare auch beim Sex wieder eine intensive Emotionalität.   

Kann man jede Ehe retten oder sollten manche Paare lieber getrennte Wege gehen?

Sind die Verletzungen auf der emotionalen und sexuellen Ebene zu massiv, ist es für Paare kaum noch möglich, alltägliche Sachentscheidungen auszuhandeln. Um sich nicht weitere Verletzungen zuzufügen, ist dann die Trennung oder getrennte Wohnungen manchmal der klügere Schritt. Sind Kinder im Spiel, kann eine geordnete und vernünftige Trennung für Kinder manchmal mehr Stabilität bedeuten, als wenn krampfhaft versucht wird, die Beziehung aufrechtzuerhalten. Um in einem bestehenden Konflikt nach geeigneten Lösungswegen für alle Beteiligten zu suchen, sollten Paare unbedingt eine externe Beratung in Anspruch nehmen

Wie wichtig ist Sex in der Partnerschaft oder geht es auch ohne?

Es kann eine Zeitlang ohne funktionieren. Wir erleben in unseren Beratungen immer wieder Paare, die über Wochen, Monate und manchmal sogar Jahre ohne Sexualität auskommen. Das passiert in den meisten Fällen nicht freiwillig. Sex hat die Eigenschaft, Seelen zu verbinden. Wenn sich ein Paar zum Beispiel über den Wasserverbrauch streitet, versuche ich ihnen klar zu machen, dass es ihnen egal wäre, wie viel Wasser aus dem Duschkopf strömt, wenn sie guten Sex hätten. Man erlebt beim Sex etwas auf der seelischen Ebene, was einfach zu uns gehört. Wir sind sexuelle Wesen und so erleben wir uns auch. Wir haben eine sexuelle Identität, die auch beachtet werden will. Das tut uns einfach gut. Unsere Sexualität werden wir bis zum Tod nicht verlieren. Wenn wir das Dach von unserem Beziehungshaus abreißen, regnet es rein und es fehlt uns eine wichtige Ebene. In Beziehungen ohne Sexualität erleben wir oft eine lähmende Traurigkeit. Es fehlt die Einheit der Seelen, die lustvoll erlebt werden kann.  

Heute verabreden sich Menschen über Handy-Apps zum Sex. Verlieren Beziehungen in der heutigen Zeit an Stellenwert?  

So weit würde ich nicht gehen. Sex hat zu allen Zeiten eine große Rolle gespielt. Es gibt die beiden Extreme: Menschen, die ihre Sexualität intensiv – vielleicht mit vielen Partnern – leben und das Gegenmodell von Menschen, die ihre Sexualität eher verleugnen als zulassen. Ich denke, es ist sinnvoll, einen guten Mittelweg zu finden. Wir brauchen die sexuelle Anziehung. Aber man sollte schon sein Hirn anschalten und sich fragen, wohin soll denn mein Verhalten führen. An dieser Stelle ist unsere Gesellschaft sehr bedürfnisorientiert, nach dem Motto: Ich habe ein Verlangen nach Sex, irgendjemand wird sich finden. Diese "Ich-nehme-mir-was-ich-will-Mentalität" erlebe ich heutzutage mehr als früher. Die Eigenschaft, auf seine Wünsche länger zu warten, ist stark zurückgegangen. Das hat zur Folge, dass viele ihre Körperlichkeit nicht mehr spüren. Wenn ich meine Klienten zum Beispiel frage, wo sie denn einen emotionalen Schmerz spüren, bekomme ich oft die Antwort: Ich weiß es nicht.   

Sollten sich Singles auf eine Beziehung vorbereiten?

Das klingt nach einem guten Plan, aber das gilt nicht nur für Singles, sondern für jeden. Als erstes sollte man sich darüber bewusst sein, was man wirklich will und welchen Stellenwert eine Beziehung für einen hat. Ich glaube, das Entscheidende ist, an seiner Persönlichkeit zu arbeiten, um sich weiterzuentwickeln. Nur wer sich selbst liebt, kann auch seinen Partner lieben. Es klingt nach einer Binsenweisheit, aber es ist so wahr.

Die Fragen stellte Rouven Zietz.