Fragen an Ronald Trisch "Auch in 50 Jahren gibt es noch Dokumentarfilme"

Filmfest-Direktor im Gespräch

29. September 2011, 17:15 Uhr

Ronald Trisch, Jahrgang 1929, studierte Kulturwissenschaften in Ostberlin, arbeitete bei der DDR-Künstleragentur und 1973 für die X. Weltfestspiele der Jugend und Studenten. 1973-1989 er war Direktor der Internationalen Dokumentar- und Kurzfilmwochen für Kino und Fernsehen in Leipzig. Ab 1992 war er für die Berlinale tätig, ab 2001 beim Go-east-Filmfest in Wiesbaden.

Wie sah Ihre erste Begegnung mit dem Dokfilmfestival Leipzig aus? Wann war das?

1973, wenige Monate nach meiner Berufung zum Festivaldirektor, versuchte ich mich sehr schnell, und nicht zuletzt durch die gute Unterstützung meines Vorgängers Wolfgang Harkenthal, mit der Festivalorganisation, den Gästen und den Filmemachern aus vielen Ländern, bekanntzumachen.

Sie waren Festivaldirektor von 1973 bis 1989: Welches Jahr war das beste Festivaljahr für Sie und warum?

1974. Es war mir gelungen, die amerikanische Schauspielerin Jane Fonda mit ihrem Dokumentarfilm gegen die amerikanische Aggression in Vietnam einzuladen und diesen eindrucksvollen Film im Festivalprogramm zu zeigen. Außerdem war es uns gelungen, eine Internationale Jury zu berufen, in der hervorragende Persönlichkeiten wie der italienische Komponist Luigi Nono, der Schriftsteller Konstantin Simonow aus der Sowjetunion, der Animationsfilmemacher aus Jugoslawien Dušan Vukotić, und der Schriftsteller James Aldridge aus England mitgearbeitet haben. Als weiteren Ehrengast konnten wir die Witwe des ermordeten chilenischen Liedermachers Victor Jara in Leipzig begrüßen und ihr unsere Solidarität bekunden.

Welches Jahr war das schlechteste Festivaljahr für Sie? Warum?

Nach einem erfolgreichen Festival 1987 - im Wettbewerbsprogramm konnten wir damals einige hervorragende sowjetische Filme und Fernsehbeiträge zeigen - wurde 1988 der Festivalleitung und der Auswahlkommission das Recht der Auswahl sowjetischer Filme entzogen. Alle eingereichten Filme mussten in Berlin dem Kulturministerium zur Besichtigung und Entscheidung vorgelegt werden. Die Mitternachtsgespräche und die Pressekonferenzen wurden uns untersagt oder auf frühe Morgenstunden verlegt. Am ersten Tag wurden kurz vor der Eröffnungsveranstaltung Menschen mit brennenden Kerzen, die vom Friedensgebet kamen, kurzerhand verhaftet und mit Lastwagen abtransportiert.

Was war oder ist das Besondere am Leipziger Festival?

Die Solidarität unter den Filmemachern aus allen Ländern, besonders mit den Befreiungsbewegungen in Asien, Afrika und Lateinamerika.

Was glauben Sie, war Ihr wichtigster Erfolg als Festivaldirektor?

Kontinuierlich an dem Festivalerfolg von 1973 anzuknüpfen und bis 1989 insgesamt fast 16.000 Gäste und Filmemacher aus 106 Ländern in Leipzig begrüßen zu können. Aus 90 Ländern liefen im Wettbewerb des Festivals bis 1989 insgesamt 2.843 Filme.

Nennen Sie bitte drei Filme, die in den vergangenen fünf Jahrzehnten in Leipzig gelaufen sind, die aus Ihrer Sicht heute noch Bestand haben. Wodurch?

Diese Frage ist sehr schwer zu beantworten. Dazu gab es in den 49 Jahren zu viele herausragende Festivalbeiträge. Ich beschränke mich deshalb auf einige Filme aus der Zeit meiner Tätigkeit als Festivaldirektor und nenne: "Schlacht um Chile", Regie Patricio Guzman (im Wettbewerb 1976), "Die Männer von der Insel Kichnju", Regie Mark Soosaar (im Wettbewerb 1987), "Winter ade", Regie Helke Misselwitz (im Wettbewerb1988).

Wird es den Dokumentarfilm auch in fünfzig Jahren noch geben? Wenn ja, wie müsste er aussehen?

Ich bin überzeugt, dass es auch in 50 Jahren noch Dokumentarfilme geben wird, die sich besonders mit den Umständen und der Situation der Menschen in den verschiedenen Ländern auf allen Kontinenten beschäftigen.