Vaters Flucht vor den Nazis

Ein Film von Jacek Kubiak

26. November 2021, 17:13 Uhr

Von einem auf den andern Tag wurde die Familie von Akiba Zwick 1938 auseinander gerissen. Mit 85 Jahren ist er noch einmal zurück nach Leipzig gekommen, um zu verstehen, was damals mit seinen Eltern und seiner Schwester geschah. Denn während er mit zwei Geschwistern den Nazis mit Hilfe eines Kindertransportes entkommen konnte, überlebten sie den Holocaust nicht.

Akiba Zwick wuchs in einer glücklichen Familie auf. Aus dieser Zeit waren ihm nur noch wenige Fotos geblieben: von seiner Schwester Leni, von sich und seinem Bruder Moritz, von seinen Eltern Fanny und Jakob. Der Rest ist Erinnerung. Denn von einem auf den andern Tag wurde die Familie im Jahr 1938 auseinander gerissen ...

Das Kind von einst kehrt zurück

Akiba Zwick war damals zehn Jahre alt - ein Kind, das nicht verstand, was um ihn herum geschah. Mit über 80 Jahren machte er sich noch einmal auf den Weg von Israel zurück nach Leipzig. Seine Suche beginnt im Waldstraßenviertel. Denn dort lebte die Familie. Der Vater betrieb einen Pelzhandel am Brühl, den er nach der Reichspogromnacht von 1938 jedoch bald aufgeben mussten. Juden durften im Zuge der Arisierung keine eigenen Unternehmungen mehr führen.

Akiba will wissen, wie genau es seinen Eltern und seiner Schwester in den letzten Tagen und Monaten ihres Lebens erging, er möchte verstehen, warum er überlebte. Ihn quälen viele offene Fragen: Warum floh sein Vater damals zunächst alleine, ohne die Familie? Was genau geschah mit ihm? Was passierte mit seiner Mutter, was mit der Schwester? Vor ihm liegt eine äußerst emotionale Reise in die Vergangenheit, eine Reise, bei der Akiba erfährt, wie stark und selbstlos seine Eltern waren. Seiner Mutter gelang es noch, drei ihrer Kinder auf einen der letzten Kindertransporte weg aus Deutschland zu schicken ...

Lehrstück über die Kraft der Familie

Im Leipziger Waldstraßenviertel, dort, wo heute schick sanierte und begehrte Altbauwohnungen stehen, trugen sich damals viele solcher Tragödien zu. In der sehr persönlichen Geschichte von Akiba Zwick bekommt der Holocaust ein Gesicht: Aus einst namenlosen Opfern werden Eltern, Söhne und Töchter, Nachbarn oder Freunde mit konkreten Geschichten. Sie zeigen eindringlich, wie perfide und total die Verfolgung der jüdischen Bevölkerung durch die Nazis war.

Doch nicht "nur" davon erzählt der Film. Akibas Familiengeschichte ist auch ein Lehrstück über die Kraft der Familie, über Liebe in schwerster Zeit, über einen sympathischen Mann, der seinen Lebensmut nie verlor. Er hat die Stärke seiner Eltern weitergegeben. Das Vermächtnis von Fanny und Jakob Zwick, den beiden Leipzigern, die von den Nazis ermordet wurden, lebt in ihren Enkeln und Urenkeln fort. Akiba Zwicks Familie prägt bis heute ein starker Zusammenhalt und so begleiten ihn seine Angehörigen an die Orte seiner Kindheit, um zu erfahren, woher sie kommen ...

Stichwort: Kindertransporte & Jugend-Aliyah

Nach der "Reichspogromnacht" vom 9. November 1938 war klar, dass die Juden in Deutschland schutzlos waren. Die strengen Einwanderungsbestimmungen vieler Länder verhinderten jedoch ihre Flucht. So versuchten einflussreiche britische Juden Premier Arthur Neville Chamberlain zu überzeugen, diese Regelungen für jüdische Kinder und Jugendliche bis 17 Jahre zu lockern. Die jüdische Gemeinde verpflichtete sich zur Stellung von Garantiesummen und zur Verteilung der Kinder auf Pflegefamilien. Aufrufe erschienen in den Zeitungen.

Zeitgleich verhandelte die einflussreiche holländische Bankiersfrau Geertruida Wijsmuller-Meyer mit Adolf Eichmann über die Duldung der Transporte. Es kam zu einer Einigung.

Schon zwei Wochen nach der "Reichspogromnacht" begannen die ersten "Kindertransporte"aus Deutschland, Österreich, Polen und der Tschechoslowakei. Bis zum Ausbruch des Zweiten Weltkrieges am 1. September 1939 wurden so 10.000 Kinder und Jugendliche gerettet.

Weitere 10.000 jüdische Kinder erreichten dank der "Jugend-Aliyah" zwischen 1933 und 1943 Palästina, das unter englischem Mandat stand. Die Hilfsorganisation, die von Recha Freier, einer Berliner Lehrerin, initiiert wurde, kümmerte sich um die Einreisezertifikate und darum, dass die Kinder in Kibbuzim der Jugend-Aliyah in Palästina unterkamen.

Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | Spur der Ahnen | 14. November 2021 | 22:00 Uhr