Hilde Benjamin - die "rote Hilde"

18. April 2019, 13:42 Uhr

Sie wirkte mit an den berüchtigten Waldheimer Prozessen, setzte in der DDR aber auch Akzente im Familienrecht, trat für die Gleichberechtigung ein und bewirkte eine Liberalisierung des Paragrafen 218. Hilde Benjamin, Tochter aus gutbürgerlichem Hause, die man erst "rote Hilde" nannte und dann "Guillotine" schimpfte, starb am 18. April 1989 im Alter von 87 Jahren.

In Bernburg an der Saale kam Hilde Lange am 5. Februar 1902 zur Welt. Sie wuchs mit ihren beiden jüngeren Geschwistern in einem evangelischen, humanistisch-liberalen Elternhaus auf. Ihr Vater Walter war kaufmännischer Angestellter, der sich 1904 nach Berlin versetzen ließ.

Tochter aus gutbürgerlichem Hause

Nach dem Besuch des Auguste-Viktoria-Lyzeums in Berlin-Steglitz und Kontakten zur eher unpolitischen Wandervogel-Bewegung seit 1916 sympathisierte Hilde schließlich mehr und mehr mit sozialistischen und kommunistischen Ideen. Die Ermordung Karl Liebknechts und Rosa Luxemburgs im Januar 1919 wurde schließlich - zumindest ihrer eigenen Aussage nach - zum entscheidenden Ereignis für ihren Entschluss, sich immer aktiver für die Politik zu interessieren. Ihr fehlender "proletarischer Stallgeruch" und der Makel einer Herkunft aus einer bürgerlichen Schicht waren dabei offenbar ein wichtiger Grund für ihre spätere stramme politische Haltung.

Als junge Anwältin im Wedding

Zeitgenössische Aufnahme des deutschen Literatur- und Kulturkritikers und Essayisten Walter Benjamin.
Der Kulturkritiker und Essayist Walter Benjamin - Schwager von Hilde Benjamin, geb. Lange Bildrechte: picture alliance/dpa | Heinzelmann

Während ihres selbstfinanzierten Studiums der Rechtswissenschaften in Berlin, Heidelberg und Hamburg 1921 bis 1924 trat Hilde Benjamin dem Sozialistischen Studentenbund bei und gehörte seit 1927, nach kurzer Mitgliedschaft in der SPD, der KPD an. Während ihrer Studienzeit lernte sie Russisch, was sich später als großer Vorteil erweisen sollte. Um 1925 lernte sie in Berlin den sieben Jahre älteren, aus einer wohlhabenden jüdischen Kaufmannsfamilie stammenden Arzt Georg Benjamin kennen, den Bruder des Philosophen, Kunstkritikers und Essayisten Walter Benjamin. Die äußerliche Ähnlichkeit der Brüder ist frappierend. Im Februar 1926 heirateten Georg und Hilde.

Eigene Rechtsanwaltskanzlei

Gerade 27-jährig eröffnete Hilde Benjamin im April 1929 ihre eigene Rechtsanwaltskanzlei in Berlin-Wedding, die recht schnell anwuchs. Einen ersten großen Auftritt vor Gericht hatte sie 1930 als Verteidigerin im Horst-Wessel-Prozess. Für den Tod des SA-Mannes waren KPD-nahe Arbeiter verantwortlich gemacht worden. Auch danach übernahm sie, oft kostenlos, die Verteidigung entlassener Kommunisten, nahm in öffentlichen Versammlungen zu Fragen des Arbeitsrechts, des Strafvollzugs und des Paragraphen 218 (Schwangerschaftsabbruch) Stellung und hielt als Dozentin Vorträge an der "Marxistischen Arbeiterschule".

Machtübernahme durch die Nazis - alles ändert sich

Mit ihrem Mann, der Anfang 1930 seinen Posten als Schularzt verlor, teilte sie das Interesse für Kunst, Kultur und Reisen, ordnete ihr persönliches Leben aber zunehmend den Anforderungen der Kommunistischen Partei unter.

Nachdem ihr erstes Kind 1931 wenige Tage nach der Geburt gestorben war, kam im Dezember 1932 Sohn Michael zur Welt.

Die Machtübernahme der Nationalsozialisten wirkte sich unmittelbar auf das Leben der jungen Familie aus.
Hilde Benjamin erhielt Berufsverbot, ihr Mann Georg musste seine Arztpraxis schließen, wurde 1936 verhaftet und sechs Jahre später im KZ Mauthausen ermordet. Hilde Benjamin selbst lebte ab 1939 im Haus ihrer Eltern in Berlin-Steglitz und hielt sich mit verschiedenen Tätigkeiten über Wasser.

Aufstieg zur obersten Juristin in der DDR: Die rote Guillotine

Als eine der wenigen kommunistischen Juristinnen, die zudem Russisch sprach, arbeitete Hilde Benjamin nach 1945 zunächst als Oberstaatsanwältin in Berlin-Steglitz. Nach der Staatsgründung der DDR war sie Vizepräsidentin des Obersten Gerichts. Parteitreu kämpfte sie an vorderster Front gegen bürgerlich-demokratische Vorstellungen einer unabhängigen Justiz und drängte darauf, das Recht als Instrument des Klassenkampfs und der Umgestaltung der Gesellschaft durchzusetzen.

Ihre Überzeugung, dass nur größtmögliche Härte gegen die Feinde den friedlichen Aufbau der DDR schützen würde, kam in zahlreichen Schauprozessen der frühen 1950er-Jahre zum Ausdruck. Hilde Benjamin wirkte zudem an den berüchtigten Waldheimer Prozessen mit, in denen 1950 über 3.400 zum Teil drastische Strafen gegen angebliche DDR-Gegner verhängt wurden.

Akzente in Familienrecht und Gleichberechtigung

Zugleich setzte sie aber auch familienrechtliche Akzente, trat für die Gleichberechtigung von Mann und Frau in allen Bereichen der Gesellschaft ein und bewirkte eine Liberalisierung des Paragraphen 218. Seit 1950 saß Hilde Benjamin als Abgeordnete in der Volkskammer und löste 1953 Max Fechner nach dessen Sturz als Justizminister ab.

Bereits Anfang der 1960er-Jahre begann mit der Auslagerung wesentlicher Kompetenzen aus ihrem Ministerium ihre schrittweise Entmachtung, bis sie - für sie selbst völlig überraschend - 1967 "aus gesundheitlichen Gründen" und aufgrund eines "seit langem geäußerten Wunsches" als Justizministerin abgesetzt wurde. Für Hilde Benjamin wurde eine Professur für Rechtsgeschichte an der Akademie für Staat und Recht "Walter Ulbricht" in Potsdam-Babelsberg eingerichtet.

Nach einer Routineuntersuchung brach sie sich im Frühjahr 1989 im Krankenhaus ein Bein und starb am 18. April 1989 an den Folgen dieses Sturzes.

Über dieses Thema berichtete der MDR im TV auch im TV: LexiTV | 30.08.2013 | 15:00 Uhr