Julius Schimann und sein ungewöhnliches Kriegsschicksal
Hauptinhalt
31. Juli 2019, 21:05 Uhr
In den 1920er Jahren baut Julius Schimann in Leipzig eine Gartenlaube. Die Hütte birgt über Jahre ein echtes Familiengeheimnis: Schimanns Tagebuch, das nach 1989 ein ungewöhnliches Schicksal aus Zeiten des Ersten Weltkrieges enthüllt.
Die Geschichte von Julius Schimann ist eine, die voller Überraschungen steckt. Sie beginnt in einem Leipziger Schrebergarten auf dem Dachboden seiner Gartenlaube. Dort taucht bei Renovierungsarbeiten Ende der 1980er Jahre ein geheimnisvoller Karton auf. Eingewickelt in eine Decke und in eine Rolle Dachpappe bringt er Erstaunliches zum Vorschein: persönliche Unterlagen von Julius Schimann sowie Orden und Dokumente. Der größte Schatz: sein Tagebuch mit minutiösen Aufzeichnungen aus der Zeit des Ersten Weltkrieges.
Durch den Fund angespornt, wird Schimanns Enkel Jörg Philipp zum Detektiv der eigenen Familiengeschichte. Jahrelang übersetzt er das in Sütterlin verfasste Tagebuch in die heutige Schrift. Zusammen mit seinem Cousin Detlev Mattis versucht er dem Großvater, den er nie kennengelernt hat, näherzukommen. Dabei entdecken sie ein ungewöhnliches Kriegsschicksal. Julius Schimann war zur Zeit des Ersten Weltkrieg kein Soldat. 1914 wird er der Leibbursche bei einem der bekanntesten deutschen Heerführern: August von Mackensen.
Im Dienst des "Marschall Vorwärts"
Generalfeldmarschall August von Mackensen, geboren 1849 in Preußen, führt im Laufe des Ersten Weltkrieg erfolgreiche Offensiven in Polen, Rumänien und Serbien, seine Truppen erobern Bukarest und Belgrad. In der Bevölkerung wird von Mackensen unter dem Spitznamen "Marschall Vorwärts" bekannt. Während der gesamten Kriegszeit begleitet ihn Julius Schimann, der eigentlich gelernter Zimmerer ist, als Diener. Zu Schimanns Aufgaben gehört es, Schuhe zu putzen, Kaffee zu kochen oder Koffer zu tragen. Aber er bewirtet auch hohe Staatsgäste wie den türkischen Sultan, den bulgarischen Zar Friedrich August III. oder den deutschen Kaiser Wilhelm II.
Opas Leistung war, dass er wahrscheinlich einen guten Tee gebrüht hat. Nicht etwa irgendwelche kriegerischen Leistungen.
Für seine Dienste als Leibbursche wird Schimann mit zahlreichen Orden ausgezeichnet. An der Front muss der gebürtige Ostpreuse nicht kämpfen, das Grauen dort erlebt er nur bei weniger Besuche mit von Mackensen.
Halb acht früh fingen die Kanonen an zu donnern, es war schrecklich das anzuhören und das hielt dann den ganzen Tag so an. Die zwei ersten russischen Schützengräben wurden von unserer Artillerie vollständig zugemacht und was da drin war mit. […] Allein am Sonntag waren nur 800 Verwundete von uns, außer den Schwerverletzten und Toten. Bitte das aber für Dich zu behalten."
1917 erhält Generalfeldmarschall von Mackensen die Militärverwaltung über Rumänien. Julius Schimann begleitet ihn nach Bukarest und macht dort eine Bekanntschaft, die sein Leben verändern sollte: Als er bei einer stationierten deutschen Offiziersfamilie die Tageszeitung vorbeibringt, öffnet ihm das Kindermädchen Gertrud Schumann die Tür. Gertrud, von Julius Schimann "Trudel" genannt, hat es ihm angetan. Die erste Begegnung mit ihr hält er natürlich im Tagebuch fest: "11. August 1918: Trudel zum ersten Mal gesehen." Einige Tage später küssen sie sich offenbar zum ersten Mal, doch die junge Liebe wird schnell wieder auseinander gerissen.
Das Ende des Krieges
Als 1918 in Berlin die Revolution ausbricht und der Kaiser abdankt, wird Julius Schimann im Gefolge von August von Mackensen, der sich auf dem Rückweg nach Deutschland befindet, von den alliierten Streitkräften verhaftet. Über ein Jahr kann Julius Schimann seine Trudel nicht sehen, er wird erst in Ungarn, dann in Griechenland festgehalten. In einem Brief an seine Mutter macht er seinem Ärger Luft.
Meine liebe Mutter! Was ich für einen Ärger besitze, glaubst Du gar nicht. Wenn es einen gerechten Gott gäbe, der würde das doch nicht zulassen, dass wir noch ein ganzes Jahr nach Waffenstillstand in der Gefangenschaft zubringen müssen. Mein Glaube und meine Hoffnung ist dahin, ich traue keinem Menschen nichts mehr. Wenn ich einmal nach Hause komme, bin ich ein anderer geworden.
1920 kommt Schimann aus seiner Gefangenschaft frei. Er kann nach Deutschland und zu Gertrud zurückkehren. Die beiden heiraten in Leipzig und gründen eine Familie. In dem Schrebergarten der jungen Familie errichtet Julius Schimann die Gartenlaube, die über Jahrzehnte sein Familiengeheimnis bergen wird. In den 1920er Jahren wird Julius Schimann Polizist in Leipzig und bleibt dies bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs. 1946 wird er von der sowjetischen Besatzungsmacht verhaftet und verschwindet für fast fünf Jahre in verschiedenen Lagern. 1950 wird er in den "Waldheimer Prozessen" als angeblicher NS-Täter zu zehn Jahren Gefängnis verurteilt. Doch bereits acht Tage nach der Urteilsverkündung stirbt Julius Schimann im Alter von 58 Jahren an den Folgen einer Tuberkuloseerkrankung.