Rumänien Der Mann, der Kirchen versetzte
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20. Mai 2018, 22:17 Uhr
Der Glaube versetzt Berge, heißt es so oft. In den 1980er-Jahren versetzte ein rumänischer Ingenieur hingegen Kirchen. Ihn trieb dabei weniger der Glaube, als vielmehr die technische Herausforderung. Wir haben ihn in Bukarest besucht.
Wie eine rund 700 Tonnen schwere Kirche um mehr als 200 Meter verschieben, um das Gotteshaus vor dem Abriss zu bewahren? Der Bukarester Bauingenieur Eugeniu Iordachescu kann sich noch sehr genau an diese Operation erinnern, auch wenn sie gut 36 Jahre zurückliegt: "Meine Kollegen hatten mich für die Idee für verrückt erklärt.“
Im Schneckentempo umgezogen
Fünf Monate dauerte die Vorbereitung zur Umsetzung: Der Kirchenboden wurde entfernt und durch eine Stahlkonstruktion ersetzt, in die die Arbeiter Beton pumpten. Auf der neu entstandenen Platte konnte das Gotteshaus wie auf einem Tablett auf ausgelegte Schienen gesetzt und mit Seilwinden zum neuen Bestimmungsort gezogen werden.
Mit einer Geschwindigkeit von zwei bis drei Metern pro Stunde ging es im Schneckentempo voran. Rund 100 Stunden dauerte die Umsetzungsaktion. Die Kirche hätte in sich zusammenrutschen können, doch die Premiere ging tadellos über die Bühne. "Ich hatte riesiges Lampenfieber", erzählt der 89-jährige Bauingenieur im MDR-Interview. "Die Arbeiter bekreuzigten sich während der Operation, sie sprachen von einem Wunder, als sie sahen, wie sich die Kirche bewegte." Iordachescu rettete mit dem orthodoxen Gotteshaus ein fast 300 Jahre altes Kulturdenkmal.
Neue Architektur für "neuen Menschen"
Die Versetzung der "Schitul Maicilor" gilt bis heute in Rumänien als technisches Meisterwerk, zugleich ist sie Teil einer skurrilen Geschichte im Ceausescu-Regime. Nach einem schweren Erdbeben von 1977 ließ der Diktator die Innenstadt umbauen. "Systematisierung" nannte er seine Pläne, die er Jahre zuvor schon in anderen Städten und Dörfern erprobt hatte: Die bürgerliche Wohnkultur sollte ersetzt, Städte verdichtet und verstreute Dörfer zu Zentraldörfern zusammengelegt werden.
Nicolae Ceausescu träumte von einer neuen Architektur für den vermeintlichen "neuen Typus des sozialistischen Menschen", er sah ihn in Plattenbauten leben und in Kollektiv-Kantinen speisen. Für sich selbst konzipierte der Diktator in den 1980er-Jahren das komplette Gegenteil: eine pompöse Machtzentrale, in der er über Zentralkomitee, Parteiführung und Ministerien schalten und walten wollte. Allein in Bukarest wurden deshalb zehntausende Menschen zwangsumgesiedelt, Tausende Einfamilienhäuser dem Erdboden gleichgemacht - die "Systematisierung" wurde für viele Bukarester zur persönlichen Tragödie.
Kirche wie auf ein Tablett heben
Vereinzelt gab es heftige Proteste in der Hauptstadt, stoppen konnten sie den Ceausescu-Plan nicht. In den 1980er-Jahren verschwand ein Drittel des historischen Stadtzentrums in Bukarest, über 20 Kirchen wurden geschliffen, weil sie im Weg standen. Sieben Gotteshäuser aber blieben vom Abriss verschont, dank Iordachescus Idee, sie "ein paar Meter hinter die Sichtachsen der kommunistischen Prachtboulevards zu schieben". Den Bukarester Ingenieur trieb bei der Umsetzung weniger der Glaube an Gott, als vielmehr die technische Herausforderung. "In vielen schlaflosen Nächten hatte ich nach einer Lösung gegrübelt“, erzählt Iordachescu. Die Idee kam ihm, als er einen Kellner beobachtete, der mühelos Gläser auf einem Tablett balancierte: "Ich dachte, ich muss die Kirche wie auf einem Tablett abstellen."
"Retter der Kirchen"
Auch wenn Iordachescus Erfindung in Rumänien bis heute als Novum gefeiert wird, neu ist seine Idee nicht. Schon vor über 100 Jahren wurde 1907 im badischen Ebingen eine Villa auf Schienen auf die andere Straßenseite gezogen. In den 1960er-Jahren ließ man auf diese Weise ägyptische Tempelanlagen umsetzen, weil sie einem Stausee im Weg standen. Ingenieur Eugeniu Iordachescu wusste davon nichts. Es gab kein Internet, es herrschte Kalter Krieg und Iordachescu musste sich seine Methode selbst ausdenken. Rumänische Medien feiern ihn heute noch als den "Retter der Kirchen". In der Tat wären die Gotteshäuser ohne seinen Einsatz abgerissen worden.
"Trauma für die gesamte Familie"
Stattdessen blieben die sakralen Bauten erhalten. Sie wurden hinter kommunistischen Plattenbauten und mehrgeschossigen Ministerien versteckt, und damit symbolisch und physisch aus der Öffentlichkeit verdrängt. "Sie sollten unsichtbar sein", sagt der aus Bukarest stammende Fotograf Anton Roland Laub im MDR-Interview. Er hatte Mühe, die Gotteshäuser in der räumlichen Enge mit seiner Kamera einzufangen. Laub will den beweglichen Kirchen - den "Mobile churches" - wie er seinen Fotobuch von 2017 nennt, ein Gesicht geben.
Als Kind hatte er die sogenannte Systematisierung selbst erlebt. Für den sozialistischen Umbau von Bukarest wurde das Elternhaus von Laubs Mutter abgerissen: "Mein Großvater erlitt daraufhin einen Schlaganfall und verstarb später. Er musste damit den Abriss nicht mehr erleben. Seine Familie musste danach in einen unfertigen, monontonen Plattenbau ziehen," erzählt Laub. Die Versetzung sei ein "Trauma für die gesamte Familie" gewesen.
Launisches Diktatoren-Ehepaar
Doch warum ließ der Diktator in seinem Abrisswahn ausgerechnet sieben Kirchen retten? Ceausescu galt als atheistisch, christliche Feiertage wurden im kommunistischen Regime abgeschafft. Und dennoch ließen sich die meisten Rumänen den Glauben nicht verbieten. Selbst hochrangige Parteifunktionäre gingen heimlich in die Kirche oder ließen sich zu nächtlicher Stunde trauen, weil sie glaubten, dass es dann niemand mitbekommen würde.
Anton Roland Laub recherchierte in den vergangenen Jahren in Bukarest die Geschichte der versetzten Gotteshäuser, sprach mit Architekten und Urbanisten, studierte sämtliche Protokolle der Bau-Besprechungen mit dem Diktatoren-Ehepaar: "Nicolae und Elena Ceausescu waren so launisch, dass sie ständig ihre Entscheidungen revidierten und absurde Dinge entschieden." Auf diese Weise überlebten auch die sieben Kirchen.
Alles bald vergessen?
Keiner hatte in den 1980er-Jahren geglaubt, dass man Gotteshäuser versetzen und ein Stück beiseite schieben kann. Ingenieur Eugeniu Iordachescu belehrte sie alle eines Besseren, auch die Ceausescus. "In spätestens 50 Jahren werden die Leute denken, dass man die Kirchen genau dort gebaut hat, wo sie jetzt stehen", glaubt Iordachesu. Sollte er Recht behalten, wäre der brutale Eingriff des Diktator-Ehepaares in die Bukarester Stadtarchitektur vergessen und Geschichte.
Über dieses Thema berichtete der MDR auch im Fernsehen: Zeitreise | 18.04.2017 | 21:15 Uhr