Kampf ums Milliarden-Erbe Das verschwundene SED-Vermögen

Über sechs Milliarden Ost-Mark in bar und zahlreiche Immobilien: Die SED war eine der reichsten Parteien Europas. 1989 steht sie vor dem Aus. Doch die Genossen kämpfen weiter - um Wählerstimmen, aber auch um das Milliarden-Erbe der DDR-Staatspartei.

Aussenansicht des Gebäudes des ZK der SED (Zentralkomitee der SED) am Werderschen Markt / Kurstrasse in Berlin
Haus des Zentralkomitees der SED mit Parteilogo im Januar 1990. Bildrechte: IMAGO / Jürgen Ritter

Anfang Dezember 1989: Einen Monat nach dem Fall der Mauer liegt die DDR in den letzten Zügen. Auch die SED, die das Land 40 Jahre lang straff regiert hat, befindet sich in Auflösung. Hunderttausende Genossen schmeißen ihre Parteibücher hin. Die Mitgliederzahl der einst allmächtigen Staatspartei ist von 2,3 Millionen auf 700.000 geschrumpft. Ein Großteil der früheren Parteiführung um Erich Honecker wurde aus der SED ausgeschlossen, das letzte Politbüro um Egon Krenz hat sich selbst aufgelöst. Die Partei ist führungslos.

Kurz vor der Auflösung

Ein außerordentlicher Parteitag soll in dieser kritischen Lage über die Zukunft der SED entscheiden. 2.147 Delegierte treffen sich am Abend des 8. Dezember 1989 in der Dynamo-Sporthalle in Berlin-Hohenschönhausen. Nicht wenige von ihnen wollen das Kapitel SED beenden. "25 Prozent der Delegierten zu diesem außerordentlichen Parteitag kamen mit einem Mandat, für die Auflösung der Partei zu stimmen", schätzt der Zeithistoriker Manfred Wilke die damalige Situation ein. Für die Parteitagsspitze um DDR-Ministerpräsident Hans Modrow, den Dresdner Oberbürgermeister Wolfgang Berghofer und den Berliner Anwalt Gregor Gysi ein Schreckensszenario. Sie wollen die Partei erhalten und den Untergang der DDR verhindern.

Modrows Brandrede

Während einer aufregenden Nachtsitzung, von der nur Tonband-Aufzeichnungen erhalten sind, redet Modrow den Genossen ins Gewissen: "Ich muss hier in aller Verantwortung sagen: Wenn bei der Schärfe des Angriffes auf unser Land dieses Land nicht mehr regierungsfähig bleibt, weil mir, dem Ministerpräsidenten der Deutschen Demokratischen Republik, keine Partei zur Seite steht, dann tragen wir alle die Verantwortung dafür, wenn dieses Land untergeht." Die Worte verfangen: Bei der späteren Abstimmung votiert kein einziger der Delegierten für eine Auflösung der SED. Ja, sogar ihren alten Parteinamen werden die Genossen behalten - versehen mit dem Zusatz "Partei des Demokratischen Sozialismus" - PDS.

Hoffnungsträger Gysi

Zum neuen Parteivorsitzenden wählt der Sonderparteitag am 9. Dezember 1989 den eloquenten und schlagfertigen, ansonsten weitgehend unbekannten Gregor Gysi. Der Rechtsanwalt ist zwar seit 1967 Parteimitglied, aber kein belasteter Vertreter des alten Parteiapparates. Als Symbol des Neuanfangs und der Reinigung der Partei von ihren Altlasten bekommt der damals 41-Jährige einen großen Besen überreicht. Gysi wird später sagen, dass Modrow mit seiner Rede in der Nachtsitzung zum 9. Dezember die Auflösung der SED verhindert hat. Der Anwalt selbst hat aber auch keinen unwesentlichen Anteil daran. In einer mitreißenden Rede geißelt er Amtsmissbrauch und Korruption der alten SED-Führung, fordert für die DDR einen dritten, durch Demokratie und Rechtsstaatlichkeit gezeichneten Weg sozialistischer Prägung und eine völlig veränderte neue SED: "Es geht nicht um neue Tapeten, wir wollen eine neue Partei."

Sechs Milliarden in bar

Es geht aber auch um sehr viel Geld. Tatsächlich ist die SED eine der reichsten Parteien Europas: 6,1 Milliarden DDR-Mark an Barvermögen, davon 3,3 Milliarden in Fonds. Hinzu kommt ein umfangreicher Immobilien- und Grundstücksbesitz, Verlage und Betriebe. Allerdings beschäftigt die Partei Ende 1989 auch 40.000 hauptamtliche Mitarbeiter. Deren Bezahlung ist nach den Massenaustritten der zurückliegenden Monate aus den laufenden Einnahmen nicht mehr gesichert. Der Anwalt Gysi unterstützt den Fortbestand der SED als SED-PDS vor diesem Hintergrund auch mit dem Argument, dass eine Auflösung und Neugründung juristische Auseinandersetzungen um das Parteivermögen nach sich ziehen und die Partei wirtschaftlich ernsthaft bedrohen würde.

Parteivermögen soll gesichert werden

Tatsächlich beschließt der SED-Sonderparteitag, der am 16. und 17. Dezember fortgesetzt wird, auch die umfangreichen Vermögenswerte für die künftige Parteiarbeit zu sichern. Wenig später verabschiedet der Parteivorstand um Gysi und seinen Stellvertreter Wolfgang Pohl "Maßnahmen zur Sicherung des Parteivermögens ...". Zudem konstituiert sich eine parteiinterne "Arbeitsgruppe zum Schutz des Vermögens der SED-PDS". Sie soll unter anderem verhindern, dass sich Funktionäre im Zuge der Auflösungserscheinungen selbst bereichern. Aber auch die Furcht, die Partei könnte im Zuge des politischen Wandels verboten und enteignet werden, spielt eine große Rolle. Noch im Januar beschließt die SED-PDS, rund drei Milliarden DDR-Mark ihres Barvermögens für soziale und kulturelle Zwecke an den Staatshaushalt der DDR abzuführen. Zu dem Zeitpunkt stellt sie mit Hans Modrow noch den Ministerpräsidenten.

Knapp 300 Millionen für Darlehen

Darüber hinaus versucht die Parteiführung auf verschiedene Weise, das Parteivermögen dem staatlichen Zugriff zu entziehen. So organisiert die von ihr eingesetzte Arbeitsgruppe die großzügige Vergabe von Spenden und kurbelt rund 160 Unternehmensbeteiligungen an. Zudem werden an Genossen Darlehen für Firmengründungen vergeben. Für viele der ehemals 40.000 hauptamtlichen SED-Beschäftigten eine Starthilfe. Laut dem 1998 veröffentlichten Bericht der 2. Untersuchungskommission des Bundestags zum Verbleib des SED-Parteivermögens werden Darlehen von umgerechnet rund 293 Millionen D-Mark ausgereicht, zum Teil mit Laufzeiten von 100 Jahren.

Parteivermögen unter Aufsicht

Die nach der Volkskammerwahl im März 1990 in die Verantwortung gelangte neue DDR-Regierung unter CDU-Ministerpräsident Lothar de Maizière will die Vermögen der alten DDR-Parteien- und Massenorganisationen unter staatliche Aufsicht stellen. Die PDS macht dagegen mobil. Aber es hilft nichts. Mit dem von der Volkskammer am 31. Mai beschlossenen neuen Parteiengesetz werden die Vermögen der Alt-Parteien unter Aufsicht einer unabhängigen Kommission gestellt. In der PDS-Parteispitze wird man unruhig: Steht ein Verbot bevor? Muss sich die Partei auf die Illegalität vorbereiten?