Interview mit Falco Werkentin Hilde Benjamin und die Schauprozesse in der DDR
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04. August 2013, 20:15 Uhr
Der Soziologe und Historiker Falco Werkentin hat sich intensiv mit der DDR-Strafjustiz, insbesondere mit den Waldheimer Prozessen befasst. Im Gespräch mit André Meier gibt er Auskunft, welche Rolle Hilde Benjamin darin spielte.
Inhalt des Artikels:
Die Volksrichter
Welche Aufgaben hatte Hilde Benjamin in der Justizverwaltung der DDR?
Sie war in der Zentralverwaltung Justiz von 1947 bis 1949 die Personalchefin. Das heißt, sie war sowohl verantwortlich für die personelle Säuberung der neu aufzubauenden Justiz in der Sowjetischen Besatzungszone (SBZ) als auch für - und das war sicher das wichtigste - die Organisation der sogenannten Volksrichterlehrgänge, die dazu dienten, einen neuen Corpus parteiergebener Justizfunktionäre heranzubilden.
Außerdem gehörte sie zu einer kleinen Kommission, die Anfang 1950 Volksrichter und Staatsanwälte nach Berlin bestellte, um zu entscheiden, wer von diesen SED-Genossen als Richter oder Staatsanwalt in Waldheim teilnehmen sollte.
In Dokumentationen, in denen Hilde Benjamin zu ihren Prozessen gefragt wird, antwortet sie stets, die Angeklagten hätten eine faire Verteidigung gehabt …
Das ist eine wirklich unglaublich unverschämte Lüge. Eine Chance auf Verteidigung gab es in politischen Verfahren regelrecht und absolut nicht. Sie haben eher mal die Situation, dass ein Verteidiger in seinem Schlussplädoyer sich dem Antrag des Staatsanwalts anschließt. Wir haben Prozesse, die über 20, 25 Stunden gehen, wo, wenn Sie sich die Mitschnitte anhören, die das MfS gemacht hat, man von 25 Stunden Prozess die Stimme des Verteidigers zwei Minuten lang hört. Einmal am zweiten Verhandlungstag auf die Frage des vorsitzenden Richters: "Herr Verteidiger haben Sie eine Frage zu stellen?" und dann sagt der Verteidiger "Nein."
Und dann am letzten Tag nach dem Schlussplädoyer des Staatsanwalts, die Frage des vorsitzenden Richters: "Haben Sie noch einen Antrag zu stellen?" und der Verteidiger sagt: "Ich hoffe, dass das Gericht angesichts der großen Verbrechen des Beschuldigten, gleichwohl von einer Todesstrafe absehen wird." Das war es dann. Und wenn nicht die Verteidiger direkt Mandantenverrat betrieben haben, weil sie IM des MfS waren und dem MfS immer mitteilten, was ihre Mandanten während der Prozessführung überlegt haben, wie sie agieren würden.
Die Verteidiger in den Prozessen waren also ein Teil der Inszenierung der Schauprozesse?
Ja, sie gehörten zur Bühnenausstattung eines Prozesses. Aber wie absurd es ist, zeigt sich etwa in den Waldheimer Verfahren. Da gab es einen Verteidiger für 3.400 Angeklagte. Und dieser Verteidiger war dann selbst noch ein Volksrichter, dem man nur das Verteidigerkostüm übergestülpt hatte.
Die Waldheimer Prozesse
Welche Funktion hatten die Waldheimer Prozesse als politische Verfahren? Und inwieweit war Hilde Benjamin involviert?
Soweit ich das richtige sehe, und ich hab mich sehr intensiv damit befasst, eine vergleichsweise kleine Rolle. Sie gehörte zum kleinen Kreis von SED-Genossen, die die Richter und Staatsanwälte für Waldheim auswählten und die dann gefragt wurden im Auswahlverfahren, ob sie bereit sind Urteile wie die Partei sie wünscht, dann auch zu vollstrecken. Dann taucht sie eigentlich überhaupt nicht mehr auf in Waldheim. Sie ist mal bei den zehn öffentlichen Schauprozessen im Rathaussaal von Waldheim dabei, aber spielt ansonsten im Waldheimer Verfahren keine Rolle. Erst sehr viel später, als es um Gnadenentscheidungen geht für in Waldheim Verurteilte, da sitzt sie wieder in Kommissionen, die darüber entscheiden, wer aus von denen weiterhin Verurteilten vor Ablauf ihrer Strafhaft entlassen werden können oder nicht.
Welche Prämissen verfolgten die Richter bei den Urteilen? Ging es vor allem darum, die Internierungen in den sowjetischen Speziallagern nachträglich zu legitimieren?
Ich denke, letztendlich haben die Waldheimer Verfahren den SED-Genossen überhaupt nicht ins Konzept gepasst. Man war längst, wie in der Bundesrepublik auch, auf die Integration ehemaliger Nazis aus. Es blieb ja auch den Entscheidungsträgern in der Bundesrepublik wie in der DDR nichts anderes übrig, angesichts einer deutscher Bevölkerung, die in so entsetzlich umfangreicher Weise das NS-System unterstützt hatte.
Also integrieren musste man in Ost wie in West, die Frage war nur, wie weit man bei der Integration geht. Ich erinnere mich daran, dass eines der ersten Gesetze, das die Volkskammer 1950/1949 verabschiedete, quasi ein Amnestie-Gesetz war für ehemalige Mitglieder der NSDAP und für Offiziere der Wehrmacht. Und dieses Gesetz wurde im Neuen Deutschland 1949 vorgestellt unter der Überschrift: "Wir reichen euch die Hände". Jetzt konnten ehemalige Wehrmachtsgeneräle wieder Generalsuniformen anziehen und die Volksarmee der DDR mit aufbauen. Ein ehemaliger Mitarbeiter des Propagandaministeriums von Goebbels wurde Intendant des sozialistischen Rundfunks in Weimar etc.
Vor diesem Hintergrund passten die Waldheimer Prozesse eigentlich gar nicht mehr rein. Ich denke, das zeigt sich auch, daran, dass in den DDR-Medien sehr wenig über diese Prozesse berichtet wurde. Letztlich nur über die zehn Schauprozesse im Rathaus von Waldheim. Also man hat die Berichterstattung äußerst klein gehalten, weil sie im Grunde nicht mehr passten zur längst praktizierten Integrationspolitik, was NS-Belastete betraf.
Die Urteile
Waren die Urteile schon vorab festgelegt oder gab es Spielraum bei der Urteilsverkündung?
Die waren quasi festgelegt. Es gab dann auch nach kurzer Zeit eine Kommission in Waldheim mit SED-Genossen, der die Richter bzw. Staatsanwälte abends die Fälle des nächsten Tages vorlegen mussten. Dort wurde entschieden über die Urteile. Bis auf die Fälle, wo diese Kommission den Eindruck hatte, dass es über ihre Kompetenzen geht. Dann wandte man sich, so ist es in den Protokollen zu lesen, an das Politbüro der SED.
Und deswegen findet man heute auch im Nachlass von Walter Ulbricht zu vielen in Waldheim Verurteilten Personalbegutachtungen oder Strafvorschläge, damit Walter Ulbricht als heimlicher, oberster Richter der DDR die Urteile fällen konnte, die dann anschließend die Richter in Waldheim als Ergebnis eigener juristischer Anstrengung ausgeben mussten.
1950: Solvay-Prozess Im Dezember 1950 findet im Kurhaus der Stadt - nach Waldheim - einer der ersten großen Schauprozesse der DDR statt. Den Vorsitz führt Hilde Benjamin. Angeklagt sind zehn Angestellte des Bernburger Soda-Konzerns Solvay wegen Spionage und Sabotage. Hilde Benjamin erwirbt für die ehemaligen Kollegen ihres verstorbenen Vaters Walter Lange insgesamt 99 Jahre Zuchthaus.
1950: Waldheimer Prozesse Die Waldheimer Prozesse finden vom 21. April bis zum 29. Juni 1950 im Zuchthaus der sächsischen Kleinstadt statt. In Güterwagen werden über 3.400 Häftlinge aus den sowjetischen Internierungslagern Bautzen, Buchenwald und Sachsenhausen in das Zuchthaus der sächsischen Kleinstadt Waldheim gebracht. Ihnen wird vorgeworfen, Kriegs- bzw. nationalsozialistische Verbrechen begangen zu haben. Bereits zu diesem Zeitpunkt ist klar, keiner von ihnen wird der stalinistischen Justiz entkommen.
1950: Prozess gegen Zeugen Jehovas
Von ihrer Zentrale in Magdeburg gelingt es den Zeugen Jehovas nach 1945 zunächst, ihre zerstörten Strukturen wieder aufzubauen. Doch auf den Nazi-Terror folgen bald Repressionen durch die SED: Im Oktober 1950 werden einige Mitglieder der Glaubensgemeinschaft vor Gericht gestellt, weil sie die Volkskammer-Wahlen boykottieren.
Hilde Benjamin führt die Verhandlung. Sie verurteilt die Angeklagten zu lebenslanger Zuchthaushaft und gibt damit Anstoß zur DDR-weiten Verfolgung der Zeugen Jehovas.
1952: Zwei Todesurteile nach dem Prozess gegen Mitglieder der "Kampfgruppe gegen die Unmenschlichkeit"
Mit dem Fallbeil werden in der zentralen Hinrichtungsstätte Dresden zwei Menschen exekutiert, die Hilde Benjamin zum Tode verurteilt hat. Es sind Mitglieder der von westlichen Geheimdiensten unterstützten antikommunistischen "Kampfgruppe gegen die Unmenschlichkeit". Ihnen wird die Planung mehrerer Terrorakte zur Laste gelegt. Das Gnadengesuch des Angeklagten Johannes Burianek wird vom SED-Politbüro abgelehnt. Sein Todesurteil wird am 2. August 1952 vollstreckt.
Johann Burianek wurde 1952 wegen der Anschlagsvorbereitungen auf die Eisenbahnbrücke bei Erkner zum Tode verurteilt und hingerichtet. Der angebliche "Chef-Chemiker" Wolfgang Kaiser wurde im gleichen Jahr verurteilt und hingerichtet. Ihm wurde die Bereitstellung von hochprozentigen Säuren, Brand- und Sprengsätzen sowie Gift vorgeworfen.