An den Anmeldetischen mit Karteikarten-Boxen  zur Dokwoche 1987 herrscht reger Betrieb.
Bildrechte: Dok Leipzig/ Gerhard Podszuweit

Zur Geschichte des DOK-Festivals in Leipzig Die Achtziger | Späte Stunde des DEFA-Dokumentarfilms

25. Oktober 2019, 16:40 Uhr

Die 1980er-Jahre des Leipziger Dokfilmfestivals sind international geprägt. Doch politische Meinungsäußerungen sind nur Prominenten gestattet - leiser politischer Protest von Studierenden wird knallhart geahndet.

1980 - Ein Filmdokument aus El Salvador

Dass die Kamera als Waffe im Kampf gegen Unterdrückung dienen kann, zeigt "das erste nationale Filmdokument aus El Salvador". Regisseur Yderin Tovar drehte "Morazan, erste befreite Zone" über Volkskämpfer gegen die Junta. Die Arbeiter- bzw. Streikbewegung in Polen wird hingegen ignoriert.

1981 - US-Dokumentarfilme der 1930er- und 1940er-Jahre

Erstmals gibt es Veranstaltungen im Studentenclub "Moritzbastei". Dort läuft zum Beispiel "Die Angkar", ein Film über das Pol-Pot-Regime in Kambodscha. Die Retrospektive befasst sich mit US-Dokumentarfilmen der 1930er- und 1940er-Jahre. Gezeigt werden Werke von Herbert Kline, Elia Kazan, Paul Strand oder Fred Zinnemann. Die Filme werden in enger Zusammenarbeit mit dem New Yorker Museum of Modern Art ausgewählt. Filmkritiker und Filmemacher aus Westdeutschland nutzen das Festival, um sich über die Produktionen der DEFA zu informieren. So läuft 1981 zum Beispiel "Lebensläufe" von Winfried Junge, der die Goldene Taube erhält.

1982 - 25 Jahre: Filme der Welt - Für den Frieden der Welt

Zum 25. Jubiläum wird das Komitee des Festivals von der DDR-Regierung mit dem "Stern der Völkerfreundschaft" in Gold ausgezeichnet. Hiermit sollten die Verdienste um den Staat sowie der Kampf für Frieden gewürdigt werden. In der Sonderveranstaltung "Busch singt" wird an zwei Persönlichkeiten erinnert: An den Protagonisten, den Sänger und Schauspieler Ernst Busch, sowie an Konrad Wolf, der den sechsteiligen Fernsehfilm über Busch drehte. Beinahe täglich treffen sich Dokfilmer und Publikum zum "Leipziger Biertisch" um 23:00 Uhr in der Moritzbastei.

1983 - Besuch von Dean Reed

Karl-Eduard von Schnitzler wird auf eigene Bitte hin von seiner Postition als Vizepräsident entbunden. Highlight des Jahres ist der Auftritt Dean Reeds zur Eröffnung der Retrospektive "Film im Freiheitskampf der Völker - Chile". Die Teilnehmer des Festivals, darunter Karl-Eduard von Schnitzler (DDR), Christine Teelen-Venske (BRD) und Joan Harvey (USA) protestieren gegen den Beschluss der BRD zur Stationierung amerikanischer Pershing-II-Raketen. Eine friedliche Kerzen-Demonstration einiger Studenten vor der Nikolaikirche und vor dem "Capitol" wird innerhalb von Minuten aufgelöst, die Studenten werden zum Teil verhaftet.

1984 - Tabuthemen

Wie sich schon den Jahren zuvor abzeichnete, werden Tabuthemen verstärkt aufgegriffen. Karlheinz Munds "Eisenbahnerfamilie" ist einer der ersten DEFA-Filme zum Thema Behinderung und "The Times Of Harvey Milk" von Rob Epstein einer der ersten zum Thema Homosexualität. Das Staatliche Filmarchiv der DDR zeigt zwei Ausstellungen während des Festivals: In der "Moritzbastei" sind im Anklang an die Retrospektive "Reality and Film - Proletarischer und bürgerlich-progressiver Dokumentarfilm der 1930er-Jahre in Großbritannien" restaurierte Arbeiterfotografien zu sehen. Im Festival-Café des "Capitols" findet eine Ausstellung zu "25 Jahren neuer kubanischer Film" statt.

1985 - Erste Videowerkstatt

Die erste Videowerkstatt mit 200 Beteiligten - allerdings nur Fachpublikum - wird organisiert. 1985 jährt sich auch die Teilnahme kubanischer Filmemacher zum 25. Mal. Aus diesem Grund werden in einer Hommage zwölf bereits gezeigte und größtenteils auch ausgezeichnete Filme aus den Jahren 1962-1982 präsentiert.

1986 - Bekenntnisse von "Ganz Unten"

Das Programm der im vorangegangenen Jahr gegründeten Videowerkstatt wird auf 45 Beiträge ausgeweitet. Themen sind u.a. der Befreiungskampf der Völker Lateinamerikas, Asiens und Afrikas. Im Filmprogramm macht sich die Ost-West-Annäherung bemerkbar: "Joe Polowsky - ein amerikanischer Träumer", in dem es im weitesten Sinne um die Verständigung zwischen USA und Sowjetunion geht, wird mit der Goldenen Taube ausgezeichnet und erhält 10-minütigen Applaus vom Festivalpublikum. Jörg Gfrörers sorgt mit "Ganz Unten" für Aufregung: Nach einer Idee Günter Wallraffs, sich als Türke zu verkleiden und so den Umgang deutscher Arbeitgeber mit ausländischen Arbeitnehmern aufzudecken, entstand über Monate ein äußerst umstrittenes Dokument über die Ausbeutung bei Vogel und dem Thyssenkonzern. In Deutschland weigern sich alle Sender bis auf Radio Bremen, den vollständigen Film auszustrahlen. Schließlich geht er mit 100 Kopien in die Kinos.

1987 - Perestroika in Leipzig

Die in der Sowjetunion eingeführte Reformpolitik wird in den in Leipzig gezeigten Filmen thematisiert: Es läuft einer der ersten Filme über Reaktor-Katastrophe von Tschernobyl - "Die Glocke von Tschernobyl" von Rolan Sergijenko - und der mit einer Silbernen Taube ausgezeichnete "Die Männer von der Insel Kichnju", der sich mit gesellschaftlichen Problemen wie Alkoholismus beschäftigt, aber auch mit der Kultur des Volkes. Hans-Joachim Seydowski, Komiteemitglied, sagt: "In Leipzig hat die Perestroika Fuß gefasst." Gleichwohl tritt der Vorsitzende der Auswahlkommission, Richard Ritterbusch, nach dem Festival zurück. Er will sich den Vorgaben der SED bei der Filmauswahl nicht weiter beugen. ARD und ZDF sind erneut offizielle Teilnehmer des Festivals.

1988 - "Winter Adé"

Das Kultusministerium der DDR verbietet Teile des sowjetischen Programms sowie alle traditionellen Filmdiskussionen wie die öffentlichen Mitternachtsgespräche. Stattdessen werden geschlossene, morgendliche Pressekonferenzen eingeführt. Verbotene Filme werden dennoch vorgeführt, so auch "Rudi Dutschke - Aufrecht Gehen". Die westdeutsche Produktion darf zwar nicht im Wettbewerb gezeigt werden, allerdings läuft sie dann in der Tradeshow unter dem Motto "Die Auswahlkommission stellt vor". Erstmalig werden im "Capitol" Video-Großprojektionen gezeigt. Der vom Publikum gefeierte DEFA-Film "Winter Adé" von Helke Misselwitz über die Lebensbedingungen von Frauen in der DDR erhält eine Silberne Taube. Joris Ivens wird zum 90. Geburtstag mit einer Sondervorführung seiner Filme geehrt. Es läuft auch der bisher in der DDR nicht gezeigte China-Zyklus "Wie Yü Gung Berge versetzte: Die Apotheke" aus dem Jahr 1976.

1989 - Leipzig im Herbst

Die Stimmung in Leipzig, der "Stadt der Montagsdemonstrationen" als Ausgangspunkt der historischen Umwälzungen in der DDR, prägt auch das Festival. So kommentiert der amerikanische Filmemacher Michael Moore: Die sich ankündigenden Umwälzungen seien ein "Sieg Ronald Reagans im speziellen, der USA im allgemeinen und des Christentums überhaupt." Das Festival-Komitee tritt geschlossen nach Ende der Festivalwoche zurück, nicht ohne sich vorher für strukturelle Veränderungen auszusprechen. Der Film "Leipzig im Herbst" von Andreas Voigt und Gerd Kroske (DDR) erhält einen symbolischen Preis außerhalb des Wettbewerbs.

Über dieses Thema berichtete der MDR im TV: 28.10.2019 | 23:05 Uhr