Flugzeugkatastrophe von Smolensk Angehörige: "Lasst die Toten ruhen!"

14. November 2016, 14:56 Uhr

Das katholische Polen streitet über die Totenruhe. Nach dem Willen der Regierung sollen die 96 Opfer des Absturzes der Präsidentenmaschine vom April 2010 exhumiert werden. Hinterbliebene wehren sich dagegen.

Seit Mitte Oktober verschickt die polnische Militärgendarmerie Briefe an die Hinterbliebenen der Smolensk-Opfer. In dem dreizehnseitigen Papier werden diese über die bevorstehende Exhumierung ihrer Angehörigen informiert. Die Behörden wollen die Opfer demnach auf Spuren von Sprengstoff oder einer anderen Fremdeinwirkungen untersuchen lassen.

Unfall oder Anschlag?

Es ist der neueste Höhepunkt des Deutungsstreits über das Unglück, bei dem im April 2010 der polnische Präsident Lech Kaczynski, seine Frau Maria und 94 weitere Insassen ums Leben kamen. Die Maschine des Präsidenten war damals im Landeanflug nahe der russischen Stadt Smolensk am Boden zerschellt Alle Insassen kamen ums Leben.

Seitdem halten sich hartnäckig Verschwörungstheorien, nach denen der Unfall in Wahrheit ein Anschlag unter russischer Beteiligung war. Diese Theorie wird auch von Teilen der regierenden Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) vertreten - am nachdrücklichsten von Jaroslaw Kaczynski selbst, dem PiS-Vorsitzenden und Zwillingsbruder des verstorbenen Präsidenten.

Wrack
Zerschellte Präsidentenmaschine in einem Wald nahe Smolensk Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

Die Exhumierungen sollen die Anschlagstheorie beweisen. Doch insgesamt 200 Angehörigen der Opfer protestieren in einem offenen Brief gegen die Entscheidung und fordern, die Totenruhe zu respektieren. Das Verteidigungsministerium will den Brief nicht kommentieren. Ebenso die katholische Kirche, die von den Hinterbliebenen um "Unterstützung und Verteidigung der Gräber von Schändung" gebeten wurde. Die Totenruhe ist ein wichtiger Bestandteil der katholischen Lehre. Doch die Kirche steht der PiS-Regierung seit Jahren sehr nahe und will offenbar keinen Konflikt riskieren.

Immer neue Untersuchungen

Zwei unabhängige Untersuchungen haben den Unfallhergang vom 10. April 2010 bereits rekonstruiert. Demnach hätten mehrere Faktoren zu dem Unglück geführt: Durch den starken Nebel hätte das Flugzeug gar nicht landen dürfen. Hochrangige Delegationsmitglieder sollen aber Druck auf die schlecht ausgebildete Crew ausgeübt haben. Diese habe daraufhin die Flughöhe falsch berechnet und ein Warnsystem ignoriert.

Zusätzlich habe der überforderte russische Fluglotse die Piloten nicht im korrekten Anflugkorridor gehalten. Die Maschine verfehlte daher die Landebahn, durchschlug mit den Flügeln mehrere Bäume, drehte sich um die eigene Achse und zerschellte am Boden. Die Ergebnisse der Untersuchungen werden von der neuen Regierung jedoch nicht anerkannt. Sie hat im Februar 2016 eine neue Kommission eingesetzt.