Luftaufnahme von Leipzig
Leipzig hat sich verändert. Viele historische Bauten sind für immer verloren. Bildrechte: IMAGO / Westend61

Verlorenes Leipzig Die Umgestaltung der Leipziger Vorstädte

20. Dezember 2022, 05:00 Uhr

Die großen Lücken im Leipziger Stadtbild, die Bombenangriffe und 40 Jahre DDR hinterließen, sind fast alle überbaut. Die größten Verluste an historischen Bauten verursachte aber nicht der Krieg, sondern die Leipziger Bauwut der davor liegenden Jahrzehnte. Ein neues Buch zeigt den Wandel der Vorstädte und den Verlust an historischen Bauten in der Gründerzeit.

Dreieinhalb Häuser aus der Zeit vor 1830 stehen noch in Leipzig. Auf diese seltsame Zahl kommt Buchautor Sebastian Ringel. Zwei von den dreien liegen heute völlig versteckt in Hinterhöfen. Einzig die frühere Hufschmiede am Petersteinweg 11 zeigt sich.

Verschwundene Häuser, vergessene Vorstädte

Verschwunden sind nicht nur die Häuser, sondern auch die Namen der Vorstädte. Für den Leipziger des Jahres 1845 sind Markranstädt, Schkeuditz oder Taucha noch eine Tagesreise entfernt. Auch Reudnitz, Plagwitz, Gohlis und Connewitz sind noch Dörfer weit vor den Toren Leipzigs. Damals sind es die Ranstädter und Hallische Vorstadt im Norden, die Grimmasche im Osten und die Petersvorstadt zwischen Windmühlen- und Münzgasse. 

Das Leipzig von Bach und Goethe verschwindet

Große Bürgergärten schließen die Stadt noch Mitte des 19. Jahrhunderts ein. Straßennamen wie Apels-, Lurgensteins-, oder Czermaks Garten erinnern noch an sie. Seit Mitte des 19. Jahrhunderts verschwinden die Felder, Wiesen und Gärten. Mühlgräben, Teiche und Bäche werden zugeschüttet, um neues Land zu gewinnen. Im Westen wird Apels Garten "das größte alte Gartenjuwel der Stadt" von Carl Heine trockengelegt, parzelliert und überbaut.

Reiche ziehen ins Umland

Im Süden entstehen rings um Windmühlenstraße und Petersteinweg neue Bauten, während Verleger sich in den östlichen Vorstädten niederließen. Lebten in den Vorstädten seit dem Mittelalter vor allem einfache Leute, ziehen nun die Wohlhabenden ins Umland, schreibt Sebastian Ringel in seinem Buch "Vom Wandel der Leipziger Vorstädte". Trotzdem bleiben die Vorstädte sozial sehr heterogen.

Innerhalb der Häuser war die Durchmischung sehr groß, weil man im obersten Stockwerk bis zu 50 Prozent weniger Miete gezahlt hat als in der Beletage, also im ersten Stockwerk. 

Sebastian Ringel Vom Wandel der Leipziger Vorstädte

Die Villen entlang von Schwägrichen- und Karl-Tauchnitz-Straße zeigen noch die großzügige Bauweise. Anderorts ist nicht viel davon geblieben. Es gibt Grundstücke, die wurden in den vergangenen 150 Jahren vier- oder fünfmal überbaut und jedesmal wurden die Gebäude größer und höher, weiß Buchautor Ringel. 300 verlorene Bauten finden sich in seinem Buch. 

Handelsstraßen und Gasthöfe

Ein Gasthof neben dem anderen wie Deutsches Haus, Blaues Ross, Goldener Hut und Münchner Hof entlang von Peterssteinweg/Königsplatz - das ist charakteristisch für Leipzigs Handelsstraßen, also die Kaufleute noch mit Pferd und Wagen zur Messen kommen. Mit dem Bau von sieben Bahnhöfen im 19. Jahrhundert verlieren sie ihre Bedeutung und werden abgerissen. Am Königsplatz (heute Wilhelm-Leuschner-Platz) entsteht an ihrer Stelle das Kaufhaus der Gebrüder Moritz und Julius Ury. Es ist das erste überhaupt in Leipzig. 1938 von den Nazis "arisiert“, wird es 1943 zerstört und abgerissen. Kaufhäuser, Mustermessepaläste, auch Post oder die großen Kulturstätten sind vollkommen neue Gebäudetypen, die die alten Häuser verdrängen.

Andere Gebäude, wie die Nonnenmühle vis-à-vis der Pleißenburg, fallen Straßen zum Opfer. Zwei Drittel aller Häuser in den Leipziger Vorstädten sind bis zum Ersten Weltkrieg neu gebaut oder abgerissen. An das alte Leipzig erinnert kaum noch was, meint Sebastian Ringel.

Das alte Leipzig, das Goethe, Bach und erst recht Luther einst durchschritten haben, ist nur noch in homöopathischer Dosis erlebbar.

Sebastian Ringel

Historische Fotos des alten Leipzigs

Im Buch mit seinen vielen Karten und historischen Fotos leben die Vorstädte wieder auf. Auch die dreieinhalb Bauten, die Leipziger Abrisswut und Aufbaulust überstanden haben. Das "halbe" Haus ist das Hotel Fürstenhof, dem man sein Baujahr 1771 nach etlichen Umbauten nicht mehr ansieht. 

Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | MDR-Zeitreise - Stadtwende | 11. Dezember 2022 | 22:00 Uhr

Alte Häuser
Leergewohnte Häuser im Andreasviertel von Erfurt. Hier sah der Bebauungsplan der Stadt Abriss und Neubau in Plattenbauweise vor. Aufnahme ca. 1989, Matthias Sengewald. Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK