Arbeiten an der Jahrhunderttrasse
Bildrechte: Lutz Wabnitz

Porträt Lutz Wabnitz: Der Fotograf der "Trassniks"

15. Juni 2011, 15:01 Uhr

Mehr als 10.000 Fotos schoss Fotograf Lutz Wabnitz 1986 an der "Trasse". Fotos, die den harten Alltag zeigen und keine sozialistischen Heldenposen.

"Für sozialistische Heldenposen, wie sie das DDR-Fernsehen immer zeigte, war da unten tatsächlich kein Platz", sagt Lutz Wabnitz. "Und wenn abends gefeiert wurde, dann mit Unmengen an Bier und Wodka."

Im Auftrag der FDJ

Aber das weiß Lutz Wabnitz noch nicht, als er 1986 von der FDJ einen Auftrag erhält: Für einen Bildband soll er das Leben der "Revolutionäre im Blauhemd" am sogenannten "Jahrhundertprojekt Erdgastrasse" dokumentieren. Der junge Leipziger Fotograf nimmt den Auftrag an und fährt, seine teure Ausrüstung im Gepäck, in den Westural, an den Bauabschnitt Barda. Die Arbeiter dort belächeln ihn zunächst: Wieder so ein Propagandist, heißt es, der seine Jubelbilder machen will. Doch als sie später seine Fotos sehen, fangen sie an, ihn ernst zu nehmen.

Fotos ohne Pathos

Denn Wabnitz' zeigt keine sozialistischen Heldengestalten. Seine unpathetischen Bilder erzählen stattdessen vom harten Arbeitsalltag an der Trasse. Man sieht Männer in knietiefem Schlamm oder – bis zur Unkenntlichkeit vermummt - in endlosen Schneewüsten bei vierzig Grad unter Null. Man sieht Arbeitsunfälle, umgestürzte Kräne oder in Schneelawinen versunkene Lkw, und trostlose Barackensiedlungen neben der Baustelle. Doch auch nach Feierabend hört Wabnitz nicht auf zu fotografieren. Er zeigt die so engen wie schäbigen Unterkünfte der "Trassniks" mit den unvermeidlichen Pin ups an den Wänden, ist bei den allabendlichen Gelagen mit Bier und Wodka dabei, bei Liederabenden und den skurrilen Diskotheken ohne Frauen in der Kulturbaracke, wo die Arbeiter in Wattejacken und Fellmützen miteinander tanzen.

Am meisten rühren ihn aber die russischen Mütterchen an, die in den enormen Müllbergen der deutschen Barackensiedlungen nach Essbarem suchen. "Wir hatten so viel Lebensmittel, dass riesige Mengen weggeschmissen wurden", sagt Wabnitz. "Es waren die traurigsten Bilder, alte Frauen unsere Abfälle einsammeln zu sehen."

Stasi will Dokumentation "bereinigen" - vergeblich

Ein halbes Jahr blieb Lutz Wabnitz im Westural. Mehr als 10.000 Fotos hat er in dieser Zeit gemacht. Es ist die umfassendste Foto-Dokumentation, die es vom mittlerweile legendären Trassenbau gibt. Dass es sie überhaupt noch gibt, verdankt sich auch der Unbedarftheit der Staatssicherheit. Wabnitz musste sämtliche Fotos bei der Staatssicherheit vorlegen. Dort zerkratzte man ihm einfach die Fotos, die man nicht sehen wollte. Auf die Idee, dass man von den Negativen neue Abzüge herstellen kann, sind die gefürchteten DDR-Geheimdienstler offenbar nicht gekommen.