Dingsleben - Zum Telefonieren ins Auto steigen

Bezug zur Heimat nie verloren

An Wegziehen denkt er nicht: Gunnar Assel. 68 Jahre jung, rot-weiß-gestreiftes Hemd unter dem lila Pullover, die Uhr hängt locker an seinem Handgelenk. Der immerzu vollbeschäftigte Rentner führt uns auf die Terrasse seines umgebauten Bauernhofs.

Vor vier Jahren haben er und seine Frau das urtümliche Haus gekauft und renoviert. "Wir leben hier zufrieden und glücklich in einer wunderbaren Dorfgemeinschaft."

Der geborene Hildburghäuser ist als Kind mit seinen Eltern nach Nordrhein-Westfalen gezogen. Und so, wie Olaf Oestreich durch sein gerolltes R die südthüringische Herkunft kaum verbergen kann, hört man Gunnar Assel die lange Zeit im westlichsten Teil der Bundesrepublik deutlich an. "Nordrhein-Westfalen hat mich auch geprägt. Aber die Heimatgefühle, die finden hier statt." Es war vor allem das alte Bauernhaus in Dingsleben, dass die Assels zurück nach Thüringen zog. Den Bezug zu seiner Heimat hat er jedoch nie verloren. 

Sich schön machen für Touristen

Seit der Wende ist laut Assel in Hildburghausen viel passiert. Die Visitenkarte der Stadt sei der Marktplatz und verdiene noch ordentlich Reparatur. Die Stadt müsse sich selbst auch schön präsentieren, anstelle sich über den fehlenden Tourismus zu beklagen:

Ich gehe lieber als Tourist in eine schön aufbereitete Stadt, die mir gefällt, die mich einlädt und wo ich mich wohlfühle. Als in eine, sagen wir mal, noch etwas zurückgebliebene Situation an städtebaulicher Maßnahme.

Gunnar Assel

Für seine leicht gehbehinderte Frau seien die Gehwege in der Stadt sogar gefährlich. Die Pflasterung sei für ältere Menschen ungeeignet, denn es stünden Platten und Pflasterung nach oben, sodass sie leicht fallen könnte.

Bus in Dingsleben nur zweimal in der Woche

Alt werden auf dem Land ist eine Herausforderung. Zur dingend benötigen Infrastruktur zählt zum Beispiel die Anbindung an Geschäfte oder Ärzte. Auch für Gunnar Assel ist das Auto dafür unerlässlich. Der Bus fährt in Dingsleben nur zwei Mal die Woche, erzählt er.

Ansonsten könne er auch mit den Schulbussen mitfahren, doch in der Ferienzeit werde das wieder schwierig. Neben der allgemeinen Abhängigkeit vom Auto auf dem Land, kommt in Dingsleben noch ein weiteres Hindernis im Alltag dazu:

Mobilfunk ist in Dingsleben so gut wie gar nicht vorhanden.

Gunnar Assel

Im Notfall vom Auto abhängig

Während die Festnetz-Verbindung zu Hause stabil ist, kann er das Handy nur über das hauseigene W-LAN benutzen. Sollte das Internet oder die Festnetz-Verbindung jedoch mal ausfallen, dann kämen die Assels in Schwierigkeiten.

Bei einem Notfall sind die Dingslebener vom Auto abhängig. Um zum nächstgelegenen Punkt zu gelangen, an dem wieder Handy-Netz zur Verfügung steht, muss Gunnar Assel zwar nur wenige Minuten Auto fahren, "nur es dauert immer ein bisschen, bis man von hier zu dieser Stelle kommt. Und es können entscheidende Minuten sein."

Dorfgemeinschaft rettet über viele Probleme hinweg

Dass die Themen auf dem Land, die Versorgung und Pflege der Menschen, oder die Infrastruktur ein Thema im Wahlkampf gewesen seien, habe er nicht das Gefühl. Keine der Parteien sei ihm aufgefallen, die über diese Probleme nachdenke. Aber eine Notwendigkeit in die Stadt zu ziehen, sieht er nicht: "Ich habe keine Angst, dass ich in die Stadt zurückziehe, weil ich es nicht tun werde."

Warum Assel so beruhigt in die Zukunft blickt, liegt vor allem an der guten Dorfgemeinschaft in Dingsleben. Schon jetzt teilen sich die Dingslebener die Fahrten zum Supermarkt auf und fragen sich gegenseitig, wenn sie zum Einkaufen ins benachbarte Themar fahren, erzählt er. Außerdem hofft er, dass die mobile Versorgung durch Pflegedienste funktionieren werde, so dass sie bleiben können. "Es wäre jammerschade, wenn das nicht mehr möglich wäre, dann würde uns das Herz brechen."

Langeweile kommt selten auf

Gunnar Assel hat zu viel zu tun, deshalb denkt er nicht viel über einen Umzug nach. Obwohl er als Rentner viel Freizeit haben sollte, halten ihn Haus und Grundstück immerzu aktiv. "Man sagt ja, dass Rentner nie Zeit haben", sagt er und lacht auf.

Stolz zeigt er das umgebaute Haus und die noch andauernden Bauarbeiten am Keller. Er führt durch die Scheune in den großen Garten und den Streuobstbereich. Um die paar tausend Quadratmeter Grundstück und das Haus in Ordnung zu halten, kann gar keine Langeweile aufkommen.

Und wollen die Assels in den Urlaub fahren, um beispielsweise die Familie an der holländischen Grenze zu besuchen, würden sie aus heutiger Sicht zwar immer ein Auto benutzen. Aber sie seien auch große Fans der Fernzugverbindung. Die Verbindung von Hildburghausen über Eisenach in Richtung Köln sei wunderbar. Die fährt ungefähr einmal in der Stunde.

Verbindung zum nächsten Bahnhof ausbaufähig

Zum Bahnhof müsste aber eben der Bus fahren und das tut er genau zwei Mal am Tag. Um 6:55 Uhr und um 16:05 Uhr. Schneller wäre Assel mit der Nachmittagsverbindung. Morgens stehen nämlich 45 Minuten am Bahnsteig in Hildburghausen warten im Plan, wenn er mit dem Bus aus Dingsleben raus will. Nur weiß er dann wieder nicht, wie lange er am Gleis herumstehe, bis der Anschluss kommt. Aber zum Glück gibt es ja die Nachbarn, die ihm gerne helfen und auch zum Zug fahren würden.

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Was wünschen Sie sich von der kommenden Bundesregierung für Ihre Region? Ihre Antworten fassen wir in der MDR Wünschekarte zusammen. Bildrechte: MDR

Quelle: MDR THÜRINGEN

Dieses Thema im Programm: MDR THÜRINGEN | MDR THÜRINGEN JOURNAL | 04. Oktober 2021 | 19:00 Uhr

22 Kommentare

part am 03.10.2021

Wer sich mit seinen Nachbarn unterhält, erhält auch manchmal Fakten was diese so ausgeben müssen für einen Facharztbesuch in der Großstadt mittels Taxi, wobei es eben die fehlenden Verkehrsanbindungen sind, die dies nötig machen. Was nützt der beste Bahnhof, wenn er nicht von Busverkehr angefahren wird wegen unternehmerischer Kleinstaaterei, die Kommunen, Landkreise oder das Land interessieren sich nicht ausreichend dafür, welch Schildbürgerstreicherei über das Volk daherkommt. Effektivität und Effizienz sind zwei unterschiedliche Aspekte, beide zu vereinen eine Kunst in heutiger Zeit...

Jedimeister Joda am 03.10.2021

Das hier was im Argen liegt ist von großer Entfernung aus zu sehen. Seit vielen Jahren wartet die indigene Bevölkerung auf Besserung. Doch wer sollte sie leisten? Der liebe Gott nicht. Die Politik kann nicht, die Kassen sind leer, wer käme da noch in Frage zu helfen? Scheint so als seien die Dorfis nicht so wichtig. Joda Weit draußen

Tschingis1 am 03.10.2021

@Lyn
"Es erstaunt mich immer wieder, wie unfähig manche Leute sind, einen Witz zu erkennen... wenn man es nicht direkt dazu schreibt."
Dazu: "Ein Witz ist eine besonders strukturierte fiktionale Erzählung oder Fragestellung, die den Zuhörer oder Leser durch einen für ihn unerwarteten Ausgang (Pointe) zum Lachen anregen soll."
Und mit ihrem Satz:"Davon abgesehen, wird so etwas wie ein Lastenrad meine Mobilitätsprobleme tatsächlich nicht beheben.", heben sie ihren satirisch gedachten Text auf.
MfG

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