Die First Ladys des Sozialismus Raissa Gorbatschowa - First Lady der Sowjetunion

13. März 2019, 12:48 Uhr

Raissa Gorbatschowa war charmant, selbstbewusst und hochgebildet. Ihr Mann Michail bezeichnete sie einmal als seine wichtigste politische Beraterin und er ging nie ohne sie auf Reisen. In der sowjetischen Öffentlichkeit war die First Lady freilich umstritten.

Raissa Gorbatschowa war die einzige First Lady der Sowjetunion, die diese Bezeichnung auch verdiente. Ihr Erscheinen auf der großen politischen Bühne 1985, als ihr Mann zum Generalsekretär der KPdSU gewählt worden war, glich einer Art Kulturrevolution. Denn Raissa Gorbatschowa war eine ebenso attraktive wie charmante und hochgebildete Frau, die sich keineswegs hinter ihrem Mann versteckte. Ganz im Gegenteil: Wo nötig, widersprach sie ihm in aller Öffentlichkeit und blieb auch bei Staatsbesuchen, wie allgemein üblich, keineswegs einen Schritt hinter ihm.

Versteckte Ehefrauen

Dergleichen hatte in der UdSSR, wenn man vielleicht einmal von Lenins Gefährtin Nadeshda Krupskaja und Chruschtschows Ehefrau Nina Chruschtschowa absieht, keine Tradition: Stalin hatte seine Frau hinter den Kremlmauern vergehen lassen; Breshnew nahm seine Frau nur ein einziges Mal zu einem Staatsbesuch mit und Andropows Gattin trat zum ersten Mal bei der Beerdigung ihres Mannes öffentlich in Erscheinung. Damit machte Raissa Gorbatschowa Schluss. Sie war durchaus erste Frau im Staat.

Leben im Güterwaggon

Raissa Titarenko wurde am 5. Januar 1932 im sibirischen Rubzowsk geboren. Sie war drei Jahre alt, als ihr Vater von der Geheimpolizei verhaftet und in den Gulag gesteckt wurde. Er soll öffentlich die Kollektivierung der Landwirtschaft unter Stalin kritisiert haben. Raissa, ihre Mutter sowie der kleine Bruder hausten viele Jahre lang in einem ausrangierten Güterwaggon. 1948 schloss Raissa die Oberschule mit "Auszeichnung" ab. Besser ging es nicht. Anschließend zog Raissa zum Soziologie-Studium nach Moskau.

"Ein Leben ohne den anderen war fortan nicht mehr möglich"

An der Lomonossow-Universität lernte Raissa Titarenko Anfang der 1950er-Jahre den Jurastudenten Michail Gorbatschow kennen. "Wir waren uns von Anfang an über unsere Gefühle im Klaren", beschrieb Raissa Gorbatschowa später ihre erste Begegnung. "Ein Leben ohne den anderen war fortan nicht mehr möglich." 1953 heirateten beide und zogen vier Jahre später in die Provinzstadt Stawropol, wo Michail Gorbatschows politische Karriere begann. Raissa promovierte in diesen Jahren. 1978 zog die kleine Familie - 1957 war die Tochter Irina geboren worden - nach Moskau: Michail Gorbatschow war ins ZK der KPdSU berufen worden. Raissa Gorbatschowa übernahm eine Professur für dialektischen Materialismus an der Philosophischen Fakultät der Universität Moskau.

First Lady

1985 wurde Michail zum Generalsekretär der KPdSU gewählt, ein Jahr später begann er mit seiner Reformpolitik - mit Glasnost und Perestroika. Raissa gab ihre Professur auf und widmete sich ganz ihrer neuen Rolle - der der First Lady der Sowjetunion. Doch sie war keineswegs nur die Begleiterin ihres Mannes. Raissa war seine wichtigste Beraterin, es heißt, sie solle ihn gar zu seiner Reformpolitik inspiriert haben. Michail Gorbatschow machte auch nie einen Hehl daraus, dass er zuallererst der Mann seiner Frau sei. Kein einziges Mal ist Michail Gorbatschow allein zu Staatbesuchen aufgebrochen. Immer war Raissa an seiner Seite.

"Sie ist nun mal eine sehr unabhängige Frau."

Während Raissa Gorbatschowa wegen ihrer Eleganz und ihres Selbstbewusstseins im Ausland für Aufsehen und Begeisterung sorgte und 1987 vom britischen Magazin "Womans Own" gar zur "Frau des Jahres" gekürt wurde, war sie in Russland gerade deswegen umstritten. Parteikader kritisierten, dass sie sich viel zu häufig in das politische Tagesgeschäft einmische, ihrem Mann, dem Generalsekretär der KPdSU, öffentlich ins Wort falle und überhaupt zu präsent in der Öffentlichkeit sei. Die Sowjetbürger verurteilten ihr glamoröses Auftreten in Designerkleidern von Estee Lauder und Slawa Saizew, während sie selbst stundenlang für einen Laib Brot anstehen müssten. Viele erregten sich auch darüber, dass Raissa Gorbatschowa bei Staatsbesuchen immer an der Seite ihres Mannes die Gangway betrat und nicht etwa einen gebührenden Schritt hinter ihm. Michail Gorbatschow sagte dazu nur: "Sie ist nun mal eine sehr unabhängige Frau."

Stiftungen und alte Freunde

Mit dem Verbot der KPdSU 1991 und dem Rücktritt Michail Gorbatschows vom 1990 neu geschaffenen Amt des Präsidenten 1991 endete Raissa Gorbatschowas Leben als First Lady. Sie engagierte sich fortan in der Stiftung ihres Mannes und gründete 1997 den "Club Raissa Gorbatschowa", der sich die Verbesserung der Lebensbedingungen russischer Frauen zum Ziel setzte. Ansonsten reiste sie gemeinsam mit ihrem Mann durch die Welt - zu Auftritten, Konferenzen, Buchvorstellungen und zu Begegnungen mit alten Freunden in Deutschland, Frankreich oder den USA.

"Unsere Liebe ist ein lebendiges Band"

Im Juli 1999 wurde Raissa Gorbatschowa in die Universitätsklinik in Münster eingeliefert. Sie hatte Blutkrebs. Nur zwei Monate später, am 20. September 1999, starb Raissa Gorbatschowa. Sie war 67 Jahre alt. Ihre letzte Ruhestätte fand sie auf dem Moskauer Prominentenfriedhof Nowodewitschi. "Mein Herz ist wie ein verwundeter Vogel", sang Michail Gorbatschow 2009 auf einer CD mit dem Titel "Lieder für Raissa". "Unsere Liebe ist ein lebendiges Band."

(Quellen: Die Zarin ist tot, www.tagesspiegel.de; 5.1.1932 - Raissa Gorbatschowa wird geboren, www1.wdr.de/stichtag.)

(SL)

Über dieses Thema berichtete der MDR im TV auch in "Brisant" 13.03.2013 | 17:15 Uhr