Mo 23.05. 2022 22:00Uhr 90:00 min

Die sogenannte Wartburg-Bibel, in der Übersetzung Martin Luther, gedruckt von bei Hans Luft Wittenberg, 1541
Die sogenannte Wartburg-Bibel, in der Übersetzung Martin Luther, gedruckt von bei Hans Luft Wittenberg, 1541 Bildrechte: Wartburg-Stiftung Eisenach
MDR KULTUR - Das Radio Mo, 23.05.2022 22:00 23:30
MDR KULTUR - Das Radio Mo, 23.05.2022 22:00 23:30

MDR KULTUR - Hörspiel PSALM / aus der tieffen

PSALM / aus der tieffen

Von Ruth Johanna Benrath

  • Stereo
Vor 500 Jahren hat Martin Luther die Bibel ins Deutsche übertragen. Besonderes Augenmerk richtete der Theologe auf das Buch der Psalmen: "Wilstu die heiligen Christlichen Kirchen gemalet sehen mit lebendiger Farbe vnd gestalt / in einem kleinen Bilde gefasset / So nim den Psalter fur dich / so hastu einen feinen / hellen / reinen / Spiegel / der dir zeigen wird / was die Christenheit sey". Ein halbes Jahrtausend später blickt die Lyrikerin Ruth Johanna Benrath in diesen Spiegel und liest dessen Bilder von Luthers Lebensende her: "Luthers letzte Sätze / fuchtelnde Handbewegungen über der Bettdecke / Seraphim, Cherubim / sammeln sich in der Zimmerecke". Der Mund ist trocken, die Zunge steht in Flammen. Doch was ist geleistet, was ist erkannt? Wer kann den göttlichen Weg, diese «Irrfahrt» verstehen, wer sie ohne Anmaßung in Worte fassen? Luthers Bilanz heißt: Demut. Eine Schlussfolgerung, die Benrath nur bedingt ins Heute verlängern will. Sich den Tonarten der Psalmen, Klage und Lobpreisung, anschmiegend sucht in ihren Gedichten ein Ich eine hinreichend brauchbare Position in der unbehausten Gegenwart: "Der Mensch ein Strich / in der Landschaft ein Punkt / ein Strichpunkt / ich / Pünktchen / Handschrift Gottes / Luft zwischen den Buchstaben / Atem". Die Autorin nimmt die Spielaufforderung an: Wie kann ein Transfer von Sinn und Übersinn in Sprache gelingen? Hatte Luther in der Übertragung aus dem Lateinischen ins Deutsche vor allem das zu Erfahrende, das Spirituelle, das Transzendente gesucht, so stärkt die Autorin in Auseinandersetzung mit dem Theologen dem gegenwärtigen Ich, dem "Strich in der Landschaft" den Rücken: "Schreiben heißt / Rütteln am Firmament / sich aus Trotz über den Rand des Universums lehnen." Durch das Hörstück zieht die durchaus säkulare Frage, wie wir uns das Dasein tagtäglich übersetzen, uns ins Leben setzen.

Ruth Johanna Benrath (*1966 in Heidelberg) schreibt Gedichte, Romane, Hörspiele und Theatertexte, konzipiert Audio-Walks und ist Teil des Text-und-Klang-Duos "Gezinkte Sterne". Sie promovierte nach einem Studium der Germanistik, Philosophie und Geschichte 2004 über das Selbstverständnis von Geschichtslehrkräften aus der DDR vor und nach 1989. Ihr Hörspiel "Geh Dicht Dichtig!" wurde von der Jury der DADK zum "Hörspiel des Jahres 2019" gewählt. Sie erhielt zahlreiche Preise und Stipendien, darunter den Münchner Lyrikpreis 2021 für "PSALM / aus der tieffen". Der MDR produzierte zuletzt ihr Hörstück: "BLUME WOLKE VOGEL FISCH" (2021).
Mitwirkende
Regie: Stefan Kanis
Komposition: Dietrich Petzold
Produktion: MDR 2022
Darsteller
Mitwirkende:
Inga Busch - A
Birte Schnöink - B
Ulrich Noethen - C