Der Erste EU-Vizepräsident und EU-Kommissar für Bessere Rechtssetzung, interinstitutionelle Beziehungen, Rechtsstaatlichkeit und Grundrechtecharta, Frans Timmermans.
Der Vizepräsident der EU-Kommission, Frans Timmermans, setzt Polen unter Druck. Bildrechte: picture alliance/dpa | Bernd von Jutrczenka

Wegen Justizreform: EU erwägt Stimmrechtsentzug für Polen

20. Juli 2017, 16:47 Uhr

Die EU-Kommission droht Polen wegen der umstrittenen Justizreform mit einem Entzug des Stimmrechts. Diese wurde am Donnerstag vom polnischen Parlament verabschiedet.

Der Vize-Präsident Frans Timmermans äußerte sich besorgt über die umstrittene Justizreform in Polen: "Diese Gesetze verstärken die systemischen Bedrohungen für die Herrschaft des Rechts." Die Kommission erwägt deshalb ein Verfahren nach Artikel 7 der EU-Verträge in Gang gu setzen. An deren Ende könnte ein Stimmrechtsentzug für Polen stehen - eine drakonische Strafe, die noch nie angewendet wurde. Die Kritik sei "voreilig", kritisierte das Außenministerium in Warschau in einer Stellungnahme. Kommende Woche will die Kommission eine endgültige Entscheidung treffen.

Ausschus schmettert Änderungsanträge ab

Unterdessen hat das Parlament die Reform verabschiedet. Die Abgeordneten des von der rechtskonservativen Regierungspartei PiS kontrollierten Unterhauses stimmten am Donnerstag mit 235 Ja-Stimmen für das Gesetz, 192 Parlamentarier stimmten dagegen, 23 enthielten sich der Stimme. Zuvor hatte der Justizausschuss in der Nacht alle 1.300 Änderungsanträge der Opposition abgelehnt. Die Reform sieht vor, dass die Regierung enormen Einfluss auf die Gerichtsbarkeit bekommt.

Präsident stellt sich gegen die Regierungsmehrheit

Während des wochenlangen Kampfes um die umstrittene Reform hatte die PiS in den vergangenen Tagen Nerven gezeigt.. In der Nacht kam es immer wieder zu tumultaritgen Szenen im Ausschuss, wo sich Abgeordnete gegenseitig das Mikrofon entrissen. In einer ersten Abstimmung am Dienstagabend hatte zwar eine Mehrheit für den Entwurf gestimmt, danach hatte Staatspräsident Andrzej Duda jedoch sein Veto gegen das Gesetz angekündigt und dieses als "politisches Diktat" kritisiert.

Kaczynski über Opposition: "Verräter" und "Mörder"

In der folgenden hitzigen Debatte kam es kurz nach Mitternacht zum Eklat. Der Vorsitzende der Regierungspartei "Recht und Gerechtigkeit", Jaroslaw Kaczynski, schritt unaufgefordert ans Rednerpult und beschimpfte die Opposition. Sie sollten "ihre verräterischen Mäuler" nicht am Namen seines "verstorbenen Bruders abwischen", brüllte der 68-Jährige mit erhobener Faust und schob hinterher: "Ihr habt ihn zerstört, ihr habt ihn ermordet. Ihr seid Kanaillen!" Die Opposition hatte zuvor Zitate des 2010 verunglückten Zwillingsbruders des PiS-Vorsitzenden und damaligen Staatspräsidenten Lech Kaczynski benutzt, um die Reform zu kritisieren.

Protest vor und Empörung nach dem Eklat

Nach Jaroslaw Kaczynskis Ausfall kam es zu tumultartigen Szenen im Parlament und die Sitzung wurde unterbrochen. Oppositionspolitiker gaben sich danach empört. "Vulgär, hasserfüllt und beleidigend" sei die Sprache der Regierungspartei, sagte Kamila Gasiuk-Pihowicz von der liberalen Partei "Nowoczesna". Damit sei die PiS "dafür verantwortlich, was auf den Straßen" passiere.

Dort demonstrierten in den vergangene Nächten mehrere tausende Menschen gegen die Justizreform. Mit Kerzen versammelten sie sich vor dem Parlamentsgebäude in Warschau, auch in anderen Städten gab es Protest.

Fortsetzung der Debatte und weitere Kritik

Als die Debatte am Mittwochvormittag fortgesetzt wurde, hagelte es weiter scharfe Kritik vonseiten der Opposition. "Gestern Abend ging es hier zu wie in Nordkorea", rief ein Abgeordneter der PiS entgegen. Die Opposition sieht in der Reform einen "Anschlag auf die Demokratie" und bezeichnete das Vorhaben als "Putsch". Nowoczesna-Chef Ryszard Petru erwägt derweil öffentlich, "nicht-parlamentarische Mittel" zu ergreifen.

Über dieses Thema berichtet MDR auch im: TV | 15.07.2017 | 17:45 Uhr