Martin Wuttke, Müllexperte vom Bundesumweltamt, in seinem Büro
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Illegale Müllentsorgung Riesige Gewinnspannen

02. Juni 2016, 09:33 Uhr

Umweltgerechte Müllentsorgung ist teuer. Oftmals wird der Müll daher illegal entsorgt oder exportiert. Die Gewinne der so genannten "Müllmafia" sind immens. Ein Interview mit dem Abfallexperten Dr. Joachim Wuttke vom Bundesumweltamt.

Mit welchen Problemen hatte man hier im Osten nach dem Ende der DDR in Punkto Müll vor allem zu tun?

Das Problem in der DDR - wie Jahre zuvor auch in der BRD – war, dass es viele kleine Müllkippen gab, die nicht dem Umweltstandard entsprachen, wie wir ihn uns vorgestellt und auch gefordert haben. Ein zentraler Punkt war deshalb, dass viele kleine Deponien geschlossen und große, zentrale Deponien mit modernen Standards wie Abdichtungssystemen und Eingangskontrollen geschaffen werden mussten. Ein weiteres Problem bestand darin, dass die Entsorgung in der DDR im Bereich Verpackungen auf das SERO-System ausgerichtet war, wonach die Mehrweg-Verpackungen auch wieder beim Abfüller landeten. Das ist durch die Distribution fast ausschließlich mit Einwegverpackungen nach der Wende ausgehebelt worden. Deshalb brauchte es ein neues Entsorgungssystem, dass dann analog zum westdeutschen System aufgebaut wurde.

Später musste sich die gesamtdeutsche Abfallwirtschaft an neue Gegebenheiten anpassen.

Das lag daran, dass die EU vorgeschrieben hatte, dass weniger Müll auf der Deponie landen soll und mehr Abfälle wiederverwertet werden. Das hat Deutschland ab 2005 mit dem Ablagerungsverbot wesentlich stringenter durchgesetzt. Seitdem darf in Deutschland kein unbehandelter Abfall mehr auf die Deponie, sondern muss entweder verbrannt oder mechanisch-biologisch vorbehandelt werden. Das war ein ganz entscheidender Punkt in der deutschen Abfallwirtschaft, weil nicht nur neue Behandlungskapazitäten geschaffen werden mussten, sondern auch Recycling-Kapazitäten  heraufgefahren wurden. Bei unseren Nachbarn in Osteuropa sind die entsprechenden Regelungen weitaus weniger streng. Hier kann es schon ausreichen ein separates Sammelsystem für Bioabfälle und die darauffolgende Kompostierung einzuführen, um der EU-Norm zu entsprechen.

Nun hat es ja viele Müllskandale gegeben, bei denen gegen Umweltgesetze verstoßen wurde. Warum gab es davon ausgerechnet so viele in Ostdeutschland?

Leider gibt es dazu wenig Datenmaterial, gerade in Bezug auf Dunkelziffern, die eine valide Aussage erlauben, dass es tatsächlich vergleichsweise viele Vorfälle in Ostdeutschland gibt. Es kann natürlich auch sein, dass es gewisser Lerneffekte bei den Kontrollen bedurfte, um dann eben auch einmal genauer hinzuschauen. Dann gibt es natürlich auch das Problem, dass es generell zu wenige Kontrolleure gibt. Viele Kontrollen können nur stichprobenartig durchgeführt werden und da gibt es auch Unterschiede von Bundesland zu Bundesland, wie stark kontrolliert wird. Das liegt natürlich auch an den Mitteln, die zur Verfügung stehen.

Gibt es spezielle Anreize in der Müllbranche, kriminell zu handeln?

Der Anreiz liegt schlicht in der Menge Geld, die man damit für sich selbst generieren kann. Wenn man Abfälle übernimmt, für die schon eine umweltgerechte Entsorgungsgebühr gezahlt wurde, und diese dann illegal, also nicht nach dem entsprechenden Umweltstandard, entsorgt, kann man sich die Differenz in die eigene Tasche stecken. Das können durchaus enorme Summen sein, gerade bei gefährlichen Abfällen, deren ordnungsgemäße Behandlung sehr teuer ist.

Warum wird Müll eigentlich importiert bzw. exportiert? Die Entsorgung oder Behandlung muss doch eigentlich jedes Land selbst erledigen können?

Es ist durchaus sinnvoll, Müll zu exportieren, beispielsweise bei den ganz normalen Batterien, die wir in Elektrogeräten verwenden. Da kommen in kleineren Ländern schlicht nicht ausreichend Mengen zusammen, die ein wirtschaftliches Betreiben einer Verwertungsanlage erlauben und deshalb exportieren diese Länder den Müll. Das gilt auch für Elektronikschrott. Da gibt es viele, die den Schrott aufbereiten, aber wenige, die das Metall herausholen. Dafür gibt es in Europa vor allem drei große Anlagen in Belgien, Schweden und Deutschland, die über die notwendige aufwendige Technologie verfügen um neben den Standardmetallen wie Kupfer auch die selteneren Metalle zurück zu gewinnen. Das ergibt auch für kleine Länder wie Luxemburg oder die baltischen Staaten keinen wirtschaftlichen Sinn, solche Kapazitäten aufzubauen.

Inwiefern beeinflussen nationale Gesetze die Müllströme innerhalb Europas?

Klassisches Beispiel in Deutschland war die Zeit vor 2005. Da haben sehr viele Deponiebetreiber Müll aus dem Ausland angenommen, um ihre Deponien noch einmal ordentlich zu füllen. Sie wussten ja, dass nach 2005 der deponiefähige Müll wesentlich geringer werden würde. Oder nehmen wir Großbritannien. Da hat die Einführung einer Deponiesteuer dazu geführt, dass die Exporte zu Müllverbrennern auf dem europäischen Festland stark gestiegen sind. Da kommt noch hinzu, dass Transportkosten für den Seeweg wesentlich günstiger sind als wenn der Müll über Land transportiert werden muss. Hintergrund ist bei der britischen Deponiesteuer, dass das Land den Müll auf den Deponien verringern will. Insgesamt muss man festhalten, dass jede einseitig getroffene nationale Gesetzgebung innerhalb der EU auch Einfluss auf die grenzüberschreitenden Müllströme haben kann.

Bei Recherchen zum Thema ist „Heute im Osten“ auf illegale Müllexporte nach Tschechien gestoßen, wo der Müll letztlich auf ehemaligen LPG-Geländen landete…

Es gibt da so klassische Verhaltensweisen, die nicht nur in Tschechien, sondern auch in Ostdeutschland zu verzeichnen waren. Da war irgendeiner, der hatte ein Grundstück von einer LPG übernommen und in die Hallen Altreifen oder anderen Müll gelagert. Und dann hat er sich mit dem Geld wortwörtlich vom Acker gemacht. Bei illegalen Verbringungen ins Ausland waren meisten Deutsche und Tschechen beteiligt. Und die Margen, die dabei entstanden –  also die gesparten Entsorgungskosten - haben sie sich wahrscheinlich geteilt. Leider versuchen unsere ostdeutschen Nachbarn, das nur mit strengeren Gesetzen zu verhindern. Aber das allein hat noch nie etwas bewirkt. Ich bin der Meinung, dass der Verfolgungsdruck höher werden muss: Wir brauchen mehr Kontrollen und die Strafverfolgung muss bis zum Ende durchgezogen werden und zu abschreckenden Urteilen führen.

Warum landen so wenige Fälle illegaler Müllschiebereien vor Gericht?

Der Nachweis des kriminellen Handelns mag zwar auf dem ersten Blick sehr einfach erscheinen, ist aber im Detail sehr kompliziert. Es ist mühsam, in diesem Bereich einen Fall zum juristischen Abschluss zu bringen, auch weil die Beweislagen häufig sehr dünn sind. Allerdings kann man schon sagen, dass viele Fälle, jedenfalls aus unserer Sicht, sehr schnell eingestellt werden und nur wenige zu einer Verurteilung führen.