Zwei junge Mädchen an einem Keyboard, im Hintergrund zwei Männer mit E-Gitarren in einem Bandproberaum.
Die Band "Proximity Mine" bei einer Probe. V.r.n.l.: Keyboarderin Tringa, Sängerin Ilda, Gittarist Alem und Lehrer Emir Hassani. Bildrechte: MDR/Alexander Hertel

Kosovo Wie eine Musikschule die Spaltung des Landes überwinden will

17. Juli 2018, 17:25 Uhr

Die Stadt Mitrovica im Norden des Kosovo steht sinnbildlich für die tiefe Spaltung des Landes. Denn in Mitrovica leben ethnische Albaner und Serben nebeneinander. Eine Musikschule will diese Spaltung überwinden, indem sie junge Menschen albanischer und serbischer Herkunft in Bands zusammenbringt - mit Erfolg.

Ein Samstagvormittag in einem fensterlosen, von schwarzem Schalldämmmatten überzogenen Raum im Norden Mitrovicas. Erst setzten die Drums ein, dann E-Gitarre und Keyboard, schließlich Bass und Gesang. Die Band "Proximity Mine" übt gerade für ihren nächsten Auftritt. Eine ganz normale Bandprobe - fast.

"Bevor ich das erste Mal herkam, waren meine Freunde besorgt und haben mich ständig gefragt: 'Willst du das wirklich machen?'", erinnert sich die 18-jährige Tringa, die seit zwei Jahren das Keyboard spielt. Denn Tringa und Sängerin Ilda kommen aus dem Süden der Stadt, die anderen drei Bandmitglieder aus dem Norden. Eine seltene Kombination in Mitrovica.

Seit 20 Jahren geteilt

Ein Paar mit Kinderwagen in einer fast leeren Fußgängerzone. Über ihnen hängen mehrere serbische Flaggen.
Fußgängerzone im Norden von Mitrovica. Serbische Flaggen zeigen, wem sich die Menschen hier zugehörig fühlen. Bildrechte: MDR/Alexander Hertel

"Diese Stadt ist besonders, denn sie ist derzeit die einzige geteilte Stadt in Europa. Sie wird vom Fluss Ibar in zwei Teile geteilt", sagt Emir Hassani, einer der Lehrer an der Mitrovica Rock School. Im Norden leben mehrheitlich ethnische Serben, im Süden Albaner. Administrativ gehören beide Teile zu zwei unterschiedlichen Gemeinden.

Die Teilung besteht seit dem Kosovo-Krieg Ende der 1990er-Jahre, als Serbien die abtrünnige Provinz Kosovo gewaltsam zurückerobern wollte. NATO-Bombardements beendeten den Feldzug damals. Zwischen der im Kosovo verbliebenen serbischen Minderheit und der albanischen Mehrheit kam es immer wieder zu Gewalt. 2004 kam es in Mitrovica sogar zu pogromartigen Ausschreitungen.

Rock School als Verbindung

2008 erklärte sich das Kosovo zum unabhängigen Staat. Im selben Jahr begannen Musiklehrer Emir Hassani und einige Mitstreiter, Bandcamps zu organisieren, damals noch im Nachbarland Mazedonien. Daraus entstand die Idee für die Rock School direkt in Mitrovica: "Die Ursprungsidee war es, wieder Musik in diese Stadt zu bringen. Denn sie war vor der Teilung für ihre Musikszene berühmt", sagt Hassani.

"Wir wollten eine Schule für beide Communities zu machen", sagt Lehrer Emir Hassani. Der Mitrovica Rock Scholl gehe es dabei aber nicht um politische Statements, betont Hassani, sondern nur um Musik: "Wir bringen einfach junge Musiker zusammen und lassen sie miteinander spielen. So sind über die Jahre bereits 17 Bands entstanden."

Pragmatismus im Alltag

"Proximity Mine" haben bereits eigene Songs aufgenommen und Musikvideos produziert. Die alltäglichen Herausforderungen, wie die noch bestehende Sprachbarriere, gehen sie ganz pragmatisch an, meint der 20-jährige Gitarrist Alem: "Meistens sprechen wir englisch. Aber wir aus Nord-Mitrovica wechseln auch manchmal ins Serbische oder die anderen beiden ins Albanische, wenn irgendetwas unklar ist und sich dann besser erklären lässt."

Blick auf eine moderne Brücke über einen Fluss. Im Vordergrund eine Uferpromenade mit einem bunten Kinderkarussel.
Die Brücke, die nicht verbindet. Hier markiert der Fluss Ibar die Grenze zwischen Nord- und Süd-Mitrovica. Bildrechte: MDR/Alexander Hertel

Alem selbst hatte nie Probleme mit seiner Herkunft. "Ich hatte immer Kontakt zur anderen Seite. Auch meine Eltern wussten Bescheid, dass ich bei der Band mitmachen will. Niemand hat deshalb einen Aufstand gemacht", sagt der 20-jährige. Für ihn sei unerheblich, ob jemand aus dem Süden oder dem Norden komme.

Weiterhin Spannungen auf beiden Seiten

Doch das gilt nicht für alle Bewohner der Stadt. Noch bildet der Fluss Ibar eine unsichtbare Grenze, auch wenn die einst verbarrikadierte Fußgängerbrücke zwischen beiden Teilen wiedereröffnet ist. Doch nur wenige überqueren sie. Einerseits haben sie nichts auf der anderen Seite zu schaffen. Andererseits kann es auch heute noch – besonders als junger Mann - zu Problemen führen, sich auf die "falsche" Seite zu verirren. So kann schon der falsche Nachname zu einer Schlägerei führen.

Auch politisch nehmen die Spannungen in Mitrovica wieder zu, seitdem im Januar der Vorsitzende der serbischen Partei in Nord-Mitrovica vor seiner Parteizentrale erschossen wurde. Die Hintergründe der Tat sind bis heute vollkommen ungeklärt, doch das brüchige Vertrauen seitdem wieder belastet. Der Tatort liegt nur zwei Häuser neben der Rock School.

Kleine Schritte zur Normalität

Dort ist die Bandprobe mittlerweile vorbei. Fröhlich verabschieden sich die fünf Jugendlichen vor der Tür, Tringa und Ilda biegen nach Süden ab und schlendern über die Brücke zurück auf die albanische Seite. "Für mich als junge Frau ist es kein Problem, die Brücke zu überqueren. Ich fühle mich sicher. Für die älteren ist es aber immer noch eine Barriere. Aber wir als junge Generation wollen das ändern", sagt Tringa.

Auf der Südseite von Mitrovica trinken beide noch einen Kaffee im Büro von Musiklehrer Hassani. Eine der Wände ist tapeziert mit Postern der Bands, die die Schule bisher hervorgebracht hat. Ihr Bestehen wird langfristig auch die Gesellschaft verändern, glaubt Sängerin Ilda: "Wenn die Leute sehen, was wir tun und was wir damit erreichen wollen, wird sich etwas ändern. Wir werden die Zukunft verändern."

Die ersten Schritte haben sie schon gemacht. Regelmäßig veranstaltet die Mitrovica Rock School Konzerte auf beiden Seiten des Flusses. Diese sind gut besucht und die Resonanz auf die Arbeit der Schule ist überwiegend positiv. Auch das Umfeld von Keyboarderin Tringa hätte seine Vorbehalte längst angelegt: "Einige meiner Freunde haben nun schon gefragt, ob sie selbst bei einer der Bands mitmachen können. Es ändert sich also bereits etwas."

Über dieses Thema berichtete MDR AKTUELL auch im: TV | 11.06.2017 | 22.45 Uhr