106. Geburtstag Willi Stoph: Ein Mann ohne Herz?

09. Juli 2020, 11:37 Uhr

Am 09. Juli wäre Willi Stoph 106 Jahre alt geworden. Der Ministerpräsident der DDR gehört mit zu den bekanntesten Politiker-Persönlichkeiten der Nachkriegszeit. Doch wer war er? Eine Spurensuche.

Glaubt man dem Persönlichkeitsprofil, was der Bundesnachrichtendienst 1967 über Willi Stoph erstellt hat, dann war er ein "überzeugter, aber eher leidenschaftsloser Kommunist." Unter den Politbüro-Mitgliedern flößte Willi Stoph dem BND als Politiker mit "enormen Erfahrungen" Respekt ein. Das lag teilweise auch daran, dass man im Westen zu wenig über den gebürtigen Berliner wusste.

Der Junge aus der Arbeiterklasse

Willi Stoph wurde am 09. Juli 1914 in Berlin-Schöneberg geboren. Nach der Schule fängt er eine Lehre als Maurer an, schließt sie 1931 ab und arbeitet in diesem Beruf, bis er 1939 als Bautechniker in einem Archtiektenbüro anfängt. Schon während seiner Schul- und Ausbildungsjahre ist er er Mitglied im Kommunistischen Jugendverband Deutschland (KJVD) und später beim KPD-Nachrichtendienst. Hier beteiligt er sich am kommunistischen Widerstand gegen das NS-Regime. Im Zweiten Weltkrieg wird er eingezogen und endet 1945 als sowjetischer Kriegsgefangener.

Seine politische Karriere begann 1948 als Leiter der Abteilung Wirtschaftspolitik beim SED- Parteivorstand. In den Jahren bis 1952 war er an der Gründung des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) und dem Ausbau der Kasernierten Volkspolizei (KVP) mit beteiligt. In dieser Zeit wurde Stoph auch beim Zentralkomitee (ZK) der SED immer aktiver und war bis 1989 dort in verschiedenen Positionen tätig. Am 17. Juni 1953 kommt für ihn als Minister des Inneren die große Stunde und er profiliert sich bei der Niederschlagung des Volksaufstands. In Folge dessen wird Stoph Mitglied des Politbüros der SED.

BND legt Akte über Stoph an

Zum politischen Charakter von Stoph notierte der BND: Er sei kein Fanatiker, sondern vorsichtig und pragmatisch. In manchen Wesenszügen würde er an Walter Ulbricht erinnern. "Den Wortschatz des kommunistischen Jargons beherrscht Stoph mühelos." Stoph lasse - wie andere Funktionäre auch - im Interesse seiner Position nicht erkennen, "ob er hinter dem Klischee seiner Äußerungen eigene Gedanken oder Vorstellungen verbirgt." Stoph war innerhalb des "DDR-Kabinetts" wegen seiner Kompetenz von den meisten geachtet, jedoch nicht sonderlich beliebt.

"Steile Karriere" und "Schleudersitzfunktion"

Nahezu lobend schrieb der BND in einem Bericht von 1967, Stoph habe eine "bemerkenswerte", "steile Karriere" hingelegt. Er sei für Wirtschaft, dann für den Aufbau von Polizei und Armee zuständig gewesen, und habe sich dann als stellvertretender Staatsratsvorsitzender bewährt – eigentlich eine "Schleudersitzfunktion". Seine Intelligenz und sein "rastloser Arbeitseifer" hätten ihn vor Schlimmem bewahrt.

Erich, es geht nicht mehr. Du musst gehen.

Willi Stoph beim Rücktritt Erich Honeckers 1989

Dabei werde ihm von einigen Funktionären eine "tiefe Menschenverachtung" nachgesagt, er sei ein schlechter Redner und seine abgelesenen Ausführungen wirkten ermüdend, jedoch sei seine distanzierte und einfache Lebensführung offensichtlich ehrlich. Er sei sich und seiner Familie gegenüber anspruchslos und zeige "große Härte gegen sich selbst" – alles in Allem ein "überzeugter und leidenschaftsloser kommunistischer Apparatschik" mit Organisationstalent.

Erfurter Treffen entspannt deutsch-deutsches Verhältnis

Trotz der schlechten charakterlichen Beurteilung durch den BND leistet Stoph für den politischen Frieden im Sinne des DDR-Geistes nicht wenig. 1970 bringt er bei einem Treffen mit Bundeskanzler Willy Brandt in Erfurt den Entspannungsprozess zwischen beiden deutschen Staaten ein Stück voran. Hier handelten Stoph und Brandt aus, dass im selben Maß, in dem die DDR-Führung das Verhältnis zur BRD liberalisieren, und die Bundesregierung bereit sei, der DDR außenpolitische Gleichberechtigung sowie einen erweiterten Spielraum einzuräumen und von der Hallstein-Doktrin abzulassen. Aus Sicht der DDR-Führung war das ein sehr undankbares Geschenk. Doch sie konnte nicht anders, als zuzugreifen. Der Wunsch nach internationaler Anerkennung und später auch wirtschaftliche Zwänge, machten Verträge mit der "imperialistischen BRD" notwendig.

In der o.g. Analyse des BND wird Stoph abschießend ein großes Potential für eine künftige Führungsrolle in der DDR bescheinigt. "In jedem Fall aber besitzt Stoph soviel politisches Geschick, dass ihn auch die Sowjets zur Spitzengarnitur der dünn gesäten jüngeren Führungselite des kommunistischen Systems in der SBZ zählen." Sowjetische Politiker würden im Westen Stoph als verhandlungswürdig empfehlen. Der BND sollte recht behalten mit seiner Expertise. Stoph wurde nach dem Tod Walter Ulbrichts von 1973 bis 1976 Vorsitzender des Staatsrates und damit Staatsoberhaupt der DDR.

Über dieses Thema berichtet MDR Zeitreise auch im TV: 21.03.2016 | 19:00 Uhr