Beliebte TV-Serie aus einer Prager Kaufhalle "Die Frau hinter dem Ladentisch"

24. Februar 2018, 10:29 Uhr

Vor 40 Jahren feierte die tschechoslowakische Serie "Die Frau hinter dem Ladentisch" ihre Premiere im DDR-Fernsehen. Ähnlich wie in ihrem Heimatland wurden die Geschichten aus einer Prager Kaufhalle auch hierzulande zu einem Publikumsmagneten. Und die Hauptdarstellerin, Jiřina Švorcová, wurde so beliebt, dass bei einer Autogrammrunde Vopos anrücken mussten, um sie vor dem Erdrücken zu bewahren.

Die Serie zeichnet das Bild einer sozialistischen Wohlstandsgesellschaft: Jede der zwölf Folgen spielt in einem anderen Monat, so dass am Ende der ganze Jahreskreis abgebildet wird. Im Mittelpunkt stehen die Geschicke der Verkäuferin Anna Holubová, verkörpert von Jiřina Švorcová. Ein neuer Arbeitsplatz soll den Neuanfang nach einer Scheidung leichter machen. In Folge 1 tritt Anna den Dienst als Leiterin der Feinkostabteilung in einer Prager Kaufhalle auf. Als offene, ehrliche und hilfsbereite Person mit selbstverständlich vorbildlichem sozialistischen Bewusstsein und vorzüglichen menschlichen Qualitäten – heute würde man wohl "soft skills" dazu sagen – erwirbt sie sich schnell das Vertrauen ihrer Kollegen und Vorgesetzten. Dabei muss sie – natürlich – so manche Unwägbarkeit meistern.

Doch was wäre eine gute Serie ohne ein ergreifendes Liebesmotiv! Schon in der ersten Folge taucht ein neuer Mann in Annas Leben auf, doch es braucht ganze zwölf Monate und einige Krisen, Intrigen und Missverständnisse, bis das Paar definitiv zueinander findet. Darüber hinaus wird in jeder Folge die Geschichte einer Nebenfigur aus dem Kreis der Kaufhallenmitarbeiter ausgearbeitet: Mal ist die stotternde junge Verkäuferin Jiřinka dran, die sich allmählich von einem komplexbeladenen "hässlichen Entlein" zu einer selbstbewussten, erfolgreichen Gemüsestandleiterin mausert, mal die bildhübsche Olina, die sich des Zuspruchs des männlichen Geschlechts immer sicher sein kann. Das Drehbuch stammt vom berühmten Jaroslav Dietl, der wenig später auch das ebenso beliebte "Krankenhaus am Rande der Stadt" erfindet - die Ostblock-Variante der "Schwarzwaldklinik".

Dass das Bild eines sozialistischen Schlaraffenlands, das in der Serie vermittelt wird, nicht ganz der Wahrheit entsprach, dürfte damals jedem Zuschauer klar gewesen sein. Die Regale biegen sich regelrecht unter dem Gewicht der Waren und die Verkäuferinnen sind immer nett und hilfsbereit – eine Kaufhalle wie aus einem (sozialistischen) Märchen. Dass das eben nur ein Märchen war, räumte in ihren Erinnerungen selbst die Hauptdarstellerin, die 2011 verstorbene Jiřina Švorcová ein, die auch nach der Samtenen Revolution in ihrer Heimat eine überzeugte Kommunistin blieb. "Die Delikatessen, die wir auf dem Tresen hatten, waren selbstverständlich echt“, erinnerte sie sich nach Jahren. Es habe sie allerdings nicht jeden Tag am Set gegeben, sondern nur dann, wenn die entsprechenden Einstellungen mit den Leckerbissen gedreht wurden.

Die Delikatessen auf dem Tresen waren vorzüglich, aber wir durften nichts davon essen. Nur derjenige aß, der das laut Drehbuch auch wirklich sollte. Am Abend, nach Beendigung der Dreharbeiten, war alles nicht mehr zu gebrauchen. Und was nicht so schnell verdarb, wurde in den Kühlschrank gelegt und am nächsten Tag wieder am Set verwendet.

Jiřina Švorcová, Hauptdarstellerin in "Die Frau hinter dem Ladentisch"

Und so mussten sich die 69 Darsteller belegte Brote von zu Hause mitbringen – obwohl aus mehreren Prager Geschäften das Feinste vom Feinsten herangeschafft wurde, um die Regale in der Fernsehkaufhalle zu füllen und einer der damals angesagtesten Feinkostläden der Stadt die beliebten tschechischen Kanapees – "chelbičky" – lieferte. Eine echte Film-Geschichte eben: So manches Mal lief  da den Schauspielern wohl das Wasser im Mund zusammen… Anfassen durften sie aber nichts von all der Pracht.

Auch die Kaufhalle, in der die Aufnahmen entstanden, war echt. Da hatte den Filmemachern ein Zufall geholfen. Kurz zuvor musste nämlich eine größere Prager Markthalle saniert werden und erhielt einen provisorischen Pavillon im Prager Stadtteil Smíchov als Ausweichquartier. Als der angestammte Sitz des Unternehmens fertig saniert war, konnte die Filmcrew diese Räumlichkeiten in Besitz nehmen – und hatte damit eine perfekte Filmkulisse, fertig eingerichtet und so echt, dass es echter kaum noch ging. Und auch die Wohnung der Titelheldin Anna war genauso authentisch und im Prager Stadtteil Vinohrady gelegen. Die eigentlichen Besitzer wurden für einige Wochen in einem Hotel einquartiert, doch ihre Kleidung hing während der Dreharbeiten weiter in den Schränken.

Die Serie entwickelt sich zum Publikumsliebling - allerdings erst beim zweiten Anlauf. Bei der Premiere kurz vor Weihnachten 1977 wird sie zunächst zum Flop. Vermutlich, weil sie zur falschen Zeit gesendet wird. Zwölf Tage vor dem Fest "hintereinander weg", ohne den sonst üblichen wöchentlichen Rhythmus und in einer Zeit, in der die meisten Hausfrauen – denn sie sind die Hauptzielgruppe – schlicht und einfach schon damals mit Einholen, Putzen und Kochen beschäftigt waren, um ihren Lieben einen würdigen, festlichen Höhepunkt des Jahres zu bereiten. Anders gesagt: Die aufwändig gedrehte Geschichte vom sozialistischen Konsumparadies verpufft, weil die Kernzielgruppe just in diesen Tagen ihre Zeit in den Warteschlangen des real existierenden "Schlaraffenlandes" verbringt. Beim zweiten Anlauf, ein Jahr später und diesmal im Wochenrhythmus ausgestrahlt, wird "Die Frau hinter dem Ladentisch" zu einem Straßenfeger.

Auch im befreundeten sozialistischen Ausland feiert die Serie Triumphe: in Polen, Ungarn, Jugoslawien, Bulgarien, auf Kuba und in der DDR. In Ostdeutschland wäre eine Autogrammstunde der Hauptdarstellerin um ein Haar sogar zum Verhängnis geworden. Noch Jahre später erinnert sich mit ein wenig Schrecken daran. Man habe sie zu "...irgendeiner Messe" gebracht – möglicherweise in Leipzig –, ihr einen weißen Kittel ähnlich dem aus der Serie übergeworfen und sie an einen Eisstand gestellt. Als die Menschen mitbekommen, wer da die kühle Erfrischung austeilt, verdichtet sich der Trubel schnell zu einem bedrohlichen Gedränge. Die Menschen drängen so, dass der Star von Polizisten regelrecht befreit werden muss. Danach wird die Publikumsbegegnung gesittet fortgesetzt – die Švorcová setzt sich an einen Messestand und unterschreibt fleißig Autogrammkarten. Zu einem wahren Triumphzug wird dann ihre Reise nach Kuba, ein exotisches Ziel, dass den Normalsterblichen diesseits des Eisernen Vorhangs verwehrt blieb.

Als ich in Havanna aus dem Flugzeug stieg, da wartete schon ein Kamerateam auf mich, das mich fortan nicht für eine Sekunde allein ließ: Vom Augenblick an, als ich das Bett verließ - bis zu dem Augenblick, als ich in der Nacht meine Hotelzimmertür hinter mir schloss.

Jiřina Švorcová, Hauptdarstellerin in "Die Frau hinter dem Ladentisch"

Das kubanische Filmteam begleitet den Star aus der Tschechoslowakei tagelang auf Schritt und Tritt. Die Švorcová steht für das ganze Land im Mittelpunkt. Jeden Tag wird in Fernsehen und Radio vermeldet, mit wem und wo sie sich an dem Tag getroffen hat. Für die kubanischen Fans stellt sie sich für einige Augenblicke auch hinter den Tresen eines echten kubanischen Geschäfts, und wenn sie abends einen Klub besucht, wird sie den Anwesenden mit einem Scheinwerferkegel annonciert – wie ein echter Weltstar. "Ich habe wirklich nie wieder so etwas Ähnliches erlebt", erinnerte sich Švorcová später.

Anekdoten zufolge wurde die Serie kubanischen Verkäuferinnen übrigens später auch mit dem Ziel gezeigt, zu zeigen, wie sich eine Verkäuferin ihren Kunden gegenüber benehmen muss. Im ganzen ehemals sozialistschen Lager feierte die Serie Erfolge und wurde auch nach der politischen Wende mehrfach wiederholt und auf DVD herausgebracht. Nur in der ehemaligen Sowjetunion wurde die "Frau hinter dem Laden Tisch" nie gezeigt - angeblich, weil die Regale in der Heimat des Weltproletariats meist zu leer gewesen seien. Doch auch das ist wohl nur so eine Film-Geschichte.


"Die Frau hinter dem Ladentisch" war zuletzt im MDR Fernsehen zu sehen am: 30.03.2016 | 05:25 Uhr