Interview mit Kirchenexpertin "Eine Gesellschaft wandelt sich nicht so schnell"
Hauptinhalt
07. Juni 2017, 15:47 Uhr
Papst Franziskus hat klare Signale an die polnische Regierung gesandt, sich nicht länger gegen eine Flüchtlingsaufnahme zu stellen. Wie gewichtig ist der Papst in einem katholisch geprägten Land wie Polen? Ein Interview mit der polnischen Journalistin und Theologin Halina Bortnowska über Franziskus, Flüchtlinge und polnische Geistliche und Gläubige.
Wenn man Kommentare in Internetforen liest, entsteht schnell der Eindruck, viele Polen stehen Flüchtlingen eher ablehnend gegenüber. Wie stehen polnische Katholiken zur Flüchtlingsfrage?
Ich habe den Eindruck, dass sich die polnischen Katholiken nicht sonderlich positiv abheben. Einige Nicht-Christen zeigen sich sogar barmherziger. Das ist paradox, weil wir als Nation sehr empfindlich auf Vorurteile reagieren, die es über uns gibt. Denken Sie nur an die deutschen Witze über polnische Diebe. Gleichzeitig sind wir aber nicht bereit, unsere Vorurteile, die wir über Flüchtlinge haben, zu überwinden.
Woher kommt dieses Denken?
Uns fehlt die Zuversicht, zu glauben, dass wir in der Lage sind, den Flüchtlingen zu helfen. Die vorherrschende Meinung ist nicht, dass man viele Menschen vor einem Unglück bewahren könnte, sondern dass unser Boot untergehen könnte. Und wir wollen nicht in einem sinkenden Boot sitzen, das gab es schon mal in unserer Geschichte. Wir genießen, dass wir in Ruhe und Sicherheit leben können, die durch niemanden gestört werden soll.
Aber auch die Äußerungen einiger Politiker tragen zur flüchtlingsfeindlichen Haltung bei. Es war kein Ausrutscher, als PiS-Parteichef Jaroslaw Kaczynski vor den Bazillen warnte, die die Flüchtlinge angeblich übertragen würden. Eine solche Äußerung ist natürlich völliger Humbug, aber das Volk hat Angst vor solchen Dingen.
Halina Bortnowska Jahrgang 1931, Journalistin, Menschenrechtlerin und katholische Theologin, schreibt für die Zeitung "Gazeta Wyborcza" und das katholische Wochenblatt "Tygodnik Powszechny". Sie engagiert sich gegen Antisemitismus und Fremdenfeindlichkeit und setzt sich für die deutsch-polnische Aussöhnung ein. Sie ist zweifache Trägerin des "Polonia Restituta" - eines der wichtigsten polnischen Orden.
Und wie stehen die katholischen Geistlichen zur Flüchtlingsfrage? Gerade im ländlichen Polen genießen sie ja noch eine große Autorität.
Es gibt hier keine statistische Erhebung. Aber generell herrscht die Meinung vor, dass die polnischen Kirchenleute keinen Deut besser sind als die Laien. Auch die Geistlichen machen sich Sorgen um ihre Ruhe, ihre materiellen Güter und ihre Sicherheit. Es gibt aber auch Geistliche, die anders denken. Es ist keineswegs so, dass alle die Dinge ähnlich sehen.
Papst Franziskus hat beim Weltjugendtag in Krakau an die polnische Regierung aber auch an die Gläubigen appelliert, Flüchtlingen zu helfen. Wird sich die Einstellung der polnischen Bevölkerung in der Flüchtlingsfrage nun ändern?
Ich weiß es nicht. Ich würde mir das aber sehr wünschen, damit wir uns nicht schämen müssen vor dem Papst und vor der Welt. Aber ich bin nicht sonderlich optimistisch. Ich glaube nicht, dass sich eine Gesellschaft so schnell wandeln kann. Es nützt auch nichts, uns zu kritisieren oder zu ermahnen, das löst bei den Menschen eher Zorn aus. Papst Franziskus steht in Polen zudem vor einer schweren Aufgabe, er wird ja ein bisschen wie ein Fremder angesehen. Ich höre oft von Freunden, das es im Internet nur so von missliebigen Kommentaren über den Papst wimmelt.
Ausgerechnet im stark katholisch geprägten Polen gilt Franziskus als Fremder?
Papst Franziskus wird hier nicht verstanden, weil wir uns daran gewöhnt haben, dass auf dem Stuhl Petri jemand sitzt, den wir sehr lieben und der uns sehr ähnlich ist. Franziskus setzt andere Schwerpunkte in seiner Lehre. Dadurch entsteht bei manchen vielleicht der Eindruck, dass es sich nicht mehr um denselben Katholizismus handelt, den wir von Kindesbeinen an kennen, dass sich hier irgendein schlimmer Wandel vollzieht.
Also wird Papst Franziskus mit seinen Botschaften zum Weltjugendtag in Polen ungehört bleiben?
Nicht unbedingt. Wir Polen sind sehr empfänglich für die Schönheit einfacher Gesten und dafür, dass jemand ehrlich zu uns ist. Wir lassen uns dann sehr schnell gewinnen. Papst Franziskus versteht es, solche Gesten zu nutzen. Ich arbeite ehrenamtlich mit Häftlingen zusammen, und als ich ihnen davon erzählte, dass der Papst einer muslimischen Gefängnisinsassin die Füße gewaschen hat, hatten sie Tränen in den Augen und fragten mich, ob der Papst ihr Gefängnis besuchen werde, damit sie auch ihm die Füße waschen können.
Vielen Dank für das Gespräch.
(zuerst veröffentlicht am 29.07.2016)
Über dieses Thema berichtete HEUTE IM OSTEN auch im TV: MDR Aktuell | 28.07.2016 | 17:45 Uhr