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Das Dresdner Stahlquartett: Alexander Fülle, Anna Friederike Potengowski, Michael Antoni und Peter Andreas. (v.l.) Bildrechte: dresdner-stahlquartett

Teil 1: Sommerserie InstrumentenbauDresdner Stahlquartett: Die Entdeckung der musikalischen Langsamkeit

13. Juli 2023, 09:08 Uhr

Irgendwann während seines Musikstudiums war es Jan Heinke leid, so schnell wie möglich spielen zu können. Den sportliche Reiz, der seiner Meinung nach dahinter steckt, fand er nicht mehr interessant. Stattdessen widmete er sich dem Klang an sich, experimentierte und erfand schließlich das Stahlcello. Ein Streichinstrument aus zwei massiven Trägern, die eine Serie verschieden langer Stäbe mit resonierender Edelstahlfläche verbinden. Er gründete das "Dresdner Stahlquartett", das seine Idee bis heute lebendig hält.

von Susann Krieger, MDR KLASSIK

Erfunden von Jan Heinke († 2022): Stahlcello Bildrechte: Susann Krieger

Zur Probe des Dresdner Stahlquartetts geht es die Treppe hinab. Mit jedem Schritt Richtung Proberaum nähern sich Klänge dem Ohr. Zuerst mischen sie sich noch mit den Geräuschen der Außenwelt, doch allmählich nehmen sie den Zuhörenden vollkommen für sich ein. Friederike Potengowski, Peter Andreas, Michael Antoni und Alexander Fülle stehen im schmalen Kellergewölbe vor mannshohen Instrumenten und streichen mit Bögen auf verschiedenen langen Stäben der Stahlcelli. Ruhe breitet sich aus.

Reise zu neuen Klängen

Jan Heinke hat die Instrumente erfunden und gebaut. Er wuchs in Dresden auf, sang im Kinderchor der Dresdner Semperoper und studierte Jazzmusik an der dortigen Musikhochschule. Doch irgendwann stellte er für sich fest, dass er wenig dabei empfindet, so schnell wie möglich spielen zu können. Das Zählen der "Beats per Minute" habe ihm nicht mehr eingeleuchtet, der sportliche Reiz, der seiner Meinung nach dahinter steckt, nicht mehr interessiert.

Ich habe irgendwann mal festgestellt, dass ich auf langsame Klänge stehe. Wenn man Klänge unter die Lupe nimmt, dann sieht man, dass sie aus verschiedenen einzelnen Komponenten bestehen und diese kann man lernen zu hören.

Jan Heinke, 2011

Das Stahlcello ist das Ergebnis einer langen Reise durch die Welt der Klänge. Bildrechte: Susann Krieger

Und so begab sich Jan Heinke auf eine Klangreise. Er experimentierte mit dem Element Stahl, begann erste Instrumente zu bauen, entdeckte den Obertongesang für sich und näherte sich den Klängen, die ihn faszinierten, berührten, ihn im Herzen trafen. Verschiedene Instrumente, die an Skulpturen erinnern, entstanden. Das Stahlcello ist das Ergebnis einer langen Reise und er überzeugte auch andere Musiker von seiner Erfindung. 1999 gründete Jan Heinke das "Dresdner Stahlquartett".

Unterwegs

Seit mehr als 20 Jahren reist das Quartett mit den etwa 50 Kilogramm schweren Instrumenten durch die Welt und begeistert sein Publikum. Die vier Musikerinnen und Musiker spielen Bach, Mozart, Beethoven und neue Kompositionen, verbinden sich mit anderen Musizierenden, bauen die Celli an architektonisch spannenden Plätzen – wie alten Zechen des Ruhrgebiets, Bahnhöfen oder in Parks – auf. Immer beeinflussen die Stahlklänge in ihrer Eigenheit die Atmosphäre ihrer Umgebung, mischen sich in Geräuschkulissen ein oder wirken in großer Stille fast körperlich. Während ein Ton entsteht, kommen neue hinzu. Jeder einzelne musikalische Moment wird hörbar und bedeutsam.

Spektakulär, wie von einer anderen Welt und doch unglaublich nah.

Verbeugung vor dem Erfinder

Der Erfinder des Stahlcellos Jan Heinke ist im April 2022 verstorben. Doch das Ensemble macht weiter. Alle vier haben außerhalb des Quartetts ihr eigenes, freischaffendes musikalisches Leben: Friederike Potengowski, seit 2023 neu dabei, ist Flötistin und erforscht unter anderem Klänge von Steinzeitflöten. Der Sänger Michael Antoni tritt als "Grammophonist" mit Schlagern der 20er und 30er Jahre auf, begleitet sich am Klavier und mit dem typischen Kratzen alter Schellackplatten. Peter Andreas komponiert für Film, Theater und Konzert. Alexander Fülle tritt als Jazzpianist auf.

Gemeinsam sehen sie es als ihre Aufgabe, das beeindruckende Werk Jan Heinkes am Leben zu erhalten und setzen seine begonnene Reise fort. Sie forschen weiter am Klang, spielen immer neue Werke, improvisieren, arbeiten mit anderen Musikerinnen und Musikern, Stimmen, Instrumenten und suchen nach neuen Spielmöglichkeiten.

Dafür steigen Friederike Potengowski, Peter Andreas, Michael Antoni und Alexander Fülle weiter hinab ins Kellergewölbe, um gemeinsam mit ihren großen Bögen auf den Stäben der Stahlcelli zu streichen.

Weitere Infos: www.stahlquartett.de

Mehr zum Thema Instrumentenbau

Dieses Thema im Programm:MDR KLASSIK | MDR KLASSIK am Morgen | 12. Juli 2023 | 08:40 Uhr

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