Der Hoffnungsträger der SED Wolfgang Berghofer: Vom "Bergatschow" zum Wahlfälscher
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24. November 2021, 19:59 Uhr
Für kurze Zeit gilt der Dresdner Oberbürgermeister Wolfgang Berghofer als Reformer, als Hoffnungsträger und großes politisches Talent im vereinigten Deutschland. Er ist der erste Spitzenpolitiker der SED, der den Dialog mit den Demonstranten sucht. In Dresden nennen sie ihn deswegen "Bergatschow", angelehnt an Michail Gorbatschow, der Ende der 1980er-Jahre von Moskau aus die Welt veränderte. Doch dann geschieht etwas, womit niemand gerechnet hätte: Wolfgang Berghofer schmeißt hin und geht in die Wirtschaft.
Zu DDR-Zeiten hat Wolfgang Berghofer mit seiner Familie am Altmarkt gewohnt und Dresden, die drittgrößte Stadt der DDR, von 1986 bis 1990 als Oberbürgermeister regiert. Zuvor engagiert sich Berghofer wie viele DDR-Politiker zunächst in der FDJ, ehe er 1964 in die SED eintritt und hauptamtlicher Jugendfunktionär wird. Im Zentralrat der FDJ stellt er große Jugendfestivals und Konzerte, unter anderem mit Udo Lindenberg, auf die Beine.
Wer ist Wolfgang Berghofer? Wolfgang Berghofer wird 1943 in Bautzen geboren und macht zunächst eine Ausbildung zum Maschinenbauer. 1964 tritt er in die SED ein, ab 1968 arbeitet er als hauptamtlicher FDJ-Funktionär. Von 1970 bis 1983 ist er im FDJ-Zentralrat tätig. Von 1986 bis 1990 ist Berghofer Oberbürgermeister von Dresden. Um die Jahreswende 1989/1990 wird er stellvertretender Vorsitzender der PDS. Im selben Jahr tritt er aus der Partei aus. Seit 1991 ist er als Unternehmensberater tätig.
Berghofer wird nachgesagt, er sei souverän, pragmatisch, wendig - Eigenschaften, die ihm im Herbst 1989 zu großer Beliebtheit verhelfen. Als erster Repräsentant des Staates verhandelt er mit den Demonstranten, ohne Rücksprache mit der Parteileitung, und behält trotz der Krise einen kühlen Kopf. Das gefällt den Genossen: Berghofer wird 1989 an die Spitze der Partei gestellt und soll einen neuen, "dritten Weg" abstecken - ein hoffnungsloses Unterfangen.
Wir haben mehrere Wochen diskutiert, um einen dritten Weg zu finden. Den keiner definieren konnte. Ich habe in den Dezembertagen fast alle Generaldirektoren der großen Kombinate nach Berlin eingeladen und sie gefragt: "Was ist denn die Alternative?" Und alle bis auf einen haben gesagt: "Es gibt nur eins: Marktwirtschaft!
Mit der SED will Wolfgang Berghofer nicht weiter machen. Die Partei aufzulösen und neu zu gründen, wäre besser gewesen, sagt er. Aber Berghofer findet keine Mehrheit dafür und sucht deswegen eine neue politische Heimat.
Wie viele will er in die neu gegründete Ost-SPD wechseln - diese lehnt jedoch ab, weil sie fürchtet, von ehemaligen SED-Mitgliedern überrannt zu werden. Wolfgang Berghofer zieht daraus seine Schlüsse und gibt im Januar 1990 sein Parteibuch ab. Noch vor dem Ende der DDR wechselt er in die westdeutsch-kapitalistische Wirtschaft und wird Unternehmensberater bei der Stuttgarter Häusler-Gruppe, die sich unter anderem auf den Bau moderner Büros spezialisiert hat. Den Wechsel nehmen ihm viele übel, nennen ihn "Wendehals". Doch Wolfgang Berghofer lässt sich nicht beirren - beim Weltwirtschaftsforum in Davos im Februar 1990 hat er einen großen Auftritt und fordert, dass die DDR ihre Währungshoheit aufgibt.
Ich halte es für möglich, dass Sparguthaben der DDR in Eigentum der Bürger umgewandelt werden. Vor allem Wohnungsanleihen und Aktien an volkseigenen Betrieben sind vorstellbar.
Doch der Ausflug in die ganz große Politik wird jäh gestoppt. Gegen den Noch-Oberbürgermeister wird ein Ermittlungsverfahren wegen Wahlfälschung eingeleitet. Der Vorwurf: Bei den letzten Kommunalwahlen der DDR soll Berghofer in Dresden Ergebnisse manipuliert haben. Im Zuge der Ermittlungen kommt zudem seine zehnjährige Stasi-Mitarbeit ans Licht.
Berghofer bekennt sich: In seinem Buch "Keine Figur im Schachspiel" schildert er detailliert, wie bei den Kommunalwahlen im Mai 1989 mehrfach über das Wahlergebnis verhandelt und wie es dann in den einzelnen Stadtteilen angepasst wurde, um das von der SED gewünschte Ergebnis zu erzielen. 1992 ergeht das Urteil: Trotz der Verteidigung durch den prominenten Otto Schily wird Berghofer zu einem Jahr Haft auf Bewährung und 36.000 Mark Geldstrafe verurteilt. 1993 lehnt das Bundesverfassungsgericht die Verfassungsbeschwerde des ehemaligen Dresdner Oberbürgermeisters ab. Die Strafe, zu der ihn das Dresdner Bezirksgericht verurteilt hat, wirde damit rechtskräftig.
Seither, sagt Berghofer, ist die Bezeichnung "Wahlfälscher" in seine Haut eingebrannt. Er verschwindet viele Jahre aus der Öffentlichkeit und konzentriert sich auf seine Karriere als Unternehmensberater - bis er 2001 auf einmal wieder auf der politischen Bildfläche auftaucht und mit 58 Jahren für das Amt des Dresdner Oberbürgermeisters kandidiert. Er erhält jedoch nur 12,2 Prozent der Stimmen. Nach diesem kurzen Polit-Comeback wendet er sich erneut der Wirtschaft zu. Seine Karriere als Politiker ist beendet.