Ein toter Kernbeißer liegt neben der gläsernen Wand eines Haltestellenhäuschens
Was den Menschen freut, eine Bushaltestelle, bei der man den nahenden Bus sieht und sich nicht vor Fieslingen beim Warten fürchten muss, ist für manche Vögel eine tödliche Falle. Bildrechte: imago/blickwinkel

Glasbeschichtung Ich sehe was, was du nicht siehst: Folie aus Dresden gegen Vogelschlag

04. Dezember 2024, 15:04 Uhr

Glas in der Architektur ist ein beliebtes Element. Räume wirken groß und luftig. Was den Menschen freut, ist für Vögel fatal. In Dresden wurde jetzt eine Folie entwickelt, die der Mensch nicht sieht, Vögel aber schon.

Ein Dresdner Forschungsteam des Dresdner Fraunhofer FEP Instituts hat zusammen mit Wiener Kollegen eine Folie entwickelt, die so beschichtet ist, dass nur Vögel sie wahrnehmen, das menschliche Auge dagegen nicht. Dr. Matthias Fahland beschreibt die Besonderheit der Folie: "Der für den Menschen sichtbare Kontrast ist dezent, denn am stärksten unterscheiden sich die Folien im ultravioletten Spektralbereich, für den das menschliche Auge unempfindlich ist; Vögel hingegen können den Unterschied deutlich wahrnehmen." Hinter dieser neuartigen Folie steckt viel Technik: Nanoimprint Lithographie, Beschichtungstechnologien und Plasmaätzen.

Die Vogelschutzfolien sind Teil des größeren EU-Projektes "Phabulous", das darauf ausgelegt ist, mikrooptische Komponenten zu entwickeln. Diese können z.B. für neuartige Linsen in VR-Brillen genutzt werden, als Beschichtungen, um Solarzellen effizienter zu machen oder um Auto-Scheinwerfern ganz neue Formen zu geben. Das Ganze im industriellen Maßstab "im Rolle-zu-Rolle-Verfahren", wie Forscher Fahland erklärt. So können die Folien in Großserien hergestellt werden. Die Ergebnisse werden auf dem Micro-Optics Summit 2024, vom 2. – 3. Dezember 2024, in Amsterdam, präsentiert.

Das Phänomen Vogelschlag & Glasscheiben

Sfpiegfelung einer herbstlichen Landschaft in einer Glasfassade eines Gebäudes
Ästhetisch schön, aber für Vögel gefährlich Bildrechte: IMAGO/Design Pics

Wieviele Vögel stoßen eigentlich mit Glasscheiben zusammen? Die deutschen Vogelschutzwarte gehen davon aus, dass Vögel bei etwa fünf Prozent der Kollisionen mit Glas sterben, In einem Bericht von 2023 heißt es: "Die Größenordnung der pro Jahr in Deutschland an Glasscheiben verunglückten Vögel umfasst vermutlich mehr als 100 Millionen Individuen und ist damit so groß, dass sie einen Einfluss auf Vogelpopulationen haben könnte."

Ein Vogel an einem Fenster
Glasscheiben werden von Vögeln als freier Raum wahrgenommen Bildrechte: IMAGO / blickwinkel

Theoretisch müsste man also ziemlich viele Vögel nach Glaskollisionen finden können? Dass wir das nicht tun, liegt zum einen daran, dass die lädierten Vögel entweder noch von der Absturzstelle fortfliegen und später verenden. Die anderen werden von Katzen, Mardern oder anderen Räubern beseitigt. Forscher aus den USA, die Daten zu Vogelkollisionen mit Glasscheiben und Fassaden gesammelt haben, kommen sogar zu dem Schluss: 70 Prozent der Vögel, die gegen Glasscheiben fliegen, verenden in den darauffolgenden Tagen an inneren oder äußeren Verletzungen. Prof. Daniel Klem am Acopian Center für Ornitholgy und sein Team verweisen in einem Forschungsbericht auf einen unsichtbaren Nebeneffekt: Kollidieren Elternvögel mit Glasscheiben und verenden, zum Beispiel an inneren Verletzungen, verhungern schlussendlich auch die Jungtiere im Nest, weil ihre Eltern sie nicht mehr versorgen.

Warum knallen Vögel gegen Glasscheiben?

Sommerliche Bäume spiegeln sich in den Glasfassaden von Bürogebäuden
Gestalterisch schön gedacht, aber für Vögel irreführend Bildrechte: IMAGO/Zoonar

Das ist zum einen eine Frage der Anatomie: Vogel-Augen sitzen seitlich am Kopf, damit die Tiere Angreifer von oben, unten, rechts oder links rechtzeitig sehen und ausweichen können. Zum anderen nehmen Vögel Glas nicht als feste Masse wahr oder als Barriere, sondern als offenen Flugraum. Die Spiegelung der Umgebung ist für sie keine Spiegelung, sondern vermeintlich freier Flugraum.

Was hilft, damit Vögel nicht vor Scheiben fliegen?

Vogelschutzaufkleber an einem Fenster
Ein Schattenriss, der keinen Vogel rettet Bildrechte: IMAGO / Eckhard Stengel

Die Vögel versuchen den Aufprall mit dem schwarzen Umriss zu vermeiden, und fliegen dann eben neben dem Aufkleber ins Glas. Wirksam als Kollisionsschutz sind gemusterte Folien, zum Beispiel mit Punkten, Linien oder Streifen, egal ob quer oder längs. Wichtig ist dabei, dass der Anprall-Schutz außen an der Scheibe angebracht wird, damit keine Spiegelung entsteht.

Was ist mit Innenvorhängen und Jalousien? Sie verhindern zwar den Durchblick, aber eben nicht die Spiegelung.  Wichtig bei allen Arten von Folien, die mit Mustern arbeiten, Punkten oder Linien: Die Abstände zwischen den Mustern oder Muster-Elementen sollten nicht zu groß sein, sonst versuchen Vögel, zwischen den vermeintlichen Hindernissen freien Durchflug zu haben.

Spiegelung an einer Hausfassade
Hier rätselt sogar das menschliche Auge kurz... Bildrechte: IMAGO / Panthermedia

Links/Studien

Den Bericht der Deutschen Vogelschutzwarten zur Problematik Vogelschlag lesen Sie hier.
Im Original lesen Sie hier den Bericht des The Wilson journal of Ornitology: Evidence, consequences, and angle of strike of bird–window collisions

lfw

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Video

Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN - Das Sachsenradio | 02. Dezember 2024 | 19:30 Uhr

21 Kommentare

MDR-Team vor 1 Wochen

Hallo @Thomas Mueller,
vielen Dank für Ihre Kritik.
Hierbei handelt es sich um die Wiedergabe des Berichtes aus Fachkreisen (Deutschen Vogelschutzwarten und The Wilson Journal of Ornithology). Quellen sind in v.g. Bericht genannt und können eingesehen werden. Sie können Ihre Meinung dazu zur Diskussion stellen, es wäre jedoch toll, wenn Sie dies auch als Ihre Meinung darstellen und nicht die Expert*innen diskreditieren.
Herzliche Grüße

Thomas Mueller vor 1 Wochen

Die Wissenschaftler:innen vom Fraunhofer-Institut sollten mit Expert:innen zusammenarbeiten bevor (nicht nachdem) sie eine Technik für hunderttausende Euro entwickeln, die im vorgesehenen Sinne weitgehend wirkungslos sein wird, zudem funktionierende Alternativen existieren. Mit dem im Artikel beworbenen Produkt würden wahrscheinlich, wenn es nicht entsprechend von der Schweizer Vogelwarte als sicher eingestuft würde, nur die Auftraggeber:innen beruhigt und in falscher Sicherheit gewogen, während es für die Vögel nutzlos wäre, weil die Glasflächen so gefährlich blieben, wie sie sind.
Auch optisch nicht störende zahlreiche Lösungen gibt es bereits zahlreich. Es braucht bei Neubauten nur den Willen dazu von vornherein solche Lösungen zu entwickeln und anzuwenden und die Beratung durch entsprechend kompetente Architekt:innen.

Thomas Mueller vor 1 Wochen

Pressemitteilungen weitgehend ohne Recherche zum Thema zu übernehmen ist in diesem Fall inhaltlich irreführend. Denn in Fachkreisen gilt der darauf basierende Grund (UV-Reflektionen) als nicht wirksam. Es gab bereits zahlreiche Produkte, die auf dieser Grundlage entwickelt und verkauft wurden und werden, ohne dass es einen Nachweis dafür gibt, dass sie funktionieren. Die vermutete Fähigkeit mancher Vogelarten auch im UV-Bereich zu sehen hatten scheinbar keine Bedeutung für die Orientierung beim Flug, da uv-Licht reflektierende Produkte von Vögeln bisher nicht so erkennbar sind, dass sie die Scheiben als Hindernis wahrnehmen. Daher raten Expert:innen, die sich mit Vogelschlag beschäftigen, auch von solchen Produkten ab. Hingegen gibt es bereits eine Reihe an funktionierenden Produkten, die vergleichsweise preisgünstig sind. Daher lässt das vorgestellte Projekt vermuten, dass es vor allem entwickelt wird, weil es mit großen Mengen EU-Geldern gefördert wird, nicht weil es gebraucht wird.

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