MDR INVESTIGATIV - HINTER DER RECHERCHE (FOLGE 61) Jung, rechts, gewaltbereit

Audiotranskription

23. September 2022, 13:30 Uhr

Während der Pandemie hat die Radikalisierung Heranwachsender in einigen Regionen Deutschlands spürbar zugenommen. Andersdenkende, Menschen anderer Hautfarbe oder sexueller Orientierung wurden zu Feindbildern. Wie geraten junge Menschen auf der Suche nach den eigenen Wertvorstellungen in die Fänge radikaler Ideologen? Podcastgespäch mit den Filmautoren Ben Arnold und Marcel Siepmann

Früher habe ich auch ja links gedacht, aber das hat sich alles geändert mit dem mit den Vorfällen mit Ausländern. Die kommen hierher, die kriegen Vollverpflegung, die kriegen alles zugesagt, in den Arsch geschoben, und bauen hier trotzdem nur Scheiße. Ich habe mir die linke Seite angeguckt, die rechte und ich habe mich entschieden.

Jonas (16 Jahre) aus Zwickau "Jung, rechts, gewaltbereit"

Man spricht ganz oft über Gefühle. Also, dass Jugendliche vor mir stehen und sagen, ja, aber gefühlt ist es ja so, dass mehr Ausländer gewaltbereit sind als Deutsche. Bei Jugendlichen brauchst du in den meisten Fällen nicht mit Fakten zu kommen, du brauchst da keine Statistik. Das interessiert die gar nicht, sondern die gefühlte Wahrheit hat einen höheren Stellenwert als die tatsächliche Wahrheit. Und das macht es in so ner Diskussion dann schwierig.

Chris Schlüter, Sozialarbeiter aus Zwickau "Jung, rechts, gewaltbereit"

Moderation Secilia Klopppmann (SK)

Das waren Stimmen aus dem MDR-Film "Jung, rechts, gewaltbereit" meiner Kollegen Ben Arnold, Marcel Siepmann und Tim Schulz. Und damit willkommen zu einer neuen Folge von MDR INVESTIGATIV - Hinter der Recherche. In diesem Podcast sprechen wir mit Autorinnen und Autoren über ihre Recherchen, Hintergründe und persönliche Eindrücke und Einschätzungen. Mein Name ist Secilia Kloppmann. Ich arbeite für die politischen Magazine des Mitteldeutschen Rundfunks. Dem Osten Deutschlands haftet das Stigma an, dass hier eine größere Offenheit gegenüber rechten Gedanken als im Westen herrscht. In dieser Podcast-Folge stellen wir die Frage ist das wirklich so? Und wenn ja, warum? Und wie gefährlich ist es, dass neonazistische Gruppen versuchen, gezielt Angebote für Jugendliche zu schaffen? Außerdem soll es darum gehen, welche Konsequenzen die Sozialarbeit aus den Erfahrungen der 90er-Jahre gezogen hat, in der gerade Jugendzentren als Orte der Radikalisierung dienten. Bei mir zu Gast sind Marcel Siepmann und Ben Arnold. Für ihren Film "Jung, rechts, gewaltbereit" waren sie vor allem in Sachsen, und zwar in Zwickau und Plauen unterwegs. Hallo Marcel, hallo Ben

Euer Film, der heißt „Jung rechts gewaltbereit“, der ist zu sehen ab dem 3. Oktober auf YouTube im Channel MDR INVESTIGATIV. Dieses Thema „jung, rechts gewaltbereit“, Wie seid ihr darauf gekommen? Und wie habt ihr euch dem genähert?

Ben Arnold (BA)

Marcel und ich habe im letzten Herbst bereits zusammen in der Zwickauer Region gearbeitet. Es war zu der Zeit des Jahrestages der Selbstenttarnung des Nationalsozialistischen Untergrundes. Und wir sind da auf verschiedenen Veranstaltungen und Demonstrationen gewesen, unter anderem auch bei einer Demonstration der eher linkeren Szene. Wo ich dann durch die Nebenstraßen gezogen bin und versucht habe, Störer aus dem rechtsextremistischen Milieu aufs Bild zu bekommen, und das ist mir auch gelungen. Und ich war selber ganz überrascht. Das waren alles Jugendliche, 13, 14, 15 Jahre alt - Reichskriegsflagge schwenkend, und das hat mich sehr beschäftigt. Und es ging dann aber weiter, dass es tatsächlich auch noch ein Übergriff gab, auf einer anderen Demonstration ...

Marcel Siepmann (MS)

Genau, wir waren zusammen in dieser Recherche und hatten dann so ein paar Tage später auf einer Demo gefilmt, gegen die Corona-Maßnahmen, und wollten da einen stadtbekannten Neonazi konfrontieren mit Vorwürfen. Und der wurde flankiert von von rechtsradikalen Jugendlichen, die dann auch später auf uns - also auf mich - und das Team losgegangen sind. Und später hat sich dann herausgestellt, dass diese beiden, die sich da aus der Gruppe herausgelöst haben, auf uns zugegangen sind, in die Kamera gefasst und geschlagen haben, dass die gerade mal 17 waren. Und das war dann auch so ein weiterer Moment zu sagen okay, das müssen wir uns jetzt einfach mal noch einmal genauer anschauen. Wir haben uns immer viel auf diese älteren Strukturen da fokussiert. Und jetzt gucken wir jetzt mal an, wie junge Menschen sich in der rechtsradikalen Szene radikalisieren. Warum machen die das, wer welche Akteure versuchen, das auch gezielt zu forcieren? Und so sind wir dann in die Recherche gestartet.

SK

Ihr seid für den Film mit mit vielen verschiedenen Jugendlichen auch in Kontakt gekommen. Wie habt ihr das überhaupt geschafft? Ich meine, laufen sicher nicht durch die Gegend und sagen, fragt mich mal zu meinen Einstellungen?

BA

Wir haben das eigentlich auf zwei unterschiedlichen Wegen gemacht. Wir haben uns von einem Streetworker die Orte zeigen lassen, wo die jungen Leute rumhängen und und haben da ganz gezielt junge Menschen angesprochen. Sie genauso gefragt, also welche politischen Einstellungen habt ihr warum? Warum seid ihr rechtsorientiert? Warum spricht euch das an? Und ein anderer Rechercheweg war dann über soziale Träger, über Jugendclubs, über Schulen, über Jugendangebote zu gehen. Dort nachzufragen habt ihr dort auch dieses Problem? Seht ihr, dass immer mehr junge Menschen sich rechten Ideologien öffnen? Wie geht ihr damit um? Und da haben wir festgestellt, dass zwar viele das so bejaht haben und gesagt haben ja, das ist bei uns ein Problem. Aber kaum jemand wollte offen da mit uns drüber reden. Und wir haben dann Glück gehabt und haben einen quasi einen Verbündeten gefunden, einen Erzieher, der gesagt hat wir müssen darüber sprechen. Darüber wird viel zu wenig gesprochen. In dem Jugendclub, wo er arbeitet, nimmt er dieses Problem zunehmend wahr. Und er hat sich dann auch für uns stark gemacht, auch bei seinen Vorgesetzten. Und letztendlich durften wir dann in dem Jugendclub auch zwei Tage dabei sein.

SK

Und diese jungen Leute, die Ihr getroffen habt, wie sind die euch gegenübergetreten? Hatten die Vorbehalte, als Ihr gesagt habt, ihr kommt vom Mitteldeutschen Rundfunk? Waren die offen von Anfang an? Marcel

MS

Dadurch, dass wir jemanden wie Chris Schlüter, den Sozialarbeiter dort hatten, der total begeistert war von diesem Filmprojekt und gesagt hat, das ist das Thema, mit dem wir uns auseinandersetzen müssen. Und ich will irgendwie dazu beitragen, das möglich zu machen. Da hatten wir den Eindruck, einen Vertrauensvorschuss auch zu haben und irgendwie auch ein Interesse. Wir haben teilweise Teile des Films mit Handykameras gefilmt. Das ist erst einmal auf Interesse gestoßen, hat teilweise die Jugendlichen so ein bisschen belustigt. Und die fanden es aber auch ganz interessant und hatten da auch was, wo sie das Gefühl hatten, das kennen sie. Also wir standen dann nicht direkt mit einer großen Kamera vor denen, sondern mit kleinem Gerät. Und haben dann auch sehr offene Gespräche geführt und sind da so reingekommen, dass es irgendwie immer vertrauter wurde. Und Ben kann dann vielleicht noch mal erzählen. Er hat dann weitere Drehs auch im Jugendclub gemacht, teilweise auch alleine mit der Kamera und ist dann daher noch mal ein bisschen näher dran gekommen.

BA

Ich denke schon, dass es ein Vorteil ist, wenn man nicht nur einmal an so einen Ort geht und dann gleich mit einem großen Team, sondern wenn es eben Vorgespräche gibt und vielleicht auch nicht nur einen Dreh gibt und man dann auch im kleinen Team sein kann, dann entsteht schon auch eine Vertrauensbasis. Und klar, die Jugendlichen sind auch mitteilungsbedürftig. Das erzeugt auch bei denen ein gutes Gefühl, dass sich überhaupt jemand für sie interessiert. Da ist dann halt die Frage auch von unserer Seite her, von der journalistischen Seite her - wie treten wir an die Jugendlichen heran? Schaffen wir das, die auch ernst zu nehmen in ihrer Person, auch mit all dem, was völlig schiefläuft in ihren Lebenswegen, in ihren Lebenseinstellungen und trotzdem einen respektvollen Ansatz zu haben? So schwer uns das dann auch manchmal fällt, wenn jetzt wirklich Sachen kommen wie: Ich finde Gewalt geil und ich würde am liebsten alle Homosexuellen umkloppen ...da schluckt man dann ja erst einmal selber und und fragt sich so wie gehe ich jetzt mit so einer Aussage um? Und ich glaube, das war eigentlich an der Stelle auch die größte Herausforderung, dann tatsächlich die, die weiterhin trotz solcher Aussagen demgegenüber klarzumachen, dass man bereit ist, ihm einfach mal zuzuhören.

SK

Es gibt eine Szene im Film, die ich auch wirklich erschreckend fand. Ihr habt da einen Jungen, den nennt ihr Jonas, der taucht mehrfach auf in dem Film und der bezeichnet sich auch selbst als als als Neonazi, sagt er findet das super, und es gibt ein Mädchen, die sitzen zu dritt auf einer Bank, und sie sagt, dass sie bisexuell ist

O-Ton aus dem Film

Mädchen: Also ich selbst bin bi. Jeder darf sich in seinem Körper so fühlen, wie er möchte. Und solange er sich wohlfühlt, ist es ja auch sein Recht das preiszugeben oder nicht, wie es eure Meinung zu LGBTQI+? Jonas: Also das ist - da bin ich jetzt auch ganz offen und ehrlich – Schmutz, Abschaum. Ich muss es so sagen. Also in der Stadt hängt so eine LGBTQI Flagge. Überall auf Insta oder im Internet sehe ich DAS - das kotzt mich einfach an.

Filmszene "Jung, rechts, gewaltbereit"

SK

..."was auch immer", so wörtlich, "schwul oder lesbisch", das sei für ihn Schmutz, das sei für ihn Abschaum. Also man denkt immer, dass die Alten die Bornierten sind. Aber jetzt sind es die Jungen. Woher kommt das? Man denkt ja, dass die Jungen offener sind...

BA

Na ja, das ist ein ganz klassisches Männlichkeitsbild. Ein Bild von Stärke, das geht ja auch eben zusammen mit rechtsradikaler Ideologie. Der Mann als der starke. Und die Frau, die sozusagen auch ein Stück weit für den Mann da ist, dass ist ein klassisches Rollenmodell. Ich glaube tatsächlich, dass das auch viel in den Familien weitergegeben wird. Und das ist halt auch ein Punkt, wo man einfach schauen muss, wie wachsen diese jungen Leute auf? Also wir hatten in Sachsen Pegida, wir haben die AfD: Also rechtsextremistische Strömungen, Tendenzen, Aussagen gehören so sehr zu einer Art Normalität hier, dass es auch ja schwierig ist für die jungen Menschen, das zu hinterfragen und das zu reflektieren, weil das genau das ist, was sie eben auch täglich erleben. Aber tatsächlich gerade dieses Ablehnen von ner queeren Szene, von Diversity, von LGBTQI Plus, das ist schon sehr deutlich zu sehen bei Jugendlichen, die rechtsorientiert sind, und das geht bis hin zur Gewalt. Und man muss auch sehen, diese Szene in dem Film, das ist ja auch schon eine Form der Gewalt, wenn tatsächlich so ganz offen einem jungen Mädchen gegenüber gesagt wird, also das, wofür du stehst, wofür du dich einsetzte, was du glaubst, das ist Abschaum. Und das so ins Gesicht hinein zu sagen, das ist krass. Ja, und das ist aber alltägliches Erleben für die Jugendlichen. Und das ist so ein Stück weit auch das Schockierende an dieser Szene, das so zu erleben.

SK

Du, mit der Kamera als Beobachter dort vor Ort, wenn du dann so was hörst, was geht da in Dir vor?

BA

Also das war tatsächlich ein Moment, nach dem ich meine Meinung mal gesagt habe. Auf dem Material habe ich das gesehen, wo ich mich wirklich zurückgezogen habe und gesagt habe, so normalerweise stelle ich hier nur die Fragen. Aber ich muss jetzt mal was dazu loswerden, weil ich es auch ein Stück weit einfach gar nicht verstanden habe. Also das so eine Ablehnung besteht, ohne überhaupt zu sagen können, warum? Was dann kam, war die 70 Geschlechter gibt es in meinen Augen nicht und das nervt, man könne keinen Regenbogen mehr sehen, ohne irgendwie an Transgender zu denken. Also es fehlte jegliche Begründung für diese Ablehnung.

MS

Für uns war es dann natürlich auch immer eine Abwägung und die Frage also wie sehr, will man so was jetzt dann noch reproduzieren und auch gewissermaßen dem so eine Plattform geben für Dinge, die ja wirklich so, ja gruselig, menschenverachtendend und irgendwie abstoßend sind.Wir fanden es aber an der Stelle auch wichtig, darüber den Diskurs aufzumachen, was können jetzt diese Jugendclubs irgendwie überhaupt leisten? Wir hatten ja - das findet ja auch im Film statt - so die Diskussion in den 90er-Jahren wurde akzeptierende Jugendarbeit als zu akzeptierend interpretiert. Und da haben dann die Rechtsradikalen ganze Jugendklubs dominiert. Und das passiert dann ja in dieser Szene auch, dass dieser Jugendliche sehr dominant seine Meinung vertritt, die Personen, die sich gerade geoutet hat, zu einem sensiblen Thema, richtig abgestoßen wird oder niedergemacht wird und wahrscheinlich jetzt sich nicht mehr in dieser Form äußern wird und da keinen sicheren Ort hat. Darauf aufbauend ist schon die Debatte wichtig, inwiefern kann hier der Sozialarbeiter auf den rechtsradikalen Jugendlichen einwirken oder wie sehr radikalisiert der andere? Was wir einen ganz wichtigen Aspekt in dem Film fanden, was dann ja auch noch einmal eingeordnet wird.

SK

Weil Du das gerade ansprichst, wie der Sozialarbeiter mit dem umgeht, das sieht man auch in dem Film. Da seid ihr dabei, wo die gemeinsam Graffitti sprühen und die kommen so ein bisschen ins Gespräch.

O-Ton aus dem Filmaufnahmen

Gespäch zwischen Chris Schlüter und Jonas: Du hast ein Problem mit anderen Hautfarben ? Ja. Du hast ein Problem mit LGBTQ? Ja, ich stehe offen dagegen. Das zeige ich ja auch auf meinem Insta, dass ich damit Probleme habe. - Du findest, es also okay, dass Menschen, die sich dieser Community zugehörig fühlen, das die auf offener Straße angegriffen und verdroschen werden? - Ich finde das okay! Du findest das okay? - Ich würde es wahrscheinlich nicht anders machen. Wenn mir da eine Gruppe mit Regenbogenfahnen entgegen kommt .. Du würdest da hingehen und es legitim finden, dass du die verdrischst, einfach so? Ja. - Das kaufe ich dir nicht ab. - Das kannst du mir aber abkaufen. Du glaubst mir so was öfter nicht. - Was muss denn passieren, dass du Gewalt anwendet? - Thema Linke beispielsweise. Kommt jetzt jemand zu mir und sagt Scheiß-Nazi oder so was, dann auf jeden Fall. Kommt jemand von der LGBTQI zu mir, sagt Drecks- Heterosexueller dann auch...

Filmszene "Jung, rechts, gewaltbereit"

SK

Der Sozialarbeiter Chris Schlüter, der nimmt das eigentlich erst mal so auf und sagt letztlich sinngemäß, na ja, das ist gut, dass der sich überhaupt öffnet ..

O-Ton Chris Schlüter

Es ist gut, was der da offen darüber spricht, weil man dann eben in Austausch gehen kann. Natürlich wäre es schöner, wenn der für eine offene Gesellschaft diese Motivation entwickeln würde. Macht er halt nicht. Unsere Aufgabe ist es dann eben, zu sagen okay, wie schafft man es vielleicht, gemeinsam den Weg zu finden, dass du die offene Gesellschaft nicht auf dein Leben anwendest, aber zumindest akzeptierst.

Chris Schlüter, Sozialarbeiter aus Zwickau "Jung, rechts, gewaltbereit"

SK

Naja, zumindest akzeptieren, sagt Chris Schlüter. Wie seht Ihr das? Kann man das so machen? Also kann man das erst mal so hinnehmen?

BA

Ich glaube tatsächlich, das ist eine kontroverse Diskussion. Also man könnte sagen, der Chris Schlüter ist einfach Realist. Man könnte aber auch sagen, er ist ein Stück weit naiv. Weil er eben Leuten, die der Gewalt zugeneigt sind, einen Ort gibt in diesem Jugendclub und er damit eben auch andere gefährdet. Und ganz offensichtlich ist, dass der sich der Jugendliche sich nicht durch den Schlüter davon abbringen lässt, diesen Weg zu gehen. Andererseits es ist natürlich auch so, dass Schlüter in dem Moment auch ein Anker für den Jugendlichen ist und ihn dann vielleicht gerade davon abhält, noch mehr wegzudriften in die extremistische Szene. Und das ist, glaube ich, das, was der Schlüter beschreibt, mit dem Satz, auch wenn sie den Jugendlichen jetzt nicht dazu bringen könnten, sich für die offene Gesellschaft einzusetzen, dann zumindest dahingehend, dass er die offene Gesellschaft akzeptiert und toleriert.

SK

Ihr sagt im Film, Ihr wart euch da nicht so ganz einig. Marcel was sagst du?

MS

Ja genau. Also das war eigentlich ein Punkt, wo wir besonders viel diskutiert haben und unterschiedliche Vorstellungen hatten. Wie viel kann man so stehen lassen? In unserer Rolle als Journalisten, aber eben auch in der Beurteilung, jetzt von dem, was Chris Schlüter, der Sozialarbeiter, dort macht. Mein Eindruck war, dass da vieles unterschätzt wird, das in diesen Dreharbeiten Sachen auch hochkam, die der Sozialarbeiter unterschätzt hat und dann selber erst mal ganz überrascht wirkte, das hier der Jugendliche so radikal auftritt. Und natürlich von außen ist auch einfach da, zu einem Urteil zu kommen. Aber mein Eindruck war schon, dass da in der einen oder anderen Stelle dann mit einer Frage wie ja, das glaube ich dir jetzt nicht etwas verstärkt wird.

SK

Er hat ihn so ein bisschen provoziert. Er hat versucht, ihn zu provozieren...

MS

Fast herausgefordert, das unter Beweis zu stellen - so war auch mein Eindruck. Und ich glaube, genau an dem Punkt ist es aber auch wichtig, genau diesen Diskurs zu führen. Was heißt akzeptierende Jugendarbeit? Und wo werden die Grenzen gesetzt? Der Christian Schlüter hat gesagt, dass er Leute ausschließt aus dem Club, die Straftaten begehen, sozusagen also die den Hitlergruß machen oder ähnliches. Und da wäre mein Eindruck, dass es auch anders geht. Also dass man da die Grenze schon deutlich früher setzen kann, nämlich eben, wenn ja ist, ein gefestigtes Weltbild dort gibt und der Eindruck besteht, dass ein Jugendlicher nicht mehr zugänglich ist für für eine Deradikalisierungsarbeit, sondern eher andere radikalisiert.

BA

Ja, aber wir sind an der Stelle ja auch an einer spannenden Frage, nämlich der Frage wie akzeptierend kann Jugendarbeit sein? Eben diese Stichwort akzeptierende Jugendarbeit, wo gerade im Osten, in Sachsen und Thüringen unglaublich schlechte Erfahrungen gemacht wurden in der Vergangenheit, wenn man sich die 90er Jahre schaut. Die frühen Nullerjahre hat man eine Situation, wo Jugendliche, rechtsorientierte und rechtsradikale Jugendliche quasi von der Straße geholt wurden, in Jugendclubs, die dann in den Jugendclubs machen konnten, was sie wollten und sich quasi gegenseitig radikalisiert haben, ohne dass es ein wirkliches Einwirken gab von von Sozialarbeitenden. Und das hat auch mit dazu geführt, dass die militante Neonazi-Szene so gefestigt und gewaltbereit war.

SK

Das kann man auch konkret machen an diesem aus aus Jena stammenden Trio des des NSU, die in diesem Jugendclub in Jena-Winzerla gewesen sind...

BA

Genau. Die drei, also Zschäpe, Böhnhardt und Mundlos, die sich eben in Jena kennengelernt haben und auch alle zuerst in einem Jugendclub in Kontakt gekommen sind. Und diese Erkenntnis daraus, die beeinflusst, glaube ich, die Jugendarbeit heute auch noch, dass man eben ganz stark aufpassen muss, welchen Raum nehmen radikalisierte Jugendliche in Jugendclubs und so weiter ein. Und wann muss man wirklich sagen Stopp bis hierhin und nicht weiter

SK

Für euren Film seit Ihr auch in Plauen gewesen. Da hat die neonazistische Kleinstpartei III. Weg, so eine Art Begegnungszentrum, eine Zentrale aufgebaut. Und da geht es auch darum, dass die quasi Teil des Alltags werden, auch von von jungen Leuten. Marcel, du bist da gewesen, hast Dich da umgeschaut, was bieten die da an? Also was macht die attraktiv?

MS

Wir waren mit einem lokalen Verein dort unterwegs. Dieser Verein setzt sich ein gegen rechtsextremen Strukturen in Plauen. Deren Einschätzung war, das in diesem Stadtteil, wo die Parteizentrale vom Dritten Weg ist, da dieser III. Weg sehr gut angekommen ist und auch angenommen wird von der Bevölkerung. Dort werden verschiedene Sachen angeboten, die eine soziale Hilfe für Deutsche darstellen sollen, sei es eine Kleiderkammer, aber auch Gitarrenunterricht für Jugendliche und Kinder, explizite Angebote von Kinderdisco über Hausaufgabenhilfe bis hin zum Kampfsport. Wir kommen ja noch drauf, welchen Zweck dieser Kampfsport auch für diese Partei hat. Und wie erfolgreich die jetzt die Jugendlichen und Kinder da einfangen, da widersprechen sich so manche Beobachter. Da gibt es das Kulturbüro, dass rechtsextreme Strukturen in Sachsen beobachtet, mit denen wir gesprochen haben, die sagen, die inszenieren sich immer groß und sagen, dass dann da sehr viele hinkommen. Am Ende sind es aber auch eher Kinder und Jugendliche aus dem eigenen Umfeld, die sie dann heranziehen und was natürlich auch schlimm ist und zu beobachten. Aber eben nicht diese Ausstrahlkraft hat, die der Verein sieht, mit dem wir dort vor Ort unterwegs waren. Die sagen, dass gerade in der Corona-Zeit, und das deckt sich auch so ein bisschen, was SozialarbeiterInnen uns erzählt haben, dass dort vor Ort gerade in der Corona-Zeit Angebote geschaffen wurden, die, als andere Angebote weggefallen sind. Jugendclubs geschlossen waren, Schulen geschlossen waren noch einmal viel mehr Jugendliche erreicht haben. Ich glaube, das muss man sich weiter genau anschauen und es für uns natürlich dann auch schwierig, das zu validieren, weil wir jetzt nicht reinschauen können.

BA

Naja, es ist natürlich so, dass auch Jugendliche, die in so einer Lebenswelt aufwachsen, für die eben die rechten Narrative, sprich gegen Ausländer zu sein, gegen Homosexuelle zu sein, gegen unsere demokratischen Institutionen und Politiker zu sein, wo das in der Lebenswirklichkeit einfach eine große Rolle spielt und jeden Tag reproduziert wird. Dass dieser Schritt zum wirklichen Extremismus, zum diese Abneigung in die Tat und Gewalt umsetzen. Dass dieser der Schritt immer kleiner wird. Und das ist halt das, was wir beobachten konnten, letztendlich auch in Zwickau. Das konnten wir beobachten auf den Demonstrationen gegen die Corona-Maßnahmen, wie sehr es dort eskaliert ist, wie sehr junge Leute zu Gewalt geneigt haben. Und das konnten wir auch beobachten in Jugendgruppen, die klaren extremistischen Akteuren wie den III. Weg beispielsweise zugewandt waren, der in der Region eine große Rolle spielt, weil er Angebote schafft für Jugendliche, wie Kampfsporttraining beispielsweise. Und da sehen wir, glaube ich, eine sehr große Gefahr, dass eben auch klare extremistische Akteure junge Leute dahin bringen, dass sie wirklich Gewalt ausüben,

SK

Diese Gewaltbereitschaft über die Ben jetzt gerade gesprochen hat, ist das etwas, was man nur vermutet? Oder gibt es da auch konkrete Anhaltspunkte?

MS

Na der III. Weg formuliert als Ziel, dass man auf den Tag X hin arbeitet und diesen nicht nur erhofft, sondern dafür kämpft. Und da macht es auch Sinn, sich Jugendliche oder junge Menschen heranzuziehen. Die ja kann man schon sagen, so als Soldaten dann irgendwann auch gefestigt sind für den Kampf ..

SK

... wogegen, wofür? ..

MS

Für einen Umsturz der Regierung und für eine völkischen sozialistischen, also quasi nationalsozialistischen Staat oder Umsturz. Dazu hat Ben ja auch ein konkretes Gespräch noch mit einem Jugendlichen geführt.

SK

Das ist die Situation an der Tischtennisplatte ..

BA

Genau. Also ja, der Jugendliche fiel uns auf, weil er sich eben als dem III. Weg offen dargestellt hat, die entsprechende Kleidung trug, T-Shirt trug, auch selber meinte, dass da bei den Demonstrationen und so weiter dabei sei. Noch nicht sehr lange, erst seit kurzem, aber er sich eben von diesen Ideen angesprochen fühlt und auch an Kampfsport-Training teilnimmt vom III. Weg und darüber gesprochen, warum er das eigentlich tut und was er da eigentlich will. Und dann kam einfach auch die Aussage ja, wir trainieren für Tag X, für den Umsturz der Regierung. Das so klar und offen formuliert von ihm zu bekommen hat mich selber auch schon ein Stück weit verstört.

SK

Euer Film "Jung, rechts, gewaltbereit", der ist ab dem 3. Oktober zu sehen auf YouTube, auf dem Channel MDR INVESTIGATIV. Ihr habt euch für den Film auch getroffen mit Jugendlichen aus einer Zwickauer Berufsschule aus der Berufsschule August Horch und habt mit ihnen eine Diskussion geführt. Da ging es um Linksextremismus, um Rechtsextremismus, um die Sicht auf die AfD, aber natürlich auch um die Glaubwürdigkeit von Medien. Und da hören wir gerade noch mal rein.

Schüler 1: Ich glaube, das ist sowieso so ein großes Problem, dass es immer viel gesagt wird der Osten ist rechts. Was man irgendwo an den Wahlergebnissen vielleicht auch sieht, wo ich aber auch sagen würde, die AfD ist keine rechte, also für mich gesehen, keine direkt rechte Partei. Natürlich gibt es überall schwarze Schafe. Gibt es überall.
Schüler 2: Naja, was ist besonders jetzt Rechts- und Linksextremismus betrifft das, da halt mehr Taten jetzt von Rechtsextremismus gezeigt werden. Und wenn irgendwas von der linken Seite passiert, das das halt meistens untergeht.

Filmszene "Jung, rechts, gewaltbereit"

SK

Bevor wir da jetzt gleich noch einmal darüber reden, wie das war, da in der Berufsschule, weise ich jetzt vielleicht noch einmal darauf hin, denn das ist ja auch angesprochen worden von den Schülern, dass die sagen, sie haben das Gefühl, es wird immer über rechtsextreme Vorfälle gesprochen und nicht so viel über Linksextremen. Wir hatten auch einen Podcast in Folge 37, der heißt "Nazi-Jagd als Klassenkampf". Da geht es um Linksextremisten um den Fall Lina E. in Leipzig.... Aber ich muss natürlich auch zugeben, ich habe noch mal über die Liste geguckt, also rechtsextreme Parteien, Neonazis, schlagende Verbindungen und so weiter ..die hatten wir wesentlich häufiger als Thema im Podcast. Marcel, habe ich da nicht richtig aufgepasst? Ist das mein Versäumnis?

MS

Also die Zahlen sind da ja so ziemlich eindeutig, was Straftaten angeht. Und ich empfinde das immer so ein bisschen mühsam, diese Debatte und den Versuch von irgendwie Rechtsradikalen oder auch Konservativen. Die Idee, von einer Hufeisentheorie, das extrem rechts dann eigentlich fast das gleiche ist wie extrem links irgendwie aufrechtzuerhalten. Und dann die Logik, wenn über rechts berichtet wird, dann müssen wir doch auch genauso über links berichten. Und wenn ich mir aber ja die gesellschaftlichen Entwicklung heutzutage anschaue, von wem eine Gefahr ausgeht für unsere Demokratie, wer Menschenleben in Deutschland bedroht, dann sind es aktuell menschenfeindliche Ideologien und rechtsradikale Brandstifter. Und deswegen haben wir das ja auch in den Film rein genommen, welcher Diskurs geführt wird. Wenn als erstes Thema aufkommt, warum berichtet ihr dann immer nur über Rechtsradikale und nie über links also. Und wir mit diesem Thema eben in Zwickau gelandet sind, weil diese Bedrohung dort auch von von rechts ausgeht und dann uns die Schüler auch bestätigt haben, dass, wenn es mal Parteien gab, die dort vor der Berufsschule Flyer verteilt haben, dann waren das welche vom III. Weg.

BA

Ich möchte noch einmal ganz kurz einhaken und und zwar, wenn es um die Qualität der Straftaten geht. Also wenn man die Anschläge sieht, Hanau, Halle ... Marcel, wie viele Todesopfer zählt die Amadeo-Antonio-Stiftung?

MS

Mindestens 218 Menschen, die seit den 90er-Jahren umgebracht wurden, mit einem rechtsextremen Hintergrund.

BA

Also ich meine, das rechtfertigt ja auch, dass wir mehr über Rechtsextremismus berichten, weil die Qualität der Straftaten einfach eine ganz andere ist.

SK

Lasst uns mal zurückgehen an die Berufsschule August Horch zu den Schülern, mit denen Ihr gesprochen habt. Ich finde, wir alle sind ja schon auch so ein bisschen in in unserer "Bubble", in unserer Blase, unterwegs. Ihr habt da ja Jugendliche getroffen, die vielleicht auch eine ganz andere Sozialisation haben. Wie war die Stimmung da so vor Ort mit den Jugendlichen? Waren die neugierig auf Euch? Hatten die Bock, mit Euch zu diskutieren?

BA

Das war spannend. Weil die Stimmung war schon sehr ambivalent, weil einerseits waren die super neugierig wie wir unsere Arbeit machen, was wir so für Typen sind, was wir zu erzählen haben. Andererseits hatten die aber eine mega Skepsis uns gegenüber und überhaupt den öffentlich-rechtlichen Medien gegenüber. Die haben in dem Workshop dann selber gesagt, sie informieren sich eigentlich fast ausschließlich über soziale Medien und Facebook, Telegram et cetera, und wir spielen dann eine sehr untergeordnete Rolle. Und wenn sie dann mal öffentlich-rechtlichen Rundfunk wahrnehmen, dann dominiert so das Gefühl, das ist Staatspropaganda. Und genau damit sind wir dann in die Begegnung mit denen gegangen, in einen offenen Austausch. Es war, glaube ich, für für beide Seiten ganz, ganz erhellend, am Ende für alle.

MS

Und das Interessante auch an diesem Schulbesuch war, wir waren jetzt nicht bei den in der Szene verankerten jungen Nazis - obwohl die so unsere Ausgangssituation waren. Aber wir wollten einfach mal dahin gehen, wo wir so ein bisschen Gefühl kriegen für die ja Mainstream-Meinung in einer Stadt wie Zwickau und in kleineren Städten. Und das ist dann irgendwie so der Teppich, auf dem dann eben auch diese rechtsradikalen Gruppen so gären, sind viele rechte Narrative irgendwie so sehr weit verbreitet. Und in diese konkrete Berufsschule sind wir dann gegangen auch im Hinterkopf, mit Berichten von einem ehemaligen Berufsschüler, der uns auf diese Schule verwiesen hatte und erzählt hatte, dass er sich mit einem Engagement gegen Rechts immer eher so als Außenseiter gefühlt hat.

SK

Hast du das Gefühl gehabt, Marcel, am Ende hat es auch was gebracht?

MS

Also wir haben zwei Stunden mit denen gesprochen und Ben hat ja erzählt, das war teilweise ein bisschen Verhalten. Es gab dann welche, die haben sehr offen gesprochen. Es gab andere, die wollten sich gar nicht äußern. Andere, die gesagt haben diese Themen Politik interessiert mich nicht. Ich bin neutral. So und die, die dann aber offen gesprochen haben, hatte ich den Eindruck, dass die auch sich so auf uns eingelassen haben, also interessiert waren,wie sehen wir das? Wie recherchieren wir, wie nähern wir uns Themen? Und dann schon auch neue Kenntnisse hatten, einfach mal zum ersten Mal vielleicht von Journalisten selber gehört haben, wie recherchiert wird und dann beeindruckt waren, das das nicht so ist, wie es ihn vielleicht manchmal erzählt wurde, so dass wir uns irgendwelche Lügengeschichten ausdenken. Und trotzdem waren das jetzt natürlich ja einfach nur zwei Stunden. Was uns auch die Lehrerin immer wieder erzählt hat, dass sie eigentlich viel zu wenig Zeit mit den Schülern hat, um da wirklich in Arbeit zu gehen. Aber wir sind interessiert, da weiter auch im Austausch zu sein und haben jetzt sogar schon ein weiteres Treffen mit genau dieser Klasse vor und planen das gerade. Diesmal dann bei uns in der Redaktion und genau haben auf jeden Fall das Gefühl, dass es sich lohnt, da im Austausch zu bleiben. Und genau sind jetzt aber auch nicht so naiv zu glauben, dass wir in solchen kurzen Gesprächen da irgendwie großartig was bewirken.

SK

Jetzt haben wir ja bisher mehr über die Beobachtung gesprochen, über die Leute, die ihr getroffen habt. Lasst uns mal über die Gründe reden. Ich würde erst einmal mit der Frage anfangen, rechtsextremer Osten - stimmt das überhaupt? Ben...

BA

Ja, ich glaube, es gibt schon ganz deutliche Unterschiede zum Westen. Auch wenn Rechtsextremismus genauso ein westdeutsches Problem ist wie ein ostdeutsches und im Westen auf keinen Fall kleingeredet werden darf oder sollte. Es gibt einfach im Osten besondere Voraussetzungen. Und die ziehen sich hier seit Jahrzehnten durch. Angefangen mit der Kontinuität von totalitärem und autoritären Systemen, zwischen zwischen 33 und 89, über diese negativ erste Demokratieerfahrung in der Wendezeit von vielen Familien, was sich bis heute weitergegeben hat über ein kontinuierliches Aufbauen von extremistischen Strukturen in den 90er-Jahren bis hin zum über Jahre stark fehlenden Gegenwirken von Politik und Gesellschaft. Also was letztendlich dazu führt, dass es eine stark verankerte extremistische Szene im Osten gibt. Gar keine Frage.

SK

Gibt es denn tatsächlich Fakten, an denen man das auch festmachen kann? Marcel

MS

Also wenn man sich Statistiken anschaut - wir hatten im Film eine zitiert von der Universität Leipzig, nach der im Osten Deutschlands jeder sechste der 14 bis 30-Jährigen eine rechtsautoritäre Diktatur befürwortet. Im Westen ist es nur jeder fünfzigste, und das ist ja ein gewaltiger Unterschied. Oder wenn ich mir auch Wahlergebnisse von der AfD anschaue, dann gibt es immer diesen Unterschied. Ich glaube ja. Trotzdem muss man immer aufpassen, dass man jetzt nicht im Westdeutschland sitzt und immer auf den Osten schielt. Dafür gibt es auch zu viele Beispiele. Jetzt gerade jähren sich die Brandanschläge der 90er-Jahre. Die gab es in Rostock-Lichtenhagen, aber auch in Solingen. Ich komme selber aus Solingen, und da hatte ich den Eindruck, dass in der Zeit, als ich in der Schule aufgewachsen bin, das gar nicht gut aufgearbeitet wurde und gar nicht so ein Bewusstsein war und später dann auch immer auf den Osten geschielt wurde, dass dort die ganzen rechtsradikalen Gruppen aktiv sind und gar nicht dann so geguckt wurde, was was in der eigenen Umgebung eigentlich passiert,

SK

Weil du gerade sagst du stammst aus Solingen. Damit hast Du ja die Verbindung in den Westen, wohnst aber in Leipzig. Wenn wir jetzt darüber reden, das hier im Osten unter den jungen Menschen jeder sechste, diese autoritäre Diktatur befürwortet - im Westen nur jeder fünfzigste... Kann man das Wahrnehmen am gesellschaftlichen Klima?

MS

Ich glaube, das kann man auf jeden Fall. Man kriegt auf jeden Fall eine eine Idee davon, je nachdem, wo man gerade hingeht. Wenn ich eben an so eine Schule gehe und dann auf einmal mit Aussagen konfrontiert bin wie, die AfD ist keine rechtsradikale Partei oder ist gar keine rechte Partei sogar, dann kriege ich ein Gefühl dafür, was da passiert oder was welche Perspektive ich auf diese Gesellschaft habe. Das glaube ich schon auf jeden Fall. Und gleichzeitig ist es ja auch so, dass wir uns immer in irgendwelchen Blasen bewegen, in unserer Journalisten-Blase oder anderen, und dann vielleicht auch manchmal gar nicht so viel damit konfrontiert sind, wenn wir eben nicht an diese Orte gehen.

SK

Ihr habt ja für den Film auch mit Matthias Quent gesprochen. Der Extremismusforscher stammt übrigens aus dem Osten. Ich fand das interessant, was der gesagt hat bezüglich Wahrnehmung von von Extremismus.

Wir müssen uns vor Augen führen, dass das, was von einer Mehrheit in Deutschland immer noch als rechtsextrem angesehen wird, für einen Teil der Bevölkerung etwas völlig Normales ist. Dass ist die Alltagswahrnehmung, das ist das politische Alltags-sprechen, das ist der Blick auf die Gesellschaft. Und in dieser Normalität wachsen junge Menschen auf. Sie kriegen das in den Familien mit, sie kriegen das im schulischen Umfeld mit im beruflichen Umfeld. Überall dort, wo eine Prägung stattfindet, werden auch rechtsextreme Narrative als Teil der Normalität vermittelt, weil sie nicht mehr unterbrochen werden, weil sie nicht problematisiert werden oder bei Problematisierungen generell als Propaganda, als System, als Mainstream, als was auch immer abgetan und diskreditiert.

Matthias Quent, Extremismusforscher "Jung, rechts, gewaltbereit"

BA

Ich glaube, da steckt einfach eine Menge drin in dem Ton, was auch eine ostdeutsche Lebenswirklichkeit beschreibt. Wir können auf Pegida schauen, wir können auf das Erstarken der AfD schauen oder jetzt jüngst eben auf die Proteste gegen die Corona-Maßnahmen, wo überall eine starke Ablehnung gegenüber demokratischen Institutionen zu spüren ist. Bis hin zu Bedrohungspotenzial von lokalen Politikern oder von alternativen Strukturen und Akteuren. Und wenn wir jetzt zurückgehen auf die jungen Menschen, um die es uns ja an dieser Stelle geht ja dann an Leben, die das Zeit seit Jahren in ihren Familien erleben. Ich meine, teilweise jeder Dritte wählt hier die AfD. Und das muss einem erstmal bewusst werden, was das auch bedeutet für ein Aufwachsen von jungen Menschen in ihrem Umfeld.

SK

Die große Frage ist ja eigentlich, nach all dem, was ihr im Film aufgezeigt habt und was wir jetzt auch im Gespräch hatten, ist ja eigentlich was kann man überhaupt tun? Und kann man überhaupt was tun?

BA

Ja klar kann man was tun. Was mir hier an dieser Stelle auch noch mal ganz wichtig ist: Diesen Film haben wir gedreht im Sommer 2022. Wir sind aus zwei Jahren Corona gekommen. Und ich glaube ein Punkt, warum die Radikalisierung von jungen Menschen auch gerade zu diesem Zeitpunkt so deutlich geworden ist und und so ins Auge gesprungen ist, dass die Auswirkungen letztendlich der Pandemie auch an dieser Stelle spürbar werden. Also in dem Sinne, dass Jugendarbeit runter gefahren wurde, Schulen geschlossen waren, das die ganzen Angebote für Jugendliche einfach nicht da waren. Und das hat tatsächlich rechtsextremistischen Akteuren auch ein Einfallstor gegeben, das auszunutzen und diese Lehrstellen zu füllen. Und das ist das, was unsere Recherche ergeben hat, dass diese Leerstellen, die durch Corona aufgegangen sind, ganz gezielt genutzt wurden, von Akteuren wie dem III. Weg.

SK

Und dass diese Leerstellen, wie du sie nennst, eben nicht genutzt werden von rechtsextremen Akteuren, das ist auch die Verantwortung von Politik und Gesellschaft. So sagt es Euch im Film der Extremismusforscher Matthias Quent

O-Ton, Matthias Quent, Extremismusforscher

Es ist ein gesellschaftliches und auch ein politisches Versagen, das gerade auch jungen Menschen so wenig Aufmerksamkeit, so wenig finanzielle Mittel zur Verfügung gestellt werden, um eigene Räume zu finden, um Angebote zu haben, die eben nicht rechtsextrem sind, die nicht menschenfeindlich sind, sondern indem sie sich verwirklichen können, indem sie Bestätigung, Anerkennung und Gemeinschaft finden, ohne radikalisiert zu werden. Das heißt, der Rechtsextremismus ist immer auch eine Antwort auf Schwächen, auf Fehler und auch auf das Versagen von Gesellschaft und Politik.

Matthias Quent, Extremismusforscher "Jung, rechts, gewaltbereit"

BA

Da muss die Gesellschaft als Ganzes einfach für sich ganz klar entscheiden, was ihnen die Jugend wert ist. Die Jugend braucht Demokratieerfahrung, muss einbezogen werden, die Möglichkeit von gesellschaftlicher Mitbestimmung. Die muss auch spüren, dass Sie unsere Zukunft ist. Und das passiert meines Erachtens viel zu wenig.

SK

Marcel, dein Fazit?

MS

Ich würde schon noch mal sagen, dass diese Zeit der Corona-Phase natürlich auch eine extrem komplizierte oder schwierige war, weil es natürlich auch Sinn gemacht hat, bestimmte Sachen nicht mehr umzusetzen. Da aber mit einer ohnehin Ideologie, die dann viele Rechtsradikale Akteure vertreten haben, dass es Corona gar nicht gibt oder das alles gar nicht so schlimm ist, denen es natürlich leicht war, dann solche Angebote irgendwie auch auszufüllen und da so ein paar an sich zu ziehen. Und da ist aber trotzdem immer noch die Frage, wie erfolgreich die das wirklich gemacht haben. Was man sich einfach weiter genau angucken muss und wo ja man dann aber andererseits auf manchen Veranstaltungen jetzt des III. Weges zum Beispiel schon sieht, das in den letzten Jahren die Veranstaltungen oder der Besuch von einer Demo nicht unbedingt größer wurde aber, dass das Publikum auf jeden Fall jünger wurde. Dass das auf auf jeden Fall eine gefährliche Entwicklung ist. Und sonst würde ich extrem zustimmen, dass es ganz wichtig ist, sich anzuschauen, was passiert mit den Jugendlichen? Welche Angebote gibt es in kleinen Städten auf dem Land? Ich glaube, dass sich da schon die Politik, in strukturschwachen Regionen Sachen einzudampfen, gerade rächt.. In Plauen beispielsweise wird ein Jugendclub wieder aufgemacht. Aber diese Strukturen aufzubauen, dass das natürlich auch eine Weile dauert und das das ernst genommen werden muss, in dem Bereich zu investieren. Zu schauen, dass diese Orte auch mit genügend SozialarbeiterInnen besetzt sind, dass die eine entsprechende Schulung bekommen. Dass in Schulen gewertschätzt wird, dass politische Arbeit gemacht wird. Also viel zu tun, gibt es auf jeden Fall.

BA

Und wir dürfen nicht wegsehen, wie jeder. Jeder muss einfach aufstehen, wenn er mit Extremismus konfrontiert ist.

SK

So ist das. Euch beiden danke ich für das Gespräch. Vielen Dank, Ben Arnold und Marcel Siepmann

MDR INVESTIGATIV - Hinter der Recherche

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