Ein SUV steht am Straßenrand.
Betrugsmasche: In Leipzig sind mehr als 100 Personen Opfer eines möglichen Schneeballsystems mit Leasingverträgen für hochwertige Autos geworden. Bildrechte: picture alliance/dpa | Sina Schuldt

Mutmaßliches Schneeballsystem "Freundschaftsleasing": Umfangreicher Betrugsfall in Leipzig mit hochwertigen Autos

19. Dezember 2023, 15:43 Uhr

Hinweise auf Schneeballsystem: Über 100 Betroffene sollen in Leipzig mit falschen Versprechen dazu gebracht worden sein, Autos zu leasen. Ermittlungen laufen.

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Es hört sich wie die Szene aus einem Film an: Ein Reisender kommt am Flughafen an. Gibt den Beamten seinen Pass für eine Kontrolle. Denen fallen Unregelmäßigkeiten auf. Als sie den Mann bitten, sie auf die Wache zu begleiten, versucht er zu flüchten, wehrt sich anschließend mit Händen und Füßen gegen seine Festnahme. Genau das soll laut einer Pressemitteilung der Bundespolizeiinspektion Flughafen Düsseldorf am 22. September dieses Jahres passiert sein.

Als der 38-jährige Stefan E. mit einem Flieger aus Athen am Flughafen Düsseldorf landet, kontrollieren Polizisten den Ausweis des Mannes. Weil sie Fälschungsmerkmale an dem Dokument feststellen, wird der Mann auf die Wache gebeten. Weiter heißt es in der Mitteilung: "Während der Verbringung in die Diensträume der Bundespolizei versuchte der Mann dann zu flüchten und stieß während seiner Flucht sogar mehrere Reisende zu Boden."

Gefälschte Identität

Der Grund dafür dürfte ein offener Haftbefehl gewesen sein, den das Amtsgericht Essen im Juni 2015 gegen den Mann ausgestellt hat. 2013 hat ihn das Gericht wegen Betruges in 14 Fällen schuldig gesprochen. Nach einer zurückgezogenen Berufung am Landgericht Essen wurde das Urteil ein Jahr später rechtskräftig. Die Haftstrafe hat er nie angetreten. Offenbar tauchte er damals unter und besorgte sich eine neue Identität.

Als Stefan E. am Düsseldorfer Flughafen aufgegriffen wurde, hatte er nach MDR-Informationen Papiere bei sich, die ihn als den in Leipzig verkehrenden Unternehmer "Alexander Szymanowski" auswiesen. Pikant ist: Auch gegen die Person "Alexander Szymanowski" ermittelt die Leipziger Staatsanwaltschaft seit 2022 wegen Betrugs.

Derzeit ist unklar, was die Bundespolizei genau dazu veranlasst hat, Stefan E. am Flughafen zu kontrollieren. Eine Sprecherin teilt dem MDR auf Nachfrage nur mit, dass der "Bundespolizei an diesem Tag Informationen über einen bestehenden Haftbefehl gegen die besagte Person bekannt waren, welche eine stichprobenartige Kontrolle der Reisenden des Fluges aus Athen erforderlich machte".

Ermittlungen in Leipzig

Weitaus mehr Angaben kann der Leipziger Anwalt Jannis Witte machen. Witte arbeitet für die Kanzlei Dr. Fingerle Rechtsanwälte, die nach eigenen Angaben mehrere Mandantinnen vertritt, die Strafanzeigen gestellt haben, die den Komplex des so genannten "Freundschaftsleasings" betreffen. Der Kanzlei wurde noch keine Einsicht in die Akten gewährt, aber nach Einschätzung des Rechtsanwalts würden etliche Umstände darauf hindeuten, dass gegen "Alexander Szymanowski" und die Taste & Prosper GmbH & Co. KG, deren Geschäftsführer "Szymanowski" ist, und die Leasingverträge anbot, ermittelt wird.

Das Konzept beschreibt die Kanzlei in einer Pressemitteilung folgendermaßen: Die Nutzer des "Freundschaftsleasings" sollten mindestens zwei Darlehensverträge für den Kauf von hochwertigen Fahrzeugen abschließen. Gleichzeitig sollten sie mit der Taste & Prosper GmbH & Co. KG bzw. mit "Szymanowski" eine als Leasingvertrag überschriebene Übernahmeverpflichtung vereinbaren. Darin würde die Taste & Prosper GmbH & Co. KG erklären, die Forderungen der Banken aus dem Darlehen vollständig zu übernehmen. Zugleich sollten die KfZ-Steuer und sämtliche weitere Kosten übernommen werden, wie die Taste & Prosper GmbH & Co. KG in den Schreiben erklärt habe.  

Im Gegenzug sollten die Fahrzeuge laut Kanzlei mit Werbung beklebt werden. Zudem sollten die Kunden des "Freundschaftsleasings" eines der Fahrzeuge an Mitarbeiter der Taste & Prosper GmbH & Co. KG oder auch der "T&P Leasing GmbH" zur Nutzung überlassen. Ihnen sei erklärt worden, dass aufgrund der steuerlichen Vorteile und der Werbewirkung sämtliche Kosten für die Fahrzeuge von der Taste & Prosper GmbH & Co. KG übernommen werden können.

Die Kanzlei habe von den Ermittlungsbehörden die Auskunft erhalten, dass dort etwa 115 mutmaßlich Betroffene bekannt seien. Nach bisher unbestätigten MDR-Informationen sollen sie in allen Schichten der Gesellschaft zu finden sein. Sowohl Mitarbeiter eines großen Automobilherstellers als auch Personen aus dem Polizei- und Justizwesen sollen dazu gehören.

Tatsächlich sollen die "Leasingnehmer" auch zunächst Rückerstattungen auf die an die Banken zu zahlenden "Leasingraten" erhalten haben, wie Witte dem MDR auf Nachfrage erklärt. "Dies suggerierte eine Funktionsfähigkeit des Systems, weswegen die Betroffenen es an ihre Freunde, ihre Bekannten und ihre Familie weiterempfehlen konnten", erklärt der Anwalt weiter. Nach Informationen des MDR hat sich "Alexander Szymanowski" bisher in den angesehensten Kreisen der Leipziger Stadtgesellschaft bewegt. Auf Fotos im Internet ist er beispielsweise auf dem roten Teppich des diesjährigen Opernballs zu sehen.

Hinweise auf Schneeballsystem

Allerdings habe es nach den der Kanzlei zugetragenen Informationen keinerlei steuerliche Effekte oder Einnahmen aus Marketing und Werbung gegeben. Die Kanzlei geht daher von einem völlig anderen Geschäftsmodell aus: Aus den ihr vorliegenden Informationen, ergebe sich, dass die Fahrzeuge oftmals billig eingekauft wurden. Die eigentlichen Darlehensverträge, die den Betroffenen als Leasingverträge dargestellt wurden und mehrere Jahre Laufzeit haben, wurden aber "bis zur Bonitätsgrenze" ausgereizt. Die Fahrzeuge wurden oftmals also nicht zu einem normalen Kaufpreis (d.h. Einkaufspreis zzgl. üblicher Handelsspanne) finanziert, sondern zu dem höchstmöglichen Darlehensbetrag, den die Banken bereit waren zu finanzieren, unabhängig von dem Wert des Fahrzeugs. In einem Fall soll beispielsweise ein Fahrzeug zu knapp 23.000 Euro angekauft, aber zu 62.000 Euro finanziert worden sein, vermittelt von einem weiteren Unternehmen aus dem Konstrukt. Woraus sich laut Witte ein "Gewinn" von rund 39.000 Euro ergebe, der letztlich "Szymanowski" bzw. der Taste & Prosper GmbH & Co. KG zugute gekommen sei.

Witte erklärt weiter: "Augenscheinlich wurde dieser 'Gewinn', die Differenz zwischen Einkaufspreis und finanziertem Kaufpreis, genutzt, um die nunmehr monatlich fälligen Darlehensraten zu erstatten. Das Modell sei selbstverständlich nur so lange funktionsfähig, wie immer neue "Kunden" dazukommen und die laufenden Darlehensraten mit der bei ihnen entstehenden Differenz auffangen.

Staatsanwaltschaft Leipzig hält sich bedeckt

"Da das Geschäftsmodell anscheinend auf Weiterempfehlen und aggressive Akquise angelegt war, ist dieses gerade in den letzten Monaten deutlich gewachsen, weswegen eine hohe Summe an Geldbeständen angefallen sein dürfte", geht Witte ferner aus. Aus den der Kanzlei vorliegenden Informationen entnehme der Anwalt, dass mögliche Hinterleute bzw. die als "Alexander Szymanowski" auftretende Person daher wohl eine Exit-Strategie verfolgt haben und sich zeitnah absetzen wollten. Derzeit sei allerdings unklar, wo sich das vereinnahmte Geld befinde.

Eine Sprecherin der Staatsanwaltschaft Leipzig hielt sich zum laufenden Ermittlungsverfahren bedeckt. Dem MDR antwortete sie auf Nachfrage: "Aus rechtlichen Erwägungen ist es derzeit nicht möglich, Ihnen Auskünfte zu dem von Ihnen angefragten Verfahren, einschließlich etwaig beteiligten Gesellschaften, Aliasidentitäten, Haftdaten und den sonstigen Fragen zu erteilen."

Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL RADIO | 19. Dezember 2023 | 12:08 Uhr

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