Winter im Tagebau.
Bildrechte: MDR/Schutt

Entwicklung der Braunkohleindustrie: Winterschlacht in der DDR

02. Dezember 2021, 15:24 Uhr

Die Winterschlachten an der Kohlefront sind existentiell für das ganze Land. Neben der minderwertigen Braunkohle gibt es keine wirkliche Alternative für die Energieversorgung der DDR. Trotz ausgefeilter Katastrophenpläne kollabiert im Winter mit einer gewissen Regelmäßigkeit die Kohleförderung in den Tagebauen.

Nach dem Kriegsende gibt es für die DDR Strom und Wärme nur noch aus der eigenen, stark wasserhaltigen Braunkohle. Denn das gesamtdeutsche Energieverbundsystem wird 1948 gekappt, Steinkohle aus dem Ruhrgebiet nicht mehr geliefert. Außerdem muss die DDR bis 1952 gigantische Reparationsleistungen zahlen, u.a. elf Tagebauausrüstungen, fünfzehn Brikettfabriken und zahlreiche Kraftwerke an die Sowjetunion. Für ihre Autarkie wird die DDR in den nächsten vierzig Jahren einen sehr hohen Preis zahlen: Die Hälfte der gewonnenen Energie wird allein zur Energieerzeugung verbraucht - ein wirtschaftliches Desaster.

Der Kampf gegen die Naturgewalten

Der harte Winter 1956 trifft die junge Republik wie ein Schlag. Mit jedem Feind hat man gerechnet, aber nicht mit den Naturgewalten. Es sind alle Mittel recht, die den Kohlestrom nicht versiegen lassen. Durch den Frost bäckt die wasserhaltige Kohle überall an. Mit Mann und Maus zieht die DDR in den Tagebau. Was als spontane Hilfsmaßnahme geplant ist, wird zum dauerhaften Kampfplan für die nächsten Jahrzehnte. Bauern, Soldaten, Studenten und Strafgefangene stehen den Kohlekumpels im Eis zur Seite.

1956 ist Feuer vorerst noch die Hauptwaffe gegen das Eis. Mit Altöl, Teerresten und kaum verwertbarem Brikettgruß wird die gefrorene Erde aufgetaut. Es entstehen wahre Flächenbrände. In den folgenden Jahren behelfen sich die Kumpels auch mit einer Chlor-Magnesium-Lauge für Schienen, Weichen und Waggons. Bis Minus zehn Grad hilft es, allerdings wächst im nächsten Sommer dort kein Gras mehr. Unter Minus zehn Grad sind die Sprengkommandos die letzte Rettung. Ist der Winter endlich vorbei, machen die anschließenden Tauperioden mit Schlamm und Matsch das Tagebaugelände unberechenbar. Im Frühjahr passieren deshalb auch die meisten Unfälle.

Fehlende Alternativen für die Energieversorgung

Im Laufe der Jahre werden in der DDR immer mehr Tagebaue aufgemacht. Die unterentwickelte Lausitz wird zum Energiezentrum der Republik. Hier entsteht das VEB Gaskombinat Schwarze Pumpe. Aus Braunkohle werden nun in großen Dimensionen Gas, Koks und Briketts hergestellt. Mit Masse will der Sozialismus den Winter bezwingen.

Nach dem Bau der "Drushba-Trasse", durch die sowjetisches Erdöl bis an die Ostgrenze der DDR fließt, scheint die Zeit der Braunkohle vorbei zu sein. Die DDR hat endlich eine Quelle, um den energetisch achtfach potenteren Rohstoff mit dem zehnfach geringeren Transportvolumen zu nutzen. Doch 1973 kommt es zu einer weltweiten Energiekrise. Die Erdöl exportierenden Länder (OPEC) verteuern die Rohöl-Preise auf dem Weltmarkt dramatisch. Als die DDR das billige Erdöl gegen Devisen in den Westen verkauft, reagieren die Russen ungehalten. Sie heben die Festpreise auf und verteuern das Öl um das achtfache. Für die Industrie der DDR bleibt nun nichts mehr. Man muss wieder auf die einheimische Braunkohle zurückgreifen. Doch es ist zu spät, um die Katastrophe des Winters 1978/79 zu verhindern. Die Stromversorgung des Landes kollabiert.

Die DDR steuert ins wirtschaftliche Desaster

Nach dieser Erfahrung werden die Anforderungen an die Wintervorbereitung erhöht. Vor Ort gibt es viele Provisorien und Zwischenlösungen, um mit dem anspruchsvollen Plan Schritt halten zu können. Die Sicherheit ist dabei zweitrangig. Das Zauberwort heißt in dieser Zeit "Ausnahmegenehmigung".

Im September 1981 werden die russischen Erdöllieferungen drastisch reduziert. Die Staatsführung der DDR ist schockiert, man bangt um die benötigten Devisen. Nun müssen noch mehr Konsumgüter und Rohstoffe in den Westen verkauft werden. Die Tagebaue werden an der Belastungsgrenze gefahren, jede Havarie wird zum uneinholbaren Planverlust. Ein weiterer Supergau wie 1979 bleibt der DDR in den folgenden Jahren zwar erspart, doch es wird immer kostspieliger, die Kohle zu fördern. Die DDR steuert immer mehr in die ökonomische Katastrophe.

1989 ist die DDR der größte Braunkohleproduzent der Welt mit 320 Millionen Tonnen im Jahr. 500 km² sind umgegraben, 23.000 Menschen umgesiedelt. Doch mit der Wende wird die einst teuer erkämpfte Braunkohle zu einem unbedeutenden Energieträger neben anderen.