Interview mit Irina Borogan "Putin kennt nichts anderes als den KGB"

23. September 2016, 17:20 Uhr

Die russische Journalistin Irina Borogan über Präsident Putins mutmaßliche Pläne, die Geheimdienste Russlands zu zentralisieren.

Ist diese Idee der Wiedervereinigung der Geheimdienste zu einem neuen KGB realistisch?

Irina Borogan
Irina Borogan Bildrechte: Irina Borogan

Jelzin hatte den KGB in viele unterschiedliche Geheimdienste aufgeteilt, die parallel existierten und miteinander konkurrierten. Putin hat 2003 eine Reform durchgeführt und den großen Grenzschutz in den FSB (Inlandsgeheimdienst) eingegliedert. Er hat die elektronische Spionage sowie den Dienst aufgelöst, der sich mit der Sicherung der Regierungskommunikation befasste und hat auch diesen in den FSB eingegliedert. Er hat also schon lange angefangen, einen großen Geheimdienst zu schaffen. Heute, mehr als zehn Jahre später, sieht es so aus, als würde er diesen Prozess beenden wollen. Als wolle er das wieder herstellen, was früher der KGB war - also einen riesigen Geheimdienst, der absolut alle Bereiche der Sicherheit im Land kontrollieren wird.

Welcher Sinn und Nutzen steckt hinter einer Zusammenführung des Inlandsgeheimdienstes FSB mit dem Föderalen Wachdienst und der Auslandsspionage?

Ich denke, dass eine solche Vereinigung keinerlei Nutzen mit sich bringen kann. Denn nach der Logik der Regierung muss ein großer und zentralisierter Geheimdienst besser zu kontrollieren sein. In Fällen von Protesten, unstabiler Zeiten oder bei einer Gefahr für die Regierung soll so ein zentraler Geheimdienst besser den Protest unterdrücken und die Prozesse im Land lenken können. In der Realität dagegen haben es die bestehenden Geheimdienste bereits sehr gut hinbekommen, die Dissidenten und Proteste zu unterdrücken und das, was im Land vor sich geht, zu kontrollieren. Es gab also keinerlei Probleme. Und außerdem gibt es in Russland einerseits einen negativen Bezug zu jeglichen Reformen, die hier stattfinden und andererseits verlaufen sie sehr schwerfällig und lähmen für eine gewisse Zeit die Handlungsfähigkeit aller Mitarbeiter.

Jetzt sieht es so aus, als würden alle Offiziere des FSO (Föderaler Wachdienst) und des SWR (Auslandsspionage) sich im Prozess der Reorganisation befinden und nicht wissen, welchen Pflichten sie nachgehen müssen, welche Dienste sie zu verrichten haben und über welche Befugnisse sie dabei verfügen. Sie werden also aller Wahrscheinlichkeit nach eher passiv werden. Es bedeutet also noch lange nicht, dass ein vereinheitlichter Dienst gut zu führen und für den Präsidenten transparent sein wird. Ich habe eher das Gefühl, dass es umgekehrt sein wird: Er wird schwerfällig und für den Kreml unkontrollierbar werden. 

Wozu dann also eine solche Reform?

Um ehrlich zu sein, verstehe ich das auch nicht. Wie Sie sehen, ist bei uns im Moment alles ruhig, die Wahlen haben keinerlei Proteste hervorgebracht, nichts ist passiert. Die Geheimdienste ergreifen zwar manche repressive Maßnahmen, doch diese sind bisher, Gott sei Dank, noch selektiv. Sie haben keinen massenhaften Charakter, wie etwa unter Stalin oder überhaupt zur Sowjetzeit. Ich habe das Gefühl, dass Putin Angst hat. Es gibt durchaus Gründe für die Regierung, vor der Zukunft Angst zu haben.

Ein wichtiger Grund ist die wachsende Finanzkrise, die immer schlimmer wird. Und die Regierung weiß nicht, was in einem oder eineinhalb Jahren sein wird. Das ruft im Kreml und persönlich bei Putin eine Nervosität hervor und sie versuchen zu verhindern, dass im Land etwas Ähnliches passiert wie 1991 und dass dieses Regime ausgetauscht wird. Die Angst also, grob gesagt, vor einem Maidan. Deswegen greift die Regierung auf alte Methoden zurück. Putin kennt nichts anderes als den KGB, und alle Erfahrungen auf staatlicher Ebene, die er hat, hat er vom KGB. Deswegen versucht er, das wiederzubeleben, was er aus seiner vergangenen Erfahrung schon kennt. Obwohl, und wir erinnern uns ja an dieses Paradox, 1991 der KGB versagt hat und nicht in der Lage war die Sowjetunion und die eigenen Macht zu sichern. Das ist ein Paradox, aber so denkt der Kreml eben.  

Irina Borogan Irina Borogan ist investigative Journalistin. Zusammen mit Andrej Soldatow hat sie im Jahr 2000 das unabhängige Web-Portal Agentura.Ru gegründet. Borogan und Soldatow veröffentlichen dort Informationen zu den russischen Geheimdiensten. Borogan schreibt regelmäßig u.a. für die "Moscow Times", für "Foreign Policy" und "Foreign Affairs". Beide Journalisten hatten zum Beispiel bei den Olympischen Spielen in Sotschy 2014 Abhörmaßnahmen des Staates ans Licht gebracht.