Drei Männer und eine Frau sitzen an einem Tisch und diskutieren.
An der Podiumsdiskussion über die künftige künstlerische Ausrichtung des Theaters Erfurt nahmen Intendant Guy Montavon, Erfurts OB Andreas Bausewein, Schauspielerin Anica Happich und Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow teil (v.l.n.r.). Die Podiumsdiskussion fand in der Kaufmannskirche statt. Bildrechte: MDR / Antje Kirsten

Podiumsdiskussion Theater in Erfurt: Kommt das Schauspiel zurück?

01. September 2022, 15:41 Uhr

Erfurt ist die einzige Landeshauptstadt ohne Sprechtheater. 2003 wurde die Sparte aus Spargründen abgeschafft. Eine Kooperation mit dem Deutschen Nationaltheater Weimar (DNT) sollte sie ersetzen. Sollte, klappte aber nicht. Am Mittwochabend wurde in der Kaufmannskirche Erfurt über die Rückkehr des Schauspiels diskutiert – und darüber, ob ein Denken in Sparten zeitgemäß ist. Mit im Podium saß auch Thüringens Ministerpräsident und Mitglied der Theatergesellschaft Bodo Ramelow. Er beklagte eine "verengte Diskussion" und wünschte sich "mehr Zughafen".

Für viele war es eine Tragödie. 2005 fiel im Erfurter Schauspielhaus der letzte Vorhang. Die Sparte Schauspiel war Geschichte. Seitdem hat Erfurt als einzige Landeshauptstadt bundesweit keine Schauspielsparte an ihrem Theater mehr. Drei Jahre zuvor hatte der Stadtrat das Aus beschlossen. Der Hintergrund war damals, dass für über 60 Millionen Euro ein neues Operhaus gebaut worden war, das in den Abmaßen der Bühnen der des Deutschen Nationaltheaters Weimar gleicht.

Abschaffung in Erfurt aus Spargründen

Die Politik wollte, dass beide Häuser kooperieren. Das hat nicht funktioniert. "Bei der Neuordnung der Kulturlandschaft wollten wir damals verhindern, dass wir unter die Sparzwänge geraten", erinnert sich Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow, der am Mittwochabend bei der Debatte um eine eventuelle Rückkehr des Sprechtheaters an die Oper Erfurt im Podium saß. "Der Opernschwerpunkt sollte nach Erfurt gehen, das Sprechtheater nach Weimar." Der Widerstand in Weimar war massiv. Macht- und Kompetenzgerangel ließen nur einen minimalistischen Austausch zu, erinnern sich die Protagonisten. Jetzt – 20 Jahre später – nimmt Erfurt erneut Anlauf und will sich im Alleingang sein Schauspiel zurückholen.

Erfurter Stadtratsbeschluss von damals ein Fehler

Die Zeit ist reif über eine Rückkehr des Schauspiels zu reden, sagt SPD-Stadtrat Wolfgang Beese. Er selbst hatte 2002 im Stadtrat für das Aus gestimmt. Heute räumt er ein, dass das ein Fehler war.

Ich hatte geglaubt, die Kooperation mit Weimar könnte funktionieren.

Wolfgang Beese SPD-Stadtrat und Präsident der Gesellschaft der Theaterfreunde Erfurt

Jetzt treibt er die Debatte voran. Als Präsident der Gesellschaft der Theaterfreunde Erfurt hatte er am Mittwochabend in die Kaufmannskirche zur Podiumsdiskussion eingeladen. "2027/28 endet der Vertrag des Intendanten. Spätestens zwei, drei Jahre vorher muss die Ausschreibung für den neuen Mann oder die neue Frau an der Theaterspitze raus. Und bis dahin muss man sich im Klaren sein, was man will. Dazu müssen Stadtratsbeschlüsse her und es muss die Theatersatzung geändert werden", so Beese.

OB Bausewein verweist auf engen Finanzrahmen

Im Juli 2022 hat der Stadtrat Oberbürgermeister Andreas Bausewein (SPD) beauftragt, bei den Finanzierungsgesprächen mit dem Land das Thema Schauspiel mit einzubeziehen – mit dem Ziel spätestens ab der Spielzeit 2027/28 wieder eine Schauspielsparte an der Oper Erfurt zu etablieren. "Schauspiel ist wichtig für die Stadt, aber wir dürfen nicht bei den engen Finanzen im Stadthaushalt die Einen gegen die Anderen ausspielen. Ich musste jetzt den Eishockeyspielern sagen, dass sie in den nächsten zehn Jahren keine neue Halle kriegen, weil wir das finanziell nicht stemmen können. Ein Schauspielensemble am Theater aufzubauen, das kostet Geld", schaltete sich Oberbürgermeister Andreas Bausewein in die Diskussion ein. 

Ramelow regt an, Schauspiel neu zu denken: "Verengte Diskussion"

Ministerpräsident Bodo Ramelow will Schauspiel neu denken. Bei der Gesprächsrunde  sprach er von einer "verengten Diskussion". Die Stadt habe viele Akteure und Kompanien, und es gebe so viele Ideen, all das müsse miteinander in ein neues Verhältnis gebracht werden – das schließe das Theater mit ein. Die Frage sei vielmehr, ob Erfurt nicht insgesamt ein Anziehungsort sein wolle, so Ramelow.

Junge Leute müssten sich eingeladen fühlen, sich auszuprobieren. Das sei mehr als wenn ein künftiger Intendant das Schauspiel mit ins Theater bringe. Ramelow erinnerte an die harten Kämpfe um den Erfurter Kulturbahnhof Zughafen. Investoren, so sagte er, hätten den Ort vor 20 Jahren schon verplant, doch die Menschen, die Kulturinteressierten hätten darum gerungen, den Zughafen für Kreative zu erhalten.

Ich wünsche mir, dass sich die künftige Theaterlandschaft breiter aufstellt, andere Bereiche wie Puppenbühne, Jugendtheater nicht vergisst. Ein bisschen mehr Zughafen wäre schön"

Bodo Ramelow Ministerpräsident Thüringen

Unruhe in der freien Kulturszene

Zustimmung gab es von Kulturaktivistin und Schauspielerin Anica Happich. Bei der Vorbereitung auf die Debatte habe sie gemerkt, dass es in der freien Kulturszene Unruhe gibt. "Viele haben Sorge, dass wir in Erfurt nahtlos dort anknüpfen, wo wir vor 20 Jahren aufgehört haben. Das dürfen wir auf keinen Fall zulassen." Und:

In diesen Zeiten haben wir die Verpflichtung für etwas Neues einzustehen, das einem öffentlichen Ort wie dem Theater gerecht wird.

Anica Happich Schauspielerin und Kulturaktivistin

Ist Spartentheater noch die Zukunft: Was Erfurterinnen und Erfurter sagen

Die Rückkehr der Schauspielsparte liege im Bereich des Vorstellbaren hatte dieser Tage Thüringens Kulturminister Benjamin-Immanuel Hoff erklärt. Nur: Wollen das Erfurterinnen und Erfurter auch? Für manchen ist es eine Phantomdebatte.

So sagten Leute im Publikum, sie könnten gar nicht verstehen, warum nach 20 Jahren so eine Debatte plötzlich aufkommt. Vielleicht, so die Überlegungen einiger, ist Spartentheater auch nicht die Zukunft. Es sollten vielmehr neue Konzepte gefunden werden. In Erfurt gebe es so viele freie Bühnen und Akteure, es sei besser sie zu unterstützen.

Menschen in einer Kirche
Auch die Meinung der Erfurterinnen und Erfurter war bei der Podiumsdiskussion am 31. August in der Kaufmannskirche gefragt. Bildrechte: MDR / Antje Kirsten

Freie Szene muss immer wieder um Unterstützung kämpfen

Als vor 20 Jahren das alte Schauspielhaus geschlossen wurde,  gründete sich aus Protest das Neue Schauspiel. Die Schauspielkompanie bespielt seit Jahren mit großem Erfolg die Barfüßerruine mit ihrem Sommertheater.

Für sie gibt es nach eigenen Angaben keine Fördermittel und immer wieder müssten auch so renommierte Sprechbühnen wie das Jugendtheater "Die Schotte" um Gelder betteln, hieß es in der Debatte. Ernst Herbach, Pensionär, Banker und Mitglied in der Theatergesellschaft brachte es so auf den Punkt: "Ich kann einfach nicht erkennen, wie die Stadt ein Schauspielhaus, das im öffentlichen Dienst organisiert ist, finanzieren soll." Er meint:

Ich fände es viel besser und man wäre finanziell auch viel flexibler, wenn man tolle private Initiativen unterstützt. So hat man Schauspiel, das aber nicht institutionalisiert.

Ernst Herbach Mitglied in der Theatergesellschaft

Montavon mischt sich nicht in die Debatte ein

In die Debatte gar nicht einmischen will sich der aktuelle Theater-Intendant Guy Montavon. Er sei fürs Musiktheater eingekauft, fürs Schauspiel müsse die Satzung geändert werden.

Letztendlich ist das eine schöne Diskussion, die uns nicht davon entbindet, über Strukturen zu reden.

Guy Montavon Intendant

Montavons Vertrag endet in fünf Jahren. Er könne nicht für seinen Nachfolger, seine Nachfolgerin streiten.

Diskussion geht am 15. September weiter

Der Abend hat einen Werkstattprozess angestoßen, zieht Stadtrat Beese sein Fazit: "Es gibt eine Reihe von Stadtratsbeschlüssen. Schon bei der Vertragsverlängerung mit Guy Montavon vor zwei Jahren, gab es die Option zu prüfen, ob es wieder ein Schauspiel in Erfurt geben kann. Von der Verwaltung ist der Prozess der Transformation angeschoben worden. Was aber nicht passiert ist, ist eine öffentliche Debatte und die haben wir jetzt angeschoben."

Schon am 15. September geht die Strukturdebatte weiter – dann im Theater.

Redaktionelle Bearbeitung: Katrin Schlenstedt

Dieses Thema im Programm: MDR KULTUR - Das Radio | 01. September 2022 | 13:30 Uhr