Rekonstruktion Quedlinburger "Guericke-Einhorn" soll an seinen Fundort zurück
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17. September 2024, 05:31 Uhr
Vor über 360 Jahren fanden Arbeiter in einem Steinbruch bei Quedlinburg versteinerte Knochenreste. Die deutete der berühmte Naturforscher und Bürgermeister von Magdeburg, Otto von Guericke, als Einhorn. Später entstanden dazu auch Zeichnungen, die wiederum einen Schweizer Paläontologen inspirierten, dazu das passende Skelett zu rekonstruieren. Ein Quedlinburger Verein möchte eine solche Rekonstruktion in der Welterbestadt aufstellen.
- Im Jahr 1663 fanden Arbeiter in den Seweckenbergen bei Quedlinburg Überreste eines vermeintlichen Einhorns.
- 360 Jahre später soll in Quedlinburg eine Rekonstruktion des Fundes aufgestellt werden.
- Die Geschichte des Kuriosums ist in der Stadt nur wenigen bekannt.
Im Magdeburger Museum für Naturkunde steht es in der ersten Etage im Flur. Gleich neben einem Aufzug hat das "Kuriosum" seinen Platz gefunden. Das Skelett des Quedlinburger Einhorns steht hier, genauer gesagt, der Versuch einer Rekonstruktion. Das Gebilde ist über zwei Meter hoch, versehen mit zwei kräftigen Beinen und einem Knochengerippe samt Schwanz. Das Skelett entstand vor über 20 Jahren für eine Ausstellung.
Es sei der Nachbau eines Tieres, das im 17. und 18. Jahrhundert gezeichnet wurde, erklärt Michael Buchwitz, wissenschaftlicher Mitarbeiter Museum für Naturkunde in Magdeburg. Eine solche Zeichnung wurde beispielsweise im 1759 erschienenen Buch des Gelehrten Gottfried Wilhelm Leibniz "Protogaea oder Abhandlung von der ersten Gestalt der Erde und den Spuren der Historie in Denkmälern der Natur" abgedruckt.
Ein Einhorn in den Seweckenbergen
Grundlage dieser Zeichnungen waren nahe Quedlinburg gemachte Knochenfunde. Im Jahr 1663 fanden Arbeiter in einem Gips-Steinbruch in den Seweckenbergen bei Quedlinburg merkwürdig aussehende große Knochen, angeblich ein Schädel eines Pflanzenfressers mit einem langen Horn auf der Stirn, rund 20 Knochen, zwei großen Schulterblätter und Knochen für zwei lange Beine.
Heute wird vermutetet, dass es sich um die Knochen mehrerer Tiere gehandelt hatte, wahrscheinlich von Mammut und Wollnashorn. Die Nachbildung im Magdeburger stützt sich denn auch auf derartige Knochen. Damals aber im 17. Jahrhundert dachte man eher an Einhörner als an vor Jahrtausenden ausgestorbene "normale" Tiere. Auf Wunsch der Quedlinburger Äbtissin untersuchte der damals schon bekannte Naturforscher und Bürgermeister von Magdeburg, Otto von Guericke, den Fund, und er deutete ihn als Reste eines Einhorns.
Rekonstruktion für Quedlinburg geplant
Jetzt, rund 360 Jahre später, erinnert man sich am Fundort der Knochen in Quedlinburg an diese alte Geschichte. Der Historiker Bernd Junghans hat mit Mitstreitern einen Verein gegründet, der das Einhorn zurück in die Welterbestadt holen will. Das Quedlinburger Einhorn soll an seinen Ursprungsort zurückkehren. Eine Rekonstruktion wie die in Magdeburg soll in Quedlinburg aufgestellt werden, natürlich mit Erklärungen. Das soll Touristinnen und Touristen anlocken und auch die Menschen vor Ort stärker für Geschichte sensibilisieren.
Quedlinburger kennen Einhorn nicht
Junghans ist Historiker und vor einiger Zeit nach Quedlinburg gezogen. Er kenne die Einhorn-Geschichte seit frühester Jugend, erzählt der 70-Jährige. Sie habe ihn immer fasziniert. Umso erstaunter sei er gewesen, dass er in Quedlinburg kaum einen Einheimischen getroffen habe, der diese Geschichte kannte. "Ich war völlig baff", so Junghans. Auch Dokumentationen dazu gäbe es vor Ort nicht.
Das allerdings stimmt nicht so ganz. Am einstigen Fundort der vermeintlichen Einhornknochen in den Seweckenbergen steht eine geologische Informationstafel, und auf der wird neben der erdgeschichtlichen Entstehungsgeschichte der Hügelkette auch auf die Einhorn-Geschichte eingegangen. Das Gelände selbst ist allerdings stark zugewuchert. Der einstige Steinbruch ist kaum noch zu erkennen.
Einhornfund in Osnabrück
Doch woher bekommt nun der Verein ein Skelett des Quedlinburger Einhorns? Das Museum in Magdeburg möchte nicht auf seine Nachbildung verzichten. Allerdings hatte der Schweizer Paläontologe Urs Oberli, der die Magdeburger Rekonstruktion erstellt hatte, weitere geschaffen. Der Verein "VerEinhorn" ist nun in Osnabrück fündig geworden. Ebenfalls für eine Ausstellung war dort eine ähnliche Nachbildung entstanden, die aber seit geraumer Zeit im Depot lagerte.
Der Verein kaufte kurzerhand das Teil. Gut verpackt in einer großen Holzkiste steht es nun in einem Quedlinburger Hinterhof. Mit Akkuschraubern müssen erst viele Schrauben gelöst werden, dann großes Aufatmen. Das Einhornskelett hat den Transport gut überstanden. Es ist schneeweiß, unversehrt und komplett.
Einhorn-Umzug durch die Stadt?
"Wir wollen das Ding natürlich aufstellen", so Junghans. Und die Geschichte dazu solle auch dokumentiert werden. Er könne sich auch Souvenirs und Animationen für Kinder und Familien vorstellen.
Zuvor aber soll das Einhorn bekannt gemacht werden in der Stadt – am besten mit einem Umzug durchs Stadtzentrum. Am Tag des offenen Denkmals wäre eigentlich die große Gelegenheit. Doch die Vereinsmitglieder schaffen das nicht so schnell. Im Moment fehlen ein passender Wagen sowie ein Podest für das Einhorn. Der Umzug soll nun zu einem späteren Zeitpunkt stattfinden. Die Quedlinburger müssen noch ein wenig warten auf ihr Einhorn.
Pionierarbeit der Rekonstruktion
In den Seweckebergen wurde 38 Jahre nach dem Fund im Jahr 1701 ein zweites Horn ausgegraben. Schon damals dämmerte es wohl schon manchem: Das Einhorn bleibt ein Fabelwesen. In Quedlinburg wurden wahrscheinlich Stoßzähne gefunden, von einem Mammut oder einem Elefanten. Der davor ausgegrabene Schädel gehörte wohl zu einem Wollhaarnashorn. Doch Otto von Guericke und Wilhelm Gottfried Leibniz schrieben Geschichte und erbrachten mit ihren Rekonstruktionen paläontologische Pionierleistungen. Das sieht auch Michael Buchwitz im Magdeburger Museum für Naturkunde so. Die Zeichnung von Leibniz des Quedlinburger Einhorns gelte als älteste Rekonstruktion eines ausgestorbenen Tieres, sagt er. Es sei ein erstmaliger Versuch gewesen, ein Tier aus gefunden Resten zusammenzusetzen – eben eine Pioniertat.
MDR (Carsten Reuß, Moritz Arand)
Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL | 05. September 2024 | 07:00 Uhr
Shantuma vor 4 Wochen
Wir alle wissen doch, dass es Einhörner nur in Nordkorea gibt.
TheGurdian hat darüber 2012 berichtet.