Litauischer Comedian Paulius Ambrazevičius mit Freundin vor dem Putin-Trump-Graffiti in Vilnius.
Comedian Paulius Ambrazevičius mit Freundin vor dem Putin-Trump-Graffiti in Vilnius. Bildrechte: Mitteldeutscher Rundfunk

Interview mit dem Comedian Paulius Ambrazevičius Haben Litauer Angst vor Russland?

17. März 2017, 18:45 Uhr

Die Litauer sind sehr patriotisch – sie haben gleich drei Feiertage, die ihrem Nationalstaat gewidmet sind, im Februar, März und Juli. Eines dieser Feste haben wir gemeinsam mit dem litauischen Comedian Paulius Ambrazevičius gefeiert. Wir wollten von ihm wissen, warum die Litauer so ausschweifend feiern, was sie bewegt und wie sie "ticken". Und natürlich - ob sie manchmal auch über sich selbst lachen.

Für unsere deutschen Augen wird der Nationalfeiertag sehr ausschweifend gefeiert: Festreden, Salutschüsse, ein Fahnenmeer. Ziemlich viel für so ein kleines Land, meinen Sie nicht?

Ich glaube, das ist alles immer noch relativ neu für uns. Wir sind noch nicht so lange unabhängig und wir suchen immer noch das richtige Maß. Nehmen wir unsere Nationalfarben Gelb-Grün-Rot: Wir dürfen sie erst seit 27 Jahren nutzen, und ich denke, die Menschen sind immer noch voller Freude, dass sie an ihren Häusern die Fahne hissen dürfen. Zwei oder drei Generationen hatten diese Möglichkeit während der Sowjetzeit nicht.

Ist das aber nicht zu viel Pathos und zu viel Patriotismus?

Es gibt eine dünne Trennlinie zwischen Nationalismus und Patriotismus. Patriotismus ist eine gute Sache, insbesondere für ein Land von dieser Größe, dann muss man nämlich patriotisch sein, um zu überleben – insbesondere wenn man Nachbarn wie Russland hat. Wir haben immer im Schatten von Russland gelebt und wir hatten damit schlechte Erfahrungen. Es ist also wichtig patriotisch zu sein und auf sein Land Acht zu geben, um nicht Teile davon zu verlieren, wie das mit der Ukraine geschehen ist.

Sie haben also Angst vor Russland?

Keine große Angst, denn ich vertraue sehr in die NATO und in den Artikel 5 der transatlantischen Verträge, der besagt, wenn ein Mitglied des Bündnisses angegriffen wird, werden alle anderen dafür einstehen. Es ist ein beruhigendes Gefühl, NATO-Soldaten hier im Land zu haben – ausländische Soldaten, die nicht in böser Absicht hierher kamen, um unser Land zu besetzen, sondern als Freunde, um uns zu helfen, wenn etwas passieren sollte.

Ist das nicht eine Illusion? Wir haben jetzt mit Donald Trump einen US-Präsidenten, der die Rolle der NATO in Frage stellt und eine gewisse Annäherung mit Russland sucht…

Ein Graffiti in Vilnius, das den russischen Präsidenten Putin und den US-Präsidenten Trump beim Rauchen eines Joints zeigt.
Ein Graffiti in Vilnius, das den russischen Präsidenten und sein amerikanisches Pendant in sehr vertrauter Pose zeigt, entwickelt sich zu einer neuen Attraktion. Bildrechte: MDR/Cezary Bazydlo

Soweit ich weiß, hat sich an dem Vertragswortlaut nichts geändert. Wenn etwas passiert, wird die NATO uns verteidigen. Immerhin können wir immer noch über das Thema lachen. Es gibt hier in Vilnius ein Graffiti, das sich gerade zu einem der beliebtesten Touristen-Hotspots entwickelt. Es zeigt Putin und Trump, wie sie gemeinsam einen Joint rauchen. Dieses Graffiti spiegelt ziemlich gut die Einstellung der Öffentlichkeit bei uns wieder, es ist eine Art Galgenhumor: Du weißt, die Dinge laufen nicht sehr gut, aber du lachst trotzdem darüber.

Wenn wir beim Thema Lachen sind – was finden Sie an ihrem Land besonders witzig?

Das Witzigste an Litauen und den Litauern ist, dass wir ein sehr kleines Land sind mit nicht einmal drei Millionen Einwohnern, aber wir haben dieses enorme Bedürfnis, uns wichtig zu fühlen. Deshalb suchen wir bei allem, was in der großen weiten Welt und in der Weltpolitik passiert, nach litauischen Bezügen. Einmal wurde zum Beispiel bekannt, dass eine der Gründerinnen von Facebook eine litauischstämmige Mutter hat. Allerdings musste die Mutter vor Jahrzehnten aus Litauen flüchten musste, um religiöser Verfolgung zu entgehen – das ist eigentlich nichts, worauf man als Land stolz sein kann, aber darüber wurde überall berichtet! Es gibt auch diesen Witz: Litauen ist ein gottverlassenes Land, aber hey, Gott kennt uns wenigstens, denn man kann kein Land verlassen, das man nicht gesehen hat! Also dieses enorme Bedürfnis, sich in den Geschicken der Welt wiederzufinden, ist in meinen Augen sehr witzig.

Wohin gehört Litauen eigentlich? Ich habe den Eindruck, dass man hier das Wort Osteuropa nicht sonderlich mag…

Das Ding ist, dass kein Land dieser Welt gerne von sich sagen wird, es gehöre zu Osteuropa, egal ob das Serbien, Rumänien oder eben Litauen ist. Niemand will als Teil von Osteuropa gelten, weil Osteuropa so einen schlechten Ruf hat. Denn woran denkt der Durchschnittsdeutsche bei diesem Wort? Kälte, kein Strom, kein Internet, kein warmes Wasser, dafür aber jede Menge Pferdewagen auf den Straßen. Wer will schon so gesehen werden? Deshalb sagen die Litauer oft, wir sind Teil von Westeuropa oder Nordeuropa.

Und sind sie das wirklich?

Wir sind ein ziemlich "neues" Land und lernen immer noch bestimmte Werte, die wir nicht hatten, als wir unter sowjetischer Besatzung standen. Es gibt zum Beispiel immer noch eine Menge Intoleranz in Litauen, zum Beispiel gegenüber Schwulen und Lesben. Oder nehmen wir die Kinderrechte, die Tatsache, dass man Kinder nicht schlagen darf, ist keine Selbstverständlichkeit, ein entsprechendes Gesetz ist im Parlament durchgefallen. Wir versuchen also verzweifelt als Teil der westlichen Welt durchgehen zu können, haben aber immer noch nicht alle westlichen Werte angenommen und als Teil unserer Identität integriert.

Paulius Ambrazevičius, Jahrgang 1986, ist ein litauischer Comedian und Fernsehmoderator, Mitbegründer der Stand-up-Comedy-Truppe "Humor-Klub", die in Litauen viele Fans hat. Er gilt als ein kritischer Geist, der Patriotismus und Kosmopolitismus, litauische Identität und europäische Gesinnung vereinigt und kein Blatt vor den Mund nimmt, wenn die litauische Gesellschaft Kritik verdient.

Osteuropa

3 Kinder mit Fähnchen in der Hand. 1 min
Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK