1977 Wolf Dieter Krause wird verhaftet "Wolfgang Vogel habe ich letztendlich meine Freiheit zu verdanken"
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15. September 2015, 14:57 Uhr
Wolf-Dietrich Krause aus Halberstadt will nichts mehr als in den Westen ausreisen. Doch alle seine Anträge werden kategorisch abgelehnt. Als er dann auch noch verhaftet wird, hat er kaum Hoffnung - bis DDR-Anwalt Wolfgang Vogel ins Spiel kommt. Er vermittelt den Freikauf von DDR-Häftlingen gegen Devisen und Waren.
Als im August 1961 die Mauer gebaut wird, ahnt Wolf-Dietrich Krause noch nicht, wie wichtig der Anwalt Wolfgang Vogel einmal für ihn werden würde. Wie auch: 1961 ist Krause gerade mal sechs Jahre alt, hat eben erst seine Zuckertüte bekommen. Die Familie lebt in Halberstadt. Wolf-Dietrich Krause hat einen kleinen Bruder, der Vater der Jungs f ührt eine kleine Drogerie, die Mutter arbeitet als Krankenschwester. Doch die Freude über die Schule währt bei Wolf-Dietrich Krause nicht lange. Bereits kurz nach der Einschulung in die POS, am 17. September 1961, wird sein Vater in der Familienwohnung der Familie wegen angeblich staatsgefährdender Propaganda und Hetze festgenommen – er hatte Witze über Walter Ulbricht gemacht.
Ich kann mich nur noch daran erinnern, dass mein Papi damals den Hut oben von der Ablage genommen hat, sich aufgesetzt hat und mit zwei von den Herren die Wohnung verlassen hat.
Kindheit im Harz
Zwei Hausbewohner hatten Vater Krause bei der Staatssicherheit angeschwärzt, verurteilt wird er zu drei Jahren Zuchthaus. Der kleine Wolf-Dietrich bekommt die Folgen unmittelbar zu spüren. Fernseh- und Radiogerät werden eingezogen, weil angeblich das Westfernsehen Schuld sein soll an der negativen Einstellung des Vaters. Seine Mutter wird unter Druck gesetzt, sich scheiden zu lassen – und willigt ein, aus Angst, dass die Kinder ins Kinderheim kommen. Auch in der Schule wird bekommt Wolf-Dietrich die Verhaftung seines Vaters zu spüren, zum Beispiel wird er wegen des nicht SED-konformen Elternhauses nicht in die staatliche Jugendorganisation der Jungpioniere aufgenommen.
Wir hatten keine Spielkameraden mehr, die Kinder aus unserem Haus durften nicht mehr mit uns spielen. Und was dann ganz schlimm war: Ich musste in der Schule ganz hinten auf der Bank allein sitzen, war sozusagen isoliert."
Der Wunsch, auszureisen
Nicht nur diese Kindheitserinnerungen sorgen dafür, dass sich Wolf-Dietrich Krause in der DDR nicht zu Hause fühlt. Sein Berufswunsch nach der 10. Klasse, Matrose bei der Handelsmarine zu werden, wird wegen der politischen Vergangenheit des Vaters und wegen Westverwandtschaft abgelehnt. Nach einer gescheiterten Lehre und einer Ausmusterung vom Wehrdienst nimmt Krause 1972 eine Arbeit als Küchenhelfer bei der MITROPA-Schiffsgaststätten in Berlin auf. Mit Anfang zwanzig schreibt Wolf-Dietrich Krause seinen ersten Ausreiseantrag. Bei der MITROPA gibt es "erzieherische" Gespräche deswegen. 1977 hat Krause genug - er kündigt und verdingt sich fortan als Kraftfahrer. Jetzt will er nur noch eines: raus aus der DDR.
Ab dem Zeitpunkt des Berufsverbotes bin ich jeden Dienstag zur Abteilung Inneres auf dem Alex in Berlin gegangen und habe immer nachgefragt, was mit meinem Ausreiseantrag wird. Und immer habe ich die gleiche Antwort erhalten: 'Krause, Sie wissen ganz genau, Sie kommen hier nie raus.'
Der Frust wird jeden Tag größer - bis Krause im September 1977 beim Amtsbesuch quasi explodiert und droht, öffentlichkeitswirksam über das Brandenburger Tor über die Grenze zu gehen. Krause wird auf der Stelle verhaftet und in die Stasi-Untersuchungshaftanstalt nach Berlin-Pankow gebracht. Anfang Dezember verurteilt ihn das Stadtgericht Berlin zu zweieinhalb Jahren Haft wegen staatsfeindlicher Hetze und Beeinträchtigung staatlicher Maßnahmen. Im Januar 1978 wird Wolf-Dietrich Krause in das Zuchthaus Cottbus verlegt.
Ich musste in der Einzelhaft 24 Stunden mit Handschellen liegen, Füßr wie Arme, sitzen wie essen, auf die Toilette gehen mit Handschellen, schlafen mit Handschellen. Eines Morgens hatte sich die Hand verdreht. Als der Wärter das gesehen hat, hat er mir mit einem schweren Schlüsselbund in die Nieren gehauen - 'Du Schwein wolltest abhauen'.
Hoffnung während der Haft
Wie sein Vater ist auch Wolf-Dietrich Krause nun ein politischer Gefangener. Doch die Zeiten haben sich geändert: Jetzt, 15 Jahre später, gibt es Wolfgang Vogel - seit Anfang der 1970er Jahre das Codewort für Hoffnung unter den politischen Häftlingen. Ohne sein Wissen hat seine Mutter Kontakt zu dem Ost-Berliner Anwalt aufgenommen. In den Erinnerungen an das Treffen in seiner Kanzlei bleibt vor allem, dass er Mutter Krause eine gewissen Hoffnung machte und Mut zusprach. Im Westen sorgt der Onkel dafür, dass sein Name auf eine der begehrten Listen mit den Namen der freizukaufenden Häftlinge gesetzt wurde. Schließlich wird Wolf-Dietrich Krause auch von der Stasi aus der Staatsbürgerschaft entlassen.
Zwei oder drei Herren in Zivil haben einem eröffnet, dass die Reststrafe in Bewährung ausgesetzt wurde und ich aus der Staatsbürgerschaft der DDR entlassen bin. Das war's. Da fällt einem natürlich schon mal das Herz tief. Und Hoffnung und Zuversicht, die sind dann da. Aber trotzdem ist immer noch die Angst da, dass auch das ein Bluff sein könnte.
Mit dem Bus in den Westen
Wolf-Dietrich Krause wird vom Stasiknast Cottbus nach Chemnitz auf den Kaßberg verlegt. Von dort gehen die geheimen Transporte in den Westen. Die letzten Tage verbringt Krause im so genannten „Vogel-Käfig“ - Zellen für die Freikauf-Häftlinge. Dann ist es wirklich soweit, ein Bus steht im Innenhof und sie steigen ein. Nun sieht er den berühmt-berüchtigten Rechtsanwalt zum ersten und einzigen Mal. Ern ermahnt die Businsassen, nicht zurück, sondern nach vorn zu schauen - und im Interesse der angehörigen und Freunde nicht über das Erlebte und den Häftlingsfreikauf zu sprechen. Dann steigt der Anwalt wieder aus, der Bus fährt Richtung Wartha-Herleshausen, immer eskortiert von Polizeifahrzeugen und der Stasi. Bis zur DDR-Grenze.
Dann steigen die aus, die drei Staatssicherheitsbeamten. Und dann fährt der schon weiter, der Bus! Das war unwirklich. Die Grenze - und der fährt einfach weiter. Der hat keine Minute gehalten! Und im Niemandsland brach einfach ein Jubel aus."
Die teuer erkaufte Freiheit
Am 31. Mai 1978 -einen Tag nach seinem 24. Geburtstag- erreicht Wolf-Dietrich Krause den Westen. Die Freiheit ist teuer erkauft. Er bekommt lebenslange Einreisesperre in DDR und sieht seine Familie nur einmal jährlich in Prag. An Rechtsanwalt Wolfgang Vogel hat er ambivalent Erinnerungen: "Mir ist sehr bewusst, dass er mit der Stasi zusammengearbeitet hat. Er war für mich der Manager auf Seiten der DDR. Letztendlich habe natürlich auch ich im meine Freiheit zu verdanken."
Buchtipps
Norbert Pötzl
Mission Freiheit - Wolfgang Vogel"
Heyne. Erscheint September 2014
ISBN: 978-3-453-20021-0
Wolfgang Wietzker (Hrsg.)
Flucht aus der DDR-Diktatur
101 Zeittzeugenberichte
Helios, 2013
ISBN: 978-3-86933-102-7
24,50 Euro