Wie ein Thüringer Weihnachten nach Sankt Petersburg bringt

22. Dezember 2017, 12:08 Uhr

Im orthodoxen Russland wird der 24. Dezember nicht gefeiert. In der Millionenmetropole Sankt Petersburg jedoch gibt es jedes Jahr ein Weihnachtsfest – einem Pfarrer aus Thüringen sei dank.

Eine Herausforderung ist für Michael Schwarzkopf jedes Jahr der Weihnachtsbaum. Der Thüringer ist seit vier Jahren Pfarrer an der größten evangelischen Kirche Russlands in Sankt Petersburg. Pünktlich zum Heili­gen Abend soll vor dem Altar der Petrikirche die Tanne mit ihrem Christbaumschmuck erstrahlen.

Doch der Verkauf der Bäume beginnt in Russland erst eine Woche vor Silvester, wenn Väterchen Frost traditionell die Geschenke zu den Kindern bringt. Vorher einen aufzutreiben ist schwierig. Doch Michael Schwarzkopf nimmt den jährlichen Kampf ums Bäumchen inzwischen gelassen: "Es braucht jedes Jahr viel Geduld und Überredungskunst, damit die Lieferanten uns den Weihnachtsbaum etwas eher liefern. Aber hier ist eben Russland und nicht Thüringen."

Die Petrikirche am Newski-Prospekt in Sankt Petersburg
Bildrechte: Tom Kühne

Die Petrikirche in Sankt Petersburg Das Gotteshaus am Newski-Prospekt, der berühmtesten Flaniermeile der Stadt, ist legendär. 1727 hatte Zar Peter II. der deutschen Gemeinde hier ein Grundstück geschenkt.

Darauf entstand später das deutsche Viertel mit der Peter- und Paulskirche, kurz Petrikirche. Hinzu kamen eine Pastorat und die Petrischule. 1709 gegründet ist sie heute die älteste Schule mit erweitertem Deutschunterricht in Russand. 

Nach der Oktoberrevolution 1917 wurde die Kirche zunächst verstaatlicht und schließlich auf Weisung Stalins am Heiligen Abend 1937 ganz geschlossen. Die Pastoren wurden verhaftet und erschossen.

1962 wurde im Kirchenschiff ein Schwimmbad eröffnet, das bis zur Wende in Betrieb war. Erst 55 Jahre nach der Schließung der Petrikirche  konnte die Gemeinde 1993 hier wieder ihren ersten Gottesdienst feiern.

Späte Berufung

Michael Schwarzkopf wurde in eine Pfarrerfamilie im thüringischen Greiz hineingeboren. Schon sein Großvater war Pfarrer und auch sein Vater. Dieses Umfeld in seiner Kindheit und Jugend haben ihn geprägt: "Ich bin immer ein kirchlicher Mensch gewesen und habe mich in der Kirche engagiert, auch wenn ich dann erst einmal einen anderen Weg gegangen bin."

Zahlen fand der heute 54-jährige zunächst interessanter und so studierte  er Mathematik und wurde Programmierer. Doch nach der Wende gab Michael Schwarzkopf  seinem Leben eine neue Richtung: "Viele Menschen wurden plötzlich arbeitslos. Sie wussten nicht, wie es wirtschaftlich weiter geht. In dieser Situation hatte ich das Gefühl, ich muss für sie da sein!“ Also studierte er noch einmal Theologie und wurde Pfarrer im Thüringer Wald.

Jahrzehntelange Liebe zu Osteuropa

2013 geht Michael Schwarzkopf ins russische Sankt Petersburg. Es ist ein lang gehegter Traum, der damit für ihn Erfüllung geht: "Immer wenn ich an Osteuropa dachte, dann ging mir einfach das Herz auf. Besonders mag ich die Herzlichkeit der Menschen hier und die Sprache!"

Russisch lernte er schon zu DDR-Zeiten an der Schule. Es ist die erste Fremdsprache, die er bald fließend beherrscht. Später kommt noch Polnisch dazu. "Als in den 80er Jahren mit Glasnost und Perestroika ein frischer Wind wehte, habe ich die sowjetische Presse verschlungen. So habe ich vieles erfahren, was in der DDR damals tabu war", erinnert sich Pfarrer Schwarzkopf.

Schwierige Arbeit in der Gemeinde

Als Pfarrer engagiert sich Michael Schwarzkopf auch in der Kirche für den Austausch mit Osteuropa. Er schließt viele Freundschaften und so ist es kein Wunder, dass man ihm schließlich die frei gewordene Pfarrstelle in Sankt Petersburg anbietet.  Das Amt, das Michael Schwarzkopf übernimmt, ist eine He­rausforderung.

Pfarrer Michael Schwarzkopf beim Gottesdienst in der Petrikirche in Sankt Petersburg
Die Petrikirche liegt direkt neben dem weltberühmten und hell erleuchteten Newski-Prospekt. Bildrechte: Tom Kühne

"Unsere Gemeinde besteht zu 80 Prozent aus Russlanddeutschen. Der größte Teil ist 60 Jahre und älter. Ein Grund ist die Auswanderung. Unsere Kirche schrumpft, leider!", meint Schwarzkopf. Für den Pfarrer geht es darum, die Zukunft der Gemeinde mit ihrer einzigartigen Kirche zu sichern. "Wir sind hier in einer Minderheit. Aber das kannte ich auch schon aus Ostdeutschland. Um zu wachsen, müssen wir unsere Kirche und die Gemeinde stärker in das russische Umfeld integrieren!"

Enger Kontakt zu örtlichen Eliten

Inzwischen finden in der Petrikirche neben den Gottesdiensten auch gut besuchte Konzerte statt, beson­ders seitdem die Orgel restauriert und wieder in Betrieb genommen wurde. Und so ist es kein Wunder, dass am Heiligen Abend erst die Gemeinde ihre Christmette feiert und danach das öffentliche Weihnachtskonzert stattfindet. Zu dem auch diejenigen kommen, die kein christliches Weihnachtsfest feiern.

In diesem Jahr steht Händels Oratorium "Messias" auf dem Programm. Gute Beziehungen unterhält der deutsche Pfarrer auch zur russisch-orthodoxen Kirche und zur Verwaltung: "Um in Russland etwas zu erreichen, muss man Kontakte knüpfen, miteinander reden. So konnten wir zum Beispiel mit Hilfe staatlicher Gelder den Engel auf unserem Kirchendach renovieren. Das ist nicht selbstverständlich!"

Arbeitsreiche Weihnachten

Die hektische Adventstszeit beginnt für den Pfarrer mit den Weihnachtsfeiern für die sogenannten "Expats", deutsche Arbeitskräfte, die mit ihren Familien in Petersburg leben. Dann kommt der letzte Schultag an der Deutschen Schule. Hier arbeitet Michael Schwarzkopf als Religionslehrer und gestaltet die Adventsfeier vor den Ferien.

Viele deutsche Familien verlassen danach die Stadt und fliegen nach Deutschland oder in wärmere Regionen. Nur für den Pfarrer gibt es keine Pause: "Für mich ist es die arbeitsreichste Zeit im Jahr. Da schaffe ich kaum irgendwelche Termine außerhalb der Kirche. Aber das war auch in Thüringen nicht viel anders."

Die Gottesdienste werden vorbereitet und Geschenke für die Kinder der Gemeinde verpackt. Vor Heilig Abend wird dann der Weihnachtsbaum geschmückt, die Christvesper g­probt und der Herrnhuter Adventsstern aufgehängt. Den hat Michael Schwarzkopf in Berlin besorgt und gleich noch einen zweiten für die benachbarte Finnische Kirche mitgebracht.

Weihnachtsinsel in der Millionenmetropole

Auch wenn der 24. Dezember in Russland nicht gefeiert wird, erstrahlt die Innenstadt von Sankt Petersburg schon seit Anfang Dezember im Lichterglanz. Viele Touristen sind jetzt in der Stadt, um hier den Jahreswechsel zu feiern. An Heligabend können auch die dann die Christvesper in der Petrikirche besuchen. Eröffnet wird sie mit der Lesung der Weihnachtsgeschichte und dem Krippenspiel.

Im Anschluss führt Michael Schwarzkopf die Kinder zu einem Rundgang mit Überraschungen. Der endet traditionell im Keller der Kirche, wo es die Weihnachtsgeschenke gibt. Im hektischen Treiben der Millionenstadt Sankt Petersburg ist die Petrikirche eine kleine weihnachtliche Insel. Und auch für Pfarrer Michael Schwarzkopf kommt nun endlich die besinnliche Zeit: "Der schönste Moment ist, wenn in der Kirche das Licht erlischt und nur noch die Kerzen brennen. Dann singen wir alle gemeinsam ´Stille Nacht, heilige Nacht´".

Über dieses Thema berichtet MDR auch im: TV | 24.12.2016 | 19:00 Uhr