Alexander Schalck-Golodkowski, 1991
Der ehemalige KoKo-Chef Alexander Schalck-Golodkowski bei einer Talkshow im Jahr 1991. Bildrechte: IMAGO / teutopress

Honeckers "Devisenbeschaffer" Wer war Alexander Schalck-Golodkowski?

15. Oktober 2023, 05:00 Uhr

Bis heute scheiden sich an Alexander Schalck-Golodkowski die Geister: Für die einen ist er der Mann, der mit wirtschaftlichem Sachverstand die DDR retten wollte. Für die anderen bleibt er Honeckers "Devisenbeschaffer". In jedem Fall gehört der "dicke Alex" zu den schillerndsten Persönlichkeiten der DDR-Geschichte. Über Leben und Wirken des legendären KoKo-Chefs.

Er erwirtschaftet für die DDR 28 Milliarden an Devisen, steht als Unterhändler bei westdeutschen Politgrößen hoch im Kurs und handelt mit CSU-Chef Franz-Josef Strauß zwei Milliardenkredite aus. Im Herbst 1989 ist der Staatssekretär im DDR-Außenhandelsministerium Alexander Schalck-Golodkowski sogar für einen Chefposten in der neuen DDR-Regierung im Gespräch. Doch dann machen Berichte über fragwürdige Geschäfte einiger Firmen des von ihm geleiteten Bereichs "Kommerzielle Koordinierung" - kurz KoKo - aus dem Hoffnungsträger einen Buhmann. Aus Angst um sein Leben setzt er sich in der Nacht zum 3. Dezember nach Westberlin ab. Der damals 57-jährige stellt sich den Justizbehörden, wandert freiwillig in Untersuchungshaft und kooperiert mit dem Bundesnachrichtendienst (BND).

"Devisenbeschaffer" vor Gericht

Alexander Schalck-Golodkowski (GER) während eines Gerichtstermins 1992
Schalck-Golodkowski 1992 vor Gericht Bildrechte: IMAGO / Jürgen Eis

Für die Öffentlichkeit ist Schalck fortan der "Devisenbeschaffer", der "Goldfinger Ost", der "Stasi-Mafioso". Der einstige Wirtschaftsfunktionär und MfS-Offizier im besonderen Einsatz (OibE) wehrt sich zeitlebens gegen das Image des zwielichtigen Geschäftemachers. "Ick hab' nich beschafft, ick hab' erarbeitet", sagt er 2000 in einer letzten öffentlichen Äußerung. Im Jahr zuvor wird das letzte von rund 80 Strafermittlungsverfahren gegen ihn eingestellt. Die Vorwürfe reichen von Untreue, Betrug, Spionage bis hin zu Embargo- und Devisen-Vergehen. Sechs Verfahren werden gegen Schalck angestrengt. Lediglich in zwei Fällen wird er - wegen Verstößen gegen das Militärregierungsgesetz Nr. 53 (Embargo-Vergehen) - zu Haftstrafen von insgesamt 16 Monaten auf Bewährung verurteilt. Es geht um den Import von Nachtsichtgeräten und Jagdwaffen aus der Bunderepublik und den Bezug von Bauteilen für die Mikrochip-Produktion in der DDR.

85 Prozent der Geschäfte international üblich

Auch der Mythos vom zwielichtigen KoKo-Imperium, das mit durchweg zweifelhaften Methoden märchenhafte Reichtümer anhäuft, wird im Laufe der Zeit durch die historische Forschung entzaubert. Zwar sind einige der KoKo-Firmen in der Tat in fragwürdige Geschäfte verwickelt: Waffenhandel und Handel mit Kunstgütern, Häftlingsfreikäufe, Versorgung der Politbüro-Siedlung Wandlitz mit Westwaren.

Doch die überwiegende Mehrzahl der Aktivitäten des Bereichs "Kommerzielle Koordinierung" sind ganz normale Außenhandelsgeschäfte. Laut dem Wirtschaftshistoriker Matthias Judt, der das seit 1966 von Schalck aufgebaute rund 180 Firmen umfassende KoKo-Imperium ausgiebig untersucht hat, entsprechen 85 Prozent der Aktivitäten international üblichen Gepflogenheiten. Nicht mit Waffen, Häftlingen, Blutplasma oder Pharmatests erwirtschaftet Schalcks Sonderabteilung in 24 Jahren die Masse der 28 Devisen-Milliarden, sondern vor allem mit Kraft- und Brennstoffen, Lebensmitteln und Baustoffen oder mit der Entsorgung von Westmüll.

Der Milliarden-Deal mit Strauß

Den größten Erfolg seiner Karriere stellen jedoch die beiden Milliardenkredite westdeutscher Großbanken dar, die Schalck 1983 und 1984 gemeinsam mit dem Bayerischen Ministerpräsidenten und CSU-Vorsitzenden Franz Josef Strauß einfädelt. Das Geschäft bewahrt die DDR womöglich vor der Zahlungsunfähigkeit. In den darauffolgenden Jahren gewinnt Schalcks Rolle als Unterhändler in den deutsch-deutschen Beziehungen immer größere Bedeutung. In dieser Funktion ist seit Mitte der 80er-Jahre der damalige Kanzleramtsminister Wolfgang Schäuble sein wichtigster Ansprechpartner.

Zwei Untersuchungsausschüsse

Ministerpraesident Franz-Josef Strauss mit seiner Tochter Monika und seinem Sohn Max (mitte). Links Kurt Masur , rechts Alexander Schalk-Golodkowski (mit Sonnenbrille).
Schalck-Golodkowski (hinten rechts) besucht 1985 mit Strauß das Leipziger Gewandhaus. Bildrechte: imago/photothek

Die Verbindungen zu Strauß, Schäuble und anderen hochrangigen Politikern und Wirtschaftsvertretern in der Bundesrepublik beschäftigen Anfang der 90er-Jahre jeweils einen Untersuchungsausschuss im Bundestag und im Bayerischen Landtag. Beide Gremien sollen feststellen, ob Schalck bei den ihm damals vorgeworfenen fragwürdigen oder gar strafbaren Aktivitäten Unterstützer im Westen hatte. Für derartige Verbindungen werden allerdings keine Beweise gefunden.

Die Legenden um den "dicken Alex"

Einen Gutteil der Medien interessiert die Bilanz der politischen, juristischen und historischen Aufarbeitung zu KoKo und ihrem schillernden Chef, den seine Mitarbeiter den "dicken Alex" nannten, allerdings wenig. Als Schalck-Golodkowski am 21. Juni 2015 knapp 83-jährig im bayerischen "Exil" am Tegernsee stirbt, leben sie noch einmal auf: die unbewiesenen Legenden von veruntreuten Millionen und verschwundenen Milliarden; von "Bonns bestem Mann im Osten", den der BND gedeckt, den die Justiz verschont und den wichtige Leute in der westdeutschen Politik und Wirtschaft unterstützt haben sollen. Erkenntnisstand und Zeitgeist der frühen 90er-Jahre lassen noch einmal grüßen.

MfS-Oberst und Stasi-Opfer?

Alexander Schalck-Golodkowski 3 min
Bildrechte: DRA
3 min

"Ich habe 38 Jahre im Außenhandel gedient, habe mich dort vom Lehrling bis zum Staatssekretär hochgedient", erzählt Alexander Schalck-Golodkowski.

Di 07.11.1989 16:00Uhr 03:14 min

https://www.mdr.de/geschichte/stoebern/damals/video134370.html

Rechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

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Viele der damals verbreiteten pikanten Details über KoKo und Schalck, die Ende November 1989 erstmals in einem "Spiegel"-Artikel zu lesen sind, stammen offenbar von Insidern - auch aus der Stasi. Als KoKo ab Dezember zerschlagen wird und unter öffentliche Kontrolle kommt, sind auch Mitarbeiter der Hauptverwaltung für Aufklärung (HVA) - der Auslandsspionage des MfS - mit von der Partie. Der HVA wird die für die Überwachung der KoKo zuständige Arbeitsgruppe BKK (Bereich Kommerzielle Koordinierung) zugeschlagen. Die HVA-Offiziere haben offenbar ganz eigene Interessen: Für den Wirtschaftshistoriker Matthias Judt ist der Fall Schalck-Golodkowski auch ein "Paradebeispiel" dafür, "wie öffentlichkeitswirksam von Firmen der Hauptverwaltung für Aufklärung des MfS abgelenkt wurde".

Schalck als Buhmann der Nation

Der Skandal um den KoKo-"Erfinder" passt aber hervorragend zu dem Versprechen der neuen DDR-Regierung, mit alten Strukturen aufzuräumen. Schalck, der berlinernde "Macher"-Typ mit Sonnenbrille, der dem Staat jährlich zwei Milliarden an Devisen erwirtschaftete, der seine Anweisungen von Staats- und Parteichef Honecker und vom ZK-Sekretär für Wirtschaft Mittag erhielt, der Oberst des verhassten MfS war und von Stasi-Chef Mielke bei seinen wirtschaftlichen Aktivitäten mit dem Westen gedeckt wurde - und der mit Strauß und Schäuble deutsch-deutsche Politik machte, er war wohl die ideale Buhmann-Besetzung. Für Schalck war der Fall 2000 klar: "Ick hab' für die DDR gekämpft, und wir haben am Ende verloren."

Dieser Artikel wurde erstmals am 23. Juli 2016 veröffentlicht.

Literaturhinweise

  • Judt, Matthias: KoKo - Mythos und Realität. Das Imperium des Alexander Schalck-Golodkowski, Berlin 2015.
  • Schalck-Golodkowski, Alexander: Deutsch-deutsche Erinnerungen, Reinbeck bei Hamburg, 2000.
  • Schumann, Frank und Heinz Wuschech: Schalck-Golodkowski. Der Mann, der die DDR retten wollte, Berlin 2012.

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MDR FERNSEHEN So, 15.10.2023 22:00 22:30
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Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | Geschichte Mitteldeutschlands | Schalck-Golodkowski und die Pleite der DDR | 24. Juli 2016 | 21:15 Uhr