Entlassung beim Polnischen Kulturinstitut Die Entdeckung der Andersartigkeit

11. Dezember 2016, 10:23 Uhr

Eine Personalie zeigt das Dilemma des polnisch-deutschen Verhältnisses im Jubiläumsjahr des Nachbarschaftsvertrages – und illustriert zudem, was für die regierende PiS-Partei zur polnischen Kultur gehört. Und was nicht.

"Das ist einfach unglaublich!" schimpft Alexandra: "Aber von der PiS-Partei war ja nichts anderes zu erwarten!" Was die Leipziger Lehramtsstudentin so verärgert, hat in den vergangenen Tagen für Unruhe beidseits von Oder und Neiße gesorgt: Die fristlose Abberufung Katarzyna Wielga-Skolimowskas, der Leiterin des Polnischen Instituts Berlin, zu dem auch die Leipziger Filiale gehört. Das Institut steht ähnlich wie umgekehrt das deutsche Goethe-Institut für kulturellen Austausch – und genießt für sein facettenreiches Programm an beiden Standorten einen guten Ruf, vor allem bei Intellektuellen und Studierenden. Viele junge Leute wie Alexandra nutzen die Angebote etwa zur Buchmesse oder bei Filmreihen – zumal sie kostenlos sind: "Sehr studentenfreundlich", findet das Alexandra.

Entsprechend ist nun von Unmut nicht nur bei Lehrenden und Studierenden der Westslawistik an der Uni Leipzig zu hören. In Berlin wandten sich Prominente aus dem Kunst- und Kulturbereich mit einem offenen Brief gegen den Schritt – unter Ihnen der Leiter der Berliner Festspiele, Thomas Oberender und die Intendantin des Maxim-Gorki-Theaters, Shermin Langhoff. Denn es geht wohl um mehr als eine Personalie. Es geht um die Frage, was von der polnischen Kultur künftig gezeigt wird – und davon hat die seit etwa einem Jahr regierende Partei "Recht und Gerechtigkeit", kurz PiS, erklärtermaßen eine sehr andere Vorstellung als die nun geschasste Instituts-Leiterin. Die hatte sehr auf Themen wie Architektur, Design, Bildende Kunst gesetzt – oft anspruchsvoll und alles andere als leichte Kost. Die PiS dagegen steht für einen eher traditionellen Geschmack, für "verständliche" Darbietungen und vor allem für einen klaren Schwerpunkt auf Patriotismus, Heimat und polnische Helden.

"Ida" versus "Smolensk"?

Katarzyna Wielga
Katarzyna Wielga-Skolimowska, abberufene Direktorin des Polnischen Instituts Berlin Bildrechte: Verfügbar für Kunden mit Rechnungsadresse in Deutschland. | Grzegorz Jakubowski

Konkret heißt das: Ein Film wie das Oskar-gekrönte Melodram "Ida" über polnische Verstrickungen im Holocaust passt deutlich schlechter ins Bild, als etwa der umstrittene Streifen "Smolensk", der den für Polen traumatischen Flugzeugabsturz der polnischen Präsidenten-Maschine von 2010 ganz im Sinne der PiS und ihres Vorsitzenden Jarosław Kaczyński, Zwillingsbruder des damals ums Leben gekommenen Lech Kaczyński, zu einem russischen Attentat umdichtet. Weil aber die nationalkonservative Führung ihre zahlreichen Personalrochaden (auch gegen die Neubesetzung der Kulturinstitute in Delhi und New York regt sich Protest) gewöhnlich über Nacht ausführt, ohne über Gründe zu diskutieren oder auch nur zu informieren, schossen die Spekulationen ins Kraut. Eine davon: Frau Wielga-Skolimowska habe gehen müssen, weil sie auf "zu viele" jüdische Themen gesetzt habe. Und eben eine andere: Sie habe sich geweigert, "Smolensk" zu zeigen – und statt dessen "Ida" im Programm gehabt.

Neben vielen polnischen haben auch verschiedene deutsche Zeitungen, etwa taz und Tagesspiegel, über die Affäre berichtet. Katarzyna Wielga-Skolimowska selbst möchte danach über die Umstände ihrer Entlassung nicht reden. Zu hören ist, dass sie dagegen vor Gericht gezogen ist. Und noch ist, wenigstens offiziell, kein Nachfolger benannt. Der neue polnische Botschafter in Deutschland, Andrzej Przyłębski, dementiert in einem Gespräch mit der polnischen Redaktion der Deutschen Welle (DW), dass "Smolensk" eine Rolle spielte, und auch nicht der Ärger über "Ida". Und die jüdischen Themen? Auch hier ein Dementi.

Polnisch-Jüdisches "nicht überbetonen"

Die Bezeichnung "jüdische Thematik" taucht allerdings sehr wohl in einem Schreiben auf, das der Botschafter dem polnischen Außenministerium geschickt hat, und das in Medienkreisen kursiert. Darin geht es um die Beurteilung des Programms des Polnischen Instituts in Berlin für das Jahr 2017. Warschaus Vertreter in Berlin gibt dort sinngemäß vor, dass in der Außendarstellung Polens das polnisch-jüdische Verhältnis nicht überbetont werden, sondern um Themen wie das Verhältnis zu Litauen oder der Ukraine erweitert werden solle. Zudem dürfe bei polnisch-jüdischen Themen nicht ausgerechnet Deutschland "die Rolle eines Vermittlers zugeschrieben werden". Und dann folgen Sätze, wie sie ausgerechnet im Jubiläumsjahr des Nachbarschaftsvertrages aus Richtung Warschau üblich geworden sind, wenn es um den westlichen Nachbarn geht: Der polnische Diplomat, von Hause aus Philosoph, warnt "vor einer blinden Nachahmung nihilistischer und hedonistischer Trends", die "...zivilisatorisch zu nichts Gutem" führe. Polen solle sich dem eher widersetzen – auch durch das Angebot der Kultur-Institute. In diesem Kontext solle man zudem auf die Aktivitäten der AfD oder PEGIDA "...nicht mit Abscheu blicken, sondern beides als Stimme eines großen Teils des Volkes wahrnehmen und berücksichtigen."

Auf den erwähnten Brief der Berliner Kulturprominenz angesprochen erklärt Przyłębski, er habe darauf bereits geantwortet: "Ich freue mich, dass das Interesse an Polen so groß ist, und ich würde die Autoren dieses Briefes gerne ermutigen, sich auch weiterhin polnischer Themen anzunehmen" so der Diplomat. Wie man sich das in Warschau allerdings vorstellt, daran ließ er im DW-Interview wenig Zweifel: "Man sollte mehr die Andersartigkeit unserer Kultur betonen. Im Westen versucht man zu viele Sachen zu vereinheitlichen. Man sollte die Unterschiede zeigen und sich nicht immer dem Mainstream anschließen. Eine Verschiebung der Akzente ist notwendig."

Katarzyna Wielga-Skolimowska stand dem ganz offenbar im Wege. Zwar wäre ihr Vertrag 2017 ohnehin abgelaufen. Aber die polnische Führung hatte es eilig. Sie ließ der Direktorin, die das Institut seit 2013 führte, nicht einmal Zeit, sich offiziell von ihren Mitarbeitern zu verabschieden.