Kolumne: Das Altpapier am 8. November 2024: Porträt des Altpapier-Autoren Johanna Bernklau
"Das Altpapier" ist eine tagesaktuelle Kolumne. Die Autorinnen und Autoren kommentieren im aktuellen Altpapier die wichtigsten Medienthemen des Tages. Bildrechte: MDR | MEDIEN360G

Kolumne: Das Altpapier am 8. November 2024 Die 48-Stunden-Lage

08. November 2024, 11:19 Uhr

Wortwörtlich überschlagen haben sich die Nachrichten in den vergangenen paar Tagen. Medien spielten dabei nicht nur eine beobachtende Rolle. Und selten zeigten sich die Funktionsweisen des Journalismus so eindeutig wie in dieser Woche. Heute kommentiert Johanna Bernklau die Medienberichterstattung.

Porträt der Altpapier-Autorin Johanna Bernklau
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Das Altpapier "Das Altpapier" ist eine tagesaktuelle Kolumne. Die Autorinnen und Autoren kommentieren und bewerten aus ihrer Sicht die aktuellen medienjournalistischen Themen.

Die Doppellage

Es war ein Eilmeldungs-Marathon mit heiß gelaufenen Livetickern und einer selten anzutreffenden Anzahl an Spezial- und Extra-Sendungen im Fernsehen: Jetzt gibt es einen neuen US-Präsidenten, die deutschen FDP-Minister sind ihren Dienst los, die Journalisten sind müde und die Zuschauer auch. Anstrengende 48 Stunden liegen hinter uns.

Nachdem der ARD-Brennpunkt zu den US-Wahlen am Mittwochabend spontan zum Brennpunkt über das Ampel-Aus wurde, drehte sich der Donnerstag dann nur noch um die deutsche Regierungskrise: Das Erste sendete über Mittag ein vier Stunden langes "Tagesschau extra", das Abendprogramm war voll mit dem zweiten Brennpunkt in Folge und einer "maischberger"-Sondersendung.

Im ZDF ähnliches Spiel, wenn auch nicht ganz so ausführlich: Das Mittagsmagazin wurde bereits eine Stunde früher als "Mittagsmagazin spezial" versendet, abends lief dann ein "ZDF Spezial"

Auf dwdl.de kommentierte Alexander Krei die spontan gestrickten Sondersendungen am Mittwochabend so:

"Für das (lineare) Fernsehen war dieser Mittwochabend gewiss ein guter Abend, zeigte er doch, was insbesondere ARD und ZDF zu leisten imstande sind, wenn es darauf ankommt."

Und weiter:

"Das verdient Respekt, übrigens auch für die Redaktionen der privaten Nachrichtensender; erst recht an einem Tag, an dem der Fokus der Berichterstattung eigentlich ein ganz anderer sein sollte und nahezu sämtliche Kapazitäten auf die Wahl-Nachlese in den USA ausgerichtet waren."

Zusammengefasst: Es war wild.

Die öffentliche Bühne

Besonders wild war es aber nicht, weil Medien über die aktuellen Geschehnisse berichteten, sondern weil die aktuellen Geschehnisse teils in den Medien passierten:

Während am Mittwochabend eigentlich die von US-Wahlen zu Ampel-Aus umgemünzte "maischberger"-Sendung lief, schaltete das Erste nach einigen Minuten (und etwas verspätet) auf die Rede von Scholz, der Christian Lindner live vor Kameras den schwarzen Peter zum Regierungsbruch vorwarf. Minuten später dann das gleiche, bloß umgedreht: Lindner trat vor die Kameras und gab sein Statement ab.

Am Donnerstagabend ging es direkt weiter mit der Politprominenz im Live-TV: Nochmal Lindner, Baerbock, Klingbeil, Söder, Merz, …

Doch die Medienspielchen begannen schon viel früher: Fröhlich wurden diverse Papiere und Informationen an Medienhäuser geleaked, wie zum Beispiel das umstrittene Wirtschaftspapier von Christian Lindner, über das der "Stern" exklusiv berichtete. Oder die Information, dass Lindner dem Kanzler im letzten Koalitionsausschuss am Mittwochabend Neuwahlen vorgeschlagen hatte – fast zeitgleich durchgestochen an die "Bild".

Ein Polittheater – und die Medien spielten eifrig mit. Wie sich Medien für den öffentlichen Streit der Ampel instrumentalisieren ließen, fasst der freie Journalist Daniel Bröckerhoff auf dem "Zapp"-Instagram-Kanal gut zusammen. Auch der neue "Übermedien"-Podcast beschäftigt sich mit dieser Frage.

Die Medienfolgen

Konsequenzen hat das Ampel-Aus auch für die Medienpolitik. Timo Niermeier hat für dwdl.de aufgeschrieben, worauf man bei der geplanten Reform der Filmförderung noch hoffen kann, jetzt, wo das neue Filmförderungsgesetz doch schon so kurz vor der zweiten Lesung im Bundestag steht.

Erwartbar ängstlicher klingt das Pressestatement vom djv zu diesem Thema ("Ende zur Unzeit"), das auch auf das gewünschte Presseauskunftsrecht und die Journalismusförderung eingeht, die nun beide auf Eis gelegt zu sein scheinen.

Auch interessant: Robert Habeck hat mit hemdshochkrempelnder "Jetzt packen wir's an"-Manier sein Comeback auf "X" verkündet. "Back for good", schreibt er dort. "Den Schreihälsen und Populisten" wolle er diesen Ort "in dieser Woche, in dieser Zeit" nicht überlassen. Ein nettes Video vom am Schreibtisch arbeitenden Habeck hatte er anscheinend auch schon fertig produziert in der Hinterhand für "diese Woche", für "diese Zeit." Wie praktisch. Passend zur Bewerbung seiner Kanzlerkandidatur.

Die vergessenen Nachrichten

Für alle, die es zwischenzeitlich vergessen haben: Am Mittwoch wurde übrigens auch der Wahlsieg von Donald Trump bekanntgegeben. Eigentlich das Mega-Ereignis, das die gesamte Nachrichtenwoche hätte einnehmen sollen.

Betrachtet aus der Perspektive der kommunikationswissenschaftlichen Nachrichtenwerttheorie, mit der Journalismus-Studenten gerne und häufig konfrontiert werden, hätte die US-Wahl sämtliche Nachrichtenfaktoren erfüllt. Eliten-Land: check. Prominenz: check. Konflikt: check. Kontroverse: check. Überraschung: je nachdem, wen man fragt. Möglicher Schaden: check check check.

Doch dann kam Lindners Entlassung ums Eck und Sendungen wurden umgeplant, Startseiten neu geshuffled. Und Sandra Maischberger fragte Annalena Baerbock in ihrer Sondersendung gestern Abend als erstes:

"Was ist eigentlich für Deutschland schwerwiegender: Der Sieg von Donald Trump oder das Ende dieser Regierung?"

Eine Antwort darauf gab Baerbock zwar nicht wirklich, dafür tat das aber die Programmübersicht von ARD und ZDF und der Startseiten-Aufbau von "Spiegel", "SZ" und Co. Der Nachrichtenfaktor Nähe hatte gewonnen: Ampel > Trump.

Interessant deshalb die Entscheidung der dpa, die zu Trumps Wahlsieg am Mittwoch eine Blitzmeldung (super mega Eil!) versendet hatte – zum Aus der Ampel jedoch "nur" eine Eilmeldung.

Spannend auch die Überlegung, welches Thema diese Woche groß geworden wäre, hätte sowohl die US-Wahl als auch Lindners Entlassung nicht stattgefunden. Eine mittlerweile schon fast vergessene Eilmeldung war das Ende der Sondierungsgespräche in Sachsen, das ebenfalls am Mittwoch bekannt wurde.

Selten gibt es eine Woche, in der die Funktionsweisen des Journalismus so sichtbar werden wie in der vergangenen.

P.S. Am US-Wahlabend erfuhr die Welt auch noch, dass Ex-US-Präsident Joe Biden Uropa werden wird. Was eine Woche!


Altpapierkorb (Neues "SZ"-Dossier, El Hotzo, neue Medienkolumne)

+++ Die "SZ" bietet ab kommender Woche ein neues "SZ"-Dossier an: Abonnenten können dann zu einem bisher unbekannten Preis werktäglich einen Fachnewsletter zum Thema Geoökonomie in ihrem Postfach finden, wie "meedia" berichtet. Laut dem Branchendienst gibt es das bei der "FAZ" schon seit September, allerdings im wöchentlichen Newsletter "Weltwirtschaft". In diesem Altpapier haben wir uns schon vor ziemlich genau einem Jahr mit dem Trend zu Fachnewslettern beschäftigt – damals startete die "SZ" ihr allererstes Fachdossier. 

+++ Über die Mockumentary von "El Hotzo" haben wir in diesem Altpapierkorb schon berichtet. Zur "SZ"-Kritik reiht sich nun auch eine eher unbegeisterte "taz"-Rezension mit ein. 

+++ Für "turi2" schreibt KNA-Medienjournalist Steffen Grimberg ab jetzt eine neue Medienkolumne ("Kurz und KNAckig"), die alle zwei Wochen erscheinen soll. Den Auftakt macht der "kleine Unterschied" zwischen ARD und ZDF. +++ 

Das Altpapier am Montag schreibt Christian Bartels. Schönes Wochenende! 

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