Ein Blick in die Zeit Zensur und staatliche Kontrolle im Kulturbereich

14. November 2019, 13:17 Uhr

Der Beginn der Ära Honecker 1971 war von gewissen Hoffnungen begleitet. Nach der langen Herrschaft Walter Ulbrichts wurden Änderungen und Lockerungen erwartet.

1965 hatte Erich Honecker auf einem Plenum des Zentralkomitees der SED noch folgendes geäußert: "Den Erscheinungen der amerikanischen Unmoral und Dekadenz wird nicht offen entgegengetreten. Das gilt besonders für den Bereich der heiteren Muse und der Unterhaltung, für einzelne literarische Arbeiten und leider auch für viele Sendungen im 'DT 64'. [...] Über eine lange Zeit hat 'DT 64' in seinem Musikprogramm einseitig die Beatmusik propagiert." (Anm.: Das Jugendradio DT 64 spielte auch westliche Musiktitel, siehe Link) Als Nachfolger Ulbrichts bemühte Honecker sich jedoch zunächst um Aufbruchstimmung und zumindest den Anschein von Reformen.

Diese Erwartungen wurden zunächst scheinbar erfüllt, der neue Generalsekretär bemühte sich, auch die ökonomischen Erwartungen (Steigerung des Lebensstandards) zu erfüllen und sendete Signale einer (scheinbaren) Liberalität oder Offenheit aus, wie beispielsweise mit Beat- und Rockkonzerten bei den "X. Weltfestspielen der Jugend" 1973 in Ost-Berlin. Gleichzeitig behielten Partei und Staat aber das Heft in der Hand, die Unterschrift bei der KSZE-Akte (Erklärung unten) hinderte Honecker nicht daran, neben dem "Zuckerbrot" begrenzter Lockerungsübungen auch die "Peitsche" von Zensur und Stasi-Einsätzen zu schwingen.

Erneute Erstarrung

Die leichte Brise eines DDR-Aufbruchs mündete Mitte der 70er-Jahre schnell in eine Phase der neuerlichen Erstarrung und Verkrustung. Im Kulturbereich war wiederum eine sichtbare Zunahme von Zensur und staatlicher Kontrolle zu verzeichnen. Der Prozess gegen Mitglieder von Renft und besonders die Ausbürgerung des Liedermachers Wolf Biermann markieren diesen Rückfall in alte Muster von Abschottung und Repression – ein "Einschnitt, in dessen Folge große Teile der kritischen DDR-Intelligenz resignierten" (Mählert 2004, S. 129).

In den 80er-Jahren verschärften sich diese Symptome von Erstarrung, Resignation und Endzeitstimmung. Je nach politischer Haltung zog man seine Konsequenzen, der neue Wind des Aufbruchs aus der Sowjetunion (1985 wurde Gorbatschow Generalsekretär des ZK der KPdSU) erreichte die DDR kaum. Im Gegenteil, die Staatsführung bemühte sich um Abschottung: So wurde der staatliche Vertrieb der sowjetischen Zeitschrift "Sputnik" Ende der 80er-Jahre eingestellt, da sie "verzerrende Beiträge zur Geschichte" bringe (staatliche und damit einzige Nachrichtenagentur ADN, November 1988). Der Kulturbereich spürte jedoch die "in der Luft liegende" Implosion eines maroden und unglaubwürdig gewordenen System (vgl. Video 3 "Sich treu bleiben").

Herbert Dreilich 5 min
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Der inzwischen verstorbene Herbert Dreilich von "Karat", Jürgen Ehle von "Pankow" und Dieter Birr von den "Puhdys" erzählen von Westauftritten. Aus: MDR-Sendung vom 08.11.1992

MDR FERNSEHEN So 08.11.1992 15:00Uhr 05:11 min

https://www.mdr.de/geschichte/stoebern/damals/video139350.html

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KPdSU Kommunistische Partei der Sowjetunion. Sie wurde 1918 nach der Oktoberrevolution in Russland gegründet und 1991 im Zuge der Auflösung der Sowjetunion ebenfalls aufgelöst.

KSZE Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa. Die KSZE wurde 1973 mit dem Ziel gegründet, Umweltschutz, Abrüstung und die Gewährleistung der Menschenrechte in Europa zu befördern. 1975 unterzeichnen die DDR und die Bundesrepublik Deutschland die KSZE-Schlussakte von Helsinki.

Wolf Biermann Liedermacher, der als 17-Jähriger in die DDR übergesiedelte. 1976 wird er nach einem Gastspiel in Köln "wegen grober Verletzung der staatsbürgerlichen Pflichten" von der SED ausgebürgert. Biermanns Ausbürgerung war ein prägendes Ereignis für die Künstler- und Dissidenten-Szene der DDR. Viele unterschrieben einen offenen Brief an die DDR-Führung gegen die Ausbürgerung.

DT 64 Anlässlich des Deutschlandstreffens der Jugend 1964 – daher der Name - wurde das Jugendradio DT 64 eingerichtet. Erstes Radioprogramm in der DDR, das sich direkt an die Jugend richtete. Aufgrund des großen Anteils an westlicher Popmusik, der jugendgemäße Sprache und der unkonventionellen Themen war DT 64 sehr beliebt bei den Jugendlichen. Seit dem Ende der DDR knüpft das Jugendradio "MDR Sputnik" an diese Tradition an.

Sputnik Sputnik (russ. Begleiter) - sowjetische Monatszeitschrift in deutscher Sprache. Die Zeitschrift war in der DDR sehr begehrt, weil sie offen über die politischen Umwälzungen in der Sowjetunion berichtete. Ab November 1988 wurde der "Sputnik" nicht mehr über die offizielle Postzustellung vertrieben, was faktisch den Verbot der Zeitschrift in der DDR bedeutete.