Historisches Foto vom Reichstagsbrand 1933
Reichstagsbrand 1933 Bildrechte: IMAGO / United Archives International

21. September 1933 Reichstagsbrandprozess in Leipzig

21. September 2023, 05:00 Uhr

Am 21. September 1933 begann am Leipziger Reichsgericht der Reichstagsbrandprozess. Es ging um die Klärung der Frage, ob der am 27. Februar 1933 im brennenden Reichstag verhaftete Marinus van der Lubbe Alleintäter war. Angeklagt waren auch vier Kommunisten, darunter der Bulgare Georgi Dimitroff, ein Funktionär der Kommunistischen Internationale.

Seit dem 30. Januar 1933 war Adolf Hitler Reichskanzler. Knapp einen Monat später, am 27. Februar 1933, stand der Reichstag in Flammen. Polizei und Hausmeister griffen im Südumgang den 24-jährigen Niederländer Marinus van der Lubbe auf. Er war geständig und gab an, allein gehandelt zu haben.

Kommunisten als Täter

Marinus van der Lubbe
Marinus van der Lubbe (1934). Bildrechte: IMAGO / United Archives International

Noch in der Brandnacht trafen Adolf Hitler, Josef Goebbels und Hermann Göring am Reichstag ein. Für Göring standen die Schuldigen bereits fest: "Das ist der Beginn des kommunistischen Aufstands. Sie werden jetzt losschlagen." Hitler wurde konkret: "Jeder kommunistische Funktionär wird erschossen, wo er angetroffen wird. Die kommunistischen Abgeordneten müssen noch in dieser Nacht aufgehängt werden."

Das Ende der Demokratie

Gleich am nächsten Tag, dem 28. Februar 1933, wurde die Notverordnung "Zum Schutz von Volk und Staat" verabschiedet. Damit waren die demokratischen Grundrechte außer Kraft gesetzt, Polizei und SA konnten jederzeit Verhaftungen vornehmen. Das Post- und Fernmeldegeheimnis war ebenso aufgehoben wie die Meinungs-, Presse- und Vereinsfreiheit. Für verschiedene Terrordelikte wie auch für Brandstiftung wurde rückwirkend die Todesstrafe eingeführt. "Jetzt wird rücksichtslos durchgegriffen", titelte der "Völkische Beobachter", das wichtigste Blatt im NS-Regime.  

Ein fairer Prozess am Leipziger Reichsgericht?

Wassil Konstaninoff Taneff , Georgi Dimitroff und Blagoi Siminoff Popoff
Verhaftete bulgarische Kommunisten: Wassil Taneff, Georgi Dimitroff und Blagoi Popoff. Bildrechte: IMAGO / United Archives International

Der Prozess gegen die vermeintlichen Täter begann am 21. September 1933. Angeklagt waren neben Marinus van der Lubbe der KPD-Abgeordnete Ernst Torgler sowie Georgi Dimitroff, Blagoi Popoff und Wassil Taneff, drei bulgarische Funktionäre der Kommunistischen Internationale (Komintern). "Mit dem Reichstagsbrandprozess begann die planmäßige Zerstörung des Rechtsstaats", schätzt Georg Herbert, Vorsitzender Richter am Bundesverwaltungsgericht, welches heute am historischen Ort residiert, die Verhandlung ein. Denn die Leipziger Richter sollten dem Regime einen propagandistischen Erfolg liefern und die Kommunisten als Hintermänner entlarven, aber trotzdem den Anschein eines fairen Prozesses wahren. Allein: "Ein solcher Spagat war nicht möglich", erklärt der Rechtshistoriker Walter Pauly von der Universität Jena.

Georgi Dimitroffs mutiges Auftreten

Reichsgericht Leipzig
Blick auf das Reichsgericht in Leipzig (1935). Bildrechte: IMAGO / Arkivi

Zur herausragenden Figur des Prozesses avancierte Georgi Dimitroff. Er nahm als sich selbst verteidigender Angeklagter sein Recht auf Zeugenbefragung in Anspruch. Bei seiner Verteidigung stützte er sich auf seine reiche Erfahrung als Berufsrevolutionär. Im Gefängnis hatte er sich intensiv mit dem Strafrecht vertraut gemacht. Er war ein guter Rhetoriker und lieferte sich Redeschlachten mit den Vertretern der Anklage. Er brachte sogar die als Zeugen auftretenden Nazigrößen Hermann Göring und Joseph Goebbels in Bedrängnis. "Ich bin nicht hier, um mich von Ihnen anklagen zu lassen", echauffierte sich Göring. Die anfängliche Live-Übertragung des Prozesses im Radio wurde danach eingestellt.

Gerichtsprozess endet mit einem Todesurteil

Die Verhandlungsführung war politisch nicht neutral. Auch im Urteil waren die Sympathien für die Nationalsozialisten erkennbar. Über die Kommunisten hieß es etwa: "In ihrem Lager sind also die Urheber dieses Anschlags und die Mittäter van der Lubbes zu suchen." Trotzdem versuchte das Gericht den Anschein von Rechtsstaatlichkeit zu wahren. Marinus van der Lubbe wurde am 23. Dezember 1933 nach 57 Verhandlungstagen zum Tode verurteilt und am 10. Januar 1934 enthauptet. Die übrigen Angeklagten wurden freigesprochen. Adolf Hitler nannte das Urteil "ein lächerliches Ergebnis" und grollte über "vertrottelte Richter". Für Hochverratsprozesse wurde kurz darauf eine besondere Instanz geschaffen: der Volksgerichtshof.

Ein Held mit Widersprüchen

Nach seinem Freispruch bekam Georgi Dimitroff die sowjetische Staatsbürgerschaft verliehen. Er siedelte nach Moskau über. Dort wurde ihm im März 1934 ein triumphaler Empfang bereitet. Tausende warteten am Flughafen Moskau auf ihn, bei den Maifeierlichkeiten in Moskau stand er auf der Ehrentribüne. Er stieg auf in der kommunistischen Hierarchie und wurde als Generalsekretär der Komintern zu einem Vasallen Stalins. Den blutigen Säuberungen in den eigenen Reihen sah er tatenlos zu. Als sich im September 1938 der Leipziger Reichstagsbrandprozess zum fünften Mal jährte, fand in der Sowjetunion gerade ein Schauprozess gegen den "Block der Rechten und Trotzkisten" statt. Um keine Analogien aufkommen zu lassen, wurde der Jahrestag in der Sowjetunion einfach totgeschwiegen. Georgi Dimitroff befürchtete, nun ebenfalls zur Unperson geworden zu sein. Die Befürchtungen waren jedoch grundlos: Dimitroff wurde nach dem 2. Weltkrieg bulgarischer Ministerpräsident.

Reichstagsbrand - bis heute ein ungeklärtes Rätsel

Bis heute wird darüber spekuliert, ob im Reichstag – mit oder ohne Wissen van der Lubbes – weitere Brandstifter am Werk waren. Unter Historikern gibt es Stimmen die eine NS-Täterschaft in Erwägung ziehen. Allerdings sind diese Annahmen nicht belegbar. 

Anfang 2008 hob die Bundesanwaltschaft das Todesurteil gegen Marinus van der Lubbe posthum auf. Die Richter hatten es auf der Grundlage von Gesetzen verhängt, die erst nach dem Brand geschaffen worden waren. Heute glauben die meisten Fachleute, dass van der Lubbe ein Alleintäter war. Immer noch existieren Verschwörungstheorien wie beim Mord an Kennedy, so der Freiburger Historiker Ulrich Herbert. Nach seiner Überzeugung kam der Brand den Nationalsozialisten gelegen und sie nutzten ihn deshalb für ihre Zwecke.

2023 wurde Lubbes Leiche sogar exhumiert: Es sollte untersucht werden, ob er während der Gerichtsverhandlung unter Drogen gesetzt wurde. Bei der forensische Untersuchung wurden keine Spuren toxischer Substanzen nachgewiesen. Im Gutachten heißt es: "Aufgrund der langen Zeitspanne zwischen Tod und Exhumierung sind Zersetzungsprozesse jedoch hochgradig wahrscheinlich [...]." Eine eindeutige Antwort auf die Frage nach der Vergiftung van der Lubbes durch Nationalsozialisten bleibt somit aus. 

Der Artikel erschien erstmals 2018 und wurde 2023 aktualisiert.

Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | artour | 02. März 2023 | 22:10 Uhr

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