Heinrich Schütz-Rezeption in der DDR"Schütz 'als Kritiker des Feudalsystems' – Man hat alles gefunden, was man gesucht hat"
Heinrich Schütz verbrachte fast 50 Jahre seines Lebens in Dresden. Dort ist er im Alter von 87 Jahren gestorben. All seine Kreativität und Kraft steckte er in den Dienst an der Dresdner Hofkapelle. War Dresden deshalb eine Art "Schütz-Zentrum"? Wie wurde sein Werk dort zu DDR-Zeiten gepflegt? Wurde er instrumentalisiert? Darüber hat MDR KLASSIK mit dem ehemaligen Kruzianer, Dirigenten und Hochschuldirekter Peter Kopp gesprochen.
MDR KLASSIK: Herr Kopp, wie wurde Schütz‘ Erbe zu DDR Zeiten gepflegt, speziell in Dresden? Fühlte man dort ein stärkeres Traditionsbewusstsein, als anderswo in der DDR?
Peter Kopp: Dresden war zu Zeiten der DDR das Zentrum der Schütz-Pflege. Der langjährige Kreuzkantor Rudolf Mauersberger hat das bewusst auch so gedacht und regelmäßig Werke von Schütz in der Dresdner Kreuzkirche aufgeführt. Auch als ein Gegengewicht zur Bachpflege beim Thomanerchor Leipzig.
Die meisten Werke basieren auf geistlichen Texten und das passte nicht zu jedem Schulchor (in der DDR), aber es gibt mit Schütz` Musik ein anderes Problem. Es gibt von ihm keine abendfüllenden Konzertwerke. Deshalb konnte er immer nur mit kleinen Stücken in den Programmen vertreten sein. Dies hat sehr dazu beigetragen, dass Schütz nicht so populär geworden ist wie Bach oder Händel.
Man hatte auch Schwierigkeiten, das Notenmaterial zu beschaffen und überhaupt an historisches Instrumentarium zu gelangen. Ich denke, die Praxis in den Kantoreien hat sich demzufolge auf die "Geistliche Chormusik" und auf wenige Einzelwerke beschränkt.
Ab wann rückte Schütz ins musikalische Bewusstsein und wodurch entwickelte sich eine Schütz-Rezeption in der DDR?
In den Anfangsjahren der DDR spielte Schütz keine Rolle. Ich glaube, die Kulturpolitik hat erst einmal andere Schwerpunkte gesetzt: Man wollte den Musikbetrieb und die Ausbildung wieder in Gang bringen. Es ging vergleichsweise unideologisch zu.
1956 gab es eine Heinrich Schütz-Konferenz in Köstritz und es gab – nach damaligen Verhältnissen – ein paar interessante Konzerte sowie eine international besetzte Konferenz. Das war eine fachorientierte Regionalkonferenz, die sich dem Werk von Schütz widmete. Dabei blieb es aber. Das Interesse an Schütz war in den 1950er nicht ausgeprägt.
Ab wann hatte man Schütz dann für sich ideologisch vereinnahmt?
Das ging erst in den 1960er Jahren los. Seit 1930 gab es ja eine Schütz-Gesellschaft, die aus Mitgliedern aus beiden Seiten Deutschlands bestand, die zusammengearbeitet haben. Ab 1964 durften jedoch die Mitglieder aus der DDR nicht mehr zu den Konferenzen reisen. Die DDR-Politik hat versucht, die Satzungen zu beeinflussen und damit waren die DDR-Mitglieder de facto draußen.
Nach und nach fingen dann Musikwissenschaftler und Kulturpolitiker in der DDR an, ein eigenes Schütz-Bild aufzubauen. Das fand in der Schütz-Ehrung im Jahr 1972 einen Höhepunkt. Für diese Ehrung wurde sogar ein "Maßnahmeplan" ausgearbeitet. Darin wurde generalstabsmäßig die Aneignung von Schütz geplant. Dort stand: "Es geht um die geistige Besitznahme des Schützschen Werkes durch die Arbeiterklasse der DDR." Das war das erklärte Ziel. Da ging es auch um Schallplattenveröffentlichungen, Rundfunkaufnahmen, selbst an eine Sonderbriefmarke hatte man gedacht.
1971 ist Rudolf Mauersberger gestorben. Er hatte seit 1956 jährlich Schütz-Tage mit dem Dresdner Kreuzchor veranstaltet, die ganz bewusst eine Ergänzung zu den jährlich durchgeführten Schütz-Festtagen in Westdeutschland waren. Und dann hat man versucht, mit anderen Repräsentanten – das muss man so sagen – Heinrich Schütz zu vereinnahmen.
Wie lange bliebe dieses verzerrte Schütz-Bild bestehen?
Man wollte dem Schütz-Bild der BRD etwas entgegensetzen und hat sich auf Wissenschaftlichkeit berufen. Man hat der bürgerlichen Musikwissenschaft unterstellt, dass sie gar nicht fähig wäre, ein eigenes Schütz-Bild zu erstellen. Das wäre nur der Marxistischen Musikwissenschaft möglich. Schütz "als Kritiker des Feudalsystems" – damit hat man alles gefunden, was man gesucht hat. Man darf nicht außer Acht lassen, dass seit den 1960er Jahren auch an einer "Schütz-Gesamtaufnahme" gearbeitet wurde. Das ist also eine sehr ambivalente Wahrnehmung.
Spätestens ab Ende der 1970er Jahre, war die Schütz-Forschung weniger ideologisch und es wurde auch in der DDR hochwissenschaftlich-qualifiziert weitergearbeitet. Wolfram Steude war ein hervorragender Repräsentant dieser Schütz-Forschung. im Zuge der Konferenz von 1972 wurde ein Schütz-Archiv in Dresden gegründet. Durch Steude kam dann die Wiederentdeckung des "Schwanengesangs" von Schütz – ein Meilenstein in der Schütz-Forschung, der das Schütz-Bild sehr verändert hat. Es wurde etwas offener. 1985 kam es zu einer interessanten Entwicklung, das war das große Schütz-Festjahr.
Das Bemerkenswerte an der Schütz-Rezeption in der DDR ist, dass sie es geschafft hat, sich selbst von diesen ideologischen Zwängen zu befreien. Eine Konferenz im Jahr 1985 hat mit den Verirrungen ganz deutlich aufgeräumt. Das ist bemerkenswert, dass man sich von den eigenen Irrtümern aus eigener Kraft wieder lösen konnte.
Dieses Gespräch führte Grit Schulze im Rahmen der Deutschlandfunk Kultur-Sendung "Musikfeuilleton", die am 11. November um 22:03 Uhr gesendet wird. Hier gibt es weitere Informationen zur Sendung.
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Dieses Thema im Programm:MDR KLASSIK | 11. November 2022 | 23:00 Uhr