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Bildrechte: Andreas Lander

Rezension: Theater MagdeburgFantasie versus RealitätSergej Prokofjews "Die Liebe zu den drei Orangen" am Theater Magdeburg

23. Januar 2024, 10:47 Uhr

Was ist Wahrheit und was schon Traum? Wer oder was bestimmt unser Leben? Und was haben wir selbst in der Hand? Mit diesen Fragen setzt sich die österreichische Regisseurin Anna Bernreitner in ihrer Inszenierung von Prokofjews Oper auseinander.

von Susann Krieger, MDR KLASSIK

Im Mai 1918, kurz nach der russischen Revolution, verlässt der junge Sergej Prokofjew Sowjetrussland und reist über Sibirien und Japan in die Vereinigten Staaten. Im Gepäck hat er das Theaterstück "Die Liebe zu den drei Orangen" des Italieners Carlo Gozzi. Der Dichter blickt ins Machtgetriebe eines fiktiven venezianischen Hofes des 18. Jahrhunderts.  Ein Hof mit Zauberern, korrupten Beamten und machthungrigen Verwandten.

Eine Märchenwelt: mit Schloss, Prinz, Prinzessin und Zauberern Bildrechte: Andreas Lander

Der russische Theater-Avantgardist Wsewolod Meyerhold, ein Freund Prokofjews, nimmt Gozzis "Commedia dell´arte" als Vorlage für ein neues, modernes Bühnenwerk. Dafür erfindet er eine zweite Ebene: die der Publikumsgruppen.

Verschiedene Chorstimmen blicken auf das Märchengeschehen herab, kommentieren es und greifen sogar in die Handlung ein. Sergej Prokofjew macht daraus eine Oper und schreibt Libretto und Musik: "Die Liebe zu den drei Orangen" wird 1921 in Chicago uraufgeführt.

Gut gegen böse vor märchenhafter Kulisse

Anna Bernreitner setzt sich mit diesem fantastischen Stoff auseinander: in Kooperation mit der Opéra national de Lorraine in Nancy, dem Theater Sankt Gallen und dem Theater Magdeburg zaubert sie mit sehr viel Leichtigkeit das Werk auf die Bühne.

Sie erzählt das Märchen vom depressiven Prinzen, der seinen Vater, den König, auf dem Thron beerben soll. Dafür muss der Prinz unbedingt zum Lachen gebracht und somit geheilt werden. Doch es gibt – wie in Märchen üblich – die andere, dunkle Seite. Auch die will an die Macht und kämpft mit allen Mitteln gegen Prinz und König.

Giorgi Mtchedlishvili und Weronika Rabek Bildrechte: Andreas Lander

Immer wieder arbeitet die Regisseurin mit Hannah Rosa Oellinger und Manfred Rainer, die für Bühne und Kostüm verantwortlich sind, zusammen. Gemeinsam haben sie bereits Opern vor ungewöhnlichen Kulissen, wie in Schwimmbädern, Fabriken oder im Wald, inszeniert.

Diesmal kreieren sie eine Märchenwelt: mit Schloss, Prinz, Prinzessin und Zauberern. Sie ziehen ihre Protagonistinnen und Protagonisten großartige Kleider an. Überall glitzert es bunt und grell. Der Prinz trägt goldene Absatzschuhe und enge hellblaue Hosen. Große Halskrausen und Perücken, leuchtende Kronen und funkelnde Oberteile bestimmen die märchenhaften Charaktere.

Überall glitzert es bunt und grell. Bildrechte: Andreas Lander

So toben, springen und tänzeln sie über die Bühne: übertrieben, grotesk, witzig. Von den Schlosstürmen schaut die Außenwelt – der Chor – in medizinisch-weißer Schutzkleidung auf das skurrile Märchentreiben herab.

Verschiebung von Grenzen

Die Märchenwelt weiß nicht, dass sie beobachtet und gelenkt wird. Doch beide Welten – die reale und die fantastische – überschreiten ihre Grenzen. Alles fließt ineinander. Was ist noch echt und was schon Traum? Anna Bernreitner stellt diese Lebensfragen und lässt das Publikum entscheiden.

Sergej Prokofjews Musik ist voll von Ironie. Wie schnelle Filmschnitte setzt er seine Szenen zusammen. Rasant, witzig, direkt. Trotzdem die Oper in Amerika in französischer Sprache uraufgeführt wurde und auf dem Stoff eines Italieners beruht, ist sie voll von russischen Melodien. Berühmt geworden ist der Marsch, den er später im Ballett "Aschenputtel" zitieren wird. Prokofjew verzichtet auf lange Arien oder Duette, um Gefühlen großen Raum zu geben. Die Handlung rast zügig voran, Emotionen treffen punktgenau.

Dabei spielt das Magdeburger Ensemble  absolut überzeugend. Jordanka Milkova, Adrian Domarecki, Aleksandr Nesterenko oder Rosha Fitzhowle agieren als Solistinnen und Solisten genauso energiegeladen wie jedes einzelne Chor- und Orchestermitglied unter der Leitung von Svetoslav Borisov.

Jordanka Milkova und Adrian Domarecki Bildrechte: Andreas Lander

Es macht Spaß zuzuhören und zuzuschauen. Das Karussell dreht sich immer schneller, sodass das Publikum am Ende zwischen Realität und Fantasie nicht mehr zu unterscheiden weiß.

Eine gelungene, kluge und witzige Inszenierung.

Besetzung

Musikalische Leitung Svetoslav Borisov
Regie Anna Bernreitner
Bühne, Kostüm Hannah Rosa Oellinger,
Manfred Rainer
Lichtdesign Paul Grilj
Dramaturgie Sarah Ströbele
Choreinstudierung Martin Wagner

Der Prinz Aleksandr Nesterenko
Truffaldino Adrian Domarecki
Celio, Der Herold Giorgi Mtchedlishvili
Fata Morgana Jordanka Milkova
Der Kreuzkönig Paul Sketris
Pantalone Marko Pantelić
Prinzessin Clarice Susana Boccato
Leander Doğukan Kuran
Die Köchin Patrick Bolleire/
Johannes Stermann*
Linetta, Smeraldina Weronika Rabek
Ninetta Rosha Fitzhowle
Nicoletta Emilie Renard
Farfarello Olli Rasanen
Zeremonienmeister Manfred Wulfert

Opernchor des Theaters Magdeburg
Die Sonderlinge, die Tragischen, die Komischen, die Lyrischen, die Schwachsinnigen

Opernchor des Theaters Magdeburg
Statisterie des Theaters Magdeburg
Magdeburgische Philharmonie

Weitere Informationen:Oper in vier Akten (zehn Bildern) und einem Vorspiel von Sergei Prokofjew
Libretto vom Komponisten nach Carlo Gozzi
In deutscher Sprache
Koproduktion mit der Opéra national de Lorraine in Nancy und dem Theater St. Gallen
Ab 10 Jahren

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Weitere Vorstellungen:
27.01. 19:30 Uhr
18.02. 16 Uhr
24.02. 19:30 Uhr
01.04. 18 Uhr
28.04. 18 Uhr

Dieses Thema im Programm:MDR KLASSIK | MDR KLASSIK am Morgen | 22. Januar 2024 | 07:40 Uhr

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