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"Jugend musiziert": Eine Institution wird 601963 wurde der bekannte Wettbewerb ins Leben gerufen. Wie hat er sich seitdem verändert?

22. Mai 2023, 00:00 Uhr

Mindestens einmal an "Jugend musiziert" teilzunehmen – für engagierte Musikschülerinnen und -schüler ein Muss. Vor 60 Jahren wurde der Wettbewerb ins Leben gerufen. Wie hat er sich seitdem entwickelt, was ist der Stand und wie könnte der Wettbewerb in Zukunft aussehen?

von Felicitas Förster, MDR KLASSIK

Das Ziel: Mehr Kinder an die Instrumente locken

Heute schwer vorzustellen, aber damals, in den 60er Jahren in der Bundesrepublik, da hatten die Sinfonieorchester arge Nachwuchsprobleme. Bratschen, Kontrabässe, Oboen oder Hörner galten als "Mangelware". Ein Wettbewerb sollte es richten. "Jugend musiziert" wurde ins Leben gerufen, mit dem klar definierten Ziel: mehr Kinder und Jugendliche an die Instrumente zu locken.

Dieses Ziel wurde offenbar eingelöst. Waren es im ersten Durchlauf nur wenige hundert Teilnehmende, wurden es über die Jahre immer mehr. Bis heute haben insgesamt über eine Million junge Musikerinnen und Musiker mitgemacht, darunter einige, die später zu echten Stars wurden: die Geiger Frank-Peter Zimmermann, Kolja Blacher und David Garett, die Geigerin Anne Sophie Mutter und die Klarinettistin Sabine Meyer.

Sie werden immer besser

Ohne "Jugend musiziert" wäre Deutschland als Musikstandort wohl nie so stark geworden. Nicht nur, dass mittlerweile mehr Jugendliche musizieren, sie werden auch immer besser. Beim Bundeswettbewerb, so heißt es, werde inzwischen auf einem Niveau gespielt, das früher bei Aufnahmeprüfungen von Hochschulen verlangt wurde.

Besonders in den letzten Jahren sei das Niveau noch einmal gestiegen. Corona sei genutzt worden, um noch mehr zu üben, um sich noch mehr mit der Musik zu beschäftigen, erläutert Ulrike Lehmann, die Projektleiterin von "Jugend musiziert".

Das ist auch nachvollziehbar, weil für viele Musizieren ja auch ein Ventil ist, um Frust rauszulassen, um sich zu motivieren, um irgendwas Positives zu haben.

Ulrike Lehmann, Projektleiterin von "Jugend musiziert"

“Wird das mein Konkurrent sein?”

Dabei ist die Grundstruktur des Wettbewerbs bis heute dieselbe geblieben: Vom Regionalwettbewerb geht es zum Landeswettbewerb, vom Landeswettbewerb zum Bundeswettbewerb. Um weiterzukommen braucht man einen ersten Preis. Einen solchen zu ergattern, war früher allerdings schwieriger als heute.

In den Anfängen gab es nämlich eine Art K.O.-Prinzip: In jeder Kategorie und Altersgruppe wurde höchstens ein erster Preis vergeben. Laut Ulrich Rademacher, Vorsitzender des Projektbeirats von "Jugend musiziert", hat das viele Teilnehmerinnen und -teilnehmer demotiviert: "Als Bläser hat man mit Argwohn geguckt, mit welchen Köfferchen die anderen Teilnehmer kommen: Ist da eine Oboe drin, ist da eine Trompete drin? Wird das mein Konkurrent sein?"

Zusammen ist man weniger allein

Heute dürfen mehrere erste Preise vergeben werden – Ellenbogen-Mentalität ade. Eine weitere wichtige Neuerung: Solistische Leistung liegen weniger im Fokus, dafür mehr das gemeinsame Musizieren. So gibt es Kategorien wie ‘Horn solo’ oder ‘Violine solo’ nur noch alle drei Jahre. Wer öfter antreten will, kann das mit einem Ensemble realisieren.

Für Ulrich Rademacher hat das eine ganz neue Qualität geschaffen: "Erst haben wir gedacht, dass das möglicherweise den Glanz von den exzellenten Einzelleistungen wegnimmt." Aber dann habe man erlebt, wie es in der Kammermusik eine "enorme Leistungs- und Motivationssteigerung" gab.

Keine Bastion der Klassik

Waren am Anfang nur Orchesterinstrumente zugelassen, hat sich der Wettbewerb nach und nach geöffnet, zum Beispiel für das Klavier oder auch für den Gesang. Eine Sache jedoch schien unumstößlich: "Jugend musiziert" – das war eine Bastion der Klassik. Erst 2009 war es damit vorbei. Da wurden die Pop-Kategorien eingeführt – und 2015 dann die Kategorie ‘Besondere Instrumente’.

Da hört man dann schon mal die arabische Bağlama. Für Ulrich Rademacher ist die Öffnung damit nicht abgeschlossen: Man müsse neue Strömungen in der Popmusik mit Qualitätskriterien so klar definieren, dass der Wettbewerb dort genauso stilbildend und qualitätsbildend wirken könne, wie er das in der klassischen Musik getan habe, denn:

Wir heißen ja ‘Jugend musiziert’ und das ist ja auch ein Auftrag an uns: Wirklich das abzubilden, was die Jugend musiziert.

Ulrich Rademacher, Vorsitzender des Projektbeirats von "Jugend musiziert"

Macht der Wettbewerb krank?

Keine Frage: "Jugend musiziert" ist eine Institution. Kaum ein ambitionierter Musikschüler, der nicht mindestens einmal vorspielt. Es gibt aber auch Kritik. Von einem "Drama" spricht der Psychotherapeut Eckhard Schiffer: Von 50 jungen talentierten Musikerinnen und Musikern gewönnen drei einen Preis. Die restlichen 47 müssten getröstet werden. Manche würden die Enttäuschung nicht verkraften: "Und das ist eine Situation, die schon bei mir dann in meiner Tätigkeit als Arzt für psychosomatische Medizin sich dann auch widerspiegelt in Form von Krankheitsbildern, die Patienten mitbringen."

Nicht jeder kann mit dem Leistungsdruck umgehen. Den Wettbewerbsorganisatoren ist das bewusst. Sie versuchen zu unterstützen, zum Beispiel mit einem Workshop beim Bundeswettbewerb zum Thema ‘Mentale Gesundheit’. Sie sagen aber auch: Ihr Einflussbereich sei begrenzt, an dieser Stelle seien Eltern und Lehrer gefragt.

Ein wegweisendes Treffen

Alle fünf Jahre treffen sich Vertreter aller Wettbewerbsebenen zu einer Zentralkonferenz, so auch dieses Jahr im Herbst. Dort wird dann besprochen, wie es mit "Jugend musiziert" weitergeht, wie die Zukunft konkret aussehen soll für Deutschlands größten Nachwuchs-Musikwettbewerb.

Mehr Nachwuchs in der Klassik

Dieses Thema im Programm:MDR KLASSIK | 16. Mai 2023 | 08:40 Uhr

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